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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 81. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
81. Nachwort |
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Atlantis sendet online
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Platons versunkenes Atlantis
meldet sich online
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Die Kunde vom untergegangenen Atlantis verdanken wir Platon. Seither wird gerätselt, wo die abgetauchte Insel auf'm Meeresgrund rumliegen mag. Der Philosoph gibt als Schüler des ewig und drei Tage anfragenden Sokrates, bei dem er neun Jahre in die Lehre ging, noch andere Welträtsel auf und reiste dreimal von Athen nach Sizilien zu den Vater- und Sohn-Tyrannen Dionysios. Das war Jacke wie Hose. Tyrannen sind so philosophieresistent wie Demokraten, aus deren Mitte von Zeit zu Zeit Tyrannen hervorgehen wie umgekehrt auch. Soweit Nietzsches fatale ewige Wiederkehr des Gleichen, diesem Pseudonym für das permanent konterrevolutionäre Deutschland, welches es auch sein mag.
Wir sagen das gleich noch mal, doch anders: erst das Ende der DDR statt ihrer Transformation erlaubt jene aggressive deutsche Einheit, die der Weltkrise den abendländischen Angelpunkt liefert, als bliebe nur die Entscheidung zwischen Titanic und Atlantis. Platon setzte sein Utopia dagegen. Dreimal brach er auf zum Tyrannen nach Syrakus? Unsere tapferen DDR-Bürgerrechtler gingen geradenwegs auf Ministerposten und bald darauf in Rente. Dass es mit Ernst Bloch in Leipzig ein Stück Platon gegeben hat, blieb ihnen so unbekannt und fremd wie die Notwendigkeiten, die aus der Freiheit resultieren, statt sie zu vergaucken.
Ach ja, unsere späten Bürgerrechtshelden kuppelten ihre abgeschlaffte DDR so brav und fest an den BRD- Wirtschaftskarren, dass die kapitale Weltkrise daraufhin ungebremst und kräftig ins Kraut schießen konnte. Von den Siegen in Jugoslawien, im Irak und sonstwo bis zum Finanztriumph über Griechenland u.a. gibt es nichts als friedliche deutsche Revolutionen – Euros statt Panzer. Zugegeben, unsere friedvollen DDR-Abschaffer schweigen stilvoll dazu. Als vom Zahn der Zeit angefressene Veteranen gleichen sie inzwischen den noch etwas mehr vergammelten Genossen Stalins, die mit emsiger Kopflosigkeit den Sozialismus an die Wand fuhren. Ihre sanftmütigen Umsturznachfolger lieferten die DDR dem Finanzkapital restlos aus. Welchen Auf-, Ab- oder Untergang streben die nachfolgenden Herrschaften nun an? Atlantis nämlich ging gar nicht unter. Es diente Platon als satirische Negativ-Utopie, mit der er vor eurem Untergang warnte. Da wiederhole ich mich allzu gern und mit Chuzpe. Orwell schrieb den Roman 1984 im Jahr 1948 als Endspiel der kommunistischen Revolution. Dem stand 1949 die Übersiedlung Ernst Blochs aus dem US-Exil nach Leipzig gegenüber. Sein Prinzip Hoffnung lieferte den Akzent „Trotz“ im Text nach, so fiel die philosophische Dissidenz Blochs erst sieben Jahre später auf. Noch in den folgenden Jahrzehnten galt Bloch weithin als „Stalinist“, als den er sich politisch gerierte wie Immanuel Kant als preußenköniglicher Ehrfurchtsschleimer, der untertänige Zueignungen und Vorworte absonderte. Bloch ließ sich in seine Bücher ne Handvoll Stalin-Zitate einbauen. Furchtbare Zeiten – als ob es heute weniger furchtbar wäre …
Der integre DDR-Sportler Täve Schur im ND-Gespräch vom 23.2.2011 zu seinem 80. Geburtstag auf die Frage, wer ihn besonders beeindruckt habe: „Wirkliche Größen. Menschen, die gegen den Faschismus gekämpft und dabei so gelitten haben. Honecker! Der hat in Brandenburg im Knast gesessen. Mensch, die haben Kopf und Kragen riskiert.“ Ja, da haste ja recht, Täve. Honecker oder der Zehnkämpfer Alfred Neumann. Oder Wilhelm Pieck! Donnerwetter… Die individuelle Wertschätzung bezeugt Schurs aufrechte Haltung auch im Nachhinein. Die Geschichte nimmt darauf leider keine Rücksicht. Über Alfred Neumann äußerten wir mehrfach Achtung und Respekt. Honecker jedoch ließ sich gegen Walter Ulbricht benutzen und war seinem Amt bald nicht mehr gewachsen. Ulbricht setzte 1956 auf den Leipziger Stalinisten Paul Fröhlich, der ihn 1970 im Bunde mit Honecker verriet. 1953 war der reformbereite Intellektuelle Rudolf Herrnstadt von Ulbricht für den 17. Juni verantwortlich gemacht und bestraft worden. Dies nur als Beispiel. Die jeweiligen Macht- und Diadochenkämpfe sind so systembedingt wie systemübergreifend. Die revolutionären Kräfte geraten nach dem Sieg in Konkurrenz. Postrevolutionäre Zwänge der Karriere führen zur Negativauslese. Der bürokratische Vorgang ist schichtenresistent. Vom Marx'schen Standpunkt aus gesehen bedarf die Revolution eines hochentwickelten kapitalistischen Zustandes, woraus China den kühnen, aber folgerichtigen Schluss zog, seine kapitalistische Marktwirtschaft unter KP-Vorherrschaft nachzuholen. Ende offen. Der bisher anhaltende Aufstieg zum Opponenten der ratlos reagierenden US-Weltmacht führt zur letzten Alternative: Entweder 3. Weltkrieg oder Verzicht der USA auf globale Hegemonie. (Helmut Peters dazu in junge Welt von 21. und 22.2.2011)
Wir kommen von China auf die nicht weniger geheimnisvolle Lausitz mit ihrem Heimatdichter Erwin Strittmatter, dessen Enkelin Judka Strittmatter am 27. Mai 2012 ihren Großvater unter den Aspekten „Kälte, Ruhm und Verrat“ schildert wo nicht abwrackt. (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) Als Hauptzeuge dafür wird der Lyriker, Schriftsteller und Literaturkritiker Jokostra angeführt. In der Lausitzer Rundschau war der Fall schon am 5. Mai abgehandelt worden: „Die Enttäuschung des Peter Jokostra – Wie ein Spremberger Autor bei seinem Freund in Ungnade fiel.“ Strittmatter war in der DDR ein ungemein erfolgreicher Volksschriftsteller, der Großteil seiner damaligen Leserschaft steht auch heute noch in Treue fest zu ihm. Seine nebulöse Vergangenheit ist detailliert geschildert im Doppelband Erwin Strittmatter und die SS und Günter Grass und die Waffen-SS von Joachim Jahns, 2011 erschienen im Leipziger Dingsda Verlag. Wir hochachteten Jahns detektivischen Marsch durch die schwarzbraunen Sümpfe im 75. und 76. Nachwort. Über den einem breiteren Publikum nicht bekannten ehemaligen Strittmatter-Freund und späteren Kontrahenten Peter Jokostra gibt es im Roman Casanova oder der Kleine Herr in Krieg und Frieden ein ganzes Kapitel unter der Überschrift „Amely“. Jokostra ist dort eingewoben in die Figur des Michel Casanova und bietet als Akteur mit Kopf und Bauch einen Strittmatter adäquaten. Widerpart. Ich liebe diese Geschichten nicht nur, weil sie von mir niedergeschrieben wurden, sondern weil unsere Geschichten konträr zu den Verdrängungsenergien vieler Autoren stehen. Grass / Strittmatter blendeten das eine aus und das andere ein.
Jokostra ist heute weithin unbekannt, es lohnt jedoch, sich zum Beispiel an sein 1974 veröffentlichtes so bitteres wie erheiterndes pazifistisches Buch Das große Gelächter zu erinnern. Mein Roman mit Jokostra als einer von tausend Figuren war 1966 mit seinen erotischen und politischen Frechheiten ein veritabler westdeutscher Bestseller. Damals schritten wir voran, heute geht's hopplahopp zurück. Dazwischen liegen unsere Sünden und vergeblichen Versuche von phantastischen Frechheiten und anarchischer Gutartigkeit. Was aber ist mit Strittmatters Stasi-Nähe und dem „Verrat“ am früheren Freund Jokostra? Während einer längeren Bahnfahrt sprach ich vor vielen Jahren darüber mit Strittmatter. Seine Sicht schien mir so plausibel wie Jokostras Sicht, die mir aus langer Bekanntschaft vertraut war. Mittlerweile finde ich es an der Zeit, die ewige Stasi-Hatz zu beenden. Wir kamen alle aus lausigen Zeiten. Im August steht Strittmatters 100. Geburtstag an. In Spremberg wollte man des Ehrenbürgers gedenken und neuerdings auch wieder nicht mehr. Wird er also beschwiegen so wie man zu DDR-Zeiten und bis heute Jokostra beschweigt? Deutschland deine Dichter? Deutschland deine Spießer? Über den einen wie den anderen ist die Wahrheit sagbar ohne ins Unsagbare ausweichen zu müssen. Hier nutze ich gern die Gelegenheit zur Würdigung eines ebenfalls stasibelasteten Genossen und Kollegen und zitiere mit gebotener Chuzpe den letzten Absatz aus der 49. Folge unserer Serie: Der Lektor Walter Püschel, der sich 1956/57 dafür stark gemacht hatte, meine Maulwurf-Geschichte in der DDR zu veröffentlichen, beeindruckte mich damals mit seiner verwegenen Energie in Erwartung der Vorwürfe, ein pazifistisches Buch verantworten zu müssen. Erst heute lese ich im Internet, Püschel hatte der SED seine kurze Zeit als Siebzehnjähriger bei der Waffen-SS verschwiegen und war zur IM-Tätigkeit (von 1964 bis 1983) erpresst worden. Am 26. Dezember 2005 ist er verstorben. Dem Genossen habe ich nichts zu verübeln, denn er ist Teil der tragischen Geschichte meiner verdammten Generation Ost. Jetzt erst begreife ich den tieferen Grund, der ihn 1957 veranlasste, sich für meinen Antikriegs-Text so tapfer ins Zeug zu legen. Er war ein Wiedergutmacher, obwohl es dafür gerade bei ihm gar keine zureichende Ursache gab. Ein strahlend weißer Friedensengel über sein Grab.
Ingrid findet gerade bei Google ein paar Sätze aus dem nd vom 12. Januar 2002. Ich lese das mit Gewinn und erkenne erst dann, der Autor war ich selbst.
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An diese Opfer denkend schrieb ich im Nachwort 79: „Für mich war die DDR der noble Versuch, das Versagen der Weimarer Republik auszugleichen.“ Unser Leipziger Kreativ-Korrespondent Hartwig Runge machte sich selbst und mir die Freude, diesen Satz und neun Sätze dazu in ein Stück Prosa-Gedicht umzusetzen. Wir fügen es hier bei:
…also phantastische Übergangs-Gesellschaft
Ach du lieber Günter Grass –
politische Lyrik ist kein Zuckerschlecken,
sobald sie den Kriegsnerv trifft.
Ich hab da so meine kleinen Erfahrungen machen müssen.
Die Narbe im rechten Arm
erinnert mich an die Kugel des US-Soldaten.
Die Narbe im rechten Unterschenkel
an den Gruß der deutschen Artillerie,
der mein Abschied von der Wehrmacht missfiel.
Von Sizilien blieb mir die Malaria,
von Russland die Tbc.
Die Knochen immerhin brachte ich
endlich heil nach Hause in Sachsen,
bis mir auch das verloren ging.
Für mich war die DDR der noble Versuch,
das Versagen der Weimarer Republik auszugleichen,
wozu unsere angestrebte Reformation dienen sollte
mit Ernst Bloch als philosophischem Pfadfinder
und Fritz Behrens als Ökonom.
Was später China per Überwindung von Mao gelang,
sollte in Europa per Abschied von Stalin gelingen.
Das war Utopie?
Das waren unsere Ideen und Texte,
sie wurden aber unmöglich gemacht.
SU und DDR brauchten ebenso wenig unterzugehen
wie China unterging.
Nötig waren dazu nur neue revolutionär beseelte Köpfe.
Chinas rote Weltformel lautet Kommunismus & Kapital,
also phantastische Übergangs-Gesellschaft.
Gerhard-Gert Gablenz-Zwerenz
(aus „Die Verteidigung Sachsens…“ – 79. Nachwort)
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Georges Jacques Danton |
Michael Mansion, an diesem Platz als Beobachter und Diagnostiker aus dem Saarland mit gutem Grund immer mal wieder genannt, zitiert dazu Danton aus der Französischen Revolution: „Da stehen sie und schauen zu der Laterne hinauf, aber warum wohl? Nun sie wissen und spüren, dass diese Laterne in sehr kurzer Zeit mehr geleistet hat als sie in ihrem ganzen Leben.“ (Mail vom 29.5.2012)
Und weiter mit Mansion:
„Man mag über solche Vorstellungen unterschiedlicher Meinung sein, aber die politische Frage ist die Machtfrage, weshalb es wieder Verhaftungen wegen antikapitalistischer Umtriebe gibt. Brechts Gedicht vom Klassenfeind fällt mir wieder ein, wenn sie ihre Exporterfolge feiern und die Anzahl ihrer modernen Sklaven vermehren. Da mögen die Steinbrücks und die Steinmeiers noch so smart daher reden. Ihnen ist längst nicht mehr zu glauben und mit ihnen muss man auch nicht handelseinig werden, weil es mit denen so weitergeht wie bisher, kleine Korrekturen ausgenommen. (Wer die menschenverachtende Diktatur des Finanzkapitals diagnostiziert und zu vernunftgeleitetem Widerstand aufruft, muss mir erklären, welche Vernunft er meint, weil sich fatalerweise für jede Konterrevolution ein sog. Vernunftargument finden lässt.“
Soweit Michael Manson mit der Frage der Fragen, die auf das Schicksal der Linken in Deutschland und nicht nur hier hinausläuft – Entweder den Gegner opportunistisch kopieren oder radikal im Sektierertum verkümmern. Ob mit der SPD oder gegen sie ist eine taktische Frage. Indem sie zur strategischen überhöht wird, bleibt nur der Bruch auf Dauer, was die wahre Dimension linker Strategie enthüllt: Wie hältst du es mit Karl Marx?
Es finden sich in jedem Deutschland nur zwei durch Namen charakterisierte Grundpositionen: a) Kaiser Wilhelm, Ebert, Hindenburg, Hitler, Adenauer, Ulbricht, Honecker, Schmidt, Kohl … und b) Bebel, Liebknecht, Luxemburg, Thälmann, Niemöller, Heinemann, Harich, Janka … Die a-Gruppe verzeichnet eine beliebige Auswahl der Regenten, die b-Gruppe der Oppositionellen. In der a-Gruppe wird der Name Merkel nicht erwähnt. Sie sozialdemokratisierte die CDU soweit, dass die SPD sich als deren regierungsfähigen Teil empfinden kann. Vielleicht entdeckt die Linkspartei Möglichkeiten eines linken Merkelismus: Lafontaine feminin?
Marx: Revolutionär – Kommunistisches Manifest
Marx: Pragmatiker – Das Kapital
Die Dekonstruktion des Marxismus bezieht sich weder auf den Revolutionär noch den Pragmatiker, sondern auf den Marx – Ismus ab 1923 – von da an erstarrte die sowjetische Revolutionstheorie zum Dogma. Die Verallgemeinerungen differierten mit der Realität, was die Dekonstruktion notwendig macht. Der Begriff entstammt übrigens der Geologie, genauer der Agro-Ökonomie, die Marx intensiv untersuchte, wobei er Erdschichten (Formationen) mit Gesellschaftsformationen verglich und vor falschen Allgemeinheiten warnte – siehe dazu auch neuere MEGA-Arbeiten. Wir aber kehren zu Katja Kippings 3. Weg der Zwei-Frauen-Spitze zurück. Der Vorschlag wurde nicht realisiert. Der Information halber sei unser 3. Weg zitiert, wie er im nd vom 15. Oktober 1957 dargeboten wurde, natürlich zur Abwehr. Wir schalten der Einfachheit halber auf unsere frühere 69. Folge „Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem 3. Weg“ und den ND-Ärger um. Unter dem Titel Die Illusion vom 3. Weg heißt es da: Zweifellos übt der ›ethische‹ Sozialismus auf Kulturschaffende und Kulturbeflissene anziehende Wirkung aus. Auch wenn wir wissen, dass sich dahinter Gift verbirgt. Ob überlegt oder unüberlegt bleibe dahingestellt, erscheint in der heutigen Ausgabe der Sozialdemokratischen Tageszeitung Telegraf In Berlin ein Beitrag von Gerhard Zwerenz unter der Überschrift: ›Die Gedanken sind frei. Ernst Bloch und seine Gegner‹.
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Heinrich Schwartze:
Die Illusion vom dritten Weg
ND 1957
(Zoom per Klick) |
Diesem Beitrag sind kurze redaktionelle Bemerkungen vorangesetzt, in denen gesagt wird, es gebe bei uns in der Deutschen Demokratischen Republik einen politisch-geistigen Konflikt zwischen denen, die zum Zentralkomitee unserer Partei stehen, und den Intellektuellen, die eine Regeneration des Marxismus zum ›menschlichen‹ Sozialismus leidenschaftlich befürworten. Der Repräsentant dieser Befürworter des menschlichen Sozialismus sei der Leipziger Professor der Philosophie Dr. Ernst Bloch. Zwerenz erklärt nun näher, welcher Art diese alten, nicht erst aus diesem Jahr stammenden Differenzen seien und sagt auf sehr billige und ungründliche Art, diese Differenzen würden mit der Intellektualität von Ernst Bloch zusammenhängen; Bloch sei nämlich Philosoph, er sei ein Mann, der nicht wiederkäue, sondern selbständig schaffe, und er sei Marxist. (Heiterkeit)
Liebe Genossen! Hier muss man einen Augenblick verhalten und fragen, worin denn der von Zwerenz und vom Telegraf behauptete Marxismus in Blochs Philosophie liegt? Genosse Wagner wies heute im Referat nach, dass in der Philosophie Blochs nichts Marxistisches enthalten ist. Genosse Fröhlich hat das noch unterstrichen. Kurz gesagt die ›Hoffnungsphilosophie‹ von Ernst Bloch und die Ausführungen des Genossen Duncker über unsere sozialistische Zukunft unterscheiden sich wie die Nacht vom Tag …
Ich kehre zu den Gedankengängen von Zwerenz zurück. Zwerenz sieht Im XX. Parteitag eine Chance für den Sozialismus, ›menschlich‹ zu werden. Er sieht in Bloch .das Haupt eines Kreises, der diese Chance zu nutzen versuchte, daran allerdings gescheitert sei. Von diesem Bloch-Kreis verrät Zwerenz nun etwas, was wir zwar allgemein schon immer wussten, aber in solcher Deutlichkeit als klares Bekenntnis von den Leuten dieses Kreises bisher noch nie erfahren haben; und das ist folgendes: Die publizistische Wirkung des Bloch-Kreises in den Zeitungen und Zeitschriften der DDR schätzt Zwerenz schon als beträchtlich ein, aber für noch beträchtlicher hält er die Tatsache, dass der Bloch-Kreis allein schon durch seine Existenz ein Politikum sei. Er sagt: Dieser Kreis gab für den Kampf an der Karl-Marx-Universität in Leipzig den Vertretern des ›menschlichen‹ Sozialismus Rückhalt und hatte spürbare Auswirkungen im kulturellen und politischen Leben Leipzigs und weit darüber hinaus. Die Philosophie Blochs, welche die Möglichkeit eines ›menschlichen‹ Sozialismus bezeichnet, und eine humanisierende Politik seien die Philosophie eines wirklichen ›eigenen‹ Weges zum Sozialismus, ohne Aufgabe wesentlicher sozialistischer Ziele. Das ist knapp gesagt der dritte Weg. Hängt eine gewisse Liebäugelei mit diesem dritten Weg nicht eng zusammen mit der Furcht vor den harten Forderungen der Diktatur des Proletariats, hängt nicht mit dieser Furcht vor den harten Forderungen der Diktatur des Proletariats eine gewisse Anfälligkeit der Kulturschaffenden für den dritten Weg zusammen?
Welche politischen Absichten der sogenannte Bloch-Kreis verfolgt, der sich durch den Mund von Zwerenz vorstellt, ist klar. Es sind im Grunde die gleichen Absichten, die Harich auf die präziseste Formel gebracht hat: Auflösung des Zentralkomitees und Umbildung der Regierung. Oder mir anderen Worten: Nicht nur Stopp für den Aufbau des Sozialismus, sondern die Liquidierung des Sozialismus überhaupt.
Und Professor Bloch? Darf er länger schweigen, wenn Leute wie Zwerenz kommen und sagen, sie seien seine Schüler und behaupten, das ihrige bei ihm gelernt zu haben? Steht Ernst Bloch jetzt nicht vor der Notwendigkeit, ein Wort zu dem Treiben derer zu sagen, die sich Bloch-Kreis nennen? Ist er so schlecht wie die, die sich auf ihn berufen, oder ist er besser? Wir können diese Frage im Augenblick nicht beantworten, weil er schweigt, aber nun müsste er – unser Mitbürger, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin, Träger des Nationalpreises der DDR – nun müsste er sprechen.
Soweit die Verdammung des 3. Weges im ND vom Oktober 1957 inklusive eingestreuter falscher „Heiterkeit“. Und der energisch aufgeforderte Ernst Bloch sprach. Und wir, jedenfalls Ingrid und ich sprechen. Und andere sprechen unüberhörbar. Luc Jochimsen, vormalige politische Korrespondentin in London, dann HR-Chefredakteurin, heute Bundestagsabgeordnete der Linkspartei wandte sich als Opfer des 2. Weltkrieges gegen die deutsche Kriegsteilhabe, deren Interventionalismus nicht nur sie für verfassungswidrig hält. Als Kind in Nürnberg beim Bombardement schwer verletzt, bezeugte sie am 10.6.2012 in der ARD bei Günther Jauch eine erlittene Vergangenheit und die von ihr daraus gezogene pazifistische Konsequenz, was der ebenfalls eingeladene Thomas de Maizière als Kriegsverteidigungsminister brachial mit juristischen Kautelen zu widerlegen suchte. Das war Deutsch in zwei verschiedenen Sprachen. Die Konstellation verwundetes Kriegskind contra Bundeswehroffizier und Kriegsbejahungsminister hätte statt Hirnwäsche Hirnreinigung sein können. Das Talk-Publikum applaudierte mehrheitlich dem Minister. Na dann kämpft und bekriegt euch mal schön. Trotzalledem, ergo mit Trotz und etwas Hoffnung – das angeblich versunkene Atlantis, dieses Utopia Platons wirkt online in vielerlei Gestalt unübersehbar weiter …
Ironisch notierte das nd am 13.6.2012: „Einfach zutraulich, der Gauck – Bundespräsident vereinigte die Bundeswehr mit Freiheit und verdammte die NVA.“ Das ist historisch sogar richtig, denn die eigensinnige Sowjetunion verzichtete beim Einmarsch in Afghanistan auf die Beihilfe der NVA, während die USA unsere Bundeswehr herzensgern mit aufmarschieren ließ. Weniger ironisch als statusgemäß staatsmännisch gab sich am 13.6. die FAZ. „Eine Stütze der Freiheit – Der Bundespräsident lobt die Soldaten der Bundeswehr“. Da war die junge Welt am genauesten mit der Schlagzeile Sterben für Deutschland, darauf folgt der echte Gauck, wie er leibt und predigt. Ach ja, wir glückssüchtigen Gesellschafter der Freiheit ertragen unsere deutschen Gefallenen eben nur schwer und die gefallenen Afghanen sogar noch schwerer, indem wir sie a) produzieren und b) ignorieren. An die eigenen Toten gemahnen wir im Ehrenmal, ganz wie in unsren früheren Welt-Kriegen. Wir nannten das Nachwort 29 dieser Serie geradezu hellseherisch: „Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad“. Statt oder sollte ein und da stehen. Hätt' ich einen Wunsch frei an welche Götter auch immer – so lautete er: Gebt uns Niemöller und Heinemann zurück.
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