„Gerhard Zwerenz ist ein unbequemer Mann. Wie der Osten auf Oppositionelle seines Schlages reagierte, beschreibt er in seinem neuesten Buch Der Widerspruch (S. Fischer Verlag, Ffm.). Aber auch im Westen bekam der kompromisslose Sozialist bald Schwierigkeiten. Wegen seines Eintretens für studentische Demonstranten und Hausbesetzer ist er bei Frankfurts Regierenden Buhmann Nr. 1. Hier fügt Zwerenz dem Systemvergleich zwischen der BRD und der DDR eine neue Variante hinzu:“
Soviel von und zu Röhl, der inzwischen die Seiten wechselte und zu Ernst Nolte samt FAZ flüchtete. Mein damaliger Bericht bedarf keiner Korrektur und gilt heute so wie 1974:
Welcher Geist in den Köpfen führender Politiker herrscht, offenbart sich in gewissen Situationen, wenn politische Anforderungen Stress einbringen und die üblichen diplomatischen Verschleierungsformeln aufreißen. Man kann dann einen Blick ins ungetarnte Innere unserer Politiker werfen. Die Charaktere zeigen sich nackt.
In einer für den Kommunismus prekären Situation, nach der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes im Herbst 1956, las ich in der Leipziger Volkszeitung folgendes:
„So haben sich Genossen Zwerenz und Loest im vergangenen Jahr weniger mit der Politik der Partei beschäftigt, um so mehr haben sie unter der Flagge des Kampfes gegen den Dogmatismus Auffassungen in die Partei getragen, die im wesentlichen mit denen der Konterrevolution und des ungarischen Petöfi-Kreises sowie der Harich-Gruppe übereinstimmen ... Genosse Zwerenz probierte in der Zeitschrift Sonntag seine schriftstellerische Begabung dahingehend aus, dass er noch mehr kritische Artikel gegen unsere Deutsche Demokratische Republik produzierte als es Julius Hay in Ungarn tat. Solche Leute nennen ihr Auftreten ›Entfaltung des wissenschaftlichen Meinungsstreites‹. Wir jedoch sagen: Konterrevolution hat absolut nichts mit Wissenschaft zu tun ... gegen Leute, die unter dem Deckmantel der Wissenschaft bei uns konterrevolutionäre Tätigkeit entfalten, gibt es nur eine Schlussfolgerung: Sie müssen eingesperrt werden. ...“
Das sind nun gewiss harte Worte, und ein so Bedrohter fühlt gemeinhin wenig Lust, sich wie angekündigt behandeln zu lassen. Immerhin lebte ich damals noch mehr als ein halbes Jahr in der DDR, unter Schwierigkeiten, doch in Freiheit. Erst im Spätsommer wurde der Weggang unvermeidlich.
Im Frühjahr 1974 kam es in Frankfurt zu ähnlichen Offenbarungen. Nachdem ich in einer Fernsehsendung die Frankfurter Polizei der Folterung und anderer Übergriffe beschuldigt hatte, setzte eine unvorstellbare Verleumdungs-
Worum es mir jetzt geht, ist die Reaktion der betroffenen Behörden.
Beim Vergleich, was 1956/57 von der Leipziger Parteiführung gegen mich geäußert worden ist und was jetzt 1974 der Frankfurter Polizeipräsident von sich gab, schneidet der kommunistische Osten weitaus besser ab. Doch gehen wir auf eine höhere Ebene; denn es liegen auch Publikationen des hessischen Innenministers Bielefeld und seines Pressesprechers Gerstemeier vor. Der Minister formulierte:
„Lieber Leser,
Hessens Polizei braucht sich weder getroffen noch betroffen oder gar verunsichert zu fühlen. Das sogenannte Tribunal von Frankfurt, das sich in der zweiten Märzwoche im dortigen Volksbildungsheim anmaßte, über die Verhaltensweise der Polizei bei ihrem Einsatz gegen politische Gewalttäter zu urteilen und zu richten, entlarvte sich selbst als das, was es war; eine Ansammlung anti-polizeilich programmierter verbaler Amokläufer. Selbstgerechtigkeit und Voreingenommenheit, Wichtigtuerei und Aufgeblasenheit, übersteigertes Geltungsbedürfnis, Lüge und Verleumdung beherrschten die Politszene. Eine vor keiner noch so absurden Unterstellung zurückschreckende Agitation, ausgerichtet auf Verdammung der Polizei und Verdummung der Öffentlichkeit.
Man könnte das Ganze als Theaterdonner abtun, hätte hinter dieser Farce eines ›Tribunals‹ nicht die Zielsetzung gestanden, das Verhältnis Bürger-Polizei zu vergiften und die Funktionsfähigkelt unseres freiheitlichen Staates und seine Rechtsordnung in Frage zu stellen. Man verunglimpft die Polizei und meinte den Staat.
Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, so gibt es hier auch hier eine Grenze zwischen dem, was von der Polizei hingenommen werden kann und was nicht. Wie es die selbstverständliche Pflicht der Polizei ist, den Frieden auf den Straßen zu wahren und Gefahren von den Bürgern abzuwenden, so ist es die selbstverständliche Aufgabe der Gerichtsbarkeit, jene Zeitgenossen, die unsere Polizei durch tätlichen Widerstand, durch Schmähungen und Verleumdungen daran zu hindern suchen, zur Verantwortung zu ziehen. Für tätliche Angriffe oder Verleumdungen gegen die Polizei gibt es weder eine moralische noch rechtliche Legitimation.
In Sachen ›Tribunal‹ werden nicht die Akteure dieser Schau von Aufwiegelei das letzte Wort haben, sondern der Strafrichter.
Ihr (Unterschrift) Bielefeld“ * Die Dokumentation erschien inzwischen unter dem Titel „ Zerstörung – Terror – Folter“ bei megapress, Frankfurt 1
Der Pressesprecher des Herrn Ministers ging noch weiter:
„Das Tribunal oder der Kleine Herr in Krieg und Frieden
So gesehen brachte die nach den Prinzipien des absurden Theaters aufgezäumte Polizeibeschimpfung der Literaten und angeblichen Belastungszeugen nur diese Erkenntnis. Negatives Erleben, eigenes Versagen, Kindheitsenttäuschungen verdichteten sich hier im Frankfurter Volksbildungsheim zu einem revolutionären Imponiergehabe und endeten in einem Akt politisch-pubertärer Selbstbefriedigung.
Vielleicht hätte Herr Zwerenz besser aus seinem Buch „Der Kleine Herr in Krieg und Frieden“ vorgelesen, statt sich zum Gerichtsherrn von eigenen Gnaden zu produzieren und das Frankfurter Volksbildungsheim als Spielwiese für anti-polizeiliche Verbalorgien zu missbrauchen. Karl-Heinz Gerstemeier“
Es fragt sich natürlich, ob man den sächsischen SED-Führer Fröhlich so einfach mit dem hessischen FDP-Innenminister Bielefeld vergleichen kann. Bielefeld spielt im BRD-Maßstab nicht annähernd die Rolle, wie sie Walter Ulbrichts Vertrauter, das Politbüro-Mitglied Fröhlich in der DDR spielte. Doch kann man von diesen Unterschieden wohl abstrahieren. Gemeinsam ist beiden Politikern die Entrüstung über einen Schriftsteller, gemeinsam die Drohgebärde.
Der Kommunist formuliert dabei sachlicher und direkt. Der Freidemokrat ungenauer, wolkiger, bösartiger. Beides entspricht den Machtverhältnissen. Fröhlich konnte das Einsperren zwar nicht unmittelbar anordnen, doch sucht er sich, was der Sinn seiner Erklärung nebenbei gewesen sein mag, im Politbüro gegen eine mäßigende Gruppe durchzusetzen. Die in der Presse formulierte Drohung sollte dann exekutive Gewalt erhalten. Anders Bielefeld, der angesichts der Gewaltenteilung nicht in irgendeiner Gruppe einfach das Einsperren des missliebigen Autors betreiben kann, aber ganz offensichtlich versucht, laufende Ermittlungsverfahren zu beeinflussen. Justiz und Gerichte sollen unter Druck gesetzt werden, was freilich nicht expressis verbis gesagt wird, deshalb die wolkige Ausdrucksweise.
Der kommunistische wie der freidemokratische Politiker enden mit der inhaltlich gleichen Drohgeste.
Der hessische Innenminister hat zusätzlich seinen Pressesprecher zur Hand, der die Katze aus dem Sack lässt und frei nach dem Wörterbuch des Unmenschen formuliert. Der schweißfüßige Intellekt kommt geradenwegs aus Goebbels' Völkischem Beobachter. Was assoziiert werden soll und wes Geistes Kind ist, wer so artikuliert, hat Heinz Brandt hinreichend verdeutlicht. In Denk- und Sprachstrukturen manifestiert sich faschistischer Ungeist. Wer so redet und schreibt, der schießt und foltert auch oder: lässt geschehen und deckt zu.
Gemeinsam ist beiden Reaktionen, der westlichen wie östlichen, die Unkenntnis des wirklichen Sachverhaltes. Was ich im Osten geschrieben hatte, wurde nicht verhandelt. Ob die Sache stimmte oder nicht, blieb unbeachtet. Ich sollte eingesperrt werden, weil ich etwas geschrieben hatte. Nicht anders im Westen. Die Drohgebärde erfolgte, weil ich den Schleier der Geheimhaltung zerrissen hatte. Es ging nicht um das, was ich angriff, sondern darum, dass ich angriff. Beide Male fühlte Macht sich beleidigt, weil ihre Ausübung als fragwürdig, unmenschlich und illegitim erscheinen muss, wenn man die Dinge nur beim richtigen Namen nennt. Die Herrschenden reagieren darauf aggressiv.
Wenn ich noch einmal zwischen Ost und West Vergleiche anstellen darf, so muss ich sagen, die Verlogenheit und kalte Bösartigkeit ist im Westen größer. Vergleichbar niederträchtig reagierten gewisse DDR-Schreiber erst, als ich die DDR verlassen hatte und schwere verständliche Enttäuschung durchschlug. In der öffentlichen Diskussion aber und solange ich im Lande lebte, blieb man offener, ehrlicher, genauer. Obwohl die politische Situation der damaligen DDR durchaus als prekärer zu bezeichnen ist, vergleicht man sie mit der gegenwärtigen in der BRD.
Es reichte, die Vergleiche weiterzuführen. Material ist genügend vorhanden. Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die politsch- Als ich in Leipzig erstmals scharf in der Presse angegriffen wurde, schaltete sich der DDR-Kulturminister Johannes R. Becher mäßigend ein. Eine Diskussion im Kulturbund, die er ansetzte, sabotierte die Partei, indem sie mich entgegen Bechers ausdrücklichem Wunsch nicht einlud. Becher arrangierte daraufhin ein privates Treffen. Später, als Becher selbst unter Feuer stand und sich nicht mehr für Angegriffene verwenden konnte, suchten andere zu helfen. So schrieb der damalige Sekretär für Kultur im Zentralkomitee der SED, Paul Wandel, an den strafwütigen Paul Fröhlich:
„Genosse Fröhlich, in der Angelegenheit Zwerenz-Loest ist das Sekretariat der Meinung, dass keinerlei administrative Maßnahmen ergriffen werden sollen. Es kommt darauf an, die junge Intelligenz der Partei zu erhalten.“
Auch auf dem Höhepunkt der Kampagne wirkten führende Politiker mäßigend, ich wurde mehrmals in meiner ärmlichen Studentenbude im Osten Leipzigs aufgesucht, man hielt verschiedenartige Kontakte zu mir. Nie im Westen habe ich auch nur annähernd vergleichbare Bemühungen erlebt. Es wird gehetzt, inhaftiert, vor Gericht gestellt. Klirrende Feindschaft herrscht. In der DDR gab es zwischen den Opponenten immerhin noch Gespräche. Ulbricht bestellte Harich zu sich und redete beschwörend auf ihn ein, bevor er ihn verhaften ließ.
Ich bestreite durchaus die Rechtmäßigkeit eines Prinzips, das dem einzelnen Mann soviel Macht gibt und auf Gewaltenteilung verzichten zu können glaubt. Doch das steht hier nicht zur Debatte, vielmehr die Umgangsformen der Menschen untereinander. Sie ist heute bei uns auf den Nullpunkt gesunken.
Ich warte auf meine Gerichtsverhandlung, bei der ich hoffentlich endlich unser Material über polizeiliche Übergriffe und Misshandlungen wie Folterungen vorlegen kann. Dass nicht ein einziger Politiker sich bei mir erkundigte, was wir denn wirklich gesammelt hätten, dass es mich veranlasste in einen derart unerquicklichen und selbstredend gefährlichen Clinch mit den Ordnungsbehörden zu gehen, kann mich nicht mehr enttäuschen, nur bestätigen in der niederschmetternden Einsicht, dieser Staat sei dabei, ein kaltes, menschenfeindliches Monster zu werden, dem Humanität nur mehr eine Phrase ist.
Der hier dokumentierte Bericht ist identisch mit dem Abdruck 1974. Die angekündigte Gerichtsverhandlung fand nie statt. Erst artikulieren sich die Herren als beleidigte Majestäten mit Blut im Auge. Dann fallen sie aus allen Wolken. Das Ermittlungsverfahren gegen uns wurde mangels Masse eingestellt. Die namentlich genannten Protagonisten waren neben den „Literaten Gerhard Zwerenz und Jürgen Roth“ jener Juso-Vorsitzende Karsten Voigt, der inzwischen seit vielen Jahren als Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit zuständig ist, dazu der „Gewerkschaftsfunktionär Heinz Brandt“, nebenbei bemerkt damals leitender Redakteur der IG-Metallzeitung – wir waren also die bösen Buben, die „im Frankfurter Volksbildungsheim ihre Bühne für das von ihnen einberufene sogenannte Tribunal zimmerten.“ Unser Freund Heinz Brandt, verstorben 1986 in Frankfurt/Main, hatte als jüdischer Kommunist die Nazi-Zeit in Zuchthäusern sowie im KZ Auschwitz verbringen müssen, war 1961 aus West- nach Ost-Berlin entführt und dort in einem Geheimprozess zu 13 Jahren verurteilt worden. Kraft internationaler Solidarität und erheblicher Proteste kam er nach 4 Jahren frei.
Um diese Zeit wurde ich von der DDR gerade mal wieder per Haftbefehl gesucht. Soviel zum „schweißfüßigen Intellekt“ auf beiden Seiten des geteilten Landes. Trotz aller schlechten Erfahrungen mit den jeweiligen Obrigkeiten versucht es unsereiner immer wieder mit Geduld und Spucke. 1975, ein Jahr nach dem Frankfurter Tribunal, sitzen wir als Wahlkampfhilfe am Tisch dem Offenbacher SPD-
Am Montag, den 23. Juni 2008, erscheint das nächste Kapitel.
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