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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 90. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
90. Nachwort |
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Friede den Landesverrätern Augstein und Harich
Ritterkreuzträger und Spiegel-Verfolger
Förtsch auf der ersten Seite abgebildet
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Einladungs-Prospekt
zum Jubiläum |
Von der Spiegel-Chefredaktion traf eine nahezu liebenwürdige Einladung zum kommenden 22./23. September nach Hamburg hier ein. Anlass ist die Spiegel-Affäre vor 50 Jahren: Ein Abgrund von Landesverrat – wir erinnern uns der Zäsur. Die Anrede lautet: »Lieber Herr Zwerenz«, was mich genau aus diesem Grund an einen Augstein-Brief von vor 51 Jahren erinnert, der ebenfalls so freundlich einladend beginnt:
Auf Augsteins Einladung reagierte ich am 31. Juli 1961 mit einer Gegeneinladung:
Schon einen Tag danach, datiert vom 1. August, erhielt ich ein Schreiben von der Bonner Spiegel-Redaktion:
Das erledigte sich, weil die Serie im stern erschien. Ein Jahr später passiert der staatliche Angriff auf den Spiegel. Mein Schreiben vom 27.10.1962 geht direkt darauf ein.
Mein Unwille, 1961 der freundlichen Einladung Augsteins in die Spiegel-Redaktion zu folgen, resultierte aus ungeklärten Verdachtsmomenten. Wolfgang Harich ist 1957 noch am Tag seiner Rückkehr aus Hamburg in Ostberlin verhaftet worden. Wer wusste schon, was zwischen Augstein und dem dann in Bautzen einsitzenden Harich abgelaufen war. Da blieb ich skeptisch. Das trat nach der Aktion gegen den Spiegel und der Inhaftierung Augsteins in den Hintergrund. Die Fronten waren klar. In der Solidarität traf ich mich mit Sebastian Haffner. Eben noch begegnete er mir als Kalter Krieger, nach der Spiegel-Affäre wandelte er sich und nahm in seinen Kolumnen und Büchern wieder die so liberale wie antifaschistische Haltung ein, die ihn einst zur freiwilligen Emigration aus Hitler-Deutschland bewogen hatte. 1966 unterstützte Haffner meinen Exkurs der Objektivierung Walter Ulbrichts mit einer ebenso objektiven Rezension meines Buches. Es ist eben ein Unterschied, ob man aus der individuellen Verteidigung heraus zur radikalen Gegenwehr gezwungen ist oder später ruhigeren Blutes und mit einiger Distanz den tieferen Grund der Differenz auslotet. Der tiefere Grund aber trug damals und jedenfalls ab 1956/57 für uns die Namen Hitler und Stalin, ersatzweise Adenauer und Ulbricht. Auch für diese feindlichen Zwillinge lässt sich eine gemeinsame Ursache finden: Karl Marx.
Am 27.8.2012 wird in neues deutschland eine Schrift aus der Hinterlassenschaft des Theaterregisseurs Adolf Dresen besprochen: Der Einzelne und das Ganze. Zur Kritik der Marxschen Ökonomie. Herausgegeben von F. Dieckmann. Theater der Zeit. Recherchen 93. So die Angaben im nd und dazu ein zitierter Dresen-Originalsatz, der es in sich hat wie Kennedy die Mörderkugel: »Eine Kritik des Stalinismus vom Marxismus aus kann es nicht mehr geben, denn der Stalinismus ist nicht Deformation, sondern Konsequenz des Marxismus.« Im nd wird dieser unsägliche Satz vom Rezensenten kurzum als »Die bittere Wahrheit« definiert. Gibt so ein enttäuschter, abgewrackter Stalinist zum Antimarxisten gewendet die eigene Beschränktheit zur Weiterverwendung an werte Ex-Genossen weiter? Sind die einst angebeteten Mächtigen erst vergangen genug, treten die verspäteten Widerstandskämpfer an. Es gauckt links wie rechts. Die Weisheit, Stalin schon in Marx aufzudecken war oberstes Glaubensdogma der Nouvelle Philosophie, deren Meisterdenker Glucksmann neben Marx auch Platon und Hegel zu Stalinisten erklärte, was uns alles weniger tangiert, weil's vorbei ist und die Pariser Antitotalen sich inzwischen als ideologische Kriegsfürsten offenbaren. Ein später Schwarm der deutschen linken Intelligentsia kommt wie immer verspätet auf den Trichter. Mit Marx, ohne Marx, endlich gegen Marx? Wieviel darfs denn sein? In Paris wird Karl inzwischen ganz neu entdeckt. Selbst unter den EUROpa-Geisterfahrern finden sich neuerdings unheimlich- heimliche Marx-Leser. Wer 1990 Marx ist tot – Jesus lebt! jubelte, billigt inzwischen Karls unchristliche, nicht antichristliche Auferstehung. Trotzki war für ähnliche Ideen noch per Eispickel erledigt worden. Chruschtschow wagte 1956 nur – immerhin! – den halben Stalin abzuschaffen.
Weshalb beginnt dieses Nachwort mit einem Schreiben von Augstein und der bald folgenden Spiegel-Affäre? Weshalb mit Wolfgang Harich? Weil dies ein legendärer Kenn-Name der 56er Kopf-Revolte ist: Stalin nein – Marx ja. Das kann die Gegenseite heute gewiss umdrehen. Es zählt zur vielfach je nach Interessenlage verleugneten DDR-Geschichte. Die sowjetischen Parteigrößen gingen auch dabei voran. »Der Marxismus hat mich nie interessiert«, so großmäulig Alexander Jakowlew, einstiges Mitglied des Moskauer Politbüros. Ingrid Zwerenz zitiert diesen Satz in der Zeitschrift Ossietzky 10/2006, wo sie sich unter dem Titel Tabula rasa ( Marx vom Tisch) mit den Lücken, Lügen und Verleumdungen befasst, die einstige KPdSU-Größen gegen Marx und Engels vorbringen, jahrzehntelang wurden deren Ideen missverstanden und missbraucht und heute glauben einige Stalinisten beide Männer auf den Misthaufen der Geschichte werfen zu können.
Das Doppelmotto zu Sklavensprache und Revolte lautet:»Wir haben den Kapitalismus überall da besiegt, wo es ihn noch gar nicht gab.« ( Leo Trotzki) und »Das westlich-kapitalistische System hat einen Sozialismus besiegt, der niemals einer war.« (Gerhard Urbach). Wer ist Urbach? Einer jener Bloch-Schüler, denen Stalins DDR-Getreue zusetzten, bis ihre Macht zerbrach. In der Hoffnung auf neue Machtteilhabe vergehen sie sich heute an Marx statt Stalin.
Im 82. Nachwort freuten wir uns über den Spiegel vom 4.6.2012, weil dort »ein ausnehmend kluger Geschichtsgeist als Zeitgenosse« waltete, »der ohne jede Ideologie Darwins Evolutionstheorie, Marxens Gesellschaftsanalyse und Freuds Psychoanalysen-Kultur als Grundlage des klassischen Humanismus und der Aufklärung anerkannte.« Nachdem Marx der Aufklärer-Status im nd aberkannt wird, dürfte demnächst die Abkehr von Darwin und Freud folgen. Auf denn zur deutschen Tea-Party-Partei.
Wäre die Bundesrepublik Deutschland satisfaktionsfähig, organisierte sie den Rückblick auf die Spiegel-Affäre von vor fünfzig Jahren aus eigenem Antrieb, was allerdings die Fähigkeit zur Selbst-Analyse voraussetzte. War die damalige Aktion der Versuch eines verbrämten Staatsstreichs und führte das Misslingen zur Zäsur der Bonner Innenpolitik wie vergleichsweise der Mauerbau 1961 die Deutschlandpolitik auf Jahrzehnte blockierte? Falsche Lage-Einschätzungen wo nicht diverse historische Irrtümer infolge vordemokratisch-nationaler Befangenheiten hier wie dort. Der Spiegel, der nicht wie angestrebt zu Bruch ging, gewann Lichtbildkonturen, Kuriositäten inklusive. Etwa die ergötzliche Dauerfehde zwischen Strauß und Augstein. Oder Augsteins von masochistischen Zügen nicht ganz freies Sohn-Vater-Verhältnis zum Rhöndorfer Rosenzüchter und Stiefvater der Loreley – genannt Adenauer.
Der Einladung des jetzigen Spiegel-Chefs zum 50er Jubiläum des Anschlags auf die werte Redaktion konnte ich als Rekonvaleszent nach mehreren Operationen nicht folgen, was ich bedauere, denn – ich zitiere:
Was wird Frau Hohlmeier wohl mitzuteilen haben? Als Gegenpol zur gewiss apologetischen Strauß-Tochter hätte ich gern den über Jahre für den Spiegel tätigen Publizisten und Tucholsky-Preisträger Otto Köhler dabei gehabt, warum wohl, doch wäre mein Vergnügen ohnehin stark abgekühlt worden, denn – ich zitiere noch mal:
Wen aber, um Himmels willen, soll Schmidt-Schnauze denn landesverraten haben? Das Dritte Reich sicherlich nicht, das er bis zuletzt so tapfer verteidigte, dass er, obwohl zur Teilnahme am Prozess gegen die Attentäter vom 20. Juli 1944 befohlen, von Buchenwald und Auschwitz nicht die Spur einer Ahnung hatte. Das behauptet der Ex-Kanzler, Welt-Ökonom, Hobby-Historiker und Verfasser diverser Bücher bis heute steif und fest. Verständlich, dass der SPD-Genosse Schmidt 1983 frohgemut und leichten Herzens den NATO-Doppelbeschluss einfädeln konnte. Als ehemaliger Flakoffizier war er das Schießen ohne selber zu denken gewohnt. Noch heute zitiert er sich gern mit dem Slogan Lieber tot als rot. Hätten die bösen Russen nicht endlich nachgegeben, wären wir heute längst alle miteinander tot.
Die Einladung zur Konferenz Ein Abgrund von Landesverrat – 50 Jahre Spiegel-Affäre, für nächste Woche in den Räumen des Verlags geplant, enthält das Cover des verfolgten Polit-Magazins mit Foto des Ritterkreuzler-NATO-Foertsch als Titel-Heros und 17 Zeilen Text, die das Fiasko hinlänglich erklären. Dass der damalige Hamburger Innensenator Schmidt dabei eine Heldenrolle spielte, hätte ihm eine bessere Zukunft eröffnen können als die des überlebenslangen Raketen-Fieslings. Wir gedenken seiner mit gebotener Aufmerksamkeit nicht nur in der 66. Folge des poetenladens »Der Bunker« sowie der 67. Folge »Helmut auf allen Kanälen«. War's das? Das war's nicht. Schmitt bleibt vorerst in der Nebenheldenrolle.
Als Wolfgang Harich 1957 in Ostberlin verhaftet wurde, verstärkte sein Hamburger Augstein-Besuch die Verdachtsmomente eines DDR-Landesverrats. Der Prozess gegen die DDR –Reformer führte zu einem signifikanten Einschnitt. Möglich wäre ein Voran oder Zurück gewesen. Es gab ein Rollback. So wurden 1957 die Weichen in der DDR für 1989 gestellt. Ende inklusive. Die Spiegel-Affäre 1962 signalisiert dagegen die West-Zäsur. Hier ließ die vierte Gewalt sich nicht so mir nichts dir nichts ausschalten. Es gab starke Solidaritätsbewegungen. Der substantiell abweichenden Artikulationsfreiheit blieb etwas Raum und Zeit beschieden.
Wie lange noch. Und wozu?
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Siegfried Prokop
Ich bin zu früh geboren
Auf den Spuren Wolfgang Harichs
Dietz, Berlin 1997 |
Beim Gespräch Augsteins mit Harich ging es 1957 um die Fragen Ost – West und deutsche Einheit bzw. Nicht-Einheit. Mit der Spiegel-Affäre versuchte eine konservative Westgruppe die veröffentlichte Pluralität zu verhindern und unterlag. Im Osten unterlagen die Konservativen im Politbüro nicht. Ihre »Einheit« wurde mit dem Fraktionsverbot der Sowjets vom X. Parteitag, März 1921 begründet. Wolfgang Harich dazu: »Nicht wenige Kommunisten glauben, sie seien dem Marxismus-Leninismus schuldig (...) am Fraktionsverbot festzuhalten (...) Hier liegt ein Irrtum vor (...) « (Glasnost-Archiv, Quelle Rote Fahne 5 1993) Die SED/DDR-Einheit per Fraktionsverbot erwies sich als fortzeugender Irrtum. Die deutsche Vereinigung von 1989/90 setzt den Irrtum der Alternativlosigkeit fort. Es sei denn, Merkel sucht mit der Annäherung an China einen kleinen 3. Weg. Was uns überraschte und erfreute. Schon 2005 war ich so frei, als älterer Leipziger Student der nachfolgend jüngeren Leipzig-Studentin zum 3. Weg für Europa zu raten. Nachzulesen in Alternative Ökonomie in der Traditionslinie von Fritz Behrens, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Sachsen 2005. Mein Beitrag. »Bloch, Behrens und der Chinesische Drache ...« Mit dem die Kanzlerin seit ihrem letzten Rotchina-Besuch recht gut auszukommen scheint, wenn es auch auf Kosten Russlands gehen soll. Es sei denn Putin sucht selbst einen 3. Weg, nachdem die Chinesen sich damit den Respekt der Welt verdienten, so dass die USA ihre Kriegsschiffe ins Südchinesische Meer entsenden, Angela Merkel aber samt Ministern und Bossen in Peking zum Staatsempfang erscheinen darf. Was hat Peking zu bieten, was Moskau nicht aufzubieten vermag? Als Hinterlassenschaft einer deutschen Einreise verblieben 25 Millionen Tote in russischer Erde. Im Vergleich dazu war Kaiser Wilhelms Hunnen-Rede von 1900 gegen den Chinesischen Boxeraufstand ein Randereignis. Deshalb ein nützlicher Tipp für die Kanzlerin und ihre Berater: Spielt den Chinesischen Drachen nicht gegen den Russischen Bären aus. Der politische Zoo wimmelt von gefährlichen Schlangen, vor denen schon Adam gewarnt wurde.
Die Publikation des Briefwechsels mit Rudolf Augstein samt Spiegel nach einem Halbjahrhundert erklärt sich aus dem Jubiläum selbst. Ein zweiter Grund kommt hinzu. So herzliche Einladungen nach Hamburg erhielten auch andere. Den lieben Herrn Walser z.B. bat der Spiegel-Eigentümer ebenfalls in den hohen Norden. Der nahm das gerne wahr und schlüpfte gleich einer der Augstein-Gattinnen so nachhaltig untern Rock, dass daraus ein neuer, wenn auch etwas illegitimer Augstein entstand. Ich gebe zu, mir Unschuldslamm aus dem wilden Osten ging's damals um hochbrisante, dramatische Szenen im geteilten Deutschland, Kollege Walser fabrizierte ein Lustspiel draus. Der von ihm dabei erzeugte Augstein junior wuchs heran zum alerten Zeitungsmacher. Zum Spiegel vom Montag gesellte sich ein Freitag, der früher Sonntag hieß und einst in der DDR erschienen ist. Spiegel, Sonntag, Freitag scheiden in schöner Gemeinsamkeit von Zeit zu Zeit allerlei nicht mehr genehme Mitarbeiter aus. Die Strecke ist lang, das Soll noch lange nicht erreicht. Freiheit ruft Gauck, Pastor und Präsident. Nach dem beabsichtigten, doch nicht stattgefundenen Treffen 1961 begegnete ich Augstein nur ein einziges Mal. Für den Spiegel schrieb ich dies und das und im Hamburger Magazin gab es allerlei Texte und Anmerkungen von mir und über mich, die mir Freude machten oder auch nicht. Was immer für, über und gegen den Spiegel-Herrn vorgebracht werden mag, ich will hier mit einigen seiner Sätze dankend an ihn erinnern, zitiert in Soldaten sind Mörder:
Das gesamte Kapitel steht unter der Überschrift: Die Landschaft vor Braunau. Deutsche Augen, rechtsseitig blind, sind von Augstein frühzeitig genug erkannt und definiert worden. Der »konstitutionelle Nazi-kn-Faktor« bleibt als Gefahrenquelle virulent.
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