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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 76. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
76. Nachwort |
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Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
Da kommen wir also, wie versprochen, zum Doppelbuch im Leipziger Dingsda-Verlag, eben erschienen, der Einband als Zweiband, beides vom Verleger-Autor Joachim Jahns, ein Schreiber von Charakter. Wo gibt's sowas noch im Wer wird Millionär-Zirkus – wer wagt, verliert oder hat's verdient – ein Buch mit zwei Titeln also hält man in Händen: a) Strittmatter und die SS – b) Günter Grass und die Waffen-SS. Wer sich damit unterhalten will, braucht Hirn und Haltung, denn es folgt ein Sachbuch-Krimi, nein, eigentlich sind's zwei Stück, wobei ich korrigiere: Dieses Buch ist ein Tatsachenroman, der sich als Krimi entpuppt, weil Grass wie Strittmatter sich romanhaft verpuppten. Was immer sich à la longue daraus ergibt, Jahns destilliert aus zwei ursprünglich kleinen, nachmals großgewordenen Personen der Kriegs-Zeitgeschichte nicht nur deren literarisches Grund-Dilemma: Fulda Gap war die Signatur für den Atomkrieg auf deutschem Boden. Die Germans nahmen's hin. Fulda Gap als literarische Signatur heißt: Wer die Wahrheit schreibt, ohne ein Engel zu sein, hat keine Chance. Die Leser finden sich damit ab. Ob Literatur Ost oder West – beide Dichter schreiben Palimpseste – über die essentiellen und existentiellen Fakten hinweg erstreckt sich ihr episches Vexierbild. Der Leser soll suchen, doch nichts als den Autor in der von ihm gewünschten Form erkennen. Das Palimpsest hat zwei Schichten. Die oberste Schicht verdeckt die untere. Sie hervorzuholen ist eine operative Dekonstruktion pur.
Wir reden vom Roman. Auf der Sach-Ebene läuft es auch so schräg. Welle der Wahrheiten heißt im ersten Spiegel des Jahres 2012 der Artikel über die nazibraunen Gründerjahre der Bundesrepublik? Ich finde darin wenig Neues. Wir riskierten diese Wahrheiten zuvor schon über Jahrzehnte hin. Das gelang nur in Rand-Publikationen, denn Staat, Parteien, Publikum wollten davon nichts wissen. Wer es dennoch aussprach galt als Kommunist. Ich war so unvernünftig, weder für die BRD noch für die DDR zu verschleiern, zu verschweigen, zu lügen und geriet mit beiden Herrschaften in Turbulenzen: Im Westen Kommunist, im Osten Antikommunist. Jetzt aber schwimmen alle so eifrig auf der Welle der Wahrheiten, als säßen wir gemeinsam im Luxusdampfer, wo die Gäste sich's leisten können. Das können sie auch. Die feschen Gründerjahre-Nazis sind tot. Keine Angst mehr vor den geerbten Gespenstern? Es gibt an deren Stelle Nachfolge-Gespenster, über die in fernerer Zukunft Wahrheitswellen plätschern (können). Das müssten dann schon Tsunamis sein. Es riecht nach Weimar. Aber nicht nach Goethe.
Wer Strittmatter zu DDR-Zeiten las und schätzen lernte, neigt zur Annahme, jetzt solle mit ihm wieder ein Stück DDR madig gemacht werden. Diese Furcht ist unbegründet, der Autor Jahns ist kein Feind der DDR oder Strittmatters. Erforscht jedoch dessen Lebensweg wie den von Grass samt der Verwindungen, die sich aus der parteilichen und kulturellen Situation in Krieg und Nachkrieg ergaben. Reinen Wein schenkte in Ost wie West niemand ein, was detektivische Forschungen samt Resultaten legitimiert und zugleich fragen lässt, weshalb sie so spät erfolgen. Das betrifft u.a. Strittmatter wie Grass, die aufs Ganze betrachtet exemplarisch erfolgreiche Schriftsteller für ihre geographisch geteilte Leserschaft wurden. Grass als der internationale Romancier, Strittmatter als ein kleinerer Ost-Bruder. Beide optierten für ihre politischen Kulturen. Strittmatter zurückhaltender als der lautstarke Danziger. Die Konsequenzen, die damit verbunden sind, erhellen die tieferen Strukturen der zwei Polit-Kulturen, die bürgerlich wie sozialistisch auch nach 1945 von der Kriegstradition nicht loskommen, selbst wenn Grass mit der Blechtrommel den ersten deutschen Barock-Pop-Roman vorlegte, illusionär und kasparesk als Maske & Modell …
Die Frage ist aber, weshalb die Literaten in West- wie Ost-Deutschland nicht die Tiefenschärfe der Autoren nach dem 1. Weltkrieg erreichten. Grass ist kein Arnold Zweig und Strittmatter kein Ludwig Renn. Oder, verlassen wir das linke Spektrum, so fand Ernst Jünger keinen adäquaten Nachfolger, zum einen weil er ihn selber spielte, zum anderen weil sich die nachwachsenden Kriegsadepten von Konsalik nicht ganz vertreten fühlten und somit als Jüngers Jünger anheuerten, wie man aus dem FAZ-Nachkriegsfeuilleton ersehen kann.
In Kurzform: Die Urkatastrophe des 1. Weltkrieges erschütterte den Erdkreis. Doch in Politik und Kultur obsiegte bald die deutsche Konterrevolution. Der 2. Weltkrieg führte am Ende zu neuen Kriegsfronten, in die sich das geteilte Deutschland einbeziehen ließ. Dabei nahmen Grass und Strittmatter die adäquat-polaren Positionen ein: Grass als West-Vertreter, Strittmatter herkunftsgemäß als Ostdeutscher im kulturellen Regionalverkehr.
Ludwig Renn und Ernst Hemingway im Spanischen Bürgerkrieg
Es gibt eine weithin tabuisierte Ebene. Von Remarque bis Ludwig Renn auf der Linken und bis Ernst Jünger auf der Rechten offenbarten die Weltkrieg-1-Autoren ihren innersten Geistes- und Seelenzustand. Auf der Linken dominierten Erschrecken und redundante Empörung, auf der Rechten die Idee der Revanche.
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Berühmter jüdischer Schriftsteller
auf DDR-Postwertzeichen,
keine Briefmarke mit Zweig in der BRD |
Anders die Weltkrieg-2-Autoren. Nehmen wir Grass und Strittmatter als Teilungs-Exemplare, offenbart sich die Unvergleichbarkeit. Grass ist Maske und Macke, Strittmatter halb Schwejk halb Eulenspiegel. Der politische Zwang zur Frontbildung deformiert die inhärente Literatur. Die Kraft existentieller Empörung erreicht nicht das Ausmaß der zwanziger Jahre. Strittmatter erzählt um die Schrecken herum. Grass erfindet sich als anderen als er war. Beides ist das Recht der Dichter. Es sei denn, sie leiten daraus ein Recht auf politmoralische Interventionen ab. Grass als besserwisserischer Brecht-Antipode ist Bonner Marschmusik im westberliner Sound. Dennoch – sein wenn auch maßlos verspätetes Eingeständnis – bei Annäherung eines vermuteten Feindes im Schutz eines Baumstammes Hänschen klein, ging allein gesungen zu haben, macht den Mann wieder fast sympathisch.
Jahns SS-Krimi bietet zwei Prototypen, deren Nähe zur konventionellen Politik und Kultur ihre Unfähigkeit zur literarischen Autonomie erweist. Die Hierarchie degradiert den sich unterwerfenden Schriftsteller zum Sprachsklaven. Auch im individuellen Engagement verlängern sie die herrschenden nationalen und universellen Kriegsfronten. Dekonstruktiver Wortwiderstand verlangt andere Formate. So gesellt sich ein Krieg zum anderen. Zum Frieden sind die Kulturchargen zu feige. Insofern kommt die Problematisierung der Literatur der 50er und 60er Jahre zu spät. Es bleiben aber fatale Nachwirkungen bis heute. Zuvörderst die Feindproduktion.
Der in der FAZ zuständige Kriegsfachmann Lothar Rühl schrieb am 16.1.2012, dass Obamas neuer Strategie „zufolge Amerika künftig nur noch einen größeren Krieg statt wie bisher zwei zur gleichen Zeit führen können wird … “ Und weiter: „Damit rückt auch die israelische Präventivschlag-Option gegen den Iran in das Zentrum der Überlegungen über eine Kriseneskalation in der Golfregion.“ Überschrift des Artikels: Spiel mit dem Krieg. Die Situation riecht nach 1914 – Die Kriegsspielerei eskaliert vom Spiel zum Krieg als Bei – Spiel? Davor zu warnen gab es einen Appell mit hunderten Unterschriften: Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens! Zu den Unterzeichnern zählen sechs MdB der Linkspartei, gegen die Unterschreiber richtet sich der übliche Entrüstungssturm. Die FAZ am 13.1.2012 „Dumpfbacken … Der Aufruf strotzt von Dummheit …“ Gezeichnet ist das von einem „kum.“ Einer muss ja die Jauche aufs Feld der kriegerischen Ehre tragen. Der Aufruf gegen den nächsten Krieg ist übrigens mit Text und allen Unterschriften in Ossietzky Heft 1 vom 7.1.2012 nachzulesen.
Inzwischen war Kum, die FAZ-Edelfeder wieder am Werk, weil sich die „KPD-SED-PDS-Linkspartei nur als Opfer der Geschichte sieht. Sie ist aber Täter.“ Bei allen Verfolgungen, die ich mir von der SED her zuzog, kann ich einen Herrn, der die kommunistischen Opfer im Kampf gegen Hitler-Deutschland so maßlos dumm abfrühstückt, nur als Frankfurter Würstchen sehen, bräunlich, doch nicht Bio, sondern Scheiße.
Unterdessen schlägt den NS-Nachfolgern hin und wieder ein wenig das Gewissen, doch wenn es in der Zeitung heißt: „Viele Behörden lassen ihre NS-Vergangenheit erforschen“ (FAZ 23.1.2012) ist mir zumute als brächen Forscher in den tiefsten Dschungel oder in die Steinzeit auf. Es geht aber um die Zweite Schuld, wie Ralph Giordano das nannte, als er noch Bescheid wusste und sich das „Drama von Verschweigen, Vertuschen und auch Strafvereitelung … hinter der rechtsstaatlichen Kulisse abspielte.“ (FAZ)
Der zweite Weltkrieg eskalierte den ersten, weil es 1917/18 nicht gelang, das Entsetzen auf Dauer revolutionär für moralische, künstlerische und politische Energien zu nutzen. Selbst das Ende der Sowjetunion in den neunziger Jahren erweiterte nur das künftige Schlachtfeld analog zur Schlagkraft der neuen Waffen. Kriege bleiben gesellschaftlich immanent, von immer nachwachsenden fachidiotischen Eliten vorbereitet, während die Friedensbewegungen an den Unterhaltungsindustrien scheitern. Die seelische Verfassung des süchtigen Publikums schafft eine Atmosphäre wie im altrömischen Kolosseum, das zur Welt-Arena geworden ist. Nur sitzt man daheim vor den Geräten. Die Lust am Daumensenken als Folge eines Todestriebes zu reklamieren, wäre mit Sigmund Freud begründbar oder auch nicht. Es ist wohl kein Trieb. Nur das fatale Resultat intellektueller Reduktion. Zum Beispiel: Deutschland deine Minister. Bundesbauminister Ramsauer (CSU) will das Marx-Engels-Denkmal aus Berlins Stadtmitte verbannen. Innenminister Friedrich (CSU) setzt Linkspartei und NPD nach der irrwitzigen Formel Linksextremismus gleich Rechtsextremismus in eins. So wird klar, der Verfassungsschutz konnte die Naziuntergrund-Mörder nicht finden, weil er die Täter linksherum suchte. Offensichtlich gilt in Deutschland seit 1848 durchgehend bis heute: Ist die Linke erst geschlagen, wird sie abgeschafft und die Mitte rückt nach rechts, bis sie dort anlangt, wo sie herkommt. (z.B. Heydrich)
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Zum Beispiel Reinhard Heydrich – wie Himmler oberster SS-Rang – Vater Musikdozent und Wagnerianer.
Spross der bürgerlichen Mitte |
Ein Friedrich-Vorgänger als Innenminister, auch er hieß Friedrich, jedoch mit Vornamen, ebenfalls CSU, warb für Hitlers fliegendes Schlachtross Rudel noch 1987 mit bewegten Worten. Wo also findet die Neonazi-Szene ihre holden Helden? Die Naziführungsgarde entstammte ausnahmslos der bürgerlichchristlichnationalen Mitte. Von dort kam sie her, nach dort streben ihre erklärten Nachfahren zurück. Das höhere SS-Führungskorps, nebenbei bemerkt, bestand fast ausnahmslos aus bürgerlichen, meist graduierten Schwärmen. So emanierten Haifische aus Heringen. Sie waren so deutlich bürgerliche Mitte, dass sie auch nach 1945 dort ihre gutbezahlten sicheren Pöstchen fanden.
In Libyen lösen neue Folterknechte die früheren ab. Ägypten wählt Moslems an die Regierung. Syrien befindet sich im latenten Bürgerkrieg. Der Irak ist von den USA zum neuen Religionskrieg befreit worden. Dem Iran soll das noch blühen und so steigt der Ölpreis unter den Kamera-Augen amerikanischer Drohnen. Was unterscheidet die USA vom alten Rom? Die Barbaren stießen gegen Roms Grenzen vor. Barbarisch ging es auf allen Seiten zu. Ganz wie heute. Der Blick aufs Personal zeigt, wie die sprachlosen Typen in den Vordergrund drängen. Personalisierte Hieroglyphen bevölkern die Welt. Was sie sagen, kann schlechterdings nicht wahr sein. Das Fernsehen ist voll von Talk-Runden und ständig wieder aufgewärmten Stasi-Dokumentationen sowie MfS-Spielfilmen. Eine nazistische Mörderbande bleibt übers Jahrzehnt unentdeckt, bis sie sich per Suizid zweier Ganoven selbst offenbart. Nun bilden die zum staatlichen Schutz angestellten Inkompetenten ein Kompetenzzentrum. Als nächster Hit wird bekann, die Linkspartei wird so üppig beobachtet, dass es an Personal zur Überwachung der Nazis fehlt. Da staunt die artige Linke und beschwert sich statt einen Parteitag des öffentlichen Gelächters zu veranstalten. Immerhin bringt Lafontaine bei Maybrit Illner am 26.1.2012 das mäanderne Wulff-Geschwätz per lässiger, doch faktengestützter Provokation auf scharfen Kurs. Man streitet über die Postdemokratie statt über die Posten auf Kosten der Demokratie. Lafontaine lief erst spät zur großen Form auf. Nicht nur an diesem Abend. Ich denke an Blochs Devise Kampf, nicht Krieg vom 7.8.1918. Es war und ist vergeblich. Das Abendland kämpft nicht, es führt Kriege. Seine Eliten kennen und wissen seit tausend Jahren nichts Besseres. Mit Bloch sind wir zielbewusst wieder in Faust-Mephistos Leipzig angelangt, der linken Stadt in rechter Verwirrung statt aufrechter Verfassung.
Das gilt mehr noch für Sachsen, den Freistaat, der offenbar als Unfreistaat Geschichte machen will. Im Sumpf enden? Ich verteidige Sachsen und schätze Karl May. Ein Sachsen, in dem Nazis von Polizei aufwendig beschützt herummarschieren dürfen und Antinazis verfolgt werden, ist nicht verteidigungswert. Was ist bloß aus dem Land geworden, wo die Städte vereinsamen und leerlaufen. Im Osten des Ostens sowieso. Bautzen, Görlitz, Zittau und was dazwischen einst erblühte verwelkt zur neuen Wüstenei Ostelbien. In meiner Morgenzeitung – ich traue meinen Augen nicht – wird vom Teufelskreis berichtet, einem „Bevölkerungsrückgang, Leerstand und Verfall, der so viele ostdeutsche Städte umklammert.“ (FAZ 3.1.2012) Soviel zum Osten des Ostens. Sieht es in West-Ost besser aus? In Dresden schon beginnt Europa fein stilisiert mit Frauenkirche und Semper-Oper. Der Weihnachtsmarkt wie in Nürnberg, doch mit Stollen (Striezel) statt Lebkuchen. Im Februar eskaliert Dresden zur Schlagzeilen-Weltstadt. Braun marschiert auf und wird beschützt. Rot sitzt dagegen auf der Straße und wird verfolgt. Das ist Sachsen, wie es geworden ist als Elb-Florenz der Gladiatoren. Und ringsum Nazinester. Eifersüchtige Schlagzeilen wechseln zwischen Dresden und Leipzig wie Messerstiche. „Was ist da schiefgelaufen? … was sich da – von Jena kommend – im braunen Sumpf an Raub und Mord quer durchs Land ereignete?“ (zitiert nach FAZ und Thüringer Landeszeitung, Weimar) Ein schwarzbrauner Sumpf zieht am Gebirge hin, bundesländerübergreifend. Wir zitierten Faust schon ausgiebig. Der bleibt erbleichend zurück. Goethe und sein Klein-Mephisto stehen sprachlos vor dem neuen Präheroismus. Der hat seine Heldenväter.
Was wollte Hegel mit Herr und Knecht eigentlich sagen? Frag nach bei Karl Marx und Karl May
Die DDR hatte vielerlei Möglichkeiten, Leipzig mit seiner Universität, seinen Künstlern, Wissenschaftlern, Autoren, die sich hier einfanden oder aus unterschiedlichen Gründen weder in Ostberlin noch anderen Städten ansammelten. Die Messestadt war kein Klein-Paris, aber eine produktive Zentrale von Reflexion und Innovation, ein Paris des Ostens. Ostberlin war Staat, Bürokratie, Preußentum, Mauer. Leipzig war Sachsens traditioneller Aquisiteur realisierbarer Denkbarkeiten, vom Verlagswesen über die Deutsche Bücherei bis in die erzgebirgischen Bergbauregionen, die Zwickauer Autoproduktion, den Chemnitzer Maschinenbau, das weitgestreute filigrane Netz der Bildungsstätten in Stadt und Land – das war einmal. Und heute soll alles brauner Sumpf sein? Wenn das ein der DDR durch Bürgerrechtler siegreich abgerungenes Christentum sein soll, muss euer Gott wohl zurückgetreten sein. Das hat weltweit Folgen. Schon erklärt Obama, sein Amerika wolle künftig statt zwei Kriegen gleichzeitig nur noch einen Krieg führen, abgesehen von den elf atomaren Flugzeugträgern, die für eine kleine Weltvernichtung ausreichen. Die CSU möchte, weil der inländische Nationalsozialistische Untergrund nicht bemerkt wurde, die Linkspartei verbieten lassen. So will's die Tradition. Rechts mordet, der Mörder ist statt des Gärtners immer der Linke. So brachten schon die Geistesbrüder Pabst und Noske Luxemburg und Liebknecht um. Allerdings dringt der Kommunist F.W. Hegel am 4. Januar 2012 sogar bis in die sakrosankte FAZ vor, zwar nur bis ins weniger tabuisierte Feuilleton, doch steht dort: „Was soll Hegels berühmte Geschichte von Herr und Knecht uns eigentlich sagen?“ Die Antwort darauf, ihr drolligen Knaben, findet sich bei Marx. Der aber musste wegen der verlorenen Revolution von 1848 emigrieren und seither lieben die Deutschen den rechten Kriegszustand.
Das Beispiel Sachsen – mein Augenmerk – zwischen Chemnitz mit dem wuchtigen Marx-Schädel und Leipzig mit der vormaligen, inzwischen verleugneten Karl-Marx-Universität zeigt sich der verordnete Niedergang als überschaubares Exempel. Das Buch über Grass und Strittmatter samt ihren SS-Schweigetaktiken, in einem der letzten Leipziger Verlage erschienen, handelt nicht von möglicher Schuld oder Unschuld, sondern von Halbherzigkeit, Rückgratlosigkeit, Opportunismus. Kultur und Politik bilden Geschichte nur noch ab statt sie per Dekonstruktion plus voranzustoßen. Unser saarländischer scharfäugiger Beobachter und Analyst Michael Mansion mailte zum 27. Januar: „Während dessen müht sich die Nation, so etwas wie ein Gedenken an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz auf die Beine zu kriegen und man kann förmlich sehen, wie ihre Unterkiefer zu mahlen beginnen, wenn sie an der Erkenntnis nicht vorbeikommen, dass es die Rote Armee war, die da befreite. Immerhin darf man es als Entschuldigung werten, dass der als ehemaliges Mitglied des kommunistischen polnischen Untergrundes vormals denunzierte Marcel Reich-Ranicki zu Wort kam. Das stützende Eis der Zeitzeugen wird dünner. Von einer Reihe befragter Studenten wusste nur einer mit dem 27. Januar etwas anzufangen. Es dürfte die kommende Elite kaum jucken … “
Soviel zu deutschen Zuständen. Der jetzige Zustand Sachsens aber illustriert im Detail – Stendhal lässt grüßen mit Rot und Schwarz – den Sieg von Schwarz über jenes Rot, das doch seit Bebels und Wilhelm Liebknechts Zeiten unser Land prägte, bis die wildwütige deutsche Rechte unbedingt nach Moskau aufbrechen musste und die Russen an Elbe, Pleiße und ins Wismut-Erzgebirge holte. Gleichwohl unterlag am Ende Rot.
Ach was. Mit dem Ende der DDR endete auch die Bonner Teilrepublik, selbst wenn Sachsen heute deren Wurmfortsatz im Sumpfgebiet zu spielen versucht. Im Klartext:
Der deutsche Parteienzustand wird porös und provisorisch. Dem möglichen Verschwinden der FDP entspricht die Merkelsche Sozialdemokratisierung der CDU, was SPD wie Linkspartei unter Druck setzt, während die Grünen dazwischen verfügbar zu bleiben versuchen. Was aus der Linkspartei wird, hängt von der SPD ab. Spielt sie Opposition, schrumpft die Linke, geht die SPD in die Regierung, gewinnt die Linkspartei an Zustimmung. Die Linkspartei kann ihre Entfernung von der SED glücklicherweise nicht mehr rückgängig machen, sich aber auch der SPD nicht andienend ergeben. Die SPD wiederum kann weder die Sozialdemokratisierung der CDU ignorieren noch der inneren Widerstände wegen einfach zur Marx-Bebelschen Sozialdemokratie zurückkehren. Wenn aber alles bleibt wie es ist, wird allen bald mit dem EURO Europa und mehr noch um die Ohren fliegen. Was also tun? Und wer wollte und könnte was tun?
Lasst uns Atem holen! Am 29.1. hockte in Günther-Jauchs ARD-Runde der SPD-Genosse Peter Frisch, von 1996 bis 2000 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Rechtfertiger des Celler Lochs, das die einfallsreichen Verfassungsschützer 1978 in die Hochsicherheitsgefängnis-Mauer von Celle sprengen ließen, um im Kampf gegen die RAF einen V-Mann zu legendieren. Vera Lengsfeld neben Frisch, geheimdienstlich familiär vorgeprägt, Papa Stasi, früherer Ehegatte Wollenberger Stasi-V-Mann, Vera selbst vor kurzem plakatiert im Busenwunderwettstreit mit Kanzlerin Merkel. Der Dritte im Bunde war CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, abgetarnt mit neuerworbener Intellektuellenbrille, dabei unverkennbar rechter Einpeitscher, der die Linke so rasch wie möglich verbieten lassen möchte, was ihn in Hitlers und Adenauers ehrenwerte Nachfolgeschaft katapultierte. Kann sein, Dobrindt will die Linke aus dem Bundestag vertreiben, weil deren Abgeordnete hartnäckig nach der Nazi-Vergangenheit zahlreicher Politiker aus früheren Bonner Jahren fragen. Das muss verboten werden. Bei Günther Jauch stammelte und stotterte der Sozi Peter Frisch aus seiner Verfassungsschutz-Präsidenten-Vergangenheit zum Steinerweichen, ohne etwas zur Sache zu sagen. Der CSU-Diplomsoziologe Dobrindt dagegen ließ es in seinen Hasstiraden gegen die Linke nicht an Deutlichkeit fehlen. Eine rechte Bande zieht mordend durchs Land und die Linke soll verboten werden wie bei Mussolini, Hitler, Franco, Pinochet. Wo beginnt der Staatsstreich? Was ist Post-, was Präfaschismus.
Werden diese ewigen Untoten des Kalten Krieges in der ARD Stammgäste, steht zu befürchten, die vom Spiegel signalisierten Wellen der Nazi-Wahrheit verlaufen in schierer brauner Brühe.
Zum Abschluss wieder zwei liebenswerte Strophen aus meinem Monte-Cassino-Poem vom Januar 1944:
ich sitz und staun
das ist euch nun daraus geworden
die lippen dünn und schief
die brust voll spinnweb und voll orden
ihr meine onkels – lieben tanten
euch soll man mit torpedos schießen
auf euren glatzen sollen fallschirmjäger landen
und eurem ohr wird stacheldraht entsprießen
Soeben ist zu erfahren, der sächsische Ministerpräsident erklärte sich in Zwickau vor zweihundert geladenen Gästen gegen das NSU-Mördertrio. Das zeigt nur, wie schlecht dort die Verkehrsverhältnisse sind. Merkel kommt in neun Stunden von Berlin nach Peking. Tillich braucht von Dresden nach Zwickau fast ein Vierteljahr.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
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- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
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- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
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- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
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- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
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- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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