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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 92. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
92. Nachwort |
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Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
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In Collage-Technik von W. S. Burroughs und Heinrich Heine bis Angela Merkel
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Der Begriff Bloch-Kreis wurde zur Verteidigung gewählt, weil die Bezeichnung Bloch-Gruppe unter ein Fraktions-Verbot fiel, das Partei und Staat streng eingehalten sehen wollten. Bleiben wir also beim Kreis. Der aber wurde im Osten verfolgt und zerschlagen und im Westen verhindert. So bilden wir einen virtuellen Bloch- Kreis nach dem Motto: Was wäre, wenn die Blochianer so kontinuierlich hätten sich entwickeln und agieren können wie die Schüler und Anhänger Adornos? Wir sammeln stellvertretend Fakten, was das Wirken einer möglichen Gruppe oder Fraktion ahnen lässt, auch wenn es sie nicht geben durfte. Hier aufgeführte Dokumente und Fragmente belegen praktische Versuche der 56er, die zwar besiegt wurden, sich aber nicht geschlagen geben. Eine plurale Revolte ist zu verifizieren, die dem Vergessen überlassen werden soll von denen, die sich jeweils als Sieger der Geschichte wähnen. William S. Burroughs, Idol der amerikanischen Beatniks und Hippies, erfand mit den Cut-Ups eine besondere Collage-Technik, indem er die Erzählzeit durch Schocks der Anarchie ersetzte. Wie moderne Hirnforscher verraten, stellt erst unser Gehirn die Zeitfolge her, also vermag unser Wille sie auch produktiv zu zerstören, was den Zufall zum Regisseur unseres Er-Lebens werden lässt. Die vorliegenden Dokumente wurden im Cut-Ups-Verfahren geheftet, denn der Wahn ist die Kontinuität, die in den Rachefeldzügen herrscht. Man hüte sich, einzelne Details für bare Münze zu nehmen. Das Ganze aber installiert im Reich der Lügen eine Dimension, die sich zwischen Swift, Grimmelshausen, Kafka und Orwell erstreckt. Ein veritabler Roman? Und alles nur, weil Bloch die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs zum Anlass seines Nachdenkens nahm und der christlichen Völkerschlachtseele den Teufel auszutreiben suchte. So reicht die Wirkung Blochs und der Blochianer durch das 20. Jahrhundert und über die Grenze ins 21. hinein als ein roter Faden, der sich noch dort findet, wo ihn keiner vermuten will – bei den Geheimen Diensten samt ihren publizistischen Wirkungsfeldern und Heimatgemeinden. Unsere Auswahl von Fragmenten belegt die weitverzweigten Folgen des Bloch-Kreises und der 56er Bewegung in Ost und West. Sie erweist, es gibt Links- und Rechts-Blochianer sowie einige wenige Lumpen-Blochianer. Wir können nur Spuren legen. Stellen uns aber unverdrossen vor, so wie unsere subversive Zweiergruppe sich einmischte, könnten ein paar hundert Subversanten das Blochianertum in die Welt tragen als eine erneuerte Freimaurerei mit frischen Ideen und Praktiken. Wir fordern andere auf, unsere Belege und Erfahrungen durch eigene Materialien und Stories zu vervollständigen. Wir wissen, auf dem schmalen Pfad zum »aufrechten Gang« sind manche Verleugnungen und Verbeugungen nötig, was akzeptabel ist, wird der Umweg nicht zum Endziel entwürdigt.
Mit diesen Sätzen kündigten wir 2004 unser Buch Sklavensprache und Revolte an. Untertitel: Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West, was die Freunde unerwähnt ließ. Man darf sie suchen. Im Text sind welche zu finden. Ein geplanter 2. Band entfiel. Der Verlag, der Band 1 gewagt hatte, schwächelte. Andere Verlage wagten es gar nicht erst. Ab 2007 gingen wir online ins www., dem wir die Freiheit ungehinderter Reflexion verdanken. Der Titel Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte ist allen Rothäuten gewidmet. Der Leipziger www.poetenladen.de ortet einen geographischen Punkt, von dem aus die Welt in die Angeln zu heben ist. Nicht mehr, nicht weniger, das aber links mit List und Gelächter.
Sobald die USA sich bedroht fühlen, entsenden sie ihre Kriegsschiffe und Drohnen, um die gewohnte Weltherrschaft wieder herzustellen. Quizfrage: Bestünde das alte Rom noch heute, hätte es genügend Kriegsschiffe, Flugzeugträger und Drohnen auf den Weg bringen können? Antwort: Keine Weltherrschaft dauert ewig. Keine besaß genug Waffen. Allerdings trat auch keine freiwillig ab. Das Ende war stets verheerender als jeder noch so schwierige Beginn. Im atomaren Zeitalter droht das Ende regional und universal. F. J. Strauß, 1945 noch abgewrackter Wehrmachtsoffizier, halluzinierte 1963 einen bevorstehenden sowjetischen Atomschlag und wollte dem per Präventivschlag mit der Atombombe in der Lederhose zuvorkommen. (Meldung u.a. in der FAZ vom 25.9.2012). Auf der Gegenseite saß für die Sowjetunion der respektable Aus-Kundschafter Rainer Rupp im Brüsseler NATO-Hauptquartier, der den Russen die Furcht von einem atomaren Angriff aus dem Westen nahm, indem er ihnen geheime Papiere zukommen ließ, mit denen bewiesen wurde, die NATO wollte die SU abschaffen, jedoch keinen atomaren Erstschlag. Rupp flog nach Ende der Sowjetunion auf, wurde verhaftet und verurteilt und schreibt heute blitzgescheite Artikel für die junge Welt statt im Spiegel oder als nützlicher geheimer Regierungsberater. Könner und Kenner werden in die Ecke verbannt, Rechtsausleger mit Verdienstkreuzen und Ämtern belohnt. Adenauer, Strauß, Schmidt, Kohl spekulierten mit Atomkrieg vom Doppelbeschluss bis zum Doppelbeschuss. Rupp untergrub unsern kollektiven Untergang. Weg also mit dem Kriegssaboteur! verlangen die Gegner. An scharfen Analytikern und Geistern fehlt es keineswegs in der j W, nur an Lesern, die lieber Bild bevölkern. Arnold Schölzel als Chefredakteur des linken Blattes, verdienstvoll einst aus der Bundeswehr in die DDR desertiert, entwickelte sich zur energiegeladenen Stalinorgel der Friedensbewegung. Deserteure mit Leib und Seele geben nie auf. Das Philosophiestudium in der weiland DDR führte ihn wie andere an die zu eng gezogenen Grenzlinien. Das Stalin-Herz über die Hürde zu werfen sind die braven Genossen nicht couragiert genug. So bauen sie ihre nächsten unvermeidlichen Niederlagen ein. Sorry, Towarischtschi, wir müssen euch in euren kargen Vergeblichkeiten ein wenig dekonstruieren.
Die ersten Sätze dieses 92. Nachworts wurden immer mal wieder hier wie dort zitiert, gedruckt und im Fernsehen oder Radio gesendet. Hier stehen sie als Kürzestversion, die unser Buch Sklavensprache und Revolte sowie die poetenladen-Serie auf Briefmarkengröße minimiert, die Langfassung aber nicht ersetzt, was niemanden abschrecken sollte, der sein bisheriges Geistesleben auf die üblichen Langstreckenklassiker gegen die rechten Marathonläufer stützte. Wir sitzen ganz einfach metaphysisch wiedergebürtig an den missachteten industriellen Ufern der Pleiße und führen das Leben dort fort, wo die Troglodyten uns austrieben. Wir – das sind alle, die den Atem nicht anhalten mögen, weil das irgendwelchen Kreuzzüglern in den Kram passte. Als freundliche Beweisführung und auch ein wenig zum Ergötzen hier ein Zitat aus der jungen Welt vom 27.2.2007 in seiner vergrößerten Einbettung: »Aus Anlass des 80. Geburtstages von Hans Heinz Holz am 26. Februar erscheint dieser Tage im Berliner Eulenspiegel Verlag unter dem Titel Nun habe ich Ihnen doch zu einem Ärger verholfen ein Buch mit Briefen, Texten und Erinnerungen, das Zeugnis ablegt von der Begegnung des Philosophen und Publizisten Holz mit dem philosophisch gelehrten Dichter Peter Hacks (1928-2003). Der Band enthält auch den umfangreichen Briefwechsel zwischen Peter Hacks und Hans Heinz Holz: Es treffen aufeinander ein Poet, Dramatiker und Essayist, der sich mit der fortgeschrittensten Philosophie der Epoche ausgestattet hat, und ein Universalgelehrter, der die Provokation kennt, die Kunst für den Begriff bedeutet. Es ist nicht überliefert, dass es eine solche Konstellation in der Geschichte schon einmal gab … schreibt Herausgeber Arnold Schölzel in seinem Nachwort. Lesen Sie im folgenden eine stark gekürzte Fassung der in dem Band erstmals veröffentlichten Erinnerungen von Hans Heinz Holz an Peter Hacks: Wir lebten nicht nur in zwei deutschen Staaten. Wir lebten in zwei Welten; zwar zusammengewachsen in der Überlieferung einer Kultur, einer Sprache, einer Geschichte; zusammengewachsen in einem politischen Wollen und Zukunftshoffen. Doch die Köpfe Nacken an Nacken, janusgesichtig, in entgegengesetzte Richtungen schauend, zugleich eines und zwei, anderes wahrnehmend, an anderen Fronten kämpfend. So trafen sich Menschen gleicher Gesinnung, gleichen Alters, zur Freundschaft bestimmt, erst nach jener Schicksalswende, die uns zwang, unsere Köpfe in eine Richtung zu drehen und einer Medusa ins Antlitz zu schauen, ohne zu versteinern. Erst nach 1990 lernte ich sie kennen: Hanfried Müller, Kurt Gossweiler, Inge von Wangenheim und so manche andere, mit denen ich eigentlich schon immer zusammengehörte. So auch Peter Hacks. Die Verbindung stiftete Sahra Wagenknecht. Sie entflammte damals gerade, eine Art kommunistische Jungfrau von Orléans, die Standhaften in der PDS zum Widerstand gegen die Parteiführung, die den Sozialismus und das Erbe der DDR verriet. Bei einer Veranstaltung der ›Kommunistischen Plattform‹, zu der sie mich als Redner eingeladen hatte, begegneten wir uns. Mit ihrer provokanten Bemerkung in einem Interview, Goethe habe sie zur Kommunistin gemacht, eroberte sie das Herz von Peter Hacks.«
Soweit die stalingeschwängerte Liebeslyrik des werten Genossen Hans Heinz Holz, dessen Recht auf überbordende Nostalgie so unbestritten bleiben soll wie die Nostalgie der Stahlhelmfraktion auf der rechten Seite des deutschen Spektrums. Fragt sich nur, weshalb eine Zeitung, deren Info-Wert am linken Rand unbestritten, wo nicht bitter notwendig bleibt, sich derartige Blößen gibt. Das ist bei dieser j W wie beim nd spiegelbildlich dasselbe wie im (spieß-) bürgerlichen Blätterwald, man quält sich durch und nutzt den Rest. Linkerhand fehlt zudem Kapital, man möchte alle Linken erreichen und so wird der Stalin-Trotzki-Konflikt nicht bis zur Klärung ausgefochten, was zum Erreichen linker Artikulationsfreiheiten nötig wäre.
Im Dezember 1962 hatte Peter Hacks mit seinem Stück Die Sorgen und die Macht den höchsten Unwillen Ulbrichts erregt, sodass der Walter den Peter als abschreckendes Beispiel hinstellte. (Hans Mayer, Lehmstedt Verlag Leipzig 2007) Von welcher Definition sich Hacks in seiner Liebe zu Ulbricht nicht beirren ließ. Gerüffelte Parteimitglieder hatten Selbstkritik zu üben, unser freiwillig anbetender Westgenosse leistete sich den Luxus masochistischer Genüsse. Während ich vom Westen her in späteren Jahren in schwer errungener Objektivität Ulbrichts Staatleistung konstatierte, ohne die fragwürdigen, auch schandbaren Techniken der Machterhaltung zu bagatellisieren, stolzierte Hacks als Papiertiger durchs Leben, wie es sich bei gezähmten Zeitgenossen geziemt. Tagebuchnotiz: In Ost wie West ist kein regierender Darm eng genug als dass nicht ein Proselyt hinein- und ein Preisträger herauskommen könnte. Die Elite nimmt Stiefeltritte in sklavenhafter Demut entgegen. Wo die Liebe eben einst hingefallen ist …
Bloch hält den Marxschen Hoffnungshorizont offen und erweitert ihn durch sein Angebot neuer Aspekte. Nachdem die Lenin-Trotzki-Option vergangen war, was zur dogmatischen Erstarrung und opportunistischen Charakterlosigkeit führte, bezieht Bloch die Dekonstruktion des stark angeschlagenen Marxismus in sein Denken ein, ohne auf Marx zu verzichten, wie es die antiquierten neuen französischen Philosophen und dekadenten Meisterschüler Heideggers tun. Der Marx-(Engels) des Kommunistischen Manifests und des Kapitals bleibt als Grundlage und Ausgangsbasis. In der Klassenfrage wird der Begriff des Proletariats Richtung Prekariat korrigiert, das nicht mehr als mögliche Klasse an sich zur Klasse für sich werden kann und trotz Wutbürgern, Piraten und Palastrevolten im mainstream mitströmt, weshalb die alte Barbarei im Gefolge des Fortschritts der Vernichtungspotentiale eskaliert. Blochs Philosophie enthält ihrerseits von Anbeginn das Potential, mit der Marx'schen Dekonstruktion des Kapitals auch die russische Oktoberrevolution mit ihren Aus- und Nachwirkungen zu dekonstruieren und aufzuheben, d. h. sie sowohl zu akzeptieren wie zu historisieren. Der Sieg über Hitler-Deutschland war mit Stalin möglich, vielleicht oder wahrscheinlich nur mit einer revolutionären Sowjetunion, die sich ihrerseits des zaristischen Erbes bediente. So eingeklemmt zwischen Peter dem Großen, Karl Marx und Ivan dem Schrecklichen verlor der östliche Marxismus das Duell mit dem Kapital. Aus Stalin wurde Chruschtschow, der scheiterte, aus Chruschtschow wurde Gorbatschow, der an Jelzin scheiterte. Aus Komsomol-Funktionären wurden milliardenschwere Oligarchen, die den Sieg des Kapitals aufs widerlichste personifizieren wie Adolf der Hitler den blutigen deutschen Nationalkapitalismus, der noch postnazistisch zu überleben versucht.
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Marx in Russland eingeklemmt zwischen Ivan dem Schrecklichen, Peter dem Großen und Josef Wissarionowitsch
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Am Anfang steht der 29.11.1956, als Wolfgang Harich bei seiner Rückkehr aus Hamburg verhaftet wurde. Seine Gespräche mit Rudolf Augstein erhöhen sein DDR-Schuldkonto wegen Verdacht auf Landesverrat. Den wirft 1962 die Gruppe Adenauer/Strauß auch Augstein und dem Spiegel vor. Doch der Versuch, die Ausdrucksfreiheit des Wortes autoritär zu unterbinden, scheitert, was der Bonner Teilrepublik unschätzbare Vorteile einbringt. Im Gegensatz dazu setzt das SED-Politbüro seinen antiquierten autoritären Marxismus stalinscher Prägung gegen die DDR-Reformer durch. Es herrschte wieder Ruhe im Land. Das überlieferte Fraktionsverbot wirkt als wäre die Welt stehengeblieben. Von 1956/57 an gibt es zwar ungezählte Verstöße gegen das Verbot, doch jeder einzelne Fall wird repressiert, keiner erreicht den Hoffnungshorizont von 1956 – das exakt ist es, was die Gegner und Verächter von Chruschtschows Antistalin-Rede heute noch oder wieder vertreten. Die Nachkommen der Liquidateure von 1956/57 verfolgen den sozialistischen Pluralismus. Jeder vom Politbüro nicht lizensierte Gedanke gehört ausgelöscht. Nur fehlt ihnen die Macht dazu. Sie sollten sie endlich durch Vernunft ersetzen. Was die Frage der Horizonte angeht, so wünschte Harich sich Ernst Bloch als Staatspräsidenten der DDR und später Gesamtdeutschlands. Das war liebenswürdige linke Lüftlmalerei, aber vernünftiger als der rückständige West-Vollzug mit Merkel&Gauck. Listig, wo nicht arglistig schob der inhaftierte Harich bei seinen Vernehmungen alle Schuld für seine Opposition auf Ernst Bloch. Das traf auch zu. Es war eine sozialistische Befreiungsschuld zu begleichen. Wer ödet uns jetzt, ein Halbjahrhundert danach, mit den Stalinschen Gehirnmetastasen an? Wer trauert seinen Übermacht-Phantasien von vorgestern nach? Schmerzlich genug, dass die Chancen von 1956/57 nicht genutzt werden konnten. Wer's heute noch nicht kapiert hat, wird's nie begreifen.
Ich spreche autobiographisch für mich und die verstummten Verfolgten. Für mich gab es drei Frontlinien.1933 die Bücherverbrennung, sie veranlasste den achtjährigen Jungen, beim Verbergen der bedrohten Literatur mitzuhelfen. Die Erfahrung hielt stand. Als neunzehnjähriger Wehrmachtssoldat Desertion von der Hitlertruppe zur Roten Armee. Deutschland ging umgekehrt mit Hitler gegen Stalin bis an die Wolga und unfreiwillig in Eile zurück. Dies die Frontlinie eins. Die zweite ergab sich 1956, als in der DDR Lehren und Werke von Bloch und Lukács verdammt wurden. Der Abschied von Stalin war überfällig und fiel leicht, der Abschied von der Heimat fiel verdammt schwer.
Die dritte Frontlinie entstand 1962. Als die westdeutsche Kampfgruppe Adenauer/Strauß den Spiegel stürmen und Augstein samt Redakteuren festsetzen ließ, war ich mir sicher, nicht im Wunschland meiner Sehnsüchte angelangt zu sein. Die Freiheit des Wortes verteidigen? Das ist mir zu gewichtig formuliert. Und zu leichthin. Ich habe nur die drei Frontlinien meines kleinen Lebens zu verteidigen, für die es kein Bundesverdienstkreuz gibt, von mir aber den so geschuldeten wie herzlichen Dank an alle unsere Lehrer, Freunde, Begleiter und Genossen. Wir sind nur noch wenige Überlebende aus der großen Klasse der Verdammten dieser unbewohnbar werdenden Erde.
An die Stelle einer deutschen Vereinigung als Friedensvertrag zwischen West und Ost trat 1990 mit Helmut Kohl die deutsche Wiedervereinigung in Kraft als Speerspitze des NATO-Westens gegen den rudimentierten Osten. So misslang die Vereinigung mit dem Wieder zur fragmentarisch-nationalen Sturzgeburt alter Strategien. Ebenso droht die europäische Vereinigung in die Binsen zu gehen, weil die Euro-Südländer wenig Neigung zeigen, ein dem Ende der DDR gleichendes Schicksal im hungrigen Bauch des Deutsch-Euro nachzuvollziehen.
Am Vorabend des 3. Oktober 2012 mixte die ARD bei Maischberger eine disparate Runde mit Lafontaine und Sarrazin zur veruneinigten Ratlosigkeit zusammen. Wie kann's denn weitergehen? Eingespielte Rede-Ausschnitte bewiesen, wie früh Lafontaine warnte. Nutzte alles nichts. Links geht unter, rechts triumphiert – zumindest bis zum nächsten Untergang.
In Junge Welt, zu ihrer Ehre sei's notiert, erscheint ein Dreiteiler von Otto Köhler, der die Wiedervereinigung am Exempel Helmut Kohl dekonstruiert. Was in der Kanzler-Biographie von Hans-Peter Schwarz unter den Schreibtisch fiel, hier wird's Ereignis. Künftige Generationen von Historikern dürfen sich zum Ausgraben rüsten.
Deutschland wiedervereinigt oder die exemplarische Karriere des Esels:
Drei Jahrzehnte lang hatte der Esel in der Mühle brav gearbeitet und Markstück auf Markstück zurückgelegt fürs Alter. Wenn die Herren der Welt ihre Kriege führten, war unser Esel, eingedenk seiner früheren Fehltritte, besonnen daheim geblieben, auf dass es ihm wohl erginge im Joch und auf der satten Weide. Eines Morgens stach ihn der Hafer, und er ging aufs Eis tanzen. Danach engagierte er fremde Esel für die Arbeit in der Knochenmühle, veränderte die Grenzen seines Grundstücks und forderte Bär, Löwe und Krokodil zum Tanz ums Goldene Kalb auf. Die tanzten aber nicht, sondern fraßen es ratzeputz weg. Am Tag darauf schaffte der Esel seine gute Währung ab, schickte seine jüngeren Esel hinaus in alle Welt, um sich in fremde Streitigkeiten einzumischen, und gefiel sich rückfällig im Schwingen großer Reden. Gerade als er sich in Position stellte, die Esel in fernen Ländern zu ermahnen und zu belehren, kamen Bär, Löwe und Krokodil vorbei. Sie hatten das Goldene Kalb bis auf den letzten Rest verzehrt und waren gut gelaunt, so dass sie dem Redner zuhörten, der seine Arbeitslosigkeit beklagte, denn er war von seinem Herrn Knall auf Fall entlassen worden. Der Bär sagte, ein Esel ohne Arbeit ist ein unnütz Ding. Der Löwe meinte: Ich bin zwar satt, doch diesen Esel hab' ich zum Fressen gern. Das Krokodil schrie: Als Nachtisch passt der Esel noch rein. Und so fraßen sie ihn weg vom Fleck.
PS: Die FAZ vom 1. Oktober 2012 enthält 13 Fotos von einem FAZ-Kongress der Alfred Herrhausen Gesellschaft unter dem Motto: Denk ich an Deutschland. Der zweite Teil des Heine-Satzes von 1844 aus dem Zyklus Zeitstücke: Dann bin ich um den Schlaf gebracht, bleibt eingespart. Zu sehen sind auf der farbenfrohen Zeitungsseite ein Bild mit Frau, ein Bild mit zwei Frauen sowie zweimal Merkel überdimensional mit Vorstandsvorständen. Der Rest sind Mannsbilder mit Schlafdefiziten.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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