Als Atheist in Fulda Wie kommt so ein katholischer Glaubensfürst von einer Erleuchtung zu deren Gegenteil, kaum dass er sein östliches Amt gegen ein westliches eintauschte? Fragte ich mich verschüchtert.
Am 24. Januar 1992 war aus derselben Zeitung zu erfahren, Kardinal Meisner sei im Kölner Dom in einem Gottesdienst mit Soldaten schon wieder erleuchtet worden, denn: »Der durch die Erbsünde geprägte Mensch bleibt für den Weltfrieden immer eine Gefahr, weil aus seinen tieferen Abgründen dunkle Mächte und Bewegungen erwachsen können.« Schlussfolgerung: Soldaten und Heere sind auch in Friedenszeiten notwendig.
Nun ja, denkt unsereiner ehrfürchtig, für Katholiken mag das gültig sein, der Erzbischof wird seine Schäfchen schon kennen. Wie aber verdrängte der Kleriker seine vorherige Einsicht – Rüstung ist Diebstahl an den Armen? Die Frage klingt logisch, ist also fehl am Platz. Krieg ist Glaubenssache. Derlei handeln die Oberpriester im Zwiegespräch mit ihren Göttern aus. Das Volk hat zu gehorchen und Blut zu spenden. Was nun den Bischof Dyba und die kirchliche Militär-Kontinuität betrifft, muss ein kleiner Atheist nicht davor erzittern, weil etwa der Ausschluss von Beichte oder Abendmahl drohte. Also antwortete ich dem militanten Theologen am 9.4.1996, als er gerade mal wieder kräftig vom Leder gezogen hatte, unter dem schönen Titel: Die Einsätze des Militärbischofs: Das vielgerühmte, weithin bekannte sprachkritische Werk Aus dem Wörterbuch des Unmenschen der drei liberalen Gelehrten Sternberger/Storz/Süskind, das jahrzehntelang an Schulen und Hochschulen Maßstäbe für den Umgang mit der Sprache des Dritten Reiches setzte, kam nie bis nach Fulda, wo einst Bonifatius residierte und heute Militärbischof Johannes Dyba wortgewaltig den »moralischen Verfall« der Gesellschaft anprangert, wobei er die Sprache Aus dem Wörterbuch des Unmenschen meistert., als sei es seine liebe Muttersprache. Besonders angetan ist Dyba von der Unmenschenvokabel »Einsatz«. Auf 78 Zeilen seiner Osterpredigt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 7. April 1996 wimmelt es von Einsätzen: »Von den Soldaten ist Einsatz gefordert … Für die Soldaten bedeutet der Einsatz … Wer sich dem multinationalen Einsatz ... unter Einsatz des eigenen Lebens... bei einem solchen Einsatz ... sehen manche Soldaten ihren Dienst an Ort und Stelle als humanitären Einsatz…. deshalb begleiten Militärpfarrer sie in ihrem Einsatz ... Weil viele Soldaten in ihrem Einsatz eine Passion erleben ... «
Sternberger/Stolz/Süskind widmen das ganze 8. Kapitel ihres Buches der Nazivokabel Einsatz. Es heißt da über derlei »Sprachgebräuche«: »Nur Stumpfsinnige konnten sie übersehen, und für richtig wurden sie nur von den Konformisten gehalten. Fast alle täuschten wir uns jedoch über ihren Ernst: Was wir für geschmacklos-alberne Soldatenspielerei hielten, war in Wirklichkeit bereits der totale Krieg lange vor seiner ausdrücklichen Erklärung ... die Deutschen wussten noch nichts davon, in welchem Maß durch die Sprache künftige Wirklichkeit vorgebildet, ja recht eigentlich geschaffen wird: auch heute noch … So albern wir das fanden, so völlig erfüllte sich in jenen, keineswegs heiteren Vorkriegsjahren das Wort ›Einsatz‹ mit dem düsteren Pathos von Wehrwürdigkeit, Opferbereitschaft … so bezeugten die Soldbücher die Zahl der ›Einsätze‹ ... Allein aus der verhüllenden Schulzensur ›lobenswerter Einsatz‹ schimmert noch eine Spur von heroischem Glanz. Deshalb muss man daran gehen, das Wort ›Einsatz‹ endgültig zu entzaubern.«
Dies und noch vieles mehr schrieben die Sprachkritiker den Nachkriegsdeutschen ins Familienalbum, damit einmal Schluss sei mit der Unmenschensprache. Doch wenn Christus nur bis Eboli kam, so gelangten Sternberger/Storz/Süskind nicht bis Fulda, wo Dyba sich in stolzer Unwissenheit und wehrhaft ungerührt Aus dem Wörterbuch des Unmenschen bediente, ganz als sei es das Esperanto aller fanatischen Fundamentalisten von gestern und heute. Das zeigte nur an, wie wenig Dyba Kenntnis genommen hatte von den friedenspolitischen Standards unserer demokratischen Nachkriegskultur, der er »hysterische Diskussionen« bescheinigte.
Wie sagten Sternberger/Storz/Süskind doch: »Was wir für geschmacklos-
Inzwischen wurde der Fundi von Fulda zu seinem höchsten Herrn einberufen. Die »Einsätze« aber vermehren sich in alle Richtungen der Welt. Krieg sagte der Bischof, folgt aus der Erbsünde.
An einem hellen Tag im Frühjahr 2005 von einer Reise wieder daheim angelangt, geriet ich in die kollektive Offenbarung eingeschwärzter Göttlichkeit. Der Hohepriester im Vatikan starb in sämtlichen Sendern des imperialen Kulturkreises bis hin zum Weißen Haus, wo die Flagge auf Halbmast wehte. Unser freiwillig getreues Kirchenstaatsfernsehen netzte den Antennenhimmel mit Krokodilstränen. Der umtriebige alte Knabe aus dem vorgestrigen Polen hatte anerkennenswert listig gegen die Kriege der USA gepredigt, aber der Jugend das Bumsen, den Afrikanern die Präservative, den Frauen das Priesteramt und den aufrechten Gang der Libido ausreden wollen, er hatte die Homosexuellen, wie seit Jahrtausenden üblich, rigoros verdammt. Täglich gab es nun auf allen Kanälen den aufgebahrten purpurnen Leichnam – seht, ihr abgesetzten Ostmajestäten, so erfolgreich kann Personenkult zelebriert werden. Da war Stalin ein Waisenknabe. Vorgeführt wird die göttliche Übermacht in Beherrschung der irdischen Ohnmächtigen, denen Enthaltsamkeit statt Verhütung zusteht. Dieser Papst fungierte als Mit-Initiator der Aids-Pandemie in Afrika und anderswo. Endlich dürfen auch die eingemeindeten Ostdeutschen, diese armen Heiden, am kollektiven Gnadenakt nach Art der Heiligen Berliner Republik katholischer Nation teilnehmen, wovon sie bis 1989/90 leider ausgeschlossen waren.
»Der Papst hat sich in Gottes Hand begeben« dichtete die vatikanische FAZ , offenbar Augenzeugin des Mysteriums, am 2. April auf Seite 1 und war doch um einen Tag zu spät dran, der 1. April hätte besser gepasst. Am 3. April aber, einem Sonntag, entfleuchte das mainische Blatt ganz in himmlische Gefilde. Goethe wollte einst mehr Licht beim Sterben, der zweite Johannes Paul war des kommenden Todes froh, und ein Leitartikel röhrte: »Apostel, Superstar, stummer Prediger, Pilger, bezaubernder Priester.« Ein FAZ -Autor, vormals mit Joschka grüner Sponti, sah den toten Petrus-Nachfolger bereits fest »In Gottes Hand.« So sind die deutschen Karriere-Promis: Bevor Gott ihnen ein Amt gibt, raubt er ihnen den Verstand.
Seit einigen Jahren sind wir Papst, denn statt eines Polen vertritt ein waschechter Deutscher den katholischen Gott auf Erden. Und Günter Grass will mit ihm schon als Kriegsgefangener von den Amis im selben Lager eingesperrt gewesen sein. So sind wir Papst, Nobelpreisträger, Exportweltmeister und in Freiheit geeint wie nie zuvor.
Nur der Führer fehlt noch. Aber gemach, bald werden wir auch Führer sein.
Was steckt hinter der frenetischen deutschen Liebe zum Einsatz? Verbirgt sich da die moderne Verbalisierung der fragwürdigen Freudschen Theorie vom Todestrieb oder die archaische Kriegsleidenschaft in Ernst Jüngers Sicht als inneres Kampf-Erlebnis? Ist es ein Neo-
Krieg ist Mord? Moderner Krieg in jeder Form Massenmord? Also ist, wer Krieg führt, Mörder? Wer sich darauf vorbereitet, bereitet sich darauf vor, Massenmörder zu sein? Da kein Zweck das Mittel heiligt, heiligt kein Kriegsziel den Krieg selbst. Der Krieg mit Massenvernichtungsmitteln ist nach geltendem internationalem Kriegsrecht Kriegsverbrechen. Jeder Staat, der Massenvernichtungswaffen besitzt, droht Kriegsverbrechen an. Also ist jeder Soldat solcher Armeen ein potentieller Massenmörder. Das Wort »killen« wird von Militärs instrumental verwendet, etwa als »Overkill«. Mit demselben Zynismus werden Atomraketen »Peacemaker« genannt. Es ist weder staatsfeindlich noch gotteslästerlich, nutzen Pazifisten gegen das Militär und dessen Sprache der Waffen die Waffe der Sprache. Pazifisten verzichten auf jede Waffe, ihre Moral ist die Waffenlosigkeit. Gelingt es dem Militär, die Pazifisten zur Sprachlosigkeit zu verurteilen, ist die pluralistische Demokratie besiegt. Tucholskys Satz »Soldaten sind Mörder« wurde am 10. Mai 1933 mit verbrannt. Erst verbrennt man Bücher, dann Menschen, so Heinrich Heine. Tucholskys Mahnwort kennzeichnet die grenzüberschreitende Unheilslinie deutscher Geschichte. Mit dem Begriff Einsatz ist der Mord Sprache geworden. Sklavensprache, Militärsklavensprache, Tarnsprache. In Nazideutsch genügte das bloße Wort. Im bundesrepublikanischen Deutsch reicht das nicht mehr und wird aufgeblasen zu Kampfeinsatz, Kriegseinsatz. Der Wehrmachts-Landser sagte treuherzig: »Ich bin im Einsatz«. »Ich bin im Mordeinsatz« sagte er nicht. Tucholsky war verboten und an ihn zu erinnern strafbar. Der BW-Soldat ist noch nicht im Kriegseinsatz, aber im Kampfeinsatz, mindestens eben eingesetzt. Der Anfang ist gemacht. Ist es eine Lust eingesetzt zu werden? Wer aber ist es, der einsetzt?
Am 27. August 08 wird in der FAZ kenntnisreich auf das Wörterbuch des Unmenschen hingewiesen und der Begriff »Einsatz« erwähnt, der im Dritten Reich den kriegerischen Wahn so eskalierend vorbereitete wie ausdrückte. Und der Autor wendet keinen Gedanke darauf, in welchem Übermaß das schwerbelastete Wort heute in Presse und Fernsehen grassiert. Was ist die Ursache für diese fatale Zurückhaltung? Unaufmerksamkeit, Abstumpfung, Selbstzensur, Feigheit? Die Unmenschenvokabel von einer Merkel-Rede bis in die FAZ-Seiten nachgezählt führt in die Unendlichkeit und gleichzeitig zurück in großdeutsche Herrlichkeiten.
Der befohlene Einsatz führte zur Endlösung. Ihr dienten die Einsatzgruppen, in denen Verbalität und Realität, also Sklavensprache und Massenmord bzw. Völkermord auf die gleiche Begriffsebene gelangten. Es wird befohlen und gehorcht, der Mensch in der Masse als Gruppe und Truppe »eingesetzt«. Der Einzelne in der Gruppe ist als gehorsamer Vernichtungsfunktionär nichts als das Einsatz-Endziel.
Als Dr. Otto Ohlendorf, Führer der Einsatzgruppe D, die im Osten in einem Jahr unter seinem Kommando ca. 90.000 Menschen liquidierte, im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess gefragt wurde, ob er keine Bedenken gehabt hätte, antwortete er: »Selbstverständlich«, es sei ihm aber »undenkbar« erschienen, »dass ein untergeordneter Führer Befehle, die die Staatsführung gibt, nicht durchführt.«
Ein im und zum Einsatz geeintes Volk ist der totale Krieg.
Als neunzehnjähriger Wehrmachtssachse lag ich Anfang 1944 mit einer Schusswunde im südtiroler Meran im Lazarett. Die Kugel des Amerikaners bohrte im Arm. Heftiger schmerzten die Besuche der beiden Standort-Militärpfarrer. Ihr Eifer spitzt mich an. So las ich ihnen vor: »Ihr habt gehört, dass da gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn.« (Mat. 5,38)
Sie nickten. Ich las: »Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel. Sondern wenn dir jemand einen Streich auf deinen rechten Backen gibt, dann biete den anderen auch dar.« (Mat. 5,39)
Sie nickten andeutend. Also las ich noch Mat. 5,44: »Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen.«
Sie nickten nicht. Standen an der Tür. Der eine sagte: »›Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹ So stehts im 2. Buch Moses, 21,24.“
Dann schlug er das dicke Buch zu und ging ab. Und der zweite zog den Schwanz stillschweigend ein. Von da an war ich die Geistlichen an meinem Bett endlich los.
Offenbar gibt es noch ein anderes Christentum. Am 16.9.2008 zeigte es sich in einem FAZ-Leserbrief, wo es um die Auslegung von Matthäus 10, Vers 34 ging :»Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.« Das aber sei keine Kriegsforderung, denn »Jesus wurde als Friedensfürst nach Jesaja 9, Vers 5 erwartet. Er hat seinen Willen zum Frieden vielfach bestätigt. Bei seiner Gefangennahme forderte er einen Jünger, der ein Schwert gezogen hatte, auf: Stecke dein Schwert in die Scheide (Matthäus 26, Vers 52). Die Bergpredigt ruft zur Feindesliebe auf und lehnt jede Gegengewalt ab (Matthäus 5, Vers 38). Paulus schreibt den Römern: ›Soweit an euch ist, haltet Frieden mit jedermann‹ (Römer 12, Vers 18). Der Satz über das Schwert, das Jesus statt des Friedens bringen will, enthält also keine Weisung an seine Jünger, das Schwert zu nehmen, sondern warnt sie vor Verfolgung durch das Schwert. Das hat sich nach seinem Tode schnell bestätigt. Neben vielen anderen Jüngern wurden Petrus, Jakobus und Paulus hingerichtet.
Das Neue Testament ruft also zur Gewaltlosigkeit auf. Leider haben die Christen dies in der Geschichte vielfach nicht eingehalten.«
Die Gewaltlosigkeit sei von den Christen vielfach nicht eingehalten worden? Das ist mir zu simpel, denn die Gewalt zählt zum Christentum wie das Amen zum Gebet. Der hier zitierte Leserbrief wurde entweder versehentlich oder als weltfremde Kuriosität veröffentlicht. Enthalten ist darin lediglich die Lehre des Urchristentums, dessen Transformation zum römisch-
Rüstung sei Diebstahl an den Armen, sagte der Bischof im Osten. Im Westen sagte er es nicht mehr. Da bleibt unsereinem nur noch die humoristische Revolte und die pazifistische Revolution. Oder – mit Karl Kraus zu sprechen: Der Untergang der Menschheit.
Lied von den 10 austretenden Generalen
Zehn kleine Generale traten aus der Kirche aus. Wegen der Tendenz von Jesus Christus nach links zum Pazifismus (Die Kirche war den Generalen schon lange zu teuer. Sie sparen beträchtliche Kirchensteuer.) Zehn kleine Generale Wollten's nicht vermeiden und wurden Heiden. Der Friede hat ihnen jeden Glauben genommen. Sie werden nicht in den Himmel kommen. (Eher gehen zehn Kamele durch ein Nadelöhr als ein Atomgeneral in den Himmel) Zehn kleine Generale wurden Atheisten, als sie den heil'gen Krieg vermissten. ( aus Die Venusharfe 1985) PS.: Heute früh, als ich diese Seiten für den poetenladen abschließe, teilt die Frontseite meiner Morgenzeitung mit, Außenminister Steinmeier halte die gegenwärtige Krise für »mehr als eine tiefe Krise«, was im Leitartikel begleitet wird mit den Worten: »Niemand kann sagen, wann und wie die Finanzmarktkrise enden wird.«
In so schweren Zeiten ist natürlich Mannesmut gefragt, weshalb das aufrechte Blatt daneben großformatig das Ehrenkreuz für Tapferkeit der Bundeswehr anzeigt, mit Abbildung, verlockend bunt, ästhetisch lecker, ein Eisernes Kreuz light, wie wir es uns schon lange erträumten. Na, da sterbt mal schön, Kameraden. Und während ihr unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt, gehen unsere EUROS übern Jordan, wohin schon die D-Mark entschwunden ist.
Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 27. Oktober 2008.
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Gerhard Zwerenz
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