Unendliche Wende
Vorspruch für zwei Stimmen sowie ERSTER Versuch zweier älterer Herren, ein friedfertiges Gespräch zu beginnen, weil inzwischen das achte Jahr seit dem Untergang eines hoffnungsbeladenen Staatsschiffes geschrieben wurde
Stimme einer Moderatorin: Im Namen unseres Verlages möchte ich Sie sehr herzlich zu unserem heutigen Streitgespräch zwischen den Herren Hinz und Kunz begrüßen.
Bitte erschrecken Sie nicht, falls es etwas turbulent zugehen sollte. Vorher erfolgt noch eine kurze technische Durchsage vom hiesigen Fernsehsender.
Stimme einer tv-Dame: Meine Damen und Herren, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Wir machen täglich Messeberichterstattung – vielleicht sahen Sie diese oder jene Sendung bereits – und um halb vier muss unser Team abbauen und zum Schnitt fahren. Ich habe mit beiden Herren gesprochen und Herr Kunz hat gesagt, solange ich nicht von beiden verlange, dass sie in fünfzehn Minuten sagen, was sozusagen die zwei Stunden füllen soll, würden sie beide es nicht als Brüskierung empfinden.
Da wir ja sicherlich hier zu knallharten politischen Fragen kommen werden, bitte ich also nicht zu spekulieren, warum wir gehen – es ist einfach ...
Ich will nur sagen, das ist eine ganz schlimme Seite dieses Berufes, es ist auch sehr unhöflich, ich bitte nochmal vielmals um Entschuldigung, aber sonst könnten wir eben heute nicht senden – das muss noch geshottet werden und geschnitten und gemischt und …
Kunz: Den Tag wird man sich merken müssen: Ein Medium, das sich höflich erklärt! Hinz: Das war die Werbeeinlage des Fernsehens - Kunz: Wer hat uns geheißen, dass wir uns jetzt streiten sollen? Also, das haben wir gar nicht vor. Es könnte höchsten unterlaufen ... Hinz: Wenn es sich von selbst ergibt, es muss nicht sein – wir streiten uns ja fast ein halbes Jahrhundert schon ... Wollen Sie anfangen? Kunz:Sie haben das doch eingerührt. Sagen Sie mal, warum. Hinz: Ja-a-a- ...(genüsslich) ich wollte Sie endlich mal wirklich lebendig gegenüber haben. Jetzt befinden Sie sich nicht gegenüber, sondern neben mir. Vom ZDF wissen wir ja, da sitzen sich zweie immer streitend gegenüber. Aber das sind keine spontanen Geschichten – ich wollte eine spontane Veranstaltung.
Ich gab eine Presseerklärung heraus, die natürlich wie üblich in der Presse verstümmelt wiedergegeben wird, wenn überhaupt. Es gibt ja ganze Gegenden, wo immer nur eine Monopolzeitung erscheint, und wenn die nicht wollen oder anders wollen, dann wird eben desinformiert. Also, die Presseerklärung besagt, ich sehe eine gewisse Parallele zwischen Herrn Kunz und mir – ich sage, eine gewisse, bitte. – Wir sind beide Mitte der Zwanzigerjahrgänge, gerade noch in den Krieg gekommen, ich etwas mehr als Herr Kunz, und wir waren Gefangene. Herr Kunz in Polen, ich bei den Sowjets. Wir sind wohl mit der festen Meinung zurückgekommen, dass sich in Deutschland viel, möglichst alles ändern sollte.
Dies der verdammte Grund für unser Engagement im Osten, wo wir ein anderes, ein neues Deutschland schaffen wollten. Die Differenz, so wie ich sie sehe – Herr Kunz muss das jetzt gleich sagen, ob ich das immer richtig gesehen habe, begann im Jahr 1956. Wenn mich meine Informationen nicht trügen, ist Kunz in Berlin genauso mit seiner roten Partei in Schwierigkeiten geraten, wie ich in Leipzig, nur – Herr Kunz ist den Weg gegangen, dass er zu dieser Partei gehalten, hier seine Karriere gemacht hat, und ich musste in den Westen gehen – von da an waren wir – ich sage ausdrücklich – nicht Gegner, sondern Feinde.
Beobachtung des wirklichen Lebens im Zeitalter globaler Gehirnwaschveranstaltungen, wobei die üblichen Erinnerungsexperimente in unerwartete, unerhörte, unbekannte Dimensionen führen, aus denen die glückliche Rückkehr fraglich bleibt. Es gibt keine Alternative. Das Land muss auf die Couch.
Kunz: Herr Hinz, verraten Sie mir doch, ob Sie diese ausgebrochenen modernen Zeiten noch begreifen. Ich meine das, was da so abläuft und uns zu Zeitzeugen macht, ob wir es mögen oder nicht. Wo leben wir denn, im 20. Jahrhundert oder im 4. Jahrtausend oder 1618 oder dreitausend Jahre zurück. Da herrscht ein gewisser Klärungsbedarf. Hinz: Mir erscheint, was geschieht, zugleich plausibel und geheimnisvoll. Manchmal beneide ich die Gläubigen in Christentum und Islam, die sich über Wunder nicht wundern. Kunz: Sie sehen tatsächlich Wunder in dieser Welt? Hinz: Der Gläubige nimmt selbst die Abwesenheit von Wundern für ein Zeichen Gottes. Was Sie verstehen müssten als Gläubiger von gestern. Jedenfalls vor 1989, meine ich, wenn's beliebt. Kunz: Sie warfen mir schon einmal leichtfertige Gläubigkeit vor. Ich bevorzuge, von Ideentreue zu sprechen. Hinz: Einmal sah ich Sie in einer längeren tv-Sendung: Der Herr Dichterpräsident präsidierend, den ersten Mann seines Staates lobredend begrüßend – Sie trugen ein beinahe stolzes Lächeln und so einen Zug von Verlegenheit zwischen beiden Ohren. War Ihnen dabei wirklich wohl? Kunz: Ihr ausgedehntes Interesse an meiner Person könnt' mich rückwirkend geradezu erheben. Wär da nicht mein inneres Stoppschild. Es scheint mir, Sie erblickten mich zugleich schärfer und respektvoller als ich mich selbst. Hinz: Sie distanzieren sich? Kunz: Vielleicht war ich ein Opfer meines blinden Stolzes. Sie kennen dergleichen natürlich nicht? Hinz: Wenn ich Sie zu Gesicht bekam, dachte ich, das hättest du auch sein können. Deutscher Antifaschist, treuer Genosse, aus proletarischem Stall stammend. Ein neuer Mensch. Der neue Mensch. Kunz: Und da erschraken Sie – weil Sie Neid verspürten. Hinz: Weil ich Neid verspürte. Kunz: Tatsächlich, Sie beneideten mich? Hinz: Um Ihre Naivität, den guten, ungestörten Glauben an die Partei, die Zuversicht desjenigen, der auf der richtigen Seite zu stehen meint – das plötzliche Ende der Mauer muss entsetzlich gewesen sein für einen wie Sie – geben Sie's zu, Sie sind aus allen Wolken gefallen. Kunz: Ich hätte mich in den Arsch beißen können, weil bekanntlich das Hirn für die Zähne unerreichbar bleibt. Hinz: So ein kluges Kerlchen und lässt sich von der Geschichte überraschen! In Ihrer werten Haut hätt' ich nicht stecken mögen. Doch – falls Sie Trost benötigen, Ihre Niederlage ging mir an die Nieren. In den vergangenen 32 Jahren hatte ich mich an unsere Feindschaft gewöhnt. Ich hab mich besoffen, als Sie abstürzten. Kunz: Legen Sie deshalb soviel Wert darauf, unsere Feindschaft zu beenden? Hinz: Weil ich Menschen, denen die Gründe ihrer Feindschaft abhanden kamen, für denkfaule Banausen halte, setzen sie die Feindseligkeiten unkorrigiert fort. Kunz: Da müssen Sie, fürchte ich, ein sehr einsames Leben führen. Hinz: Sie nicht? Die Familie weg. Das hohe Amt futsch. Die gesicherte BestseIlerei fraglich geworden. Aus der Akademie geworfen. Vom PEN zum Abgang genötigt. Die alten Freunde klein, hässlich, ums tägliche Brot ringend. Die Feinde hingegen mächtig und in hohen Positionen. Wie überlebt sich's so? Kunz: Herr Hinz, neulich sah ich Sie im Fernsehen, unweit davon einen mir bekannten Polit-Christen. Dissident, Pazifist, Bürgerrechtler war er bei uns gewesen, in der Wende schaffte er es bis zum Militärminister, der unsere Armee auflösen durfte. Seither sitzt er stolz im Parlament, wo Pflugscharen in Panzer und Eurofighter umgeschmiedet werden. Meinen Sie, unser Christ leide deshalb an einem schlechten Gewissen? Hinz: Christen, wissen Sie, Christen vermögen kraft überirdischer, vielleicht himmlischer Energien jedes schlechte Gewissen in ein gutes umzumontieren. Das macht die einen grämlich und die anderen heiter. Ein beneidenswertes Kunststück. Kunz: Der Vater des Politikers, von dem ich rede, war bei der SS und in Buchenwald KZ-Wächter. Ich will den Sohn nicht für den Vater strafen, aber was ist, wenn Vater und Sohn die gleichen Feinde bekämpfen? Hinz: Ich kenne den superben Fall. Kunz: Superb nennen Sie das? Ist das nicht ein wenig zu salopp? Hinz: Den Vater suchten die Franzosen als Kriegsverbrecher, Ihre Genossen ließen den SS-KZ-Wächter ungeschoren, obwohl er in Ihrem Staat lebte. Der Vater bewachte einst eingekerkerte Kommunisten, der Sohn möchte sie nur fressen. So rächen Hitlers Kinder sich an Hitlers Opfern. Kunz:Sie begreifen das nicht? Hinz: Vater und Sohn sind Ihre Mitbringsel in die deutsch-deutsche Ehe. Bei Ihnen war es so, dass der Sohn die Opfer seines KZ-Wächter-Vaters zu seinen eigenen Feinden erklärte. Kunz: Wenn es etwas nützte, versuchte ich es zu bereuen. Außerdem lässt sich dem Sohn eines Vaters, der Kommunisten und Juden einzusperren und umzubringen half, nicht gut verbieten, Kommunisten zu fressen, findet er nur genügend Geschmack daran. Denn die Kommunistenfresserei gehört zur stolzen, patriotischen Tradition unseres schönen Vaterlandes, verstehen Sie? Hinz: Bis die Opfer den Spieß umdrehten und Geschmack daran fanden, Antikommunisten zu fressen. Kunz: Von 1918 bis 1945 wurden die Kommunisten verfolgt. Danach im Landesgroßteil wieder. In der kleinen DDR hingegen – Hinz: Drehten Ihre Genossen den Spieß um. Kunz: Stimmen da die Relationen noch? ZwiRu: Jetzt hören Sie mir mal zu. Das stimmt doch gar nicht mit Ihrer Feindschaft. Sie machen uns hier was vor. Gleiche Brüder – gleiche Kappen. Hinz: Geh' ich recht in der Annahme, dass manche uns nicht glauben? Kunz: Es werden wohl Beweise verlangt – ZwiRu: Jawohl! Stichhaltige Beweise fehlen hier! Weil Sie beide rote Genossen sind. Keine Feinde nicht! Nein!
Das nächste Kapitel erscheint nach Ostern am Montag, den 20.04.2009.
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Gerhard Zwerenz
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