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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Folge 22

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

22

General Hammersteins Schweigen

Hans Magnus Enzensberger | Hammerstein  oder Der Eigensinn
H. M. Enzensberger
Hammerstein oder
Der Eigensinn
Suhrkamp 2008
Hans Magnus Enzensberger, umgangssprachlich auf HME oder auch Enze (E) eingekürzt, war ein berühmter Lyriker, Essayist, Prosaist und Teilhaber der AG Gruppe 47/11, der auf dem Scheitel des Modewechsels das Zeitliche segnete, bis er aus unumgänglichen Gründen zur Erde zurück­geschickt wurde, um sein Lebenswerk zu vollenden.

Ich fragte ihn: Sind Sie wirklich im Himmel dem General von Hammerstein begegnet?

E: Woher wüsste ich sonst so viele Details aus seinem Leben? Dazu die zahlreichen Geheimnisse?

Z: Das Übersinnliche nehme ich Ihnen ab. Doch woher rührt Ihr unglaublicher, plötzlicher Fleiß?

E: Keine Provokationen bitte, sonst werde ich gleich wieder zum Engel.

Z: Ihr neuestes Werk Hammerstein oder Der Eigensinn ist imposant. Ich nehme an, den Vorabdruck in der FAZ verschaffte Ihnen von oben her der nach wie vor einflussreiche Joachim C. Fest?

E: Wir trafen uns auf Wolke 1933 – er schreibt dort den zweiten Band seiner Autobiographie.

Z: Ein Dementi des 1. Bandes?

E: Der Titel lautet: Hitler wars – Ich nicht.

Z: Sie riskieren sogar Gespräche mit Kommunisten, ohne sie im selben Atemzug zu beschimpfen.

E: Als Engel wird man so tolerant wie weltläufig, und mit dem Plazet von Fest musste ich nicht befürchten, in seinem Blatt zensiert zu werden.

Z: Im stern werden Sie hart rangenommen. Nach einem kurzen Sommer der Anarchie, heißt es da über Sie, folgt sein langer Winter der Reaktion.

E: Der stern kann mich mal, wie Peter Struck, Struppi-Strucki, in solchen Fällen zu sagen pflegt.

Z: Seit wann reagieren Sie wie ein Sozi?

E: Sozi? Ich nicht.

Z: Ich vermutete Sie als Panzerkommandant im Irak beim Sieg über Saddam Hussein, den Sie den Hitler der 3. Welt nannten. Stattdessen wühlten Sie sich durch die Archive und es scheint, Sie entdeckten dabei den deutschen Adel als Hort des antifaschistischen Widerstandes.

E: Sie belieben zu übertreiben.

Z: Ich?

E: Zugegeben, meine Formulierung vom Hitler der 3. Welt war sehr zugespitzt. Man möchte eben verstanden werden.

Z: Wie sehr Hammerstein samt seinen Töchtern und Söhnen Sie fasziniert, ist nachvollziehbar. Sie bedienen aber zugleich das bürgerliche Bedürfnis, eine ganze Reihe Hitler-Gegner präsentieren zu können. Ihr himmlischer Freund Fest widmete seine Autobiographie dem vergeblichen Unternehmen, die Fortexistenz integrer, braver Bürgerlichkeit im Dritten Reich nachzuweisen, doch zogen sie schließlich alle mit in den Krieg und gingen unter …

E: Immerhin war Hammerstein weder angepasst noch ein Nazi.

Z: Das Beste an ihm sind seine Kinder gewesen. Warum interviewten Sie den General im Jenseits? Es gibt über den Mann zahlreiche historische Materialien auf Erden, sie wurden von Geschichtswissenschaftlern und Politologen zielbewusst ignoriert.

E: Das beweist, man muss eine höhere Macht bemühen, um die Wahrheit zu erfahren.

Z: Ach du lieber Himmel, erst spielten Sie links, dann rechts und jetzt so ne Art Christus II.? Und wie gelangten Sie überhaupt nach dort oben? Per Scheintod? Oder mit dem unverwüstlichen Trabi, der sächsischen Weltraumrakete?

Auf diese intime Frage hin entmaterialisierte Enze sich und hinterließ ein Bündel Blitze und Donnerschläge.

Irgendwo las ich: Jede Geburt ist ein Augenaufschlag. Schön gesagt. Und geschönt. Viele kommen blind zur Welt und bleiben es. Enzensberger arbeitete drei Jahre lang an seinem vorzüglichen Hammerstein-Band. Beim Lesen des Vorabdrucks in Fortsetzungen wurde ich fast zum Sympathisanten des Verfassers.


Anno 2004 erschien das Buch Sklavensprache und Revolte - Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West von I. + G Zwerenz. Auf den Seiten 447/48 ist darin zu lesen: Vier Tage nach Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 hielt der neue Reichskanzler in der Berliner Dienstwohnung des General von Hammerstein vor versammelten Reichswehrgenerälen eine geheime Rede, in der er seine Pläne offenbarte: Aufrüstung zum Krieg gegen Sowjetrußland in einer Frist von sechs bis acht Jahren, Ausmerzung von Pazifismus und Marxismus als krebsartigen Geschwüren, Germanisierung der eroberten Ländereien. Dieses Programm wurde zeitlich exakt befolgt: 1939 Krieg mit Polen, 1941 Überfall auf die Sowjetunion, das entspricht den sechs und acht Jahren Frist. Durch eine insgeheim mitschreibende Tochter Hammersteins gelangte Hitlers Rede zu Stalin, der damit genau über den drohenden Krieg informiert war. Seine Gegenmaßnahmen sollten ihm Zeitgewinn verschaffen. Innenpolitisch setzte er auf verschärften Terror, gipfelnd in der Großen Säuberung 1936-38, außenpolitisch auf verzögernde und verwirrende Bündnisse, militärisch auf den T 34 und die sogenannte Stalin-Orgel, beides in Massenproduktion, die erst Ende 1941 richtig anlief. Die Ausmordung des Offizierskorps der Roten Armee und des NKWD sollte innere Putschversuche verhindern, schwächte jedoch erheblich die eigenen Streitkräfte. Es dauerte lange, bis die quasi enthauptete Armee unter unendlichen Verlusten ihr Kampfpotential wiedererlangen und die Wehrmacht besiegen konnte.


Dieser Verweis auf Hammerstein liegt seit 2004 gedruckt vor, das Thema war in der Welt, als Enzensberger daran ging, es ausführlich zu bearbeiten. Mit Beginn des 21. Jahrhunderts war der wenig beachtete Reichswehrgeneral plötzlich erneut im Gespräch. Von der Hamburger Zeitschrift Mittelweg 36 bis zur Berliner jungen Welt begann es zu dämmern. Der Prozess dauert noch an. Am 14. 1. 08 erschien der Spiegel mit dem gern genutzten Superstar Adolf auf dem Cover, Titel: Der Anfang vom Ende - Hitlers Machtergreifung. Im Text wird der Start in den Untergang wie üblich auf den 30. Januar 1933 datiert - so ergibt sich ein passendes 75-Jahre-Januar-Jubiläum. Exakter ist jedoch, so behaupte ich, der 3. Februar 1933, der Tag, an dem Hitler als eben bestallter Reichskanzler in der Hammerstein-Dienstwohnung den geladenen Generälen die Ernsthaftigkeit seiner Kriegs- und Massenmordpläne offenbarte. Im Spiegel heißt es dazu: »Bei der Reichswehr, dem Machtfaktor schlechthin in Deutschland, teilten viele Offiziere Hitlers Hass auf die Linke. Der neue Kanzler hatte bei einem Treffen mit hohen Reichswehroffizieren Anfang Februar 1933 die ›Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stil‹ versprochen. Er lockte zugleich mit einem Ausbau der Streitkräfte und stellte die allgemeine Wehrpflicht in Aussicht, was gegen den Versailler Vertrag verstieß.«

Hier ist der Spiegel nicht auf dem neuesten Stand, der Name Hammerstein fehlt, die Titel-Story war wohl schon längere Zeit fertig, Enzensbergers ausführlichere Darstellung wurde nicht einbezogen. Das ist schade. Allerdings zerfließt sein Buch in den letzten Kapiteln zur biographistischen Epik. HME nutzt seinen poetischen Anteil am historischen Gang der Ereignisse nicht zur konsequenten Abrechnung. Liberalistische Kleingeisterei hindert ihn daran, der deutsch-russischen Tragödie, die mit Hitlers Tischrede vom 3.2.33 begann, in ihrer ganzen völkervernichtenden Dimension den gebührenden Platz einzuräumen.


Spiegel-Broschüre
Der Spiegel fragt: Ist eine Revolution unvermeidlich?
Spaß beiseite, wenn die Hölle brennt. In einer rotblinkenden Extra-Broschüre, erschienen ohne Jahresangabe, wahrscheinlich 1968, fragte der Spiegel: »Ist eine Revolution unvermeidlich?« Diese Frage, auf dem Cover 21 mal unterereinandergesetzt, mündete in die Auskunft: 42 Antworten auf eine Alternative von Hans Magnus Enzensberger. Auf Seite 1 der roten Broschüre ist die genaue Formulierung zu lesen: »Was halten Sie von dieser Alternative, die Enzensberger in Times Literary Supplement formuliert hat …:Tatsächlich sind wir heute nicht dem Kommunismus konfrontiert, sondern der Revolution. Das politische System in der Bundesrepublik lässt sich nicht mehr reparieren. Wir können ihm zustimmen, oder wir müssen es durch ein neues System ersetzen. Tertium non dabitur.«

Enzensbergers radikale Auskunft von 1968 lautete also »entweder altes oder neues System.« Heute kümmert er sich den Teufel um seine Logik von gestern. Mag sein, dass unsere spaßige Gesellschaft nur Bahnhof versteht und die Glocken zwar hört, doch nicht weiß, wo sie hängen, es sei denn im Kirchturm. Was aber, wenn der westdeutsche Meisterdenker HME mit seinem »Tertium non dabitur« nicht falsch lag? Denk mal nach, Hans Magnus, musst dich ja nicht gleich entschuldigen, bist weder dümmer noch sündiger als wir alle, hast nur immer die Klappe ein wenig zu weit aufgerissen. Die Frage jedoch ist eine Antwort wert. Ich gehörte anno 1968 zu denen, die vom Spiegel um Auskunft gebeten wurden, und äußerte mich in 7 Punkten, von denen die ersten beiden lauten:

1. Bei all meinen Sympathien für Revolutionen und Revolutionäre – ich halte die Enzensbergersche Alternative für eine bedauerliche Entgleisung. Wenn das links ist, so keinesfalls neu, sondern uralt: Verbaler Extremismus mit Schaum vor dem Mund und Leere im Hirn. Das gibt William S. Schlamm recht, der die modische Revolutionspose eine Kinderei nennt.

2. Wenn Enzensberger das politische System der Bundesrepublik für irreparabel hält und die Revolution für den einzigen Ausweg, so muss er die Revolution auch wollen, d. h. ernsthaft vorbereiten. Man kann drauf schwören, er tut's nicht.

In Punkt 7 sagte ich kurz und bündig: Ja, es war Rosa Luxemburg, die einst auf dem Gründungsparteitag der KPD ausgerufen hatte: Ihr macht es euch leicht, Genossen, mit eurem Radikalismus …


Heute sehe ich mich in meinen Vorbehalten bestätigt. Die damaligen großen Verbalstrategen in der BRD nahmen den Mund so voll, als wollten sie ihre Väter fressen, wie es von Krokodilen berichtet wird, wenn Futtermangel herrscht. Wer den Schaum in den heftig revoluzzernden Kursbüchern heute nachliest und die späteren Distanzierungen dazu, dem wird klar, weshalb Enzensberger, den Golfkrieg legitimierend, Saddam Hussein zu Hitler II. ernannte und weshalb Außenminister Fischer im Kosovo ein zweites Auschwitz zu verhindern vermeinte. Wie hieß es doch bei Enzensberger: »Das politische System in der Bundesrepublik lässt sich nicht mehr reparieren. Wir können ihm zustimmen, oder wir müssen es durch ein neues System ersetzen.«

Die Konturen des neuen Systems zeichnen sich schon klar als altes System am Horizont ab – vom Irak bis zum Hindukusch. Nie wieder Krieg? Es sei denn, die ungebremsten Revoluzzer von gestern haben das Kommando. Dann heißt der Krieg Frieden und die Konterrevolution Revolution – akkurat nach George Orwell. Auch Mussolini ging mal von links außen in die Rechtskurve.


Am 21.1.2001 druckte die FAZ nicht ohne hämische Genugtuung Enzensbergers Absage an seine revolutionöse Vergangenheit – Überschrift: Ihr ödet uns an! Gemeint sind die, denen man sich früher zurechnete. Und dann Anfang 2008 der Hammer mit Hammerstein. Ein exemplarisches, sensationelles Buch, dem nur die Weisheit eines weltbürgerlichen Geistes fehlt. Ich forderte den Autor nochmal zum Duell in den Leipziger Ratskeller, wo schon unser erster Dialog stattfand. Warum dort und nicht in Auerbachs Keller? Weil da gerade Goethe und Faust verfilmt wurden. Faust votierte für Peter Hacks als Goethe II.und Johann Wolfgang selbst ist für Enzensberger, was auf einer himmlischen Übereinkunft mit Unseld beruhen soll, stand in FAZ, jW, ND und LVZ zu lesen.

Enze saß schon an dem Fenstertisch, an dem ich mit Johannes Heinz Horn oft zu Abend gegessen hatte, bevor er sich umbrachte und Christoph Hein ihn mit dem Roman Horns Ende in die DDR-Provinz paraphrasierte.

E: Was sagen Sie nun, ich bin jetzt ein Bestseller.

Z: Sie waren schon vieles. Am besten sind Sie, wenn Sie das Schweigen der Hammersteins zitieren.

E: Das Schweigen zitieren?

Z: »Es bleibt ein ungesagter Rest, den keine Biographie auflösen kann, und vielleicht ist es dieser Rest, auf den es ankommt.«

E: Schön gesagt.

Z: Von Ihnen über andere. Eine Selbstüberwindung fast von Gottes Gnaden.

E: Sie mögen mich nicht.

Z: Ausgenommen in Ihrer Rolle als Hammerstein-Chronist. Dort draußen, sehen Sie, zwischen Pleiße und Peterssteinweg traf ich oft den Marinus van der Lubbe ohne Kopf, wenn er tagwandelte –

E: Ich leide auch an Erscheinungen –

Z: Weshalb Sie viele Tote interviewen, die postume Kunst ist Ihr Metier –

E: Der 3. Februar 1933 ist unser Totengedenktag, wie?

Z: Die deutsche Ankündigung aus Hitlers Mund Richtung Moskau –

E: Hammersteins Tochter als Genossin, Stalin die Zukunft deutend – die Frage Revolution oder Krieg war fürs 20. Jahrhundert entschieden?

Z: Bis auf einen Rest –


Das von Ernst Jünger poetisierte Wort »Stahlbad«, besser Blutsuppe genannt, und die von Hindenburg geadelte Heilmethode »Badekur« parallelisieren die nationale Ideologie des 1. Weltkrieges. Jünger mythisierte mit dem Stahlbad den Grabenkampf, Hindenburg demonstrierte die Unerschütterlichkeit des Feldherrn, dem der Krieg wohltut. Den existentiellen Gegensatz dazu bildeten Luxemburg-Liebknecht als im Krieg verfolgte Pazifisten und nach Kriegsende ermordete Revolutionäre. Die Konterrevolution siegte.

Es gibt kalendarische Daten, die das Zeit-Kontinuum sprengen, wo nicht widerrufen. Hitlers Machtantritt am 30. Januar 1933 war von Parteien und Gewerkschaften in ihrem desolaten Zustand nicht zu verhindern. Der Reichstagsbrand vom 27. Februar und der auf ihn folgende Prozess in Leipzig hätten als Fanal zum Widerstand begriffen werden müssen. Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 erwies die fatale Stärke faschistischen Ungeistes und die Schwäche der Antifaschisten. Vom Widerstand im Militär nicht zu reden, das selbst die Ermordung von Kameraden hinnahm. General von Hammerstein war die Ausnahme – ein Charakter, doch ohne Taten, weshalb die eigenen Töchter und Söhne andere Wege einschlugen.


Hammerstein verkörperte den Typ des aufgeklärten Militärs. Vor die Alternative Hitler-Deutschland oder Stalin-Russland gestellt spielte er wie General von Schleicher mit dem Gedanken an Zwischenlösungen bis zum Militärputsch und Staatsstreich. Hitler ließ Schleicher 1934 mit ermorden. Weshalb er Hammerstein verschonte, ist unklar. Der Krebstod des demobilisierten Generals Hammerstein im Kriegsjahr 1943 weist über sich selbst hinaus wie die Bezeichnungen T 34 und Stalin-Orgel. In den Büchern der Wehrmachtsgeneräle, die am 22. Juni 1941, Napoleons Russlandfeldzug gleichsam parodierend, Richtung Moskau aufbrachen, werden dem Kreml-Herrscher die T 34 und Stalin-Orgeln verübelt, als habe der Bolschewik sie geheimgehalten, um den Angriff zu provozieren. Die hohen deutschen Militärs spürten keinerlei Skrupel, Kameraden der Roten Armee, mit denen sie in den zwanziger Jahren geheim, aber eng zusammengearbeitet hatten, mit mörderischer Vernichtung zu überziehen. In Moskau waren die Drohungen Hitlers in seinem Buch Mein Kampf zwar gelesen, jedoch nicht ernst genommen worden. Dass er als Reichskanzler sofort in einer Geheimrede vor Generälen seine Feldzugspläne en detail vortrug, bewies den Ernst der Lage und wurde zum Todesurteil für 50 – 60 Millionen Menschen. Der Priesterschüler aus Georgien nahm sich im Kreml Ivan den Schrecklichen zum Vorbild. Um jeden Widerstand zu ersticken, mordete er seine eigenen Leute als potentielle Feinde aus und betrieb die Landesverteidigung mit der traditionellen Härte asiatischer Despotie. Aus dem Großen Vaterländischen Krieg ging die Sowjetunion siegreich hervor, zu den Besiegten zählte der Sozialismus im eigenen Land, dem kein halbes Jahrhundert mehr blieb, weil alles so bleiben sollte wie es war.


Auerbachs Keller

Wir sitzen noch mit dem restaurierten Enzensberger im Leipziger Ratskeller. Ich zeige ein Foto von 1953 vor. Sechs Blochianer erwarten den Sozialismus in Auerbachs Keller zu Füßen der Treppe, die Faust auf einem Weinfass hinabritt. HME errötet. Es ist nicht der Rotwein. Zum Foto später mehr.


Ich sage: Ihr Buch über Hammerstein führt Literatur, Politik, Geschichte und die heutige Schlachtordnung exemplarisch zusammen. Hoffentlich erschreckt es Sie nicht, wenn ich das als ein Stück Revolte betrachte.

E: Ich bin unschuldig.

Z: Wie der General?

E: Noch nach 1933 suchte Stalin über Woroschilow Verbindung mit ihm aufzunehmen.

Z: Wilhelms Kaiserreich finanzierte Lenin, weshalb sollte Stalin nicht Hammerstein unterstützen?

E: Die Sozialdemokraten scheuten vor Lenin und Trotzki zurück.

Z: Und versagten im Kampf gegen Hitler.

E: Das Schweigen Hammersteins als dritte Entscheidung –

Z: Die letzte militärische Aktion in Stalingrad war die Exekution von 364 deutschen Soldaten –

E: Durch die Russen?

Z: Durch die eigenen Leute. Die Armee verhungerte und erfror in den Eislöchern, doch um 364 eigene Kameraden zu erschießen, fanden sich genug gehorsame Todesschützen. Da funktionierte die glorreiche 6. Armee noch. So etwas sah Hammerstein ab dem 3. Februar 1933 voraus. Was tun? Revolution ging nicht mit den Deutschen. Krieg ging. Blieb allein das Schweigen. Soll es bald wieder so sein?

E: Nach meinem Hammerstein wird jetzt die fiktive Autobiographie eines fiktiven Waffen-SS-Offiziers und Massenmörders abgedruckt. Der Titel heißt Die Wohlgesinnten.

Z: Soll das etwa Ironie sein?

E: Ich fragte schon 1968, ob eine Revolution unvermeidlich sei. Der Spiegel druckte das als Broschüre, die dann verschwand. Inzwischen bin ich auch dagegen

Z: Sind wir jetzt real oder fiktiv? (Und ich dachte, zum Totalitarismus gehört die Waffen-SS, und weil Grass nur eine Atempause lang dabei war, muss man sich seine wahren Helden eben erfinden …)

Das sagte ich nicht laut. Wer weiß denn, welches dicke Ende die sich noch einfallen lassen. Da spielen wir lieber den Hammerstein.


Zum Ende ein Gruß an die Heldentäter

Für manchen hab ich schon Quartier gemacht,
auf Nimmerwiedersehn. Da geht er hin, ich
stehe hier und gähn und reiß die Hand
nicht vor die Lippen. Ihm sind sie abgeschnitten.

Na, ihr alten Säcke von der Waffen-Äss-Äss.
Ihr lest die FAZ und feiert ein Gedenken.
In Wolken rieselt Kalk aus den Gelenken.
Oh – wärt ihr eurem Führer treu geblieben

Und hättet euch in Krieg und Wohlstand aufgerieben.

Am Montag, den 18. Februar 2008, erscheint das nächste Kapitel.

Gerhard Zwerenz   11.02.2008

Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz