Alter Sack antwortet jungem Sack
Das Jahr 2010 hat begonnen. Der Krieg am Hindukusch und sonstwo braucht mehr Soldaten. Bei google rücken meine Antikriegs-Texte nach vorn. Den Spitzenplatz hält die Story Nicht alles gefallen lassen, zu deren Abdruck in Das Lachbuch schrieb ich 1984 eine Erklärung:
Die Kurzgeschichte ist wirklich kurz, kaum drei Seiten lang. Ich werde immer wieder gebeten, sie vorzulesen. Wenn ich damit anfange, erhebt sich ein Flüstern und Wispern: Die kenn ich ... Ganze Generationen von Schülern haben sie gelesen. Ganze Generationen von Lehrern damit Examen gemacht. Noch immer holt sich ein Verlag oder eine Redaktion mindestens die Woche einmal die Abdruckgenehmigung ein. Die Geschichte ist so klein, aber sie selbst hat eine lange Geschichte. Geschrieben 1955 in der DDR, nahm ich sie als Titelgeschichte und bot sie dem Aufbau Verlag an. Dort wurde der Erzählband ein ganzes Jahr lang angenommen und wieder nicht angenommen. Dann geriet ich in Schwierigkeiten. Ein Freund riet: Tarne den Pazifismus der Kurzgeschichten etwas. Nimm eine weniger pazifistische Story als Titelgeschichte. Derart verändert brachte der Freund das Manuskript zum Verlag Volk und Welt. 1956 zur Leipziger Buchmesse gab mir der Cheflektor das Manuskript zurück: Nicht gut genug geschrieben. ... Der Cheflektor wechselte kurz darauf die Fronten und machte im freien Westen große Karriere, ist Doktor und Professor und Feuilletonchef und Fernsehkanone, na wie Genies eben so sind.
Buchrücken: Klappentexte: Lachbuch Zoom per Klick
Ich ging mit meinen für die DDR zu schlechten Geschichten in den Westen. Es dauerte vier Jahre. bis ich meinen damaligen Verleger Witsch überreden konnte, sie zu drucken. Gerade war mein Buch Ärgernisse bei ihm erschienen. So was wollen die Leser von Ihnen, sagte der gute Dr. Witsch. Bücher wie ein Hammer ...
Wir stritten uns und verstanden uns gut. Verträge wurden in einer Kölschen Kneipe abgeschlossen, auf einem Bierdeckel. So schöne Zeiten. steht zu fürchten, kommen nie wieder.
Nach dem Erfolg der Ärgernisse setzte ich meinen Band humoristischer Kurzgeschichten durch. Ich wollte auch den ursprünglichen Titel wieder: Nicht alles gefallen lassen. Witsch bestand auf dem Titel: Gesänge auf dem Markt.
Das Buch erschien 1962 und wurde ein Flop. Es bekam nicht einmal eine Taschenbuchausgabe.
Als wir den darauffolgenden Vertrag abschlossen, per Bierdeckel nach Dutzenden Kölsch, holte ich mir die Rechte an meinen kleinen Humoresken zurück. Witsch genehmigte das mit großer Geste. Er ahnte nicht, dass ihm Milliönchen entgingen. Kurze Zeit später setzte der Boom ein.
Als Buch ging das Buch nicht. Die einzelnen Geschichten und Gedichte aber wurden massiv und immer heftiger verlangt, abgedruckt in Anthologien, Schulbüchern. Übersetzt, dramatisiert. An der Spitze der Nachfrage standen die kaum drei Seiten Nicht alles gefallen lassen.
Als ich noch in Köln wohnte, kam eines schönen Morgens eine australische Lehrerinnendelegation auf Besuch. Mit einer Extra-Anfertigung von Büchlein: meine Kleingeschichte für den Schulgebrauch im australischen Deutschunterricht mit einer lustigen Schülerübersetzung ins Känguruh-Englisch und wieder zurück.
Soweit die 1. Erklärung im Lachbuch. Als der Verlag die Korrekturfahnen schickte, gab es schon neuen Stoff fürs Gelächter, also schloss ich noch eine 2. Erklärung an:
Nicht alles gefallen lassen macht unterdessen immer weiter Karriere.
Vorgestern nacht rief ein Knäblein aus Kopenhagen an. Es sei von seinen Schulkameraden beauftragt, mich nach einer Interpretation der Geschichte zu befragen, piepste der Junge in dänischem Deutsch, denn nur mit jener Autorität, die der Dichter selbst seinem Werke verleiht, hofften die munteren Jungs ihre Lehrerin beeindrucken zu können, die den tieferen Sinn der Kurzgeschichte einfach nicht erfasse,
Gestern abend kam ein Eilschreiben aus München. Eine angehende Lehrerin schickte Brief und Kassette mit der dringlichen Aufforderung, der Herr Zwerenz möge seine Geschichte drauf sprechen, sie werde die Dichterstimme im Unterricht zu ihrer 2. Lehrerprüfung ertönen lassen, denn: Es ist sehr schwer, als Lehrerin angestellt zu werden in diesen schlechten Zeiten, da müsse sie sich eben was ganz Besonderes einfallen lassen …
Infolge meiner technischen Unbedarftheit geriet ich in Schwierigkeiten, als ich versuchte, diesen Leser- / Lehrerinnen-Auftrag auszuführen. Kaum zu glauben, welche Folgen eine Kurzgeschichte haben kann. Man setzt sich hin und haut was in die Tasten, fertig ist der Lack, denkt man, und drei Jahrzehnte später ist man immer noch nicht fertig geworden damit.
Hier mein Brief an die ideenreiche Münchnerin:
13.7.1984
Liebe Frau Michlbauer, es ist Ihnen wahrhaftig gelungen, dieses Haus in beträchtliche Aufregung zu versetzen. 1. suchten wir nach unserem jahrhundertelang nicht benutzten Kassettenrecorder. 2. Als er sich endlich einfand, erwies er sich als defekt. 3. sprach ich den Text auf unser Stenorettensystem und stellte in meiner Technik-Schwäche erst danach fest, daß es sich um ganz andere Kassetten handelte. 4. fuhr ich gestern noch vom Taunus nach Frankfurt, um einen neuen Kassettenrecorder zu kaufen. 5. bemerkte ich, die Geräusche sind recht unschön, die Aufnahme ist technisch mangelhaft, Ihre Schüler werden denken, ich hätte die Geschichte während einer Fahrt im rauschenden Intercity aufs Band geräuspert. Ich darf nun nur hoffen, Sie finden dennoch ein geneigtes Publikum und hernach, mindestens infolge Ihrer einfallsreichen Unverfrorenheit, eine feste Anstellung als Lehrerin. Hiermit bescheinige ich Ihnen, daß Sie einen Schriftsteller auf Trab gebracht haben, den sonst so leicht nichts erschüttern kann. Mit herzlichen Grüßen und Wünschen Ihr Gerhard Zwerenz PS: Ich las für beide Seiten der Kassette. Seite 2 ist akustisch ein wenig besser als Seite 1 Inzwischen erobert die Kurzgeschichte über die Schulbücher für Deutsch und Religion auch die Informationssammlung von google – dem Musterbeispiel einer Auflistung von ungefähr 19.200 Seiten folgen luftige User-Fragen und Antworten, denen ich auch den lustigen Titel dieses 10. Nachwortes verdanke: Soweit ältere und ganz aktuelle User-Beispiele. Dem Anonymos mashou no tenshi@ vom 28.6.06 und seinen Zeilen: „Das beste, was der alte Sack uns je gegeben hat. Höhöhö. irgendwie mag ichs. dev“, bin ich für den geilen Titel dieses Nachworts verpflichtet. Was sagt da ein alter Sack dem jungen Säcklein? Es kommt drauf an, was drin ist? Höhöhö. Irgendwie mag ich dich.
Als Betthupferl hier noch eine feine realistische Kriegsgeschichte, zur Nachahmung für Helden empfohlen unter dem Motto: Lustig ist das Soldatenleben: „In der Nähe schießt eine Batterie Achtacht. An ihren blauen Rohrfingern vorüber schieben wir uns sachte durch ein zerfetztes qualmendes Waldstück und sind um sechs in Zinnowitsche. Die Russen sterben, und die fliehen können, kehren zwei Stunden später zurück. Im Prasseln von russischen Maschinenpistolen sind wir an der Reihe, fluchend abzuhauen. Dem Thomarek zerspellt ein Splitter das Gesicht, blutend trägt er eine Handvoll frikassierter Wange, mit Zähnen vermischt, vor sich her, hält die Hände ausgestreckt und aneinandergepresst, als habe er Wasser geschöpft; so stapft er auf die Feuerwolke am Horizont zu, aus seinem aufgerissenen Rachenloch dringt ein langgezogener Schrei.
Im Wald treffe ich auf Bredow. Wir hängen die Maschinenpistolen um den Hals, vergraben die Hände in den Hosentaschen und gehen spazieren.
An einem Fluss sind Sanitäter bei der Arbeit. Zwei löffeln aus ihren Kochgeschirren. Ein dritter müht sich mit den Toten ab, brummelt, schleift sie zur Uferböschung, stößt sie hinein. Die Toten gehen unter, verschwinden kopfüber, tauchen, meist auf dem Rücken liegend und mit dem geschwollenen Gesicht zuerst, wieder auf und schwimmen still flussabwärts. Manche glucksen unwillig dabei. Bredow steht neben dem schwitzenden Sanitäter:
Warum müssen sie schwimmen? Weiß auch nicht – Befehl. Aber der Russe kann gleich da sein. Der Sanitäter blickt zum Himmel hoch: Ah, seit drei Jahren mach ich das mit, und immer kann gleich der Russe da sein. Der Sani murmelt den beiden Fressern irgendein Kommando zu. Alle drei greifen mürrisch ihr Gepäck und marschieren, einer hinter dem andern, mit knarrenden Stiefeln westwärts. Bredow kramt seinen Lederbeutel aus der Tasche. Fünf tote Landser liegen eng beieinander. Bredow hängt einem jungen Unteroffizier das Ritterkreuz um den Hals. So verteilt er seine Orden. Am Ende stoßen wir die fünf in den Fluss. Sie wenden ihre Gesichter himmelwärts, die Orden funkeln in der Sonne.
Welche Richtung nehmen wir? Bredows zerschnittenes Gesicht ist unbewegt. Wir blicken zum Horizont. Rauch steht in Ost und West.
Dort wartet die Feldpolizei, und da lauert der Russe. Also gehen wir Krieg machen! Wir gehen. Irgendwo hoch über uns sitzt der für Kriege zuständige Gott und blättert in seinen alten Gesetzen. Leider konnte ich Bredows Gesellschaft nicht länger genießen. Denn wir stießen, noch immer bramarbasierend und romantisierend, auf die Reste unserer unbesiegbaren Kompanie.
Das haben wir also geschafft, sagte Bredow herzlich und so, als freue er sich ganz besonders darüber, dass wir unsere Truppe wiedergefunden hatten. Ich dachte mir also nichts weiter dabei, als Bredow meine Hand ergriff und sie bedeutsam drückte. Hernach trat er hinter einen beerenprallen, lackglänzenden Holunderbusch und schoss sich eine Kugel in den Kopf.“
(Erstdruck in Casanova oder der Kleine Herr in Krieg und Frieden, Scherz Verlag, Bern 1966) Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 18.01.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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