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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 87. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
87. Nachwort |
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Vom Krieg gegen die Pazifisten
Mit der Vereinigung gab es für die Anti-Pazifisten und tatendurstigen Krieger gewaltigen Auftrieb. Am 12.10.1993 nahm die FAZ sich unseren Kollegen Prof. Horst Eberhard Richter vor:
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„Verwechselte Moral mit
Politik – oder?“
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Die luzide Buchkritik trug den Titel Warnung. Ich erinnerte mich, drei Jahre zuvor war vor mir im selben Blatt am 28.10.1989 nicht weniger luzide gewarnt worden. Die Überschrift lautete: Sündenregister:
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„Kunst des Schreibens hat
Gerhard Zwerenz nicht erlernt“
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Dieses Meisterwerk druckte die FAZ sogar zweimal ab. Beim ersten Mal war der Name des Kritikers vergessen worden. In der Wiederholung wurde der Verriss- Verfasser endlich genannt: Werner Fuld. Nun war ich von der DDR her starke Sprüche gewohnt, etwa: »Der dritte Weg führt in den Sumpf« sowie »Verräter Zwerenz und Konsorten in der Gosse«. Autor war der Genosse Prof. Hans Teubner, der selbst attackiert worden war und sich in SED-Treue brav reinzuwaschen suchte. Damals aber ging es um substantielle Konflikte im Stalinismus und seinen unbelehrbaren Anhängern. Was aber stand jetzt im Westen auf dem Spiel? Die Antwort erlaubte ich mir in Sklavensprache und Revolte:
Blitze der Verdammung schleuderte die FAZ im Oktober 1989 gegen mein unschuldiges Buch und die meine Bloch-Erfahrungen variierenden Verse. Außerdem hatte ich als Kurzgeschichte Erlebnisse zwischen den Fronten im Ostkrieg und meine Fahnenflucht im Buch präsentiert – Desertion plus Blochsche Revolution, das ging den Feuilletonpatrioten von der mainischen Heimatfront zu weit. Im Übereifer druckten die FAZken ihre als Rezension ausgegebene ruppige Abmeierei gleich an zwei Tagen hintereinander wortwörtlich ab. Soviel Luft mussten sie sich dort machen mit Hilfe eines großfressigen Luftikus.
Intransigente FAZ-Verdikte über Autoren von Abendroth und Giordano bis Zwerenz sind beste Tradition. 1961 war ich ein »nicht zu übersehender Berater des Westens«, was mich ein wenig erschreckte. 1966 passte ihnen unser Protest gegen den Vietnam-Krieg nicht, so wurde Wolfgang Neuss zum »angemaßten Volkstribun« und ich fiel durch ein »Pamphlet« und die »aparte intellektuelle Blässe meines Gesichts« unangenehm auf. In der Tat war ich damals sehr blass, doch rührte das weniger von meinem Kopf als vielmehr von einem Zwölffinderdarmgeschwür her. So wurde ich immer mal auf verschiedene Weise bedacht. 1994 näherte sich »das Regimeopfer Zwerenz« seinen »Feinden von einst ... in der irrwitzigen Hoffnung, dass sie ihn ... in Gnaden aufnehmen, umarmen und wegküssen werden von ihm alle Wunden, die sie ihm schlugen.« Zwischendurch besaßen meine Erzählungen »Leuchtkraft« und ein Karl Korn höchstselbst billigte mir gar »viel epische Kraft und das heißt sprachliche Kraft« zu, bis ich dann wieder nur meine »bewegliche Vergangenheit vermarkten« wollte, was in der FAZ offenbar nur bei Angriffsgenerälen wie Erich von Manstein, nazitreuen Ostlanderoberern wie Theodor Oberländer oder emsigen Kriegshinrichtern wie Erich Schwinge erlaubt ist, während Zwerenz anders als die FAZ-Helden »nicht die Kunst des Schreibens« erlernte.
Soweit meine Erwiderung in unserem Buch über Ernst Bloch. Recht hatte das FAZ-Großmäulchen mit seinem Verweis auf meinen häufigen Verlagswechsel. Immer wenn ich bemerkte, von den emsigen Geheimdiensten Ost oder West war mir wieder ein Agent in die Nähe gerückt worden, verließ ich einen Verlag und mitunter auch den Wohnort. Definitiv dumm auch ein in der FAZ nachzulesender Vorwurf, ich hätte als Regimeopfer meine vormaligen Feinde um Gnade gebeten. Es handelte sich nicht um individuelle Emotionen, sondern um relevante Konflikte wie den 3. Weg und einen menschlichen Sozialismus.
Nach der Vereinigung schrieb ich, dazu eingeladen, einige Jahre lang für Neues Deutschland, weil es mir Spaß machte, dort zu erscheinen, wo ich seit Jahrzehnten entweder beschwiegen oder beschimpft worden war. Die nd-Artikel trugen mir allerlei Zuspruch, aber auch Kritik ein, denn ich verleugnete mich nicht und manchen Genossen Lesern fällt Einsicht und Toleranz bis heute schwer. Ich hätte meine Marx, Trotzki, Bloch notfalls sogar in der FAZ empfehlend verteidigt, wo die SA-Männer Heidegger und Carl Schmitt samt dem Pourlemeritter Ernst Jünger als ewige Hausgötter galten – gelten? Hervorzuheben ist noch ein exklusiver FAZ-Satz vom 19.5.1994, in dem mir ein gewisser JGJ eine »ausgelebte Neigung zur Cholerik« attestiert, sonst aber bin ich »kein bemerkenswerter Schriftsteller«. Dem flink formulierenden JGJ soll hier zugestimmt werden. Den braunen Helden entkam ich als cholerischer Anti-Nazi, den roten Helden bot ich Widerpart als Trotzkist und Blochianer, bis ich mich so schnell wie möglich aus dem aufgewirbelten Staube machen musste. Wenn so denkfaule wie blasierte FAZ-Zeilenschinder mich als nicht bemerkenswert zensieren, nehme ich es als Auszeichnung an wie meinen Parteiausschluss vom Jahr 1957. Zur Debatte steht stets der 3. Weg, wie wir es u.a. in der 74. Folge dieser Serie notierten:
Die Ideen des Dritten Weges gelangten 1956 von Polen in die DDR, wo sie spezifiziert wurden. In Berlin machte sich Wolfgang Harich dabei mit dubiosen Westkontakten angreifbar. In Leipzig wurde dieser Fehler vermieden. Walter Ulbricht ließ bei uns dennoch eingreifen. Im geheimgehaltenen Teil vom 33. Plenum des ZK der SED beschuldigte Ulbricht Ernst Bloch konterrevolutionärer Pläne. Obwohl die Anschuldigungen unter der Hand nur an ausgesuchte Genossen verteilt wurden, erreichten sie auf unbekannten Wegen den Bonner Verfassungsschutz, wo der damals zuständige Leiter der Ost-Abteilung bald eine gegen die DDR gerichtete Zeitschrift Der Dritte Weg finanzierte. Darüber ein andermal. Der schöne Titel war jedenfalls zum Missbrauch im Westen angekommen. Ulbricht seinerseits versuchte in den sechziger Jahren Teile unserer 56er Ideen unter eigener Leitung zu verwirklichen. Er war zu spät dran und stürzte darüber.
Soviel als Verweis auf die 74. Folge. Dass meine damalige Partei mich als »Blochs Sprachrohr« zu diskriminieren suchte, ordne ich als respektable Auszeichnung ein, genau wie den Schimpf von FAZ-Leistungsträgern der Stahlhelmfraktion.
Immerhin hielten die SED-Genossen im Parteiausschluss-Protokoll von 1957 unsere Differenzen so sachlich wie kompetent fest:
Bei aller Feindschaft – das SED-Protokoll von 1957 ist klar und direkt. Anders als die FAZ von 1994 mit dem schnittigen JGJ. Das Kürzel tarnt einen gewissen Jens Jessen, der nach allerlei Redaktionswechseln als ZEIT-Feuilletonleiter zu weiteren Großtaten im Krieg gegen Abweichler und Pazifisten aufbrechen darf. Denn die schrägen Attacken von rechtsaußen gegen links haben seit 1990 wieder Konjunktur wie einst zu Weimars Endzeiten. Den Herren Kameraden fällt eben nichts Besseres ein.
Das soeben erschienene Ossietzky-Doppelheft 15/16 legt einen Verweis auf die Seite 627 nahe, wo A. K. – Arno Klönne – sich mit unserem speziellen Helden Jens Jessen befasst, der dem virulenten Autor Götz Aly kürzlich den Ludwig-Börne-Preis verlieh und die Laudatio hielt, wobei er seinen eigenen Großvater ehrte, der sich als Obernazi untreu benahm und dafür von anderen Obernazis 1944 in Plötzensee gehängt wurde.
Kriegsverbrecher Ohlendorf war ein guter Kamerad von Jens Jessen senior |
Zuvor hatte er noch mit Otto Ohlendorf kooperiert, dem in Nürnberg zum Tode verurteilten SS-Kriegsverbrecher. Alle diese schwarzbraunen Figuren spielen in meinen beiden Abrechnungs-Büchern Soldaten sind Mörder sowie Vergiss die Träume deiner Jugend nicht eine nicht ganz unerhebliche Rolle, was den Unmut diverser FAZ-Autoren verständlich macht. Jessen stieß bei der Lektüre auf unbehagliche Teile seiner eigenen Familiegeschichte, und daran muss der Deserteur Zwerenz schuld sein, denn der hatte entdeckt und verraten, was da so gelaufen war. Jessen, den Börne-Preisträger Aly laudierend: »Dem Arbeiter, der Hitler gewählt hatte, schenkten die Sowjets zur Belohnung im Osten einen eigenen Staat; die Bundesrepublik im Westen setzte im Rahmen der Marktwirtschaft die Sozialpolitik der Nazis fort.« So nach und nach begreife ich als Arbeiter, der Hitler nicht gewählt, aber ein wenig widerstanden hat, die Empörung der ehemaligen und heutigen FAZ-Journaille über meine Bücher. Mehr dazu im September. Jetzt aber statt einer Erwiderung zwei Zeitungsartikel mit Substanz, sowas gab's mal in Printmedien-Redaktionen, als die dritte Stahlhelmgeneration noch nicht auf neue Kriege zu setzen riskierte. Ich bedanke mich von Herzen für 1. »Zwerenz in Moskau unerwünscht« (Frankfurter Rundschau, 9.11.1973) 2. »Der verhinderte Weichensteller« (Süddeutsche Zeitung, 3.6.2005).
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