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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 23. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  23. Nachwort

Der 3. Weg ist kein Mittelweg


Auf die Frage, warum uns die Sonne am Morgen und Abend viel größer erscheint als tagsüber, erteilen Fachleute völlig unterschiedliche Antworten, weshalb ich schließlich nicht mehr erfahren wollte, was unerfahrbar bleibt und mich mit der Tatsache abfand. Man nennt das pragmatisch, was heißt, man bescheidet sich, weil es Wichtigeres zu klären gibt. Immerhin weiß, wer darüber nachdachte, zwischen Morgensonne und Abendsonne einerseits und Mittagssonne andererseits zu differenzieren. Nicht zu vergessen – Diogenes aus dem Fass zu Alexander dem Großen: Geh mir aus der Sonne!

 

Brechts Theater ist die Praxis seiner Gedichte. Die Knoten (Synkopen) in seiner Lyrik sind paradigmatische Dekonstrukte von Format: Das große Karthago führte drei Kriege … Das große Deutschland führte drei Kriege.

 

Anders das ironische Konstrukt in der Kriegsfibel:

Wie einer, der ihn schon im Schlafe ritt
Weiß ich den Weg, vom Schicksal auserkürt
Den schmalen Weg, der in den Abgrund führt:
Ich finde ihn im Schlafe Kommt ihr mit?

Im vierten Vierzeiler wird die vorhersehbare Höllenfahrt draus:

Die Glocken läuten und die Salven krachen.
Nun danket Gott als Mörder und als Christ!
Er gab uns Feuer, Feuer anzufachen.
Wißt: Volk ist Pöbel, Gott ist ein Faschist.

Am Ende, im Krankenzimmer der Charité dem Tod konfrontiert, wird der Abschied direkt benannt:

Und ich dachte immer: die allereinfachsten Worte
Müssen genügen. Wenn ich sage, was ist
Muß jedem das Herz zerfleischt sein.
Daß du untergehst, wenn du dich nicht wehrst
Das wirst du doch einsehn.

 

Die 1.391 Seiten der Suhrkamp-Ausgabe von Brechts Gedichten ergeben eine Enzyklopädie literarischer Möglichkeiten der Dekonstruktion als Poesie/Poetik. Die fast verges­senen Ver­frem­dungs-Effekte haben die drama­turgische Funktion von Ideologie-Zerstörung. Was bleibt ist die Sprache, die Brechts poetischen Kommunismus enthüllt. Trotzki: Wir haben den Kapita­lismus überall da besiegt, wo es ihn noch gar nicht gab. Gerhard Urbach: Das westlich-kapi­talis­tische System hat einen Sozialismus besiegt, der niemals einer war. Den Rest besorgen die Dichter? Brechts Lyrik plus Verfremdungs­praxis ergibt den Klassiker litera­rischer Dekon­struktion. Das blieb bisher unbewertet, nein unaus­gesprochen, denn es wider­spricht dem Bild des DDR-Klassikers. Der Lyriker Brecht in toto genommen ist ein Under­ground-Autor.

 

Die Philosophie dazu ist in Blochs Erbschaft dieser Zeit enthalten. Das hat zeit­geschicht­liche Gründe. Heideggers Sein und Zeit (1927) beurteilten Brecht, Bloch, Walter Benjamin, Günter Anders als philo­sophischen Vor­schein des Faschismus. Ihr Plan eines Anti-Heidegger-Pamphlets schei­terte, das Projekt, den auf­strebenden Nazis „ein­greifendes Denken“ ent­gegen­zu­stellen, blieb in Ansätzen stecken. Was als weit­ausgreifendes Resultat vorliegt, ist Blochs Erbschaft dieser Zeit von 1935, sein Rück­blick auf das Versagen der Weimarer Republik. In der Erweiterten Ausgabe von 1962 wird die exakte Analyse der Versagens­ursachen weitergeführt. Anti­faschis­tische Kritik inklusive anti­faschis­tischer Selbst­kritik ergibt Dekon­struktion. Blochs Hauptwerk ist Das Prinzip Hoffnung, die Erbschaft aber ist ein klas­sisches Dekonstrukt. Gelangten die französischen Philosophen (Kritiker) von Nietzsche über Heidegger und Sartre zu ihren neuen Er­kennt­nissen, verlief die Linie in Deutsch­land über Nietzsche und Marx zu den anti­faschistischen Links­intel­lektuel­len. Anti­marxismus wie in Paris verbot sich, Marx­fresser gab es schon zahlreich genug. Daraus folgt eine weitere Differenz. Die fran­zö­si­schen Dekon­struktionis­ten heimsten Erfolge ein. Die Deutschen gehörten in der Bonner Republik zu den uner­wünschten Linken. In der DDR mussten sie sich tarnen. Im 1990 einge­meindeten Ostteil der Berliner Republik herrscht das Prinzip des Unwissens und Ver­gessens, ganz wie in der DDR ab 1956/57.

 

Die Anti-Bloch-Kampagne hatte mit dem Walter-Ulbricht-Brief vom 28.11.1956 begonnen und steigerte sich dramaturgisch geschickt über 5 Stufen bis zum 12./13. Dezember 1957. Am Anfang stand Blochs Ausschluss vom Philo­sophi­schen Institut und am Ende seine Ver­bannung in die innere Emigra­tion. Am 15. Dezember 1957 registriert die Leipziger Lausch­behörde ein Gespräch zwischen Ernst und Karola Bloch sowie Hans Mayer, in dem es u.a. um Kurella, Winfried Schröder, Loest und Zwerenz geht. Bloch: „Ich habe gesagt, dass ich mich zur DDR bekenne, dass ich diesen dritten Weg für diskutierbar halte – es gibt nur die Selbstreinigung des Marxismus … zur DDR kann ich mich bekennen, zur Regierung nicht.“ (Näheres dazu im Nachwort 13 „Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung“) Damit war Das Prinzip Hoffnung auf dem Boden der DDR perdu, die Erbschaft dieser Zeit war gar nicht einbezogen gewesen. Nach deren Erweiterter Ausgabe bei Suhrkamp wurde schnell klar, im Westen fehlten sowohl Basis wie Überbau. Wenige West-Blochianer, die schließlich über­dauerten, stochern fein aka­de­misch im Tal der Hoff­nung herum, ähnlich den Dresdnern zu DDR-Zeiten, die ohne West­fern­sehen im Tal der Ahnungs­losen lebten.

 

Die philo­sophische Anti-Bloch-Konferenz vom April 1957 in Leipzig und ihr Buch­proto­koll be­zei­chnen den Wende­punkt in der DDR-Phi­lo­sophie. Die 11. Feuer­bach-These war in Maku­latur ver­wandelt. Es durfte nicht mehr reflektiert und nur noch der Partei­auftrag befolgt werden. Noch immer freut es mich, dass zuvor am 30. Januar mein Frei­heits­gedicht in der Leipziger Kon­gress­halle unter schweres Feuer geriet. Bei den voran­gegan­genen Gesprächen und bei der Partei­kontroll­kommis­sion hatte ich jedes Angebot abgelehnt, gegen Bloch auf­zutreten. So blieb mir die Teil­nahme an der April-Konfe­renz erspart. Aus Fair­ness sei ange­merkt, eine Reihe der dort gegen Bloch argu­men­tierenden Genos­sen Wis­sen­schaft­ler äußerte sich im Partei­auftrag und gegen die eigene Mei­nung. Philosophie als Spottgeburt.

 

Die römisch-katholische Begriffs- und Kategorien­lehre schloss an Aristoteles sowie Platon an und geriet in Dauerstreit bei der Frage, wie viel Realität den allgemeinen Begriffen zuzuordnen sei. Historisch gesehen fügten die Nomina­listen den Gattungs­begriffen (Universalien) nur Worte (Nomen) zu, während die Realisten auch den Univer­salien Realität zusprachen. Der tausend Jahre zurück­reichende Uni­versalien­streit stört jeden Glauben an Gott, Staat, Partei, Ideologie. Wenn die Wahrheit wirklich konkret ist, wie Georg Lukács in Die Zerstörung der Vernunft demonstriert, muss das Nicht­konkrete, das Allgemeine, die Univer­salie auf ihre Realität hinterfragt werden. Die neuen französischen Kritiker (Philosophen) hinterfragten vor allem den landes­eigenen Marxismus, der ihnen in Gestalt der KPF und deren temporärem Ver­bündeten Sartre begegnete. Fataler­weise gründeten sie ihre Erfolge auf Nietzsche und Heidegger, während der deutsche Dekon­struktio­nalis­mus auf Nietzsche, Marx, Brecht, Bloch gründet, so er überhaupt wahr­genommen wird oder werden darf, weil Anti-Marxis­mus von 1933 an bis heute Staats­philosophie ist und seine Adepten das mediale Umfeld beherrschen. Derart lebt der selbst­gemordete Hitler über seinen getreuen SA-Kameraden Hei­deg­ger beidseits des Rheins weiter und die stahl­helm­bewehrten Schrumpf­köpfe bringen es fertig, ihren Hauptmann Ernst Jünger mit dem daran gewiss unschul­digen Grimmels­hausen zu verbrüdern. (FAZ-Feuilleton – wo sonst am 8.4.2010) So bleibt von Vernunft nur Zerstörung übrig.

 

Brechts Lyrik ist totale Dekonstruktion im Schutze von Poesie/Poetik (Sprache). Blochs Erbschaft ist das erste Dokument und Lehrbuch der Dekonstruktion. Dass Bloch sich in seiner DDR-Zeit der Sklavensprache bediente und die Sprachrevolte taktisch dosierte, zeigt die zeitliche Abfolge der Ereignisse. Am 30. Januar 1957 wurde ich wegen der Nähe zu Bloch, dem 3. Weg und meinem Freiheits­gedicht zum Feind erklärt. Immerhin konnte ich vor den in der Leipziger Kongress­halle zuammen­geholten Kultur­arbeitern noch alle Strophen des Gedichts vorlesen. Auf der Leipziger Kultur­konferenz im Oktober klagt mich Heinrich Schwartze mit seiner Rede über Die Illusion vom 3. Weg an. Am 12. Dezember distanziert sich Bloch auf dem Berliner Kultur­bund-Tribunal vom 3. Weg. Drei Tage später meldet eine geheim­dienst­liche Wanze aus seinem Leipziger Arbeits­zimmer, Bloch halte „diesen 3. Weg für diskutierbar.“ Darüber waren wir uns schon im August bei meinem letzten Besuch einig gewesen. Innerhalb von drei Tagen muss unser Philosoph vom Berliner NEIN zum Leipziger JA zurück­gekommen sein. Das fällt einem Marxisten naturgemäß schwer. Alexander Kluge fasste die Sorge in einem Film­titel von 1974 zusammen: In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Es ist ein gra­vierender Denk­fehler, den 3. Weg als Mittel­weg zu sehen. (Belege dazu in den Folgen 69 und 82 und den Nachworten 18 und 19 )

 

Trotzki, Mao und seine distanzierenden Nachfolger, Kuba, Vietnam markieren keinen Mittelweg. China mit seinem kommunistisch gesteuerten Kapitalismus geht keinen Mittelweg. Der 3. Weg besteht aus radikal pluralen Expeditionen im Versuch, dem tödlichen Tanz ums Goldene Kalb zu entkommen. Trotzki sagte voraus, Stalins Sozialismus in einem Land werde vom Kapital stran­guliert. So geschah es. Doch ohne Stalins späteren Sieg über Hitler wäre Europa, vielleicht die ganze Welt, faschis­tisch geworden. Der Sieg Stalins über Hitler kostete wiederum den sowjeti­schen Sozialismus. In Gefahr und größter Not griff Stalin zum letzten bitteren Stück Brot. Mit der Roten Armee siegte das alte zaristisch aufgemöbelte Russland im „Großen Vaterländischen Krieg“. Der Sozialis­mus ging vor die Hunde, wie sich bald zeigte. Brecht: Der unbekannte Soldat der Revolution ist gefallen. Ich sah sein Grabmal im Traum.

 

 
Alexander Kluge gegen Mittelweg
Wir leben fröhlich in Albträumen. Als Heiner Müller den von ihm verehrten Ernst Jünger endlich daheim besuchen durfte, nutzte er die Gelegen­heit, auf Wolfgang Harich zu schimpfen. Da triumphierte der Pour le Mérite des Deser­teurs­mörders, der sich das Exekutions­kommando aus purer Neu­gier beschafft hatte. Jawohl – unsere großen Lehrer lieben den Krieg und pflücken ihrem Nietzsche beglückt den heiligen Über­menschen von den Lippen, singen das Deutsch­land­lied als wärs von Richard Wagner und spenden ihr arisches Blut von Verdun bis Stalingrad. Unsere Lehrer genossen den Kampf als inneres Erlebnis in Stahl­gewittern, rommelten durch Afrikas Wüstensand, bis sie heldenhaft aufgaben, während die Ober­leutnan­te Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, F.J. Strauß, Hauptmann Dregger und Major Mende heroisch bis zum Schluss für Führer und Vaterland durch­hielten, weshalb alle miteinander in Bonn als glü­hende Demo­kraten Wie­der­aufer­stehung feierten. Im Gegen­satz zu den jüdischen Bolsche­wisten in Ostberlin, wo Hitlers und Adenauers Feinde ab 1945 Stellung bezogen. Walter Ulbricht zum Beispiel. Pustete ohne Rücksicht auf hohen­zollern­sches Wohnrecht das Berliner Schloss einfach weg. Dafür machte Kohl Erichs Lampen­laden dem Erdboden gleich. Bald kommt das Schloss wieder hin.

 

Unsere offenbar über­lebens­langen Lehrer wollen ihren Kaiser Wilhelm wiederhaben. In Leipzig ließ Ulbricht die Universi­täts­kirche sprengen. Sie ist rekonstruiert worden, nur der benachbarte Hörsaal 40 nicht, denn da lehrten bürger­liche Radikal­demo­kraten und auf­müpfige marxis­ti­sche Pro­fes­soren die Diktatur der Humani­tät. Das mögen unsere Lehrer nicht besonders. Unsere Lehrer trans­formier­ten zu vorbild­lichen, enthalt­samen Christen und verprü­gelten ihre Kloster­schüler und Domspatzen, um heilig gesprochen zu werden.

 

Im Hodenwald übten andere Lehrer die Liebe ein. Quäle­reien und Schläge wie bei den Schwarzen gabs keine, nur mal von Schüler zu Schüler, wie bei Soldaten üblich, die Lehrer streichelten die Stellen, auf denen die schwarzen Lehrer Stock­schläge pla­zierten. Unsere Re­form­lehrer ver­teil­ten Küsse und ließen sie sich erteilen. Unsere Lehrer waren anfangs schlacht­feldgeil. Danach kir­chen­fromm mit Arsch­verhauen, dann liebesfreudig bis zum Lotterbett der Nächsten­liebe.

 

Unsere Lehrer waren dabei nie allein. Über ihnen komman­dierten Adenauers Generäle, die schon als Hitlers Generäle das Ober­kommando innehatten wie vordem Hindenburg und Ludendorff. Unsere Lehrer lernten von Nietzsche, das Leben ist eine ewige Wieder­holung des Gleichen. Das erhält, worauf es ankommt, die permanente Un­gleich­heit von Herren und Knechten.

 


Der Spiegel: Ausriss vom 30.04.2010 (Bernard-Henri Lévy)

Die französischen Neuen Philosophen spalteten die „totalitäre All­gemeinheit“ des Stalinismus, den sie, der KPF konfrontiert, als Marxismus miss­ver­standen, in diverse Einzelteile auf und brachten die intellektuelle Welt damit voran, scheuten jedoch zurück vor der Antwort auf die 11. Feuerbach-These: Inter­pretieren oder verändern oder beides? Sie inter­pretieren ingeniös und spektakulär. Was bleibt sind sprach­wissen­schaftliche Expedi­tionen dif­ferenter Art. Foucault und Derrida hinterließen gewichtige Fragmente, Bernard-Henri Lévy lebt illustriert und be­hauptet im Spiegel-Gespräch vom 30.4.2010: „Ich führe Krieg“. Seine jüngste Kampf­schrift heißt denn auch Vom Krieg in der Philo­sophie, was den Krieg auf Spiegel­fechte­reien mit Papier­säbeln reduziert. Sein Sparringspartner André Glucks­mann wollte schon mit Atombomben die Welt vom Kom­munis­mus befreien, nachdem er lange genug in Sartres Schatten als Maoist deliriert hatte. Wenn schon die neuen, inzwischen alten franzö­sischen Philosophen befragt werden, dann vielleicht Derridas Katze, die ihn beobachtet, wie er in die Badewanne steigt, wobei der Philo­soph denkt: Weiß sie, dass ich nackt bin? Sie ist mit Fell nackt. Was fällt dem Tier am Menschen auf, was uns am Tier? Das Exempel pluraler Wahr­nehmun­gen wird entwickelt, die Pluralität der Blicke und Gegenblicke, die Korrektur des eigenen Blicks im Konter­blick. Derridas witzige Parabel geht vom „blinden Fleck“ aus, der berühmten Stelle im eigenen Auge, mit dem du siehst: Das Auge sieht, doch die Stelle, die sieht, ist blind für sich selbst. Also bedarf das Auge, der blinde Fleck, der Spiegelung. Auf die Konflikt­forschung über­tragen bedarf der Feind seiner Wider­spiegelung in seinem Feind, um sich zu erkennen. Die Dekonstruktion setzt die Über­windung des blinden Flecks im eigenen Auge voraus. Der Erken­nende, dessen Auge und Ohr ihm die Welt öffnen, bleibt solange suchendes Subjekt, bis er selbst per Retro­spektive zum Objekt anderer wird, die ihm zurückgeben, was er ihnen gibt, inklusive Aufhellung der eigenen blinden mörderischen Existenz.

 

Am 3.4.2010 fielen in Afghanistan drei Bundes­wehr­soldaten. Im Spiegel vom 12.4.2010 sind sie „auf tragische Weise“ ums Leben gekommen. Unter dem Titel Das Gesicht des Feindes werden die Feinde exakt zu „Mördern“ erklärt. Das ist das Resultat funktio­nierender Sprach­propaganda, derzufolge sich die Bundes­wehr zur „Ver­teidigung unserer Freiheit“ am Hindukusch auf „Mission“ im „Einsatz“ befindet. Die dortigen Terroristen ermorden also unsere Freiheits-Soldaten.

 

Im 2. Weltkrieg waren „jüdische Bol­sche­wisten“ und Par­tisanen die Ter­roris­ten und Mörder. Soviel zur Nutz­anwendung von Derridas Katze, die das Spiel­material für den Ernstfall liefert und geschlachtet wird. Es hängt eben von den Dif­ferenzen im Blick ab. Nach deutscher Sprach­regelung hat im Krieg der Feind die Toten beizusteuern. Schießt er zurück, ist er ein Mörder. Am Ende des 2. Weltkrieges drangen die mörderischen Feinde sogar in unser deutsches Vaterland ein. Auch dafür haben wir unsere Sprach­regelungen. Semantik über alles. Dummerweise hielt ich mich nicht daran. In der DDR reichte eine Gedichtzeile, um mein Leben dort unmöglich zu machen. In der Bonner Republik wechselte ich das Medium, wenn's zu dicke kam. In der Berliner Republik gilt vorerst noch die Outcast-Freiheit im Internet. Da lohnt doch ein nostal­gischer Blick zurück.

 

Das Gedicht Die Mutter der Freiheit heißt Revolution entstand nach Chruschtschows Anti-Stalin-Rede vom Früh­jahr 1956, wurde am 1. Juli desselben Jahres im Sonntag gedruckt und am 30. Januar 1957 in der Leipziger Kon­gress­halle öffentlich verdammt. Die Dekon­struktion des Stalinis­mus war insgesamt gescheitert. Das Gedicht Unablässig und einsam (siehe Nachwort 5) erschien 1966 in der Anthologie Deutsche Teilung – Lyrik-Lesebuch aus Ost und West. Die Strophen wurden viel nachgedruckt und bald vergessen, denn sie dekon­struierten die partei­politische Ver­nutzung der Ver­trieben­entragödie und enthüllten die Bonner Ver­triebenenpolitik als Illusionismus im Kalten Krieg. In Weder Kain noch Abel von Jürgen Reents sind die 12 Seiten meiner Kurz­geschichte Der Maulwurf nachgedruckt. Der Titel hat eine lange Vorgeschichte in Ost und West und lautete ursprünglich Der Scharfschütze. Unser tapfrer Held schießt präzise seine Feinde in den Kopf und entwickelt eine spezifische Meister­schaft im Aus­schachten seines Schützen­lochs. Am Ende gerät er dabei unter ein Massen­grab, das über ihm zusammen­bricht und ihn erstickt.

 

Ich bin gern bereit, die Rechte am Text, dieser Dekonstruktion des Infan­teristen, ans Berliner Vertei­digungs­minis­terium zu vergeben. Die Story ist das beste Lehrbuch für Soldaten, die in den Krieg ziehen.

 

Im Spiegel vom 19.4.2010 wird aus Afghanistan berichtet: „Mit der Panzer­grena­dier­brigade 37 ›Freistaat Sachsen‹ im Einsatz, April 2009 bis März 2010, Erleb­nisse von Soldaten im Einsatz­jahr der Brigade.“ Na da kämpft mal schön? Nach Ende des 1. Weltkrieges kämpften deutsche Freikorps in Ober­schlesien gegen die Polen. Nach Ende der friedlichen Revo­lution von 1989 kämpfen Panzer­grenadiere des ›Freistaat Sachsen‹ zur Vertei­digung deut­scher Freiheit in Asien. Welch ein Fort­schritt. Wann schmiedet Schor­lemmer Pflug­scharen zu Waffen um? Mit Karl May aus den Schluchten des Balkan in die Schluchten des Hindukusch. Mein Titel Die Vertei­digung Sachsens … ist ein wenig anders gemeint. Die Mutter der Freiheit heißt weder Konter­revolution noch Krieg. Soviel zum 3. Weg.

 

Am 22. April 2010 erklärte die Kanzlerin im Bundestag: „In Afghanistan geht es um unsere Sicher­heit“ und die FAZ leit­artikelte, es ginge „um Krieg und Frieden, um Leben und Tod.“ Wenn die Lage tat­sächlich so ernst ist, sollte man die gesamte Bundes­wehr mitsamt Kasernen und Waffen an den Hindu­kusch verlegen. Wenn die Soldaten dann noch zum Islam über­treten und unsere Rüstungs­milliarden der afghani­schen Wirt­schaft aufhelfen, wird sogar am Kundus eitel Frieden und Freund­schaft herrschen. Die US-Armee kann abziehen und sich den Kriegen in anderen Ländern widmen. Die Deutschen aber werden es so schön haben wie in den Jahren von 1945 bis 1955 – ent­milita­risiert wie Jesus Christus und seine Jünger.

Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 03.05.2010, geplant.

Fotos zur Lesung mit Gerhard Zwerenz aus der Sächsischen Autobiographie am 19.11.2009 im Haus des Buches, Leipzig   externer Link

Lesungs-Bericht bei Schattenblick  externer Link

Interview mit Ingrid und Gerhard Zwerenz bei Schattenblick  externer Link

Gerhard Zwerenz   26.04.2010   
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz