Hacks Haffner Ulbricht Tillich
Sehr geehrter Herr Zwerenz, ich sehe aus Ihrem Brief, dass Sie meinen, ich hätte eine Situation abgepasst, wo Sie, von dritter Seite bereits beschädigt, leicht zu Fall zu bringen waren. Es würde mich betrüben, wenn Sie bei dieser Meinung blieben.
Ich weiß nicht, wann die von Ihnen angedeuteten Schwierigkeiten vorfielen; vielleicht rechtfertigt es mich in dieser Sache, wenn ich Ihnen sage, dass mein Artikel am 2.1. (nachweislich) fertig vorlag. Natürlich hatte ich die Absicht, Ihren Ansichten, die ich für idealistisch halte, zu schaden. Aber mir liegt daran, Sie von jener Eselstritt-
Schöne Grüße
Peter Hacks. Daran erinnerte mich der Berliner Eulenspiegel-Verlag, der das Schreiben 2006 in Verehrte Kollegen – Briefe an Schriftsteller von Peter Hacks, herausgegeben von Rainer Kirsch mit abdruckte. Vom Verlag wurde eine Notiz beigefügt, in der es heißt: „Artikel ›Aristoteles, Brecht oder Zwerenz‹ erschien in Heft 3/1957 der (ost)berliner Monatszeitschrift ›Theater der Zeit‹, deren Chefredakteur Fritz Erpenbeck war. Gerhard Zwerenz (geb. 1925) studierte von 1952 bis 1956 Philosophie bei Ernst Bloch in Leipzig. Seit 1956 war Zwerenz freiberuflicher Schriftsteller. 1957 wurde er aus der SED ausgeschlossen und floh ein halbes Jahr später nach Westberlin, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen. Hacksens Artikel bezieht sich höchstwahrscheinlich auf einen Sonntag-Artikel von Zwerenz vom Oktober 1956, der zum Stein des Anstoßes wurde.“
Ich kommentierte den Vorgang in Neues Deutschland vom 21. 1. 2007.
Tatsächlich hat die damalige Kontroverse noch etwas andere Ursachen. Es geht hier aber nicht um die Gemengelage, sondern um die kleine Tragödie der West-Ostgänger, für die Hacks den Prototyp der fünfziger Jahre abgab. Das war seine Lust und seine Last. Im Westen hätte er als heimatloser linker Theaterautor Erfolge einheimsen können. Sein Umzug nach Ostberlin erlöste ihn vom bourgeoisen Komikerdasein. Es wurde ernst um den dichtenden Komödianten.
Nicht zuletzt der Briefband zeigt einen Menschen in seinem Widerspruch, d.h. Irrtum und produktive Größe – wie bei Heinar Kipphardt, der in umgekehrter Richtung auswich. An dieser Stelle sei die Seite 279 des Briefbands angeführt, dort ist nachzulesen, was Hacks an Helmut Baierl schreibt:
31.7.1989
Da ich, lieber Helmut, mich auch darin von Brecht unterscheide, dass ich keine Bücher stehle, schicke ich Dir gleich den Zwerenz; denn Deine Ruhe ist mir teuer. Das ist ein schönes Buch, und ich muß es nicht mehr kaufen und ich frage mich, wem nun das Verdienst an dem im Westen begriffenen Ulbricht gebührt, dem Zwerenz oder, wie ich bisher dachte, dem Haffner. Grüß Dein Weib. Ganz Dein Peter. Wie leicht zu erraten ist, geht's um Walter Ulbricht, dennoch bedarf die nachtdunkle Botschaft der Aufhellung. Meine Feindschaft gegen den Mann gründet im Jahr 1953, ausgeprägter noch in den Jahren 1956/57, als Ulbricht die nach dem XX. Parteitag der KPdsU eben anhebende Veränderung in Politik und Kultur rigoros abbrach und unterdrückte. Eine Abrechnung erschien mir hoch an der Zeit. Für den stern begann ich 1961 die Serie „Des Kremls Kreatur“ zu schreiben. Der Titel war vom Exkommunisten Herbert Wehner angeregt, vom Ex-NS-Propagandisten Henri Nannen akzeptiert und vom Exgenossen und Stalin-Opfer Leo Bauer für richtig und zutreffend befunden worden.
Nach kurzer Zeit entstanden Konflikte, wozu zählte, dass sich auf meine Schilderung der Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht der Mordbefehlsgeber Hauptmann Pabst zu Wort meldete und die Verantwortung für seine Schandtaten so großmäulig und selbstgefällig übernahm, wie er sie auch Noske und den Sozis attestierte. Ich sann auf Erwiderung und Revanche.
Im Jahr 1966 erschien in der Reihe Archiv der Zeitgeschichte des Schweizer Scherz Verlags neben Adolf Hitler von Karl-Dietrich Bracher, Wilhelm II. von Golo Mann, Konrad Adenauer von Helmut Lindemann und Franz Josef Strauß von Samuel Wahrhaftig (Pseudonym) mein kleines, eiskalt recherchiertes und objektiviertes Walter-Ulbricht-
Die unideologische Betrachtungsweise zog nach sich, dass Lotte Ulbricht die Haffner-
Mein Entschluss, den wuchernden Spekulationen diverser Ulbricht-
Haffner war übrigens als Kalter Krieger aus dem britischen Exil zurückgekehrt. Noch in meinem List-Taschenbuch Wider die deutschen Tabus, 1962 polemisierte ich gegen ihn. Erst die Spiegel-Affäre mit Augsteins Verhaftung brachte ihn zur Besinnung.
Spätestens seit Arthur Koestlers Buch Sonnenfinsternis ließ sich das Ost-
Bleibt Baierls Beschäftigung nach 1989 mit meinem Ulbricht- Bändchen. Als die Partei 1957 Zwerenz auszuschließen beschlossen hatte und die damit befassten Grundorganisationen es starrsinnig verweigerten, so dass die hohe Kontrollkommission eingreifen musste, war Genosse Baierl stramm parteitreu geblieben und hatte offen und insgeheim gegen Zwerenz agiert. Das tat Hacks zwar auch, doch sicherte er sich per Brief an den Auszuschließenden ab. Anno 1989 geriet Baierl in Zugzwang, wollte sich informieren und reformieren und starb darüber hin. Das tat mir leid, ich hatte ihm vergeben. Was jedoch Walter Ulbricht angeht, so betrifft meine Haltung im Buch von 1966 im Sinne der neuen Ostpolitik den Deutschlandpolitiker, nicht aber dessen DDR-interne Aktivitäten.
Im Kai Homilius Verlag erschien der von Siegfried Prokop herausgegebene Band Zwischen Aufbruch und Abbruch – Die DDR im Jahre 1956. Wer über Ulbricht und Mielke Illusionen hegt, der kann dort ein für alle Mal geheilt werden. Die Geburtshelfer der DDR waren leider zugleich ihre Totengräber.
Ulbricht und Mielke erwiesen sich im Fall Ernst Bloch als exemplarische Philosophenverfolger. Mielkes kriminelle Energie eskaliert derart, dass er, wo Ulbricht bei Bloch Konterrevolution vermutetet, dem Hoffnungsdenker das damals todeswürdige Verbrechen des Trotzkismus unterstellte. Wer heute noch nicht sehen will, was Stalinismus bedeutet - hier findet er das Exempel einer konterrevolutionären Geschichts- und Kulturblindheit.
Der Fall Walter Ulbricht bedarf weiterer Klärung. Der Mann hatte als Soldat im 1. Weltkrieg seine ganz eigene couragierte Wahl gegen den Krieg getroffen. So wurde er Kommunist, ohne es jemals zu sein. Als sozialdemokratischer Kriegsgegner verließ er seine Partei und konnte als Revolutionär nicht mehr zurück. Seine Deformation spiegelt die Deformation der Sowjetunion nach Lenins Tod und nahm die Deformation der DDR vorweg. Wer gerecht urteilen will, darf die Deformationen der antikommunistischen Gegenseiten nicht vergessen.
Am 10. Mai 1971 titelte der Spiegel über Walter Ulbricht: „Der meistgehasste, meistunterschätzte Mann – was dem DDR-Gründer gelang, wo der Staatsratsvorsitzende scheiterte“. Im Artikel hieß es dann: „Äußerungen von Schriftstellern und Publizisten veranschaulichen den Sinneswandel. In den Galgenliedern von heute schrieb Gerhard Zwerenz 1958 über Ulbricht: ›du bist ein kleiner Mann / ein Pförtner / eine graue pfeifende Maus / die das Seil zernagt. / Das Seil / an dem ein Fallbeil hängt.‹ 1966 urteilte Zwerenz, Ulbricht sei der ›einzige Marxist unter den Parteiführern Deutschlands‹, die Verkörperung ›der deutschen revolutionären Tradition‹, ein ›Politiker von übernationaler Bedeutung‹.“
Anschließend wird auch Sebastian Haffners veränderter Blick auf Ulbricht konstatiert. Das hat gemeinsame Gründe, die nachlesbar sind in konkret vom September 1966, wo Haffner mein kleines Ulbricht-Buch ausführlich besprach.
Nach dem Wechsel 1957 von der DDR in die BRD brauchte ich sieben Jahre, den Bruch und Neuanfang soweit zu objektivieren, dass ich wieder analysefähig wurde. Einer der wenigen, die mir mit Verständnis begegneten, war Sebastian Haffner, der über meine Ulbricht-Studie in der Zeitschrift konkret eine Eloge schrieb, die mich hätte zur Unbescheidenheit verführen können, wären die Angriffe anderer nicht derart höhnisch und gehässig gewesen, so dass sich Haffner um so deutlicher als einziger weißer Rabe aus einer krächzenden schwarzen Schar hervorhob. Da der Publizist selbst als Widerpart von William S. Schlamm vielbefehdet war, nahm ich's als Beistand eines Bruders im Geiste und legte seinen Artikel beiseite. Im Abstand von Jahrzehnten wiedergelesen zeigt sich, Haffner nutzte die Lektüre meiner Schrift zu einem eigenen Ulbricht-Porträt, wie ich es zwar mit Fakten nahegelegt, aber nicht verfasst hatte, obwohl er mir dies großmütig bescheinigte: „…die stärksten Passagen in Zwerenz' Studie sind die, in denen er das herausarbeitet. Hier ist einiges so gut und scharf gesehen, wie es mir auf diesem vielbeackerten Gebiet noch nie untergekommen ist. ›Ob man es schätzt oder nicht‹ schreibt Zwerenz, ›Walter Ulbricht stellt in seiner Person und als Exponent seiner Partei die Kontinuität der deutschen revolutionären Tradition dar; und indem er sich einen Staat schuf, vereitelte er alle westdeutschen Bestrebungen, die revolutionäre Tradition der Linken in Deutschland zu eliminieren.‹
Vielleicht erklärt d a s den wilden persönlichen Hass des westdeutschen Bürgertums (einschließlich seines sozialdemokratischen Flügels) gegen Ulbricht. Vielleicht liegt aber auch gerade darin Ulbrichts historisches Verdienst um Deutschland: den Mord an der deutschen revolutionären Tradition, der Hitler schon einmal zwölf Jahre lang gelungen schien und den das deutsche Bürgertum gar zu gern aus der Hitlerschen Hinterlassenschaft herübergerettet hätte, verhindert zu haben.“
Haffner beendet seinen Artikel mit den Worten: „… ich kann das, was hier zu sagen ist, nicht besser ausdrücken, als indem ich Zwerenz zum Abschluss selber sprechen lassen: ›Die Deutschen, die aus ihrem Kampf gegen andere Völker eine mörderische Volkstums- und Rassenideologie entwickelt haben, sehen sich nun innerhalb ihres eigenen Volkes als Deutsche gegen Deutsche stehen und spielen diesmal das Spiel Feindschaft selbst mit verteilten Rollen. Womit die Teilung zur letzten Probe auf den Nationalcharakter der Deutschen wird, zur Prüfung, ob die Deutschen ihre Aggressionstriebe zu zügeln und sich selbst zu ertragen vermögen. Sie müssten dabei dem herkömmlichen Weg kriegerischer Auseinandersetzungen entsagen, mit dem Gegner leben, Feindschaft in zäher Kleinarbeit zu Partnerschaft verwandeln, die Kunst des Kompromisses und Friedensschlusses erlernen, kurz, alles das tun, was ihnen unendlich fern liegt, weil sie ihre Gegner jeweils zu verteufeln und sich selbst samt ihren Prinzipien zu vergotten pflegen.“
Haffner zitiere ich hier so ausführlich, erstens aus wohliger Eitelkeit und zweitens wegen meiner kaum zu bändigenden Wut auf eine nachgewachsene Politkaste und Intelligentsia, die unsere deutschen Kriegs- und Niederlage-
Als die Wehrmacht in Stalingrad angelangt war, versicherte Hitler, er werde nie mehr von dort weggehen. Als Stalingrad von der Roten Armee eingeschlossen war, hieß es, man könne Russland der Folgen wegen nicht aufgeben. Als die Franzosen von den Vietmin geschlagen wurden, rückte die US-Army ein, da Vietnam wegen der Domino-Theorie nicht aufgegeben werden dürfe. Als Breschnews Sowjetarmee Afghanistan besetzt hatte, konnte er das Land der Folgen wegen solange nicht verlassen, bis er es verlassen musste. Dann rückten die Vereinigten US-NATO-
Da ich mich 1957 beim erzwungenen Weggang aus der DDR zu meinem eigenen Agenten des Dritten Weges ernannte und danach als freiwilliger Sonderbotschafter Sachsens im westlichen Ausland fungierte, fällt es mir nicht schwer, nach der misslungenen deutschen Vereinigung eine Friedenspartei des Dritten Weges zu gründen. Sachsen wäre imstande, als Freistaat eine aktive Rolle mit Sonderbeziehungen zu Polen, Tschechien, Russland, China zu spielen. Auch sollte die Partei des Dritten Weges keine Parteipolitik betreiben, was, wie wir x-mal erlebten, nur zur parteilichen Unzucht führt, sondern einfach vernünftige Menschenpolitik anstreben, ohne Feindschaft und Kriegsdrohungen, stattdessen mit einer Außenpolitik, die von einem evangelischen Theologen, etwa Pastor Schorlemmer wahrgenommen werden könnte, den ich mir als Nachfolger Martin Niemöllers denke. Wie Niemöller die Bonner Republik zu pazifizieren versuchte, trat ja Schorlemmer einst in der DDR vor westlichen Kameras als Pazifist auf, mit dem Hammer am Amboss Schwerter zu Pflugscharen umschmiedend – vielleicht passte das auf die nächste Buchmesse in Leipzig, also von Sachsen aus für das ganze darin einige Deutschland? Dass Schorlemmer im ND die Schwäche der DDR u.a. am fehlenden Toilettenpapier festmachte, sollte kein Hindernis sein, erstens kam die Menschheit Jahrtausende hindurch ohne Klorollen aus, zweitens gibt's in der Berliner Republik davon mehr als die ganze Scheißdreck-Kollektion benötigt, drittens sollte die sozialistische Zeitung Neues Deutschland sich offen als Zentralorgan der Protestanten, Evangelen und Lutheraner erklären. Schließlich agiert die FAZ vom Main her als benediktinisch-
Kaum hatte ich den Tatsachenbericht über Hacks, Haffner, Ulbricht abgeschlossen, meldet die Presse große Neuigkeiten. Erstens gilt Walter Kempowski endgültig als wohlhonorierter US-Spion (FAZ 2.5.2009). Wundere sich, wer bisher naiv war. Zweitens die tatsächliche Neuigkeit: „Vier Monate vor der Landtagswahl hat der sächsische Ministerpräsident Tillich auf einem ›Zukunftskongress‹ mit dem Titel ›Wie soll Sachsen 2020 aussehen?‹ verlangt, der Freistaat solle ein ›Wachstumsland, ein Bildungsland, ein Innovationsland und ein Familienland‹ sein. Er schlug vor ›einen Sachsen-
Nun, die Idee mit der Internetplattform ist gar nicht so übel. Wie wär's mit dem Leipziger poetenladen? Technisch und stilistisch bieten wir, höflich wie wir sind, unsere fürsorgliche Beratung an. Inhaltlich könnten wir ganz unhöflich wegen Urheberrechtsverletzung Klage erheben. Weil der Ministerpräsident fordert, was wir in unserer exemplarischen Serie mit bisher 78 Folgen schon formulierten, und in den weiteren 21 Folgen wollen wir das noch ebenso sattsam beharrlich tun – egal ob vor oder nach einer Wahl. Lieber Herr Ministerpräsident, wir bitten fröhlich um weitere Plagiate, schließlich will Karl Mays Liebe zu den Roten ja auch erfüllt werden …
Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 18.05.2009.
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