Die Differenz zwischen links und rechts
Am 23.5.09 in der Bild-Sparte Gewinner und Verlierer: „Als zum Abschluss des Verfassungs-Staatsaktes gestern in Berlin die Nationalhymne gesungen wurde, kniff Dagmar Enkelmann (53) verbiestert die Lippen zusammen. Fast alle Mitglieder der Linksfraktion im Bundestag folgten dem Beispiel ihrer Fraktionsgeschäftsführerin. Dabei konnte die blonde ›Daggi‹ früher als SED-Mitglied doch immer so schön singen (›Auferstanden aus Ruinen …‹)
Bild meint: Für neue Lieder ist es nie zu spät! “ Ich meine: Für alte Lieder ist es in Deutschland auch nie zu spät. Immerhin ersparen uns die nationalen Maulquappen vorläufig noch die erste Strophe des Deutschlandliedes. Die DDR sparte nach einiger Zeit sogar den gesamten Becher-Text ein, obwohl der sich sehen und hören lassen konnte. Gruß und Kuss an Daggi für ihr Verstummen bei der Nazionalhymne. Wenn schon gesungen werden soll, dann Brechts Kinderlied.
Die einzige Ohrfeige, die mir mein Gablenzer Großvater je verpasste, war eine Quittung fürs Geplapper des Achtjährigen, der vom Kriegshelden Hindenburg erzählte, wie es ihm der Volksschullehrer vorgequatscht hatte. Das Deutschlandlied? Eine Hymne für Arschgeigen. Was wagt Bild einem zuzumuten – Ehrfurcht vor dem Lied der Deutschen? Was soll so ein bejahrter Knabe wie ich noch alles brav und blöd mitsingen? Deutschland, Deutschland über alles – Die Fahne hoch. Auferstanden aus Ruinen hat doch was für sich. Grass sang als unbedarfter Waffen-SSler ehrlicherweise Hänschen klein.
Aus unerfindlichen, vielleicht poetischen Gründen fällt mir Kafkas Tür-Parabel Vor dem Gesetz ein. Beim Stichwort Tür schiebt mir das Mittelzeit-Gedächtnis eine Münchner Szene vors schräge Potzblitz-Auge.
1968 saßen Peter Bichsel, zwei Münchner Freunde und ich in einem Schwabinger Lokal, als sich ein seltsamer junger Mann ungebeten dazugesellte. Mein beinahe untrüglicher Sinn für falsche Fuffziger und maskierte Nullen trieb mich dazu, ein exotisches Körbchen, das der fremde Anbiederer bei sich trug und am Tischbein abstellte, umzustoßen. Unter allerlei Krimskrams kamen Mikro und Bandgerät zum Vorschein.
Bichsel zog dem Jungen den falschen Bart vom Gesicht, wir lachten, aber es war gar kein Fasching, der Typ eilte zur Toilette, ich ihm nach. Den in der Tür Eingeklemmten bearbeitete ich solange, bis er zugab, ein Dreigroschenjunge zu sein. Es war nicht die feine Art, wie ich mich benahm, noch war ich ein vierzigjähriger Jähzornling, als Spätpubertant erinnerte ich mich an die Nahkampfausbildung bei der Wehrmacht und dachte, sie sei doch endlich zu etwas nütze. Es wurde mein Abschied von den physischen Brachialmethoden der Jugend. Von da an mied ich Leute, die nach Agententum rochen. Oder ich lachte sie aus.
Als wir in Offenbach wohnten, flüsterten mir Nachbarn, geheimnisvolle Herren hätten bei ihnen vorgesprochen und sich nach mir erkundigt. Nun ja, uns besuchten allerhand ungeklärte Gestalten aus Ost und West von Jochen Steffen über Rudi Dutschke bis zu Erich Loest.
Jahre später, im Hochtaunus, bat ein abgerissener dänischer Seemann um Nachtquartier in unserm Haus. Ingrid hatte sich schon erweichen lassen von seiner Story, einige Wochen als Schiffskoch gearbeitet und einen Unfall erlitten. Beim schweren Sturm sei ihm an Deck ein Mast auf den Kopf gefallen, seither stottere er. Das Stottern traf zu. Unser Verhalten wies uns wohl als gastfreundlich und hilfsbereit aus. Mit der Bitte um Solidarität in Notfällen waren schon oft Annäherungsversuche geglückt, bis ich aus Erfahrung misstrauisch reagierte. Zum Entsetzen meiner Frau nahm ich mir den Dänen vor, der sich als absichtsvoll ärmlich gekleideter Norddeutscher entpuppte. Da ich ihn, inzwischen angealtert, nicht mit der Toilettentür einquetschte, bekam ich nicht heraus, für welche Seite er arbeitete. Es war mir indessen auch egal. Nur fragte ich mich, was diese Geheimidioten bei uns eigentlich ausforschen wollten. Wahrscheinlich liegt es an der Trägheit ihres Berufsstandes und ihrer Vorgesetzten, dass sie gar nicht anders können als auf der Spur zu bleiben, sie fürchteten wohl, arbeitslos zu werden. Seit dem Annäherungsversuch des falschen Dänen, der dann hochkantig rausflog, registrierten wir keine weiteren derartigen Aktionen. Vielleicht sahen die geheimen Meister die Vergeblichkeit ihrer Mühen ein. Oder es wurde ihnen klar, dass ich inzwischen sehr zurückgezogen lebe und es sich nicht lohnt, mehr erfahren zu wollen, als ich freiwillig publik mache. Das letzte Mal, als es mir schien, es stecke ein Mithörer im Draht, bot ich an, offen zu sagen, was man so dringend wissen wollte. Gegen Honorar. Ich nannte eine hübsche runde Summe. Seitdem herrscht Funkstille. Wahrscheinlich sprengte das von mir verlangte Geld ihr Budget.
Sachsen, ach Sachsen. Gegen den aus Österreich stammenden sächsischen PDS-Vorsitzenden Peter Porsch wurde von Focus die rote Stasi-Karte gezogen. Die einzige Partei, die von Anbeginn klug genug war, glasklar gegen Hartz IV zu votieren, sollte Schaden nehmen, weil den Hartzer Käsefabrikanten die Wähler wegliefen. Es stinkt im Land. Der Vietnamkriegsgegner Porsch übersiedelte 1973 in den anderen deutschen Staat, denn die DDR war gegen diesen Krieg, die BRD dafür. Drei Millionen Vietnamesen verloren ihr Leben, oft durch Fliegerangriffe. Was das für ein kleines Volk bedeutet, sollte zumindest in einer Stadt wie Dresden mit mehr als 30.000 Bombenopfern plausibel sein. Aus nächster Nähe erlebte ich im Bonner Bundestag, wie Gregor Gysi und Stefan Heym mit Stasi-Verdächtigungen überzogen wurden. Jetzt war Peter Porsch an der Reihe. Die dafür zuständigen Politiker fanden nie einWort gegen Nazigeneräle, die von der Seite Hitlers direkt an die Seite Adenauers wechselten wie etwa Adolf Heusinger, der neben seinem Führer stand, als Stauffenberg die Bombe zündete. Die wichtigsten Planer und Aktivisten des deutschen Vernichtungskrieges sollen Helden sein und bleiben, Antifaschisten und Sozialisten jedoch die Stasi-Keule fürchten. Ich war nie ein Freund der Geheimen. Doch im August 1944 rettete mir ein NKWD-Kommissar das Leben, der mich mit der Waffe gegen seine hasserfüllten Soldaten verteidigte. Im Lauf der Jahre hatte ich mit vielen Geheimen von Ost und West Kontakt – wissentlich und unwissentlich. Zur Zeit der Entführungen paktierte ich in Westberlin mit dem Ostbüro der SPD, mit dem ich brach, als ich erfuhr, wie leichtsinnig, schäbig und verlogen es sich gegenüber Wolfgang Harich verhielt. Wir können uns sehr gut eine Welt ohne Geheimdienste vorstellen. Solange sie jedoch existieren, ist es schändlich, nur die eine Seite anzuklagen. Damit im Wahlkampf zu taktieren ist juristisch anfechtbar, politisch dumm und charakterlich defektiös. Bürgerrechtler, die dabei mithalten, verwandeln sich in Bürgerunrechtler. Antikommunisten, die nicht zugleich Antifaschisten sind, handeln nicht antitotalitär, sondern nazigleich. Hannah Arendt sah im weltweiten Antikommunismus die dritte totalitäre Gefahr.
Die totalitäre DDR-Gefahr erlebte ich 1976 als Komödie en miniatur. Ein feindlicher Herr ZK-Genosse Arne Rehahn, der mir 1959/60 mit einem „Sonderauftrag“ gefährlich nahe gerückt war, hatte das Zeitliche gesegnet. Tollkühn geworden riskierte ich einen Einreiseantrag in die mir verbotene DDR. Die deshalb im Sozialismus ausgebrochene Hektik samt Wirrnis ist in ca. 50 Seiten Amtssprache inklusive Fotoreportage dokumentiert. In der Akte mit dem Beobachtungsauftrag Revisionist heißt es: „Der Zwerenz, seine Ehefrau Ingrid, geb. Hoffmann und seine Mutter am 27.8.76, 13.48 Uhr, auf dem Kirchplatz in Crimmitschau.“
Folgt ein Fotoroman in 19 scharf gestochenen, künstlerisch gewiss wertvollen Bildern. Danach kommt ein handschriftlicher Vermerk über den genehmigten Aufenthalt des Zwerenz, Gerhard mit Ehefrau Ingrid, geb. Hoffmann in der Zeit vom 24.8. – 28.8.1976 in der DDR. Ort dieser Dichtung: Berlin, MfS HA XX/7.
Der Vermerk lautet so:
„Durch die BV-Karl-Marx-Stadt wurde das Ehepaar Zwerenz während des Aufenthaltes in Crimmitschau vom 24.8. – 28.8.76 unter operativer Kontrolle gehalten. Im Rahmen der Bewachung, die nicht durchgängig durchgeführt werden konnte, wurde festgestellt, dass Zwerenz sich absicherte und seine Umgebung kontrollierte. Gegenüber einem IM, der als Journalist legendiert mit Zwerenz ein Gespräch führte, gab sich Genannter aufgeschlossen und betont loyal. Aus der Art und Weise der Behandlung seiner Einreisegenehmigung in die DDR kommt Zwerenz zu der Schlussfolgerung, dass die Hintergründe dafür möglicherweise bis in zentralen Stellen in Berlin reichen. Im Weiteren nahm Zwerenz wiederholt auf seine Erklärung in der Westpresse Bezug, so auch auf die Welt, und unterstrich seine dort getroffene Versicherung, dass er auf dem Boden der DDR nicht die Absicht politischer Aktivitäten oder gar Demonstrationen habe.“
Die Auszüge aus den MfS-Akten werden hier unkorrigiert gedruckt. Um Platz zu sparen, belegen wir die Geheimdienstkünste in Wort und Bild nur mit einigen Kostproben:
Weil der Staat DDR einen Kontakt des für 3 Tage eingereisten Zwerenz mit Erich Loest im 72 km entfernten Leipzig befürchtete, wurden wir beschattet, wurde Loest in Leipzig beschattet, wurden Kontrollen und Straßensperren in mehreren Städten errichtet, gab es Alarm bei Polizei und Armee, rätselten Agenten bis hinauf zum General. warum ›der Zwerenz und seine Ehefrau‹ im Dorfe Gablenz an einem Platz mit ›mehreren Teichen‹ spazieren gingen. (Es sind nur zwei Teiche.) Warum er dort photographierte. Nun ja, dort steht sein Geburtshaus, das er nach 19 Jahren wiedersah. Auf einen so banalen Grund kommt ein Geheimdienst nicht, der naturgemäß Konspiratives argwöhnt.
Ingrid aber, die ›Ehefrau des Zwerenz‹, ist nach Lektüre des geheimen ›Beobachtungsberichts‹. einerseits höchst erheitert, weil die Observierer zu dämlich waren, ein Straßennamenschild richtig abzulesen, sie schreiben immer ›Gerhard Hauptmann‹ und missgönnen dem Dichter das t in seinem Vornamen. Andererseits ist Ingrid über die Beobachtungen stinksauer. Denn der letzte Satz der Herren Major Schnabel und Hauptmann Härtl lautete: ›Im Beobachtungszeitraum wechselten beide ihre Kleidung nicht. Die Kleidung wirkte ungepflegt und abgetragen.‹
So was lässt sich eine moderne Frau nicht ungerächt nachsagen. Zumal der beiliegende Fotoroman die Stasi-Aussage Lügen straft.
Übrigens hörte unsere Observation am 28.8.76 um 14.45 Uhr, als wir die DDR bei Wartha verließen, nur für Minuten auf und wurde auf BRD~Gebiet fortgesetzt. Von wem wohl? Das weiß ich nicht, denn meine westlichen Geheimakten durfte ich bisher noch nicht lesen. Meine östlichen Akten, die am 6.12.1956 bei der Stasi Leipzig begannen, endeten erst 33 Jahre später. Die letzte Notiz (MfS AOP 3215/87) lautet:
›Akten und 15 Tonbandspulen am 5.6.1989 Löschung eingeleitet.‹ Monate später verlöschte die DDR. Soviel kann ich gar nicht lachen, wie diese fähigen Geheimdienste Humor absondern. Lachen aber möchte ich schon und rate auch andern mit ähnlichen Erfahrungen zu dieser Therapie.
Das Exempel erhellt zugleich den himmelweiten Unterschied zwischen Stasi und Gestapo. Wo die Stasi einen Affentanz von drei Tagen mit irrem Aufwand aufführte, hätten Gestapo und SS kurzen Prozeß gemacht. Hüten wir uns vor der Heldenpose. Diese DDR war kein Drittes Reich.
Ein Blick in die Politik- und Kulturgeschichte lehrt, es war stets das Vorrecht unkonventioneller Personen, die Aufmerksamkeit geheimer Dienste auf sich zu ziehen und misstrauisch observiert zu werden. Wir sollten uns nicht selbst so wichtig nehmen wie die Dienste uns, erst in Ost, bald auch in West, die krebsartigen Wucherungen sind ohne unseren davon ausgehenden Größenwahn nicht ansteckend.
Zu warnen ist noch vor der Verführung, die insbesondere Schriftstellern naheliegt, von den Akten und Observationen identitätsstiftende Wirkung zu beziehen, woraus im Handumdrehen ein Ersatz für das werden kann, was die wahre Identität ausmacht – das kreative Werk.
In der Zeitung, die am 30.5.09 vom Fund der vermutlichen Leiche Rosa Luxemburgs in der Berliner Charité berichtet, lese ich auch einen Artikel über den Mord am chilenischen Sänger Victor Jara beim Pinochet-Putsch. Man zerschmetterte ihm per Gewehrkolben die Hände, damit er nie mehr Gitarre spielen konnte. Die Leiche des Gefolterten wies 44 Einschüsse auf. In den folgenden Jahren bemühten wir uns, bei der Bonner Regierung für entkommene Chilenen Einreiseerlaubnis zu beschaffen. Die DDR war da aktiver und solidarischer als die BRD. Der vermutlichen Luxemburg-Leiche fehlen Hände und Füße, meldet man aus Berlin. Die Herren Mordoffiziere im Dienst von Ebert-Noske-Pabst hatten mit Metallschlingen Steine daran gebunden. Die Drähte schnitten die Gliedmaßen ab, so konnte der Leichnam im Berliner Landwehrkanal auftauchen. Rosas Kopf entsorgte ein Unbekannter. Das wird indessen zwar alles bestritten, passt aber zu den Mördern wie die Legende meines Leipziger Freundes Hans Pfeiffer, der sich 1997 im dortigen Militzke-Verlag Historische Phantasien unter dem Titel Der Selbstmord der Rosa Luxemburg erlaubte. Mich erinnert das an Trotzkis Schädel, den Stalins Mordbube mit einem Eispickel zertrümmerte. Dennoch war die Sowjetunion verteidigungswert. Hitler-Deutschland war es nicht. Das ist die Differenz, auf die es ankommt. Sie verbindet mit den Genossen.
Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 22.06.2009.
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