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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 47. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
47. Nachwort |
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Damals, als ich als Boccaccio ging …
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Jochen Voit
Er rührte an den Schlaf der Welt
Ernst Busch: Die Biographie
Aufbau Verlag 2010
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Im Spiegel vom 7.6.2010 bespricht Nikolaus von Festenberg die vor kurzem erschienene Ernst-Busch-Biographie von Jochen Voit. Buchtitel: Er rührte an den Schlaf der Welt. Spiegel-Rezensions-Überschrift: Der zwangstreue Sohn. Ja, wir zwangstreuen und doch linkstreuen Söhne, denke ich und stolpere mitten im Text über meinen Namen: „Gerhard Zwerenz, eine Art Boccaccio der Studentenszene, beschrieb die sexuellen Erregungen ansonsten zugeknöpfter linker Frauen, wenn sie sich zu Buschs Spanischen Bürgerkriegs-Liedern öffneten: ›Ich lag und wurde gesungen … auf mir turnte dieses Leichtgewicht von revolutionärem Irrsinn herum, diese bleischwere Illusionistin, ach du meine Güte.‹“ In der Tat wird in der Biographie des Sängers erotisierende Wirkung belegt mit einer Szene aus meinem TB-Roman Salut für einen alten Poeten – Rückblick aus dem Jahre 1994 auf die goldenen siebziger Jahre, bei Goldmann 1980 erschienen. Die Story geht etwa so:
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Gerhard Zwerenz
Salut für einen alten Poeten
Goldmann 1985
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Soviel über das TB-Bändchen. Und nun ein Stück Text vom Ende und so ganz und gar aus dem bewegten Leben gegriffen:
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So sieht der Leipziger Hartwig Runge
die Kumpel
Gablenz und Zwerenz |
Potzblitz und Donnerschlag, so schön prophetisch dichtete unsereins damals. Melancholisiert trete ich auf die Terrasse. Der Himmel ist finster wie im Bärenarsch. Verdrossen sitzen die Vögel auf schwankenden Ästen. Das Zwitschern ist ihnen vergangen. Mama Elster sucht Baum, wo's nicht durchregnet. Papa Eichelhäher hockt sauer auf einer Eiche. Die Krähen krähen, die Stare halten den Schnabel. Ein paar Kohlmeisen verstehen die Welt nicht mehr und lassen die Flügel hängen. Mir ist nach Boxen zumute: K.o. dem dämlichen Wetter. Bald trocknen die Flüsse aus, bald gibt's Überschwemmungen. Oder liegt es an den Fernseh-Wetterfröschen, die täglich so tun, als wüssten sie was. Die Idee mit dem Boxen ist gar nicht so übel. Das behebt Aggressionen. Ersatzweise entschließe ich mich zum Deutschlandlied. Bevor die Box-Champions einander die Fresse polieren, erklingt die Nationalhymne. Weil ich nie sicher bin, welche Strophe gerade genehm und welche laut zu singen untersagt ist, summe ich die Melodie durch leicht entblößte Zähne. Scheiß auf den Text, rufe ich den trübsinnig auf ihren Zweigen postierten Vögeln von meiner sicheren, überdachten Terrasse aus zu. Eine wohlerzogene Amsel nickt mit dem samtenen Kopf und schlägt dreimal mit den Flügeln. Wahrscheinlich ist das ihr Deutschlandlied. Und boxen kann sie ja nicht. Wir befinden uns zum Anfang des 3. Jahrtausends im Zustand permanenter Wahlkämpfe. Wer da noch durchblickt, erkennt, es gibt nur die Wahl zwischen Selbstmord und Scheintod. Wer alt genug ist, kann sich glücklich schätzen. Er hat gelebt. Das kann ihm keiner mehr nehmen.
Boccaccio in ewig jugendlicher Echtzeit
Und wo bleibt der im Spiegel versprochene Boccaccio aus den Jahren der Studentenbewegung? In der Ernst-Busch-Biographie ist auf den Seiten 360/361 die im Spiegel konstatierte Boccaccio- Szene abgedruckt, leider gekürzt und von einem bierernsten soziologischen Kommentar unterbrochen. Wer die ganze Story lesen will, findet sie in Salut für einen alten Poeten ab Seite 111, im Kapitel „Singen mit Ernst Busch“ – waren das damals noch erotische Hochzeiten und gar mit sozialdemokratischen Busch-Genossinnen aus der Bonner Vorwärts-Redaktion. Heute sind die alle in Rente.
Salut für einen alten Poeten, geschrieben 1980, ist mir drei Jahrzehnte später zu einem Stück vorweggenommener Zukunft geworden, also Gegenwart. Gestern abend im Fernsehen erfuhr man einiges über Pastor Gaucks „schönes Gesicht“ und seine jugendlichen Abenteuer. Weil ich den Mann ernst nehme, verstärkt sich der Eindruck, in ihm einerseits und Schorlemmer andererseits setzt sich heute der Konflikt zwischen Reichsbischof Müllers Deutschen Christen und Bekennender Kirche mit Pastor Niemöller aus der NS-Zeit fort. Der Feind hat ewig links zu stehen. Kurz vor Stefan Heyms Rede 1994 als Alterspräsident des Bundestages förderte die Gauck-Behörde falsche Anschuldigungen zutage, ein lebenslang linker deutsch-jüdischer Schriftsteller, den Nazis gerade noch entkommen, sollte für das Festhalten an seinen sozialistischen Überzeugungen büßen. Dankbar und triumphierend blieb Helmut Kohl samt CDU-Fraktion nach Heyms Eröffnungsrede sitzen, Gauck hat's legitimiert – weiter im Text, die Polit-Christen Lothar de Maizière und Manfred Stolpe verwahren sich gegen Gaucksche Anschuldigungen, das sind so Glaubensbrüder unter sich, wenn der Rostocker Freiheitspastor seines Amtes waltet, dass die Presse jubelt bis hin zur Jungen Freiheit, die gern den Rechtsaußen-Nachwuchs für die FAZ spielt, die wiederum für so junge Freiheiten wie Steinbach, Gauck, Sarrazin permanente Werbung betreibt, ob bezahlt oder gratis.
Gauck wurde von SPD und Grünen als Bundespräsident vorgeschlagen. Heym saß für die PDS im Parlament. Wie geht wer für wen gegen wen weiter vor? Steht die West-SPD mit ihrem Engel Gabriel gegen die Ost-SPD? Wie lautet die Ortsbestimmung – zurück zum Kommunistenhasser Kurt Schumacher oder über Willy Brandt und Egon Bahr vorwärts wohin? Bleiben die West-Sozis antilinks und setzen auf Abspaltung von der Partei der Linken oder erstarkt die Linkspartei durch Zulauf von linken Sozialdemokraten, Linkssozialisten und Gewerkschafts-Revolteuren? Das Fünfparteien-System möbelt auf, ohne am Niedergang Europas etwas zu ändern. Es fehlt die Courage zur Rationalität. Die kollektive Marx-Phobie blockiert jeden Ansatz. Eingreifendes Denken scheitert an der bleiernen Machtelite. Die neuen Fronten sind die alten. Gegen eine Abschaffung der Wehrpflicht argumentiert Oberst Kirsch, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, jederzeit könne wieder eine Situation wie im Kosovo oder in Georgien entstehen. Wehrpflichtige Bundeswehr-Soldaten nach Georgien? Reicht denen Stalingrad noch nicht? Wollen sie weitermarschieren? Der Wehrmachtsoldat trug Gott mit uns auf dem Koppelschloss. Die Bundeswehrführung trägt das Koppelschloss im Kopf. Die von zu Guttenberg konzipierte Bundeswehrreform sieht statt der bisherigen 5.000 Soldaten künftig 10.000 Soldaten für Kriege im Ausland vor. Der Bruch des Grundgesetzes hat legal zu erfolgen. Carl Schmitt, der Nazistaatsjurist feiert Auferstehung. Ernst Jünger schießt ihm Salut.
Im Herbst 1944 saßen im bjelorussischen Hauptlager Bobruisk drei deutsche Deserteure beisammen. Sie hatten gehandelt. Das Risiko muss einer auf sich nehmen, will er nicht jeden Morgen weiter mit der braunen Scheiße gurgeln. Unsere Herren Offiziere, die bis zur letzten Kriegsminute daran Gefallen fanden, schufen sich damit die Voraussetzung, zur Elite Adenauers zu avancieren.
Was ist heute Roman und was Alltag? Was ist Satire und was Tatsachenbericht? Am 31.10. 2010 erschien in der FAS eine ganzseitige Besprechung des Buches War – Autor ist US-Reporter Sebastian Junger, der „von den Seelen der Soldaten im Krieg“ berichtet und wie „der Krieg sie süchtig machte“, weil: „Jeder Kampf bringt so einen Rausch“ und : „Der Kriegseinsatz … bringt Menschen hervor, die … nur noch Krieg können, denen der Krieg zum Leben wird.“ In der Rezension wimmelt es vom fatalen Wort Einsatz, als habe es nie Aufklärung über Unmenschenvokabeln gegeben. So feiert Ernst Jüngers Kriegsmystik in War seine US-amerikanische Wiederkehr. Die westliche Wertegemeinschaft funktioniert wie unsere christliche Rüstungsindustrie. Am selben 31.10. bringt dieselbe FAS ein durchaus skeptisches Gespräch mit Stefan Zoller, dem Chef der EADS – Militärsparte. Das endet so: „›Rüstungsmanager leben seit jeher mit dem Vorwurf, dass sie ihr Geld mit dem Leid anderer Menschen verdienen. Trifft Sie das?‹
›Rüstung ist nicht mehr der richtige Gesamtbegriff für unser Geschäft. Bald erwirtschaften wir die Hälfte unserer Umsätze mit reinen Sicherheitslösungen. Fragen Sie die Menschen, ob der Staat Geld ausgeben soll, damit wir sicher leben! Die Antwort ist: ja. Sollen wir etwas gegen Piraten tun? Natürlich, warum tun wir nicht mehr? Sollen wir die Grenzen sichern, die Flughäfen? Da sagt jeder ja. Sollen unsere Soldaten, die in Afghanistan den Kopf hinhalten, optimal ausgerüstet sein? Ja. Und nicht zu vergessen: Wenn unsere Soldaten schon auf Beschluss unserer Volksvertretung das Gewaltmonopol anwenden müssen, sollen wir dann vermeiden, dass es Kollateralschäden gibt, wollen wir Geld dafür ausgeben, dass keine Frauen und Kinder in Mitleidenschaft gezogen werden? Selbst dafür kriegen Sie ein Ja. Und ich sage Ihnen: Die Mitarbeiter dieses Unternehmens sind stolz, ja sehr stolz, dass sie ihren Beitrag leisten, damit die Welt etwas sicherer wird.‹“
Das Gespräch offenbart die zwingende Notwendigkeit unserer Rüstung aus Sicherheitsgründen, und weil durch Sparmaßnahmen 25.000 Jobs verlustig gehen könnten, warnt die IG Metall schon davor. Wir müssen also unbedingt Mordwerkzeuge produzieren so wie die Soldaten, einmal im Krieg, nicht damit aufhören können. Vielleicht sollte Pastor Gauck bei seinen Schul-Lesungen aus beiden FAS-Artikeln nach dem Motto zitieren: Krieg ist lebensnotwendig, weil sonst Mensch und Maschine arbeitslos werden. Merke: Die Begründungen für Rüstung und Krieg wechseln, sie selbst sind unverzichtbare Bestandteile unserer Leitkultur.
Aus einem Soldatenleben
ohne Schminke |
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Aus einem Historikerleben
ohne Weihrauch |
Am 18.10.2010 starb in Altenburg/Thüringen der 1925 geborene Historiker Dr. Günter Hauthal. Über ihn schrieb ich in Folge 17 meiner Sachsenserie:
Die Friedhöfe sind angefüllt mit ermordeten Widerständlern. Mit Hilfe der Rosa-Luxemburg-Stiftung legte die Historikerin Jutta Seidel die Schrift Das große Dilemma – Leipziger Antifaschisten in der SS-Sturmbrigade Dirlewanger sowie die Häftlingsbiografie Paul Nette... dass mir weiter nichts fehlt als die Freiheit vor. Drei Bücher von Günter Hauthal über den Widerstand im sächsisch-thüringischen Grenzgebiet sind im Altenburger S. Sell Heimat-Verlag erschienen. Das sind nur einige private Beispiele, die sich fortsetzen lassen. In unserem Hausarchiv stapeln sich die Beweise. In Folge 37 kam ich auf den Autor zurück: Vom Altenburger Historiker Günter Hauthal las ich auch die Autobiographie Als junger Soldat der Fallschirmpanzerdivision HG von 1943 bis 1945 vom Kriegsglück begünstigt, 2007 im Selbstverlag erschienen, wo sonst bei den kaputten Kulturstrukturen des besiegten Ostlandes. Wieder fällt auf – 1. wie real und ungeschminkt der Krieg darzustellen ist, wenn keine Ideologie und kein die Verkaufs-Chancen kalkulierender Verlag eingreift. Vor Jahren besprach ich mehrere solcher Bücher, gab es jedoch bald auf, weil mir jede Rezension ein Dutzend Postsendungen mit Manuskipten zum Thema einbrachte – 2. berichtet Hauthal von der DHG, der Luftwaffenpanzerdivision Hermann Göring, die in Afrika unterging und danach mit lauter jungen Soldaten neu aufgestellt wurde. Als ich Anfang der sechziger Jahre darüber zu schreiben begann, ergab sich ein Streit mit dem Lektor, der wie ich der DHG angehört hatte, es jedoch verschwieg und erst viel später darüber zu berichten wagte. Ich ging mit meinen Kriegsgeschichten zu anderen Verlagen und seitdem meldete sich eine Reihe ehemaliger DHGler bei mir, die meisten waren geheilt als Kriegsgegner und Genossen von der Front zurückgekehrt. Ähnliches lese ich auch mit Spannung aus dem Hauthal-Buch heraus, in dem vieles enthalten ist, das sonst gestrichen wird.
Nach Günter Hauthals Tod sind aus meinen Notizen Erinnerungen geworden. Bald wird wieder ein Ost-Mensch, der Geschichte dokumentierte, zu den Vergessenen zählen. Das Land, früher DDR genannt, soll nur noch aus Stasi bestehen. Die Sieger aber ehren ihre Frontkämpfer in Ewigkeit.
Spiegel-Artikel vom 30.10.2010
Eben berichtet der Spiegel glücklich glucksend: „Das Deutsche Literaturarchiv Marbach präsentiert den Jahrhundertautor Ernst Jünger.“ Gleich am Anfang ein Foto von Jüngers Stahlhelm mit dem Loch, Überschrift: Zum Glück nur Blut, soll heißen, die Kugel verschonte das Hirn, mit dem die Kampfmaschine später dichtete. Der Krieg bringt eben Männer hervor, die nur noch Krieg können, ist beim US-amerikanischen Sebastian Junger in fast namentlicher Identität zum deutschen Ernst (-fall) zu lesen. Das dumpfe Traditionsgeschwätz wird von Günter Hauthal und nicht nur von ihm widerlegt. Kriegserlebnisse führen keineswegs, wie Geistesarmut und Charakterdefizite soufflieren, zum ewigen Krieger. Soldaten können sogar zu aufrechten Pazifisten mutieren, wenn sie kein Loch im Kopf, sondern das Herz auf dem rechten Fleck der linken Seite haben.
Der Mensch ist das einzige Tier, das sich selbst auszurotten vermag. Da hilft nur ein Bocksgesang weiter, mit dem schon bei den alten Griechen die Tragödie endete. Da ich laut Spiegel „eine Art Boccaccio der Studentenszene“ war, bringt mich das auf unser hohes Paar zu Guttenberg. Beide dominieren momentan Politik, Medien und Volksphantasie. Wird also Karl-Theodor, das Schlossgespenst – so definierte ihn vor kurzem Jutta Ditfurth (mit abgelegtem Adels-von) im Fernsehen – bald Bayernkönig oder in Merkels Nachfolge Kaiser Wilhelm der Dritte? Wer KT genauer betrachtet, dazu mit Bart, kann sich ihn auch als Paul von Hindenburg vorstellen. Der deutsche Adel hat Zukunft? Die reine Wahrheit ist, dieser zu Guttenberg wird von Günter Wallraff gespielt.
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