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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 51. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  51. Nachwort

Scheintote, Untote und Überlebende




In Frankfurt am Main geht ein untoter General­staats­anwalt um. Am 1. Juli 1968 leblos in seiner Badewanne aufgefunden. Wieder­auf­er­standen in Fritz Bauer – Tod auf Raten – Dokumentarfilm von Ilona Ziok. „In Frankfurt sorgt ein Film über Fritz Bauer für heftige Irritationen bei den anwesenden Juristen.“ (FAZ 2.12.2010) So ist das im Leben – kehrt ein Toter zurück, darf im Zwei­fels­fall ange­nommen werden, er sei nur scheintot gewesen. Kann aber auch sein, wir befinden uns in einem Stück mit Untoten. Oder wir sehen alte Filme an, die Darsteller sind längst verstorben, das Licht­spiel verleiht Leben ganz ohne reli­giöse Dimen­sionen. Anders in der Kirche, wo die Gedanken der Christen leicht­füßig zwei­tausend Jahre zurück­schweifen. Wenn es sich nicht gerade um Abtrei­bung, Kondome und Miss­brauch handelt. Das ist Gegen­wart. Der Gläubige nimmt sie hin. Der Ungläu­bige konsta­tiert sie ohne teil­zuhaben. Den Fall des Hessi­schen Gene­ral­staats­anwalts stellten wir im Nachwort 15 dar und zur Debatte:

Fritz Bauers unerwartete Rückkehr

Als ich 1957 Leipzig verlassen musste blieb mein erstes Pseudonym Gert Gablenz bekanntlich inkognito an der Pleiße zurück, um die Geschichte in der sozia­listi­schen Ebene zu beobach­ten. Als GZ stieß ich später zu meinem Glück mitten in Frankfurt am Main auf Fritz Bauer. Wer dieser Mann war, erklärt der tüchtige Saar­ländi­sche Rundfunk in dieser Presse-Information:

Pressemitteilung vom 02.02.2010 | 16:39
Pressefach: Südwestrundfunk (SWR)
Koproduktion des Saarlän­dischen Rundfunks läuft auf der BERLINALE 2010 – Doku­mentation Fritz Bauer – Tod auf Raten – Ein Film von Ilona Ziok

Ilona Zioks Dokumen­tation Fritz Bauer – Tod auf Raten, eine CV Films Produktion in Koproduktion mit dem Saarländischen Rundfunk, wird im Rahmen der Sektion PANORAMA DOKUMENTE im offiziellen Programm der BERLINALE 2010 präsentiert. Fritz Bauer – Tod auf Raten ist eine von nur insgesamt 14 Dokumentationen, die auf diesem inter­national bedeutsamen Film­festival im Programm gezeigt werden: Der Saarländische Rundfunk ist Koopera­tions­partner dieser internationalen Kino­produktion.
Zum Inhalt:
„Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Dass Deutschland in Trümmern liegt, hat auch sein Gutes, dachten wir. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschen­freundlich.“ (Fritz Bauer)

Diese Sätze, die Fritz Bauer 1967 gegenüber dem Schrift­steller Gerhard Zwerenz äußerte, beschreiben den Enthu­siasmus, mit dem der schwäbische Jurist das Nach­kriegs­deutsch­land aus den Fängen der Nazidiktatur in ein demo­kratisches und humanes Staats­wesen über­führen wollte. Nicht nur die Politik, vor allem auch die Juris­prudenz sollte hierzu ihren Beitrag leisten.

Mit Fritz Bauers Namen verbinden sich die Über­führung Eichmanns nach Israel, die Wieder­her­stellung der Ehre der Widerstands­kämpfer des 20. Juli und die legendären Frankfurter Auschwitz­prozesse. Bauer ahnte nicht, dass sich seine Vor­haben zu einer wahren Sisyphus­arbeit entwickeln würden, zu einem Weg voller Behin­derun­gen und Feind­selig­keiten, der in einem viel zu frühen Tod endete, dessen genaue Umstände bis heute rätsel­haft geblie­ben sind.

Ilona Zioks Film Tod auf Raten erzählt von Bauers mutigem Kampf für Gerech­tigkeit. Mit Akribie hat die Regisseurin Archive durchforscht und gewichtige Statements des hessi­schen Gene­ral­staats­an­walts ausge­graben. Um sie herum montiert sie in Form eines filmi­schen Mosaiks beein­druckendes Archiv­material und die Aussagen von Bauers Zeitzeugen: Freunde, Verwandte und Mitstreiter. Dabei entsteht nicht nur die spannende Handlung einer einzig­arti­gen Biographie, sondern auch das ein­drucks­volle Porträt eines der bedeutendsten Juristen des 20. Jahrhunderts. Ausgesuchte Werke klassischer und zeit­genös­sischer Komponisten begleiten die Dokumentation.
Länge: 90 Minuten. Redaktion SR: Michael Meyer, Andrea Etspüler
SR Kommunikation
Saarländischer Rundfunk
Funkhaus Halberg – 66100 Saarbrücken
Internet: sr-online

An linkssozialistischen Untoten und Über­lebenden herrscht bei uns kein Mangel. Im Oktober 1970 gab es breiten Protest gegen die Ent­lassung des Chef­redakteurs der Gewerk­schaft­lichen Monats­hefte Prof. Walter Fabian.

 

Walter Fabian – Linkssozialisten im Westen unerwünscht

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Die Schwierigkeiten Fabians im Westen liefen parallel mit denen des oppo­sitionellen Öko­nomen Prof. Fritz Behrens im Osten. Dazu und über Ernst Bloch wird in der Folge 94/95 unserer Serie berichtet. Links­sozialis­tische Posi­tionen waren beider­seits der Grenze uner­wünscht bis unerlaubt. Ein 3. Weg sollte weder dort noch hier erprobt werden. In den Politikerköpfen ist kein Platz für die Alternative. Meine Antwort darauf ist 1971 in Kopf und Bauch zu finden, unterm Kennwort poetologisches Prinzip Tiefenbohrung. Ohne Rücksicht auf Politik, Ideologie, Ost/West und Lesergeschmack geschrieben, jede Möglichkeit zur anarchischen Ausschweifung wahrnehmend – heute hätte so ein Buch als Schlag ins Zentrum keine Chance mehr – damals wurde es inklusive TB-Ausgabe ein Hundert­tausender.
 


Kiergegaard: Selbstbezichtigung im Existenzsinn

Wie das? Es handelte vom Risiko der „Selbstbezichtigung im Exis­tenz­sinn Kierke­gaards.“ (Bloch) In Leipzig hatte ich das noch hoffnungs­voll als Trotz und Hoff­nung fes­tge­halten und danach im Roman Die Liebe der toten Männer mit der DDR abge­rech­net. Aus dieser Traum. Jetzt ging es ums Ganze: „Nie mehr einen Hut tragen, auf Men­schen schie­ßen, die alten Formeln hören … Richte dich auf …“ (Kopf und Bauch) Soviel war noch in Blochs Ästhe­tik begründet, daraus ent­stand die kon­krete Poetik des Romans als Dekon­struk­tion:
„Unter­suchen müsste man, inwieweit die herkömm­liche Belle­tristik Sklaven­sprache, deren Theorie und Rezen­sions­wesen dazu­gehörige Ideo­logie ist. Etwa die Unter­schei­dun­gen ver­schie­dener ICHs, das auto­bio­gra­fisch direkte Ich, das Ich einer vom Autor er­fun­denen Gestalt und die daraus resul­tie­rende ewige Rätse­lei, wieviel Auto­bio­grafi­sches, also Authen­ti­zität einem jeweiligen Ich zukomme. Wie denn, wenn der Autor sein erfun­denes Ich haupt­sächlich vorführte, weil er sein eigenes nicht zu bekennen wagte? Gustave Flaubert, auf seine Heldin Madame Bovary hin befragt, antwortete ent­waff­nend: Madame Bovary, das bin ich.
  Vielleicht ist die bürgerliche Belletristik in der Wolle gefärbte Verkleidung, sind die gesell­schaftlichen Zwänge primär bestimmend auch darin, dass der Roman als Fictions-Genre entstand, mit all seinen Personen- und Dar­stel­lungs­techniken? Die wahre Literatur­geschichte bestünde dann in der Durchbrechung dieser Kon­ven­tion, im Ablegen der Maske­raden und im Durchstoßen der Masken. Unter den Verhüllungen wird erst die nackte Wirk­lich­keit sichtbar ... Indem alle Belletristik, ihre apologetische Ästhetik einbeschlossen, als Technik von Skla­ven­sprachen de­chiff­riert wird, gewinnt Literatur eine neue Dimension. Die Masken sind ab, nun gehören die stinkenden Lumpen der alten Ver­hüllungen verbrannt, der Leib leuchtet auf in all seinen Scheußlichkeiten, Schönheiten und beider Steigerungen, von denen die bürgerliche Idylle nichts ahnte.“ (Kopf und Bauch)



Scheintote, Wieder­geborene – die Weimarer Republik bringt sich durch vielerlei kulturelle Potentiale in Erin­nerung. Fritz Bauer, Walter Fabian, Fritz Behrens sind vergessen? Bei uns nicht. Die Be­kannt­schaft mit Fritz Bauer war für mich eine freund­liche Frank­fur­ter Fügung. Es gab, still und abseits, Gespräche wie ich sie seit Leipzig vermisste. Sein Charak­ter stark und weit gespannt zwischen Vita­lität und plötzlicher Melan­cholie. Das heutige mainische Befremden wegen Bauers unerwarteter Rückkehr ist Ent­frem­dungs­folge. Kraft­volle Geister überleben, angezogen vom Sog der Leere, in jeder Wüsten­land­schaft. Auf Deutsch­land bin ich nicht stolz. Welches soll es denn sein? Beglückt bin ich von Begeg­nungen mit widerständigen Charakte­ren, die ich zum Anlass nehmen darf, der Weltbühnen- Autor zu sein, der ich war, bis es ver­hindert wurde. So schreibe ich eben meine Weltbühne anderswo weiter, nahm ich mir vor und bald kamen Ingrid, geborene Hoffmann, ein Halb­dutzend Pseudo­nyme, zwei eigenwillige Katzen und der noch eigen­willi­gere Chow-Chow Billy dazu. Die plötzlich auf­scheinende Präsenz des angeblich toten Frei­heits­juristen Fritz Bauer passt in die Erwartung wie die Faust aufs Auge. Das Auge aber muss sich erst einmal auf­schlagen, um sehen zu lernen.

In Leipzig fas­zinierte mich gleich zu Anfang Blochs Schilderung seiner Jugendzeit, als er, ein wissens­durstiger, neugieriger Schüler, von Ludwigs­hafen in die Mann­heimer Schloss­biblio­thek eilte, um sich die schwie­rigs­ten Schriften vor­zu­nehmen. Zwei­einhalb­tausend Jahre Philo­sophie­geschich­te waren ihm ein zeit­raf­fendes, ergo zeitlos verfüg­bares Weis­heits­wissen inklusive mörde­rischer Dumm­heiten, wenn's missriet. Na schön, dachte ich, mein Grund­erlebnis waren die 300 Bücher aus der Weimarer Republik, gesammelt in der Boden­kammer in Gablenz an den Teichen. Bloch lebte mit Aristo­teles, Platon, Sokrates, Hegel, ich lebte mit Arnold Zweig, Ludwig Renn, Remarque und Barbusse. In der Marx- und Nietzsche-Lektüre trafen wir zusammen. Bei ihm inklusive Lenin und Stalin, bei mir inklusive Lenin und Trotzki. Er musste emigrieren, um zu überleben, wir ver­gruben die verfolgten Bücher der poli­tischen Linken im Wald. Die Romane las ich verschwiegen und heimlich weiter. Für mich war Bloch, als ich ihm in Leipzig begegnete, kein Fremder. Für mich war auch Fritz Bauer in Frankfurt kein Fremder. Zwar zählte ich zur jüngeren, nach­folgenden Generation. Spät geboren, doch mit der Botschaft von Büchern in Hirn und Herz, die uns verband. Was ist schon ein Gene­rationen­unter­schied von ein bis zwei Jahr­zehnten? Bloch hatte sich von der Jugend an zwei­ein­halb­tausend Jahre Philosophie einver­leibt.
Im Nachwort 15 „Fritz Bauers uner­wartete Rück­kehr“ ist ein Gespräch abgedruckt, das zuerst in Horst Bingels Streit-Zeitschrift und 1972 in Bericht aus dem Landes­inneren erschienen war, der Band wurde als Buch des Monats der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung viel beachtet, rückte aber bald in den Hinter­grund. 1973 erregte mein Roman Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond über eine lange Zeit hin Aufsehen und Ärger. Verblüffend war, dass der zur Romanfigur verwan­delte Fritz Bauer in all dem Zoff und Zank unbeachtet blieb. Die Zitate zum Hessi­schen Gene­ral­staats­anwalt finden sich ebenfalls im 15. Nachwort. Offenbar wird das Schick­sal Bauers in Frankfurt zwischen absichts­voller Nicht­achtung und getarnter, aber verschworener Feind­seligkeit polarisiert. So verwundert es nicht, dass die FAZ Ilona Zioks Film nicht mögen kann. Der Erika Steinbach nahe­stehende Prof. Manfred Kittel hatte dem Sozial­demokraten Bauer in der FAZ bereits am 13. 5. 2009 „kommunis­tischen Umgang“ angekreidet, einschließlich seiner „weit­reichenden Bereit­schaft … mit den von der Stasi gefütterten ›Justiz‹-Organen der DDR zusammen­zu­arbeiten.“ Was sollen diese Vorwürfe? Will hier nach­kommender rechter Groll den Frankfurter Auschwitz-Prozess revi­dieren? Fakt ist, der aus dem Exil zurückgekehrte Jurist hatte immer wieder den Unwillen der BRD erfahren, sich mit der Nazi-Ver­gangen­heit aus­ein­ander­zusetzen. Diesem Vertuschen und Verschweigen ent­gegen­zu­wirken handelte er. Das schmerzt die Leugner und Lügner noch heute, selbst nach einem Halb­jahr­hundert mangelt es ihnen an Einsicht. Deshalb verkündet die FAZ noch im Jahr 2010: „In Frankfurt sorgt ein Dokumentar­film über Fritz Bauer für heftige Irritationen …“ Das war, ihr Herren von der konser­vativen Re(d)aktion zu dessen Lebzeiten auch schon so.
  Eine konservative Reaktion gab es auch in der DDR. Der bis heute andau­ernden Befrem­dung über Fritz Bauer im Westen entspricht die Verfeind­lichung Blochs im Osten. Die üblen Attacken des Prof. Kittel auf Fritz Bauer bilden das Verdächti­gungs-Gegen­stück zur Unmenschen­sprache des „Genossen Paul Fröhlich“, der damit ins SED-Politbüro aufrückte. Der Nazi-Wehrmacht-Feldwebel hatte deren Idiom tief inhaliert und behielt es auch in der DDR bei. Als stalinis­tischer Reaktionär erwarb er Ulbrichts Gottvertrauen. Das war 1956. Als Honecker 1971 Ulbricht von der Macht verdrängte, lief Fröhlich als erster zum neuen Vorsitzenden Erich H. über. Aus den Jahren zuvor hier eines seiner rhetorischen Glanzstücke:

„Protokoll der Bürositzung der SED-Bezirks­leitung Leipzig vom 19.4.1956 (Aus­züge) Genosse Fröhlich:
... Die Genossen kritisieren den Genossen Walter Ulbricht. Es ist jedem erlaubt, Kritik zu üben. Aber diese soge­nannte Kritik an Genossen Ulbricht ist in Wirk­lichkeit nur die Tarnung für das Anbringen von fäulnis­erre­gendem Intel­lektua­lismus.
  Diese stinkende Ideologie ist ein Versuch, die Partei zu zersetzen. Deswegen darf man die Nachbeter kapita­listischer Propaganda nicht als eine harmlose oder als einen falschen Zungenschlag gemachte Äußerung hin­nehmen, sondern muss sie ideologisch entlarven und die ganze Partei im Kampf zur Zerschlagung dieser feindlichen Ideologie erziehen.
  Jetzt, nachdem die Partei offensiv auftritt, treten diese Heuchler mit einem weiteren Argument auf, indem sie sich hinter die Massen stellen und sagen: ›Wenn man uns und unsere Diskus­sionen als reaktionär und feindlich bezeichnet, dann muss man auch die Massen als reaktionär bezeichnen, denn das, was wir sagen, ist die Meinung der Massen.‹ Hier zeigt sich erneut die ideologische Ver­sumpfung. Sie versuchen, ihre als Mitglied der Partei feindliche Haltung mit der angeb­li­chen Meinung und Haltung der Masse solidarisch in einen Topf zu werfen.
  Das zeigt, dass einerseits diese Mitglieder nicht mehr unter­scheiden zwischen Partei und Masse und andererseits eine Unwahrheit, eine Behaup­tung gebrauchen, so, wie sie überhaupt ihre ganzen Argumente auf Behauptungen aufstellen, die nicht bewiesen werden, in Wirklichkeit die Arbeiter­klasse, die werktätigen Massen beleidigen. Das zeigt, wie tief man sinken kann, wenn man sich von der Parteilinie entfernt –-
  Deswegen muss mit aller Konse­quenz dieser ideologische Fäulnisherd in der Parteiorganisation der Deutschen Hochschule für Körper­kultur, sowie an der Karl-Marx-Universität, in den einzelnen Partei­organi­sationen der Fakultäten, sowie auch in der Uni­versitäts­partei­lei­tung beseitigt werden …
  Aber wir sehen, dass auch dort sich dieser Sumpf bürgerlicher Ideologien, man kann von einer ideologischen Ver­rot­tung sprechen, eine Ha­lunken­ideo­logie breit­macht. Da muss man mit aller Kraft dagegen angehen. Mit Stumpf und Stiel ausrotten über den Weg der prinzi­piel­len ideolo­gisch-poli­tischen Aus­einander­setzung …
  An der Philosophischen Fakultät herrscht eine gegen die Partei und damit gegen die Arbeiter- und Bauern­macht gerichtete Atmosphäre. Unter der Flagge der Kritik. unter der Flagge der Freiheit der Kritik kam es wiederholt durch Prof. Bloch zu Äußerungen wie ›Zur Einheit Deutschlands kann man nur kommen wenn Ulbricht abgetreten ist.‹ Assistenten Studenten, die Mitglied der Partei sind, verhalten sich nicht nur neutral, sondern unterstützen offensichtlich diese Meinung. Darüber hinaus wurde kritiklos die philo­sophische Darlegung von Bloch als einzig richtig anerkannt. Es ist aber erwiesen, dass die Philosophie Blochs nicht exakt basiert auf den Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Es vollzieht sich eine Verflachung der marxistischen Philosophie, annähernd an den Vulgär­marxismus. Die politische Konzeption entspricht der eines bürgerlich liberalen Menschen mit den Tendenzen der poli­tischen Herrschaft gegen unsere Politik ...“

Soweit Genosse Fröhlichs Zielangabe. Es folgt die Namensangabe durch den Genossen Wetzel:
„Die Meinung, dass die philosophischen Auffassungen Blochs unwider­sprochen hinge­nommen werden, muss einge­schränkt werden. Sie trifft zu auf die Studenten im vorletzten Studienjahr, vor denen Bloch liest. Sie gehen für Bloch durchs Feuer. Unter den marxis­tischen Wissen­schaftlern gibt es Gegnerschaft. Das kam zum Ausdruck in der Rede zum 70. Geburtstage Blochs, worin sie sich abge­grenzt haben von den Auffas­sungen Blochs. Von den marxis­tischen Wissen­schaftlern sind nur wenige, z.B. Prof. Gropp.
  Bloch wird außerordentlich gefördert, schon allein durch die Tatsache, dass er den Nationalpreis erhielt als Philosoph, nicht etwa als Friedenskämpfer o. ä.
  Die Genossen des wissenschaftlichen Rates sind auch in ihrer Darstellung gegen die feind­lichen Auffassungen Blochs aufgetreten. Aber es gibt viele andere Äußerungen Blochs zur Oder-Neiße-Frage, zur Abtrennung der ehemaligen deutschen Gebiete, das sind feindliche Äußerungen. Das wollen wir exakt formulieren.
  Die Genossen Zwerenz (?) und Zensentz (?) sollen aus der Parteileitung raus und in die Produktion gehen, damit sie Verbindung zur Arbeiter­klasse bekommen. Nach zwei Jahren evtl. wieder zum Studium zulassen. ...
(Archiv der Partei des Demokratischen Sozialismus. Leipzig. Akte IV/2/3/204) “.

Die Konstruktion des Feind­bildes Bloch diente der Karriere der östlichen Polit-Konstrukteure und zählte zugleich zu den systemimmanenten Fehlern ihrer Partei, der sie zu dienen glaubten. Der antifaschistische Kampf des so vitalen wie entschlossenen Juristen Fritz Bauer beunruhigte und verunsicherte die westlichen Machtinhaber, bei denen sich Täter und Opportunisten von gestern auf eine ungestörte Karriere-Fortsetzung eingerichtet hatten. Der Hessische Gene­ral­staats­anwalt dekonstruierte mit seiner pflichtgemäßen Tätigkeit den morbiden Zustand der BRD, wie der Philo­soph dabei gewesen war, den morbiden Zustand der DDR zu signa­lisieren. Die Gleichheit in der Ungleich­zeitigkeit beider Fälle ist so evident wie der Widerstand, auf den die unerwünschte Dekonstruktion stößt. Eine Mehrheit der jeweiligen Macht-Eliten verharrt in den Gewohnheiten des Vergangenen. Indem sie ihre Macht retten wollen, betreiben sie ihr Ende. Die Göttin der Geschichte kennt da offenbar keine Gnade.

Fritz Bauer empfahl oft und gern Goethe zu lesen, was in den sechziger Jahren etwas außerhalb der Kultur-Zeit anmutete. „Nehmen Sie diese ewigen Krimis im Fernsehen“, sagte er. „Das ahmen welche nach! Schießen wird zum Leitbild! … Statt dieser hässlichen Krimis sollte man lieber ein Goethestück zeigen! Das wirkt zum Guten! Die Leute müssen was Gutes sehen!“ (Nachwort 15)
  In dieser Serie verwies ich oft auf Auerbachs Keller und halte unseren Olympier Goethe schon aus lokalpatriotischen Gründen hoch. Bei ihm findet sich immer etwas Passendes: „Dankt Gott mit jedem Morgen, dass ihr nicht braucht fürs Römsche Reich zu sorgen!“ Am Abend des 8.12.2010 sorgten sich in hart aber fair ein Halb­dutzend Leute, von denen einige sich mit Hans Olaf Henkel für heutige Talk-Olympiers halten, ums Berliner Reich der bedrohten Republik. Henkel will den Euro teilen in Süd und Nord! Die anderen Gäste: Der Euro war falsch! Der Euro war richtig! Zurück zur D-Mark! Nostalgie – Ostalgie. Die Berliner Politik macht die anderen Länder kaputt. Nein umgekehrt. Der deutsche Steuerzahler muss für alle blechen. Griechenland, Irland, Portugal, Spanien – Fass ohne Boden. Anschluss, denke ich, hat die DDR sich ange­schlossen, könnten Griechenland, Portugal, Spanien usw. sich doch auch anschließen … Deutschland über nicht alles. Deutsch-Europa sollte reichen. Inzwischen bringt Wikileaks die Welt­unordnung noch mehr durcheinander. Ein polyglotter Australier mit dem franzö­sischen Namen Assange spielt den universalen Dekon­struk­teur und hält den Politikern rund um den Erdball ihren Wortspiegel vor. Der Kampf der medialen Gladiatoren ist voll im Gange. Die USA wollen den tapfren Dissi­denten fangen, foltern, umbringen. London hält ihn gefangen. Schweden hätte ihn gern. Zwei Schwedinnen hatten einver­nehmlich Sex mit ihm. Wolltens mit Kondomen. Der Papst hats erlaubt. Assange hat nicht kondomiert – oder doch? In Schweden treten die Männer in Sex-Streik. Wer weiß denn, ob die Frauen nicht am Morgen danach Verge­walti­gung rufen?

Wir dekon­struktieren im eigenen Land freiweg weiter. Die FAZ kommt immer noch nicht über Fritz Bauer hinweg. Seine Geschichte macht landesweit Furore. Im Weltexpress, Berlin erscheint am 7.12.2010 ein kluger Bericht über Ilona Zioks Doku­mentation, den google news mit diesen Zeilen einleitet:




Der folgende Weltexpress-Artikel ist überaus lesenswert. Nur dass ich „längst ver­storben“ bin, erlaube ich mir ein wenig zu dementieren. Schließlich steht dieses Nachwort unter dem Titel Scheintote, Untote und Überlebende.

Gerhard Zwerenz    13.12.2010   

 

 
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz