Alte Zeitungen können die neuesten Nachrichten bieten. Neulich fiel mir zufällig die FAZ vom 29.9.1999 in die Hände. Unter der lustigen Überschrift Dritte Wege? stand da vermerkt: »DDR-Opposition trägt in Chemnitz vor«. Im kommenden Wintersemester veranstaltet die Technische Universität Chemnitz unter Leitung des Politikwissenschaftlers Eckhard Jesse eine Vortragsreihe mit führenden DDR- Aber Spaß beiseite. Was den von Eckhard Jesse zitierten »Dritten Weg« betrifft, verdanken wir diesen Begriff wie auch den vom »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« polnischen Genossinnen und Genossen. Als Ernst Bloch 1957 die Worte benutzte, verdächtigte Erich Mielke ihn des Trotzkismus. Bloch stellte das erst später bei einer Rede im Trierer Geburtshaus von Karl Marx klar. Mag sein, Jesses »führende DDR- Die zwischen Schrebergärten und lieblichen Feuchtgebieten schwankende Bestseller-Literatur des deutschen Postheroismus wurde in ihrem genügsamen Selbstlauf in letzter Zeit ein wenig gestört. Enzensbergers exquisiter Generalsroman und Littells epische SS-Barden-Mordsromantik politisierten die laufenden Kulturoperetten ebenso wie das Dokumentenbuch Der Fall Hans Mayer vom Verlag Lehmstedt, der verrätselte Suhrkamp- Loest erzählt allerlei Krätzchen aus unserer schönen Vergangenheit, wie wir opponierten und siegten und besiegt wurden, so kriegt er die Kurve von den rauhen fünfziger Jahren des vergangenen 20. Jahrhunderts ins 21. der Jetztzeit, die auf neue Krisen und Kriege hinausläuft, was wir einst verhindern wollten. In zwei Fragen allerdings kann ich dem alten Freund und Kampfgefährten ganz und gar nicht folgen, und so entstand nach längerem Zögern dieser Brief: Gerhard Zwerenz: Die Liebe der toten Männer »dies buch ist gewidmet meinen freunden erich loest und günter zehm und allen anderen in ulbrichts kerkern dies buch ist geschrieben gegen ihre kerkermeister und alle jene die das unrecht unterstützen, verschweigen oder insgeheim billigen, zur tagesordnung übergehen, den kaisern geben was ihnen nicht ist, von freiheit reden und nichts für sie tun« Obwohl Günter Zehm seine steile Karriere über die Chefredaktion der Welt samt Feuilleton als ständiger Kolumnist der Jungen Freiheit fortführte und krönte, obwohl Du in Deinen Prozesskosten Zehms hirnlosen Vorwurf, Zwerenz sei ein Verräter, erst zurückweist und dann übernimmst, bedaure ich kein Wort im Vorspruch zu meinem Roman. Er dokumentiert meine schmerzhafte Sicht von 1959 im Rückblick auf die DDR im Jahr 1953 und ich erlaubte mir, keiner der gängigen, literarischen, politideologischen Moden zu folgen. Die Liebe der toten Männer ist ganz und gar mein Roman über unsere kommunistische Tragödie. Zu Zehm habe ich außer einer knappen Trauerbekundung nichts Neues mehr zu äußern. Was ich zu sagen hatte, steht in Kopf und Bauch, Seite 139-152 mit Nachbemerkungen in Sklavensprache und Revolte, abgesehen von der poetischen Erwähnung im Gedichtband Venusharfe Seite 33. Von den Differenzen abgesehen, die ich früherer Nähe wegen stets etwas untertrieb, ergab sich ein notwendiger Bruch nach Zehms charakterlosen Unverschämtheiten gegenüber Karola Bloch, die ihm in Leipzig häufig hilfreich beistand. Die Karriere in Hamburg war ihm wohl zu Kopfe gestiegen, als er 1979 Karola eine »politisch stramme Person« nannte, die »den Zugang« zu ihrem Mann »regelte und überwachte«, was ihn »zu Peinlichkeiten trieb«. Die Peinlichkeiten dieses Welt-Feuilleton-Chefs in der Pose des rechten Politkommissars bestehen u.a. in der Hysterie, die ihn in jede unterstützend gebotene Hand beißen ließ. Als ausgerechnet Fritz J. Raddatz, mit dem mich manche Fehde verband wie trennte, in der Frankfurter Rundschau vom 16.10.1971 meinen Roman Kopf und Bauch in höchsten Tönen begrüßte: »Schonungslos, erbarmungslos, ohne Verstellung … Man liest dieses Buch immer wieder ungläubig, staunend: gleißnerische, hochartifizielle exzessiv schöne Passagen …«, die Seiten über Zehm jedoch ablehnte, nahm ich's als Hamburger Kumpanei zwischen ZEIT- und Welt-Feuilleton, was es wohl auch war, aber nicht nur. Bis ausgerechnet Erich Loest im Jahr 2007 auf den Schmonzes des rechten Schmocks und seinen Verratsvorwurf hereinfällt.
Ingrid Zwerenz, Karola Bloch Zurück zum Verratsvorwurf und was ich Dir zu verraten habe. Unsere Bekanntschaft begann 1953, als ein Berliner Klüngel seinen Hochmut an Dir abreagierte und ich in der Weltbühne Dich und unser unheiliges Sachsen verteidigte, denn wir können, wenn angegriffen, doppelt und dreifach hochmütig antworten. Als es nach Deiner Verhaftung 1958 in Mittweida hier in der BRD verdächtig still blieb, schlug ich vom SBZ-Archiv bis zur FAZ in Rundfunk und Presse Alarm. Unser Bund auf Nähe und Distanz hielt bis zum Vereinigungsbruch. Verrat hat zwei Bedeutungen. Ich verrate Dir jetzt etwas, wovon ich glaubte, Du wüsstest es: Ich war gern DDR-Bürger und SED-Genosse, beides wäre ich gern geblieben. Das Land war unsere Chance und hatte 1956 die Möglichkeit einer Erneuerung verdient. Das misslang. Die Vereinigung von 1989/90 bot auch Chancen, doch die Welt wurde danach nicht besser. Im Gegenteil. Jetzt herrschen Vorkrieg, Krieg, Nachkrieg und Scharen bewaffneter Friedensengel zündeln eifrig als potentielle Selbstmörder herum. Wann auch immer die deutsche Einheit ausbrach, folgten Aufrüstung und Schlachtgetümmel: 1871, 1933, 1989/90. So verrate ich dir noch etwas – in Die Liebe der toten Männer folgt auf die erste Widmung eine zweite: woran man glauben könnte: Lieber Erich, es ist mir auf naheliegende und zugleich unangenehme Weise ernst mit diesem dreistufigen Bekenntnis. Ich war 19 Jahre alt, als ich von der Wehrmacht zur Roten Armee ging und niemand hätte mich aufhalten können. Es gibt Notwendigkeiten der Freiheit. Wer sie versäumt, zahlt. Es ist mir auch ernst mit jenem Kapitel in Sklavensprache und Revolte, in dem es heißt, »vor den 68ern (kamen) die 56er«, und das waren wir. Ich bin es geblieben und habe nichts abzuschwören und niemanden anzuklagen. Es sei denn mit einem Gelächter, das beim politischen Tod die Trauer ersetzt. An jenem Tag im Sommer 1957, ich war damals für eine sehr lange Zeit zum letzten Mal in Leipzig, gelang mir nicht, Bloch und Dich eindringlich genug zu warnen. Bloch zahlte mit jahrelanger Isolation, bis er 1961 aus der Stadt wegblieb. Dich kostete der Verbleib in Leipzig 7 Jahre Bautzen. Hätte ich Dir dort vielleicht Gesellschaft leisten sollen? Ich hatte meine 7 Jahre schon hinter mir: 2 Jahre Soldat, 4 Jahre Gefangener, 1 Jahr Tbc-Sanatorium. Niemand hätte mich damals am Verlassen der DDR hindern können, ausgenommen die Genossen selbst, doch hatten sie gerade etwas anderes zu tun. Mein lieber alter Freund, spätestens nach Hitlers Rede von 1933 am Tisch des Generals Hammerstein, in der Adolf verkündete, er werde Pazifismus und Marxismus vernichten, warnen die Folgen des deutschen Großmacht-Wahns. Dein Buch Prozesskosten ist auf schmerzliche Weise unverzichtbar, bis auf die Anleihe bei einem Rechtsabweichler, dessen irrationale Tollheiten jeder Nachsicht entbehren müssen. Es führt kein Weg zurück. Als Gruß zum Abschied die letzten Sätze aus Die Liebe der toten Männer: Man brachte Ball in die Haftanstalt. Von allen Seiten fuhren die Wagen heran und löschten die Ladung. Im Hof standen die Verhafteten in Gruppen. Der 17. Juni rückte langsam ans Ende der Welt, und seine Helden fielen in die Abgründe der Rache. Mitten im Hof stand ein Tisch. Man nahm die Personalien der Häftlinge auf. Neben dem Tisch lauerten Erkel und einer der fremden Offiziere. Als Ball vortrat, fuhr ihm ein rasender Schmerz ums linke Handgelenk, als schnitte ihm ein Messer ins Fleisch. Ball schrie auf, und sein Schrei glich jenem Schrei von vorhin, als sie ihn geholt hatten; ein wilder, unmenschlicher Schrei, wie man ihn nur an manchen Abenden in der Nähe von Schlachthöfen hört. Ball streckte seine gefesselten Hände vor, daß sie weit aus den Ärmeln herausragten, und starrte auf sein linkes Handgelenk. Dort wand sich ein roter schwellender Streifen wie eine Schlange durch die Haut. Neben Ball aber standen Erkel und einer der fremden Offiziere. Ihre Lippen waren weiß geworden, und um ihr linkes Handgelenk schnellte der rote Streifen wie eine Kette.
Werden sie am Ende etwa Walter Ulbricht noch ausgraben? Am Montag, den 19. Mai 2008, erscheint das nächste Kapitel.
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Gerhard Zwerenz
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