Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
1953, 1954, 1955 schrieb ich in der Hauptsache für die Weltbühne. Um den Jahreswechsel 1955/56 wurde mir bedeutet, aus dem ZK-Apparat sei signalisiert worden, ich sollte nicht mehr in der Weltbühne erscheinen. Und da war ich etwas verblüfft, denn ich beabsichtigte ab und zu etwas für die Weltbühne und dann alle zwei, drei Jahre einen humoristischen Roman über Leipzig und die Pleiße zu verfassen. Das war so meine Zukunftserwartung. Ich wollte lebenslänglich in Leipzig bleiben. Jetzt würde ich also sagen können, ich bin über 80 Jahre alt und habe immer an der Pleiße gelebt. Das lief aber anders. Doch die Pleiße ist mein Lieblingsfluss geblieben. Das beschreibe ich im Moment aus der Ferne. Die Pleiße wird sehr unterschätzt und ich hab festgestellt, also von Ostdeutschen, also was DDR gewesen ist, jeder hat irgendwann mal an der Pleiße gestanden. Sei es als Schüler, Student oder er war an der Sporthochschule. Die Eingeborenen aber missachten oft den Fluss als die stinkende Ruhr des Ostens. Und dabei hat Goethe in der Pleiße gebadet und für Karl May war sie der Urfluss. Für mich blieb sie ob in Irland, am Atlantik, am Golden Strand eine lebendige Erinnerung. Ich sah die Pleiße über die Elbe zur Nordsee und dann in den Atlantik fließen, dachte, ein paar Tropfen von der Pleiße sind auch hier an der Westkante von Irland vorhanden. Also ich bin ein lebenslänglich verbannter, gebannter Sachse geworden, denn ich hab ein halbes Jahrhundert außerhalb verbringen müssen. Zurück zur Sache, die Weltbühne wurde mir zugemacht und zugleich machte mir der Sonntag seine Seiten auf. Und dann publizierte ich halt im Sonntag, das war mir ja eigentlich wurscht, wo ich schreibe, wenn ich nur alle zwei Jahre einen Leipziger humoristischen Roman vorlegen konnte. Und nun beginnt die Geschichte damit, dass ich mit einer Erzählung zu ihnen gekommen bin und Gustav Just hatte von Brecht gerade den Rat gekriegt, mach doch also da Sachen, die zwar wichtig sind und ins Zentrum gehen, aber gefällig. Gewissermaßen ein bisschen Feuilleton und Operette. Das hat Gustav mir gesagt. Dann hab ich ein Feuilleton geschickt und er hat als Titel Leipziger Allerlei drüber geschrieben. Das ist gedruckt worden, da explodierten allerlei mächtige Ungeister.
Etwas später kam noch dieses Gedicht dazu, wir wollten eben ein paar Mythen zum Platzen bringen. Ich habe hier die Seite des Sonntag vom 1. Juli 1956 und die hatte Gustav auch mit zu verantworten, dafür hat er dann, sagen wir mal, von seinen vier Jahren 12 Monate für das Gedicht mit abgesessen. So teuer können Gedichte werden. Obwohl es gar kein Gedicht ist. Ich notierte solche existenziellen Sätze nur, wenn mir das Leben saukomisch oder nicht zum Aushalten erschien. Das passierte mir mit 19 Jahren, als andere Gefangene und ich in Brest-Litowsk zu einem Kommando abgestellt wurden und wir mit bloßen Händen von der Wehrmacht erschossene, polnische oder weißrussische Juden ausgruben.
Darüber kritzelte ich das erste Gedicht meines Lebens aufs Papier der Prawda. Das ist mir nach vier Jahren bei der Rückkehr an der Grenze genau in diesem Brest abgenommen worden. Daraufhin schrieb ich es noch mal. So erschien es in der DDR, ich vergaß nur wo. 1966 stand es plötzlich in einer westdeutschen Zeitung und kehrte zu mir zurück. Später hat es die junge Welt abgedruckt.
Als ich 1956 vom 20. Parteitag Aufregendes hörte, hielt ich im März/April jeweils abends zu Hause in meiner Studentenbude Zeile für Zeile fest, was mir durch den Kopf ging. Die Konterrevolution war es jedenfalls nicht. Der Titel lautet etwas keck: „Die Mutter der Freiheit heißt Revolution“, und der Meinung bin ich heute noch. Das hat seinen krummen Ewigkeitswert. Es ist mir scheißegal, in welcher Gesellschaft es passiert, Revolution tut immer not. Man ist nur dumm, wenn man sie am nächsten Morgen beginnen will und niemand macht mit. Man möchte nicht ganz alleine bleiben dabei. Vorher lässt sich auf Reformen setzen, noch besser auf Reformation. Da bin ich unbescheiden. Was Luther auf der rechten Seite und Münzer auf der linken Seite als Reformation in die Welt setzten, war eine ungeheuerliche Revolution, die nur nicht so genannt wurde. Und das geht in tiefere Schichten und ganz andere Zentren als diese lächerlichen Revolutionen, die jetzt stattfinden. Wir erleben ja jeden Tag eine neue Revolution, die der Kochkunst, der Friseurkunst, soweit sind die Revolutionen verbilligt. Aber wir haben als Marxisten angefangen mit der Verbilligung bis zur revolutionären Bankrotterklärung.
Zurück zur Studentenbude in dem Leipziger Haus, wo heute das Mendelssohn-
In der Art geht's weiter und ich behaupte, es ist jetzt nach 50 Jahren noch frisch wie damals. Man könnte das heute genauso sagen. Die Zeitungen sind nicht mehr so, dass man sie lesen und danach aufschreien kann, die Zeitungen enthalten ganz andere Botschaften von denen, die da jetzt oben sitzen. Ich fühlte mich völlig überein mit dem 20. Parteitag. Und so machte ich eben weiter im Text: „Das Leben unter Käseglocken der Freiheit züchtet Maden, die im Abgeschlossenen wimmeln und lebendigen Leibes verschimmeln. Wenn der Ofen nicht brennt, putzt ihr sein Rohr aus oder baut die Esse. Aber ihr haltet nicht Messe ...“
Dieses Rohr ausputzen ist echt sächsisch, nicht wahr, man hat das Kanonenrohr und das Heizungsrohr ausgeputzt. Dann schlug ich zwischendurch etwas heftiger zu: „Leih deine Feder keinem, schreib dich allein ...“ Da ist wohl ein bisschen Majakowski drin, vielleicht las ich ihn gerade und dachte, das passt.
In bestimmten Situationen deuten sich Alternativen an und man fragt sich, bist du Bremser oder Entbremser. Und natürlich hab ich auch an Gustav Just gedacht und war mir nicht sicher, ob die das drucken. Sie riskierten es. Am 30. Januar 1957 fand dann in Leipzig eine große Versammlung der Partei statt und die Kulturarbeiter des Bezirks wurden in Bussen zusammengeholt. Der Kultursekretär Siegfried Wagner las mein Gedicht stückweise als Beispiel von Konterrevolution vor.
Und hier ist die originale Sonntag-Seite von Siegfried Wagner, auf die er seine Anklagepunkte ranschrieb. „Die alte Erde hält den Atem an, heißer Brodem der Revolution erfüllt wieder die Räume“, dort steht davor: Wo? „Leben ruft die Menge und baut Brücken ins Diesseits und die Epigonen schreien stumm“. Anmerkung: Wer? Wer sind die Epigonen?
Diese vierhundert Kulturmitarbeiter in der Kongresshalle hörten sich alles mucksmäuschenstill an. Das geschah zwar nach dem 20. Parteitag. Doch wer wusste schon, was noch kommen würde. Der einzige, der mir beistand, war Wieland Herzfelde. Nach der Anklagerede ging er zum Rednerpult und rügte, dass jetzt wieder stalinistische Methoden angewandt wurden. Siegfried Wagner konterte ihn hart, da ist Herzfelde, was ich verstehe, noch mal vorgegangen und hat sich entschuldigt. Ich wiederhole, ich verstand Herzfelde. Nur war es für mich ein kleiner Weltuntergang.
Zum Schluss heißt es im Text: „ Aber Buben gleich habt ihr geschlafen, lange, nur nicht so gesund. Die Revolution fuhr auf Grund und das mitten im Hafen...“ Und da hat der Wagner wohl in Erinnerung ans Parteilehrjahr dahinter geschrieben: Aurora. Das hat er kapiert, die Revolution alias Aurora war auf Grund gefahren, und wenn das keine Konterrevolution ist, nicht wahr, dann heiße ich nicht Siegfried Wagner. Hinter der Zeile „Ihr schliefet den Schlaf der Ungerechten“ notierte er: „Schlaf vergiftet Millionen“. Zwar hatte der Sonntag nicht Millionen von Lesern, doch wirkte er wohl indirekt. Und nun noch zu den letzten Zeilen:„Ihr schliefet den Schlaf der Ungerechten. Erwacht und lasst uns gemeinsam besser fechten!“ Das war eigentlich der Schluss. Dann sah ich mir das an und dachte, so wird es nie veröffentlicht. Da muss ein positives Schwänzchen ran, aber das wollte ich nicht so billig machen, es sollte schon ernsthaft sein. Und darum setzte ich dahin: „Die Mutter der Freiheit heißt Revolution, die Freiheit ist Tochter, Partei ist der Sohn.“ Ich fand, für ein Schwänzchen ist es eine gute Lösung gewesen, es stimmte sogar. Also ich konnte für das Schwänzchen die Hand heben. Und Gustav hat das auch akzeptiert, er wusste ja nicht, was daraus folgte.
Siegfried Prokop:
Was hat Wagner an das Schwänzchen geschrieben? Gerhard Zwerenz: Es ist nicht zu entziffern. Wagner ist dann, nachdem er uns in Leipzig in Grund und Boden verdonnert hatte, in Berlin aufgestiegen, im ZK zuständig für Kultur und stellvertretender Kulturminister. Dort nahm er Heiner Müller wegen dessen Stück Die Umsiedlerin auf die Hörner. Uns trug er schon als Orden an der Brust und für die Liquidation der Umsiedlerin kriegte er das Ritterkreuz am Stalinhalsband. In Leipzig bin ich am Ende zum Pult gegangen, las das ganze Gedicht vor. In einigen Augen meinte ich ein Flimmern der Sympathie zu finden. Zugegeben, ich verspürte die verwegene Hoffnung, es würden vielleicht drei bis fünf Personen applaudieren. Keiner hat applaudiert, und nachdem ich mir das 50 Jahre lang überlegen durfte, verstehe ich es beinahe. Das ist meine Geschichte von damals, kurz gefasst. Frage aus dem Publikum: Wie kam die Zeitungsseite in Ihren Besitz? Gerhard Zwerenz: Die hab ich aus der Behörde für ewige Wahrheiten, dem Bundesarchiv. Da besorgte ich mir all dieses Material und deshalb weiß ich auch manches, das ein wenig unangenehm ist für damals Beteiligte. Inzwischen ist das alles zur Vorgeschichte geworden.
Mein Anteil darin ist Die Mutter der Freiheit heißt Revolution, kurz Freiheitsgedicht genannt und Resultat der Tage nach Chruschtschows Antistalinrede, ein paar Gelegenheitsstrophen, die aus Bruchstücken bestehen, ein montagehafter Versuch eingreifenden Denkens, heute würden wir von Dekonstruktion sprechen: Die alte Erde hält den Atem an … (und dekonstruiert die Propaganda), Leben ruft die Menge und baut Brücken ins Diesseits (das ist bereits konkrete Utopie ...) Das war 1956 – und was wird 2010 sein?
Erich Loest beschreibt in Durch die Erde ein Riß (Hoffmann und Campe, Hamburg 1981) die Szene so: „Am 30. Januar versammelten sich Leipzigs Genossen ›des kulturellen Sektors‹ in einem Nebensaal der Kongresshalle; es waren einige hundert. Vier Stunden lang ging Wagner zum Angriff auf alle über, die in den letzten Monaten ›geschwankt‹ hätten. Er lobte die wachsame Kirow-Sturmabteilung ihres Faustkampfes gegen Rudorf wegen und erntete zustimmendes Gelächter bei dem höhnischen Satz: ›Das Plattenarchiv des Genossen Rudorf wurde nicht beschädigt.‹ Nicht allzu heftig wurde L. kritisiert, aber Zwerenz bekam volle Breitseiten ab. Wagner klaubte Zeilen des Gedichts Die Mutter der Freiheit heißt Revolution aus dem Zusammenhang und wollte so nachweisen, Zwerenz habe die Konterrevolution gemeint. Zwerenz tat das Klügste, er las das ganze Gedicht vor. Im Widerspruch erinnert er sich … “
Von hier an zitiert Loest meine Schilderung der damaligen Ereignisse: „Oben auf dem Katheder stehend, angesichts der versammelten Masse von Genossen, wurde mir das Vergebliche meiner Argumentation klar. Ich suchte denn auch lediglich gegen Wagner anzukämpfen und ihn dermaßen zu korrigieren, daß eine möglichst große Anzahl der Anwesenden still bei sich an der Berechtigung der Anklage zweifeln sollte. Ich mußte ihnen innerlich nahelegen, sie erschüttern in ihrer falschen Gelassenheit, sie durften nicht in die ärmliche, beschämende Selbstsicherheit der Stalin-Ära zurückfallen, in der das Wort der Partei alles, die Wirklichkeit aber gar nichts galt. In der Diskussion sprach auch Wieland Herzfelde. Sein Ton schon ließ aufhorchen. Das war nicht die Gebetsmühle eines parteifrommen Mitläufers, sondern die Stimme eines gereiften Mannes, der sich seiner revolutionären Aufbrüche erinnerte. Jedenfalls versuchte Herzfelde den versammelten Genossen ins Gewissen zu reden, der XX. Parteitag der KPdSU unterliege recht wechselhaften Wertungen, sagte er und fragte, ob man sich mit den jetzigen Angriffen auf den Genossen Zwerenz nicht schon wieder arg weit von den Ausführungen des Genossen Chruschtschow entferne.
In der Pause sprachen mich erstaunlich viele Parteimitglieder an. Wieland Herzfelde gratulierte zu meiner Verteidigungsrede, und ich bedankte mich für seine mutigen Worte. Mehrere Genossen drückten aus, daß sie die Anklage mißbilligten. Auch Übervorsichtige standen herum, brave Leute, die sich nicht festlegen wollten und nicht ja und nicht nein sagen, damit's nachher nicht hieß, sie hätten ja oder nein gesagt.
Endlich kehrten die Führungsgenossen zurück in den Saal. Kurella blieb hinter meinem Stuhl stehen und rief über meinen Kopf hinweg Wieland Herzfelde zu: ›Diese jüngeren Genossen wollen einfach nicht begreifen, daß die Partei klüger ist.‹ Herzfelde antwortete mit einem verlegenen Lächeln. ›Solche Aufstände haben wir schon vor Jahrzehnten erlebt‹, fuhr Kurella fort, ›die jungen Genossen verstehen nicht, daß sie sich der Partei unterordnen müssen.‹ Da lief Herzfelde ein feiner Schimmer von Röte übers Gesicht.
Wagner hielt eine zweite Rede, sein Schlußwort. Die Oppositionellen wurden endgültig verdonnert und zu Parteifeinden erklärt. Bevor Wagner die Veranstaltung schließen konnte, erbat Wieland Herzfelde aufgeregt noch einmal das Wort. Totenbleich stand er dann dort oben vor den Versammelten und erklärte, er habe sich nicht mit Parteifeinden verbünden wollen. Ich verübelte ihm das nicht. Er tat mir leid. Danach kam er mehr taumelnd als schreitend herunter und setzte sich auf seinen Platz, mir gegenüber, noch immer bleich und blicklos.“
Ein wenig melancholisch ist mir zumute, zitiere ich Loest, der mich zitiert. Mit der Vereinigung ging die alte Freundschaft in die Brüche. In einem Punkt muss ich mich korrigieren. Bisher erklärte ich stets mein Verständnis für das Schweigen der 400 oder waren es 600 Genossen, mit dem sie auf meine „eingreifenden Worte“ reagierten. Doch gibt es Situationen, da musst du dein Herz über die Hürde werfen. An diesem Abend des 30. Januar 1957 ahnte ich den Schmerz künftiger Feindschaften. Dreizehn Jahre früher hatte ich mich schon einmal zwischen den Fronten befunden, da waren es Wehrmacht und Rote Armee gewesen. Feindliches oder freundliches Feuer, es galt mal wieder Abschied zu nehmen. Das ist zu brav gesagt, ich fühl mich unwohl, nein speiübel. 1957 schwiegen die Leipziger Genossen in der Kongreßhalle. Auf den Colloquien 2006 zur Erinnerung an 1956/57 konnten Ingrid und ich wie einige andere aus unseren Erfahrungen erzählen. Das endete in Ironien und ich stimmte in den Ton mit ein. Vonwegen Die alte Erde hält den Atem an … Leben ruft die Menge und baut Brücken ins Diesseits … Wir hatten die Chance zur Alternative 1956/57 verschenkt und die Erinnerung ein halbes Jahrhundert später noch verlächelt. Um radikal abzurechnen fehlten mir Mut und Wut. Von der Restalinisierung 1957 in der DDR führt jedoch eine brennende Lunte über den Untergang von 1989/90 und das nahtlos anschließende Ende der Sowjetunion in die globalen Macht- und Religionskriege des 21. Jahrhunderts. Es riecht nach 1914. Allein China wagte den 3. Weg und widerstand dem scheintoten Stalin. Ob es sich vor dem totalen Finanz-Chaos bewahren kann, wird sich erweisen. Die vereinigten Deutschländer aber marschieren traditionstreu in die nächsten Schlachten. Ihren Vätern brannte sich die sagenhaft siegreiche Stalinorgel ins Fell ein wie deren Vätern die „Schande von Versailles“. Unsere eifrigen Bundeswehr-Generäle werden alles tun, das Niederlagen-Trauma durch neue Siegeszüge auszulöschen. Bis zur nächsten dritten und letzten Niederlage. Wie war das doch mit Brechts Dreisatz? Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.
Die neuen Vertriebenen sind wir, die gelernten Nachkriegspluralisten beider deutscher Staaten, die auf eine Alternative zur kriegerischen Vergangenheit setzten, bis das Gespenst, auf Gegenwart umgeschminkt, schamlos zurückkehrte und behauptet, es sei die Zukunft. Oberst Klein, der in Kundus bomben ließ, dürfte zum 13./14. Februar in Dresdens Frauenkirche die Gedenkrede halten. Die Toten der Bombertage von 1945 werden ihm aus ihren luxuriösen Massengräbern heraus gewiss applaudieren.
Gladiatoren
Der Krieg war längst verloren. Sie weigerten sich, die Waffen abzulegen. So starben sie pflichtgemäß dahin. Als die neue Grenze stand, wollten die einen lieber rot als tot sein und die andern lieber tot als rot. Als sie sich siegreich vereinigt hatten, wurden die einen reich und groß. Die andern waren bald die schöne Arbeit los. Als die neuen Krisen blühten und die Krieger weltweit sich bemühten, war das Glück perfekt: Des Führers Untergang hat seine Geister aufgeweckt Unter dem Titel „Kein Verbrechen ohne Schuld“ schrieb der Spiegel am 22.12.91: „Für die Deutschen ist die Konfrontation mit der Vergangenheit so kompliziert, weil sie mit der Katastrophe der Nazizeit trotz unentwegter Debatten auch heute noch nicht fertig sind – und sich deshalb wohl mit viel Eifer auf die einfachere Abrechnung mit dem SED-Staat stürzen: Er war ja nur ein Teil Deutschlands, der häßlichere, und ist dem besseren Modell des anderen Teils schließlich erlegen. Womöglich reicht das Bedürfnis, nun die Nemesis walten zu lassen, in noch tiefere psychopathologische Untergründe der deutschen Vergangenheit: ›Offenbar suchen die Kinder Hitlers die Fehler ihrer Eltern an Stalins Knechten zu rächen‹ – auf diese Kurzformel brachte der Linke Gerhard Zwerenz, selbst DDR-Verfolgter, im DDR-nostalgischen Neuen Deutschland das Phänomen. Und selbst die bürgerliche Neue Zürcher Zeitung beobachtete bei Westdeutschen „den Anschein, als suchten sie Versäumnisse in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu kompensieren“.
Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 01.02.2010, geplant.
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