Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
3sat bot am 21. Januar 08 um 22 Uhr 25 einen kulturellen Höhepunkt:
Bühler Begegnungen – Peter Voß im Gespräch mit Henryk M. Broder. Da ich diesen Henryk Modest schon seit seinen Anfangszeiten in der Kölner POP-Szene kenne, setzte ich mich mit erprobter Überraschungsresistenz vor die Mattscheibe, schon nach kurzer Zeit und einigen Rachenkratzern fiel sein Stichwort: »Gerhard Zwerenz und ich hatten in den 80er Jahren eine Auseinandersetzung, wo Zwerenz apodiktisch sagte, per ordre de mufti, ein Linker kann kein Antisemit sein. Ich fragte: Gibt es Linke, die Steuern hinterziehen, ihre Frauen misshandeln, einbrechen, stehlen, betrügen – dazwischen Voß: Hat er das etwa auch verneint? – Broder: Nein, bejaht, das entsprach ja auch seiner Lebenserfahrung, aber beim Antisemitismus setzte es aus, das fand ich hochinteressant, diese Kraft der Verleugnung …«
Mit dem Satz, Zwerenz bezweifle nicht, dass es Linke gebe, die stehlen, weil das seiner Lebenserfahrung entspreche, hat Broder ein wahres Wort gesprochen, wie zu beweisen ist. In meinem Buch Die Rückkehr des toten Juden nach Deutschland, München 1986, schildere ich auf den Seiten 141/42 folgende Szene: Ende der sechziger Jahre fand in der Bad Godesberger Redoute eine Diskussion statt, bei der die Sprecher der literarischen Apo-Bewegung mit Politikern und Spitzenbeamten zusammentrafen. Nach hitzigen Diskussionen löste das Treffen sich auf. Gegen Ende startete Henryk M. Broder die erwartete große Provokation, indem er mit vollen Händen ins Tafelsilber griff und einen Packen Essbesteck in die mitgeführte Ledertasche warf. Der Silberklau blieb ungeahndet, das anwesende Personal wagte nicht einzuschreiten, das soignierte bürgerliche Publikum hatte dergleichen längst kommen sehen und fühlte sich endlich in seinem Schauder bestätigt. Broder hatte die Erwartungshaltung bedient, derzufolge diese aufsässigen jungen Langhaarigen das Eigentum eben nicht achten. Mir selbst war der lässige Diebstahl in aller Öffentlichkeit bedenklich erschienen, weil der junge Broder seinem demonstrativen Äußeren nach ebenso für die Apo wie geradezu bilderbuchhaft »semitisch« wirkte. Hoffentlich, dachte ich, werten die Zuschauer den Griff zum fremden Tafelsilber als Tat eines jugendlich-ungestümen, studentenbewegten Revoluzzers und nicht als Tat eines Juden.
Soweit ein originales Zitat aus dem Buch Die Rückkehr des toten Juden nach Deutschland, das ich denen empfehle, die seit drei Jahrzehnten über Antisemitismus reden, ohne sich zu informieren. Wenn ein Linker kein Antisemit sein kann, folgt daraus, dass ein Antisemit kein Linker sein kann, auch wenn Joachim C. Fest und Henryk M. Broder den Judenfeind vor allem bei der Linken sehen. Ist etwa ein linker Antisemit derjenige, der Broder nicht mag? Aber ich mag ihn, möchte ihn nicht missen und liebe ihn geradezu, selbst wenn er im Fernsehen dampfplaudert, ohne sich seines Verstandes zu bedienen. Am tapfersten erscheint er, wenn er den Pazifisten den Krieg erklärt und sie sowohl lächerlich wie runter macht. Alle abendländischen Klischees zitierend übertrifft er sogar die Christen, denen es seit zweitausend Jahren weiß Gott schwer genug fällt, ihren Herrn, diesen Generalpazifisten zu verleugnen. Ich freue mich auf die nächste Sendung der Bühler Begegnungen mit dem mobilen Vaterlandsverteidiger Broder und seinem Stichwortgeber Peter Voß, der als Intendant einst besser Bescheid wusste, wie ich mich erinnere.
Bis hierhin ist meine Antwort dem bei 3sat angeschlagenen Feuilleton-Ton zuzurechnen. Jetzt aber Nägel mit Köpfen. 1953 meldete Moskau eine jüdische Ärzteverschwörung, dann starb Stalin und die beschuldigten Mediziner wurden aus der Haft entlassen. Stalin offen des Antisemitismus zu verdächtigen, war in diesen Jahren höchst riskant, weshalb ich mich auf den Satz verlegte, ein Linker könne kein Antisemit sein, was im Umkehrschluss Zweifel ausdrückte, ob Stalin und die durch ihn geprägten Funktionäre noch den Linken zuzuordnen seien. Im Westen griff ich auf die Formulierung zurück, denn hier werden Linksintellektuelle von Marx bis Tucholsky qua »jüdischem Selbsthass« zu den Antisemiten gezählt, wie ja mehr und mehr Linke als Rechte uminterpretiert werden. Mit dem Broderschen Wortgebräu verschmutzte der Sender 3sat am 21. Januar 08 als erster die Atmosphäre, am darauf folgenden Sonntag, dem 27.1. sollte wie jedes Jahr der Auschwitz-Befreiung durch die Rote Armee gedacht werden, dazu sendete die ARD am Vorabend die deutschelnde Landser-Schmonzette Soweit die Füße tragen, in München wurde auf andere Weise gescherzt und in Hessen stand Kochs Ausländerschimpf zur Wahl.
Ich behaupte nicht, dass derlei glasklar antirussisch, rechts und antisemitisch sei, es beweist nur eine traditionelle Dimension, denn für alte Kameraden steht seit 1848 der Feind links, so widerspreche ich dieser saudummen Feindpropaganda nicht »per ordre de mufti«, sondern als ungebundener freier Schriftsteller, der sich weder von Hitlers Morddrohungen gegen Deserteure noch von DDR-Haftbefehlen kirre machen ließ und vom Broderschen Linkenhass schon gar nicht. Wenn er, obwohl sein Befrager Voß ihn zu mäßigen suchte, den »Pazifismus als feine Haltung für einen Kaffeenachmittag« definiert, ist er nichts besseres als einer, der aus dem schwarzen Kaffeesatz unserer kriegführenden Parteien liest. 1969 schlug Robert Neumann einigen Lehrern als Aufsatzthema für ihre Klassen vor: »Was weißt du von Hitler – vom Dritten Reich – von den Juden?« Neumann über das Ergebnis:: »Die beste Antwort, von einem sechzehneinhalb Jahre alten Gewerbeschüler: ›Hitler war einer aus der Ostzone, der die westdeutschen Juden umbringen wollte‹.«
Das erinnert doch stark ans mediale Programm von heute – Bruder Henryk schaffts auf diesem Weg gewiss noch zum Intendanten.
Und noch sind wir nicht am Ende der Vorstellung. Jetzt folgt der Clou. Alles, was hier bisher vorgebracht wurde, weiß Broder genauso und besser. In der taz vom 13.11.86 berichtete er stolz von seinem demonstrativen Silberbesteck-Klau, zitiert die Szene aus meinem Buch und belobigt es fast durchweg, was mich beinahe erröten lässt. Drei Jahre später fällt die Mauer. Im Spiegel, Heft 51/1991 öffnet man ihm 4 Seiten, oben auf der ersten ist sein schönes Foto zu sehen, darunter Bilder von Grass, Hermlin, Heym, Zwerenz, welcher Viererbande »moralischer Bankrott« attestiert wird, Titel: Henryk M. Broder über die Sympathien linker Intellektueller für die untergegangene DDR. Darauf einzugehen brauchte es eine Kabarettbühne. Oder soll ich es goutieren, wenn meinem, inzwischen verstorbenen, Freund und Kollegen Stefan Heym, der den Nazis entkam, als US-Soldat zurückkehrte und als Schriftsteller ein bleibendes Werk vorlegte, moralischer Bankrott bescheinigt wird, der auf nichts als dem Hang Broders zur Abwesenheit stichhaltiger Argumente beruht? Genauso armleuchternd werden Hermlin, Grass, Schorlemmer und alle anderen »verklemmten Zonis« nass rasiert. Nur Biermann kommt ungeschoren davon trotz zweifelhafter Bettgenossenschaft mit Margot Honecker, was sich beiden eher hoch anrechnen ließe, ob's erlaubt ist oder nicht. Und Henryks Mama erhält in den 4 Spiegel -Giftseiten exakt 21 Zeilen würdigenden Sohnesdank. Bruder Broder vermag mitunter sogar ein von ihm bekämpfter Gutmensch zu sein.
Soweit gab ich den Text als Antwort an Bruder Broder an die Zeitschrift Ossietzky, die meine Liebeserklärung am 9.2.08 druckte. Als ich das Heft 3/08 in den Händen hielt, merkte ich, das konnte noch nicht alles gewesen sein, denn Broders Gutmenschentum hält sich in engen Familiengrenzen. Zwar musste sein Busenfreund aus den Zeiten der St. Pauli-Nachrichten, der es bis zum Spiegel-Chef gebracht hatte, die Redaktion, wenn auch hoch zu Ross, im Karriere-Absprung verlassen, doch für Henryk Modest scheint das trockene Spiegel-Plätzchen gesichert, von dem aus sich kräftig gegen den Wind pusten lässt.
Leider spuckt er meistens mit dem Wind, wie er grad weht, und so spielt er gern den Bösmenschen als hätte Obrigkeit ihn extra dazu engagiert. Auch das mag noch zu den modischen Accessoires zählen. Sauer werde ich erst, wenn er sich mit seinem Nichtwissen brüstet: »Wer konnte ahnen, dass es mit der DDR so plötzlich vorbei sein würde? … Nun, zwei Jahre nach der Zeitenwende, mit der niemand gerechnet hat …« Broder hat nicht damit gerechnet? Ich schon, siehe z. B. meine Warnung in der Welt vom 13.5.1989, dokumentiert in »Mein Leben als Prophet«, Folge 15 dieser Serie.
Noch saurer werde ich, nimmt das forsche Freundchen sich meine Landsleute vor: »Es wird gemogelt, geschummelt, laviert und herumgeeiert. Daß die ehemaligen ›Zonis‹ auf diese Weise aus dem Sumpf ihrer Geschichte zu entkommen versuchten, ist ganz natürlich. Sie haben 40 Jahre taktiert, sich mit kleinen Notlügen und großen Chimären das Leben zurechtgelegt.«
Und wie steht's mit den großen und kleinen Lügen der BRD, die Broder früher nicht ganz unbekannt waren?
Henryk ohne Ahnung ahmt Richtung DDR den großen Historiker Arnulf Baring nach, der 1991 verkündete, dass »die Menschen im Osten verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt« wurden. »Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist auf weite Strecken völlig unbrauchbar … Sie haben einfach nichts gelernt.« Wir sehen, Baring passt zu Broder wie der Deckel auf den Topf.
Als die Deutschen so kohlbeglückt wie ohne Verstand vereinigt waren, prophezeite er 1991 den Wunsch der Polen, sich »mit großen Mehrheiten der Bundesrepublik« anzuschließen, und wenn das von »Moskau« aus als »unfreundlich« gesehen werde, könne es nötig sein, »deutsche Truppen nach Polen zu entsenden, dort zu stationieren...« Und dieser Tag werde kommen »...irgendwann im nächsten Jahrzehnt«. Da wir heute nach Barings Weissagung in seinem Buch »Deutschland, was nun« (1991) noch nicht Wroclaw gegen Moskau verteidigen dürfen, verwandelte sich der Prophet, radikal wie er ist, in den mittelständischen Revoluzzer. »Bürger auf die Barrikaden!« forderte er am 14.11.02 in der notorisch revolutionären FAZ: »Die Situation ist reif für den Aufstand... Ein massenhafter Steuerboykott, passiver und aktiver Widerstand, empörte Revolten ... Alle Deutschen sollten unsere Leipziger Landsleute als Vorbilder entdecken, sich ihre Parole des Herbstes vor dreizehn Jahren zu eigen machen: Wir sind das Volk!«
Professor Baring also ist das Volk, und die FAZ die Rote Fahne des verarmten Mittelstandes, der 300 Milliarden Euro steuerflüchtig ins Ausland zu verschieben gezwungen war, weshalb die verproletarisierten und ausgepowerten Millionäre und Milliardäre nun dem neuen schwarzen Barrikaden-Tauber auf die Straße folgen sollten. Sie kamen nur bis Liechtenstein, wissen wir heute. In seiner Begeisterung für die Leipziger Demos vergaß er allerdings seine luftigen Weisheiten von 1991, aus denen hervorgeht, dass die DDR »... eine Wüste« war.
Zwölf Jahre später sollen diese Wüstenbewohner das revolutionäre Vorbild für den westdeutschen Mittelstandsaufstand abgeben, was, wir gestehen es ungescheut ein, in die FAZ paßt wie die Granate ins Kanonenrohr: In diesem Blatt streichelte Joachim Fest einst des Führers Albert Speer zum Widerständler auf, besang Günther Gillessen den verurteilten Kriegsverbrecher Erich von Manstein als »fähigsten deutschen General« und Meister des »Sichelschnitts«, leider habe »der Zeitgeist, zumal in Deutschland, eine Art Verbot erlassen, sich anerkennend über militärische Leistungen zu äußern...« (FAZ 21.11.87), und erklärte Ernst Nolte: »Die Rede von der ›Schuld der Deutschen‹ übersieht allzu geflissentlich die Ähnlichkeiten von der ›Schuld der Juden‹, die ein Hauptargument der Nationalsozialisten war.« (FAZ 6.6.86) Hier ist weder von deutscher noch jüdischer Schuld, sondern von der Dummheit siegreicher Krieger die Rede. Ich erspare mir weitere Zitate und Darlegungen aus dem Blatt. Das alles ist völlig meschugge.
Die Folge 22 dieser Serie enthielt ein Foto von 1953. Unterschrift: Sechs Blochianer erwarten den Sozialismus in Auerbachs Keller. Wir zeigen das Bild hier erneut vor. Und siehe da: Das Paar rechts ging 1957 in den Westen. Der Mann lebt heute als emeritierter Professor in Kassel. Die Frau hörte einige Semester bei Adorno in Frankfurt am Main und kehrte in die östliche »Wüste« (Baring) zurück. Das Paar in der Mitte machte im DDR-Rundfunk Karriere, der Mann zählt zur erfolgreichen Hörspiel-Geschichte, beide erwiesen sich ab 1989/90 als »völlig unbrauchbar« (Baring). Wie das Leben eben so spielt mit den »verklemmten Zonis« (Broder). Bleibt das linke Paar. Die Frau hatte als Kind ihre schlesische Heimat verlassen müssen, im Land Brandenburg Aufnahme und eine gute Schulausbildung gefunden und an der Leipziger Karl-Marx-Universität einen Studienplatz. Die DDR zu verlassen hatte sie ursprünglich ebensowenig vor wie der Mann an ihrer Seite, dem der ganz gewiss moralisch intakte Broder im Spiegel »moralischen Bankrott« bescheinigte. Da es sich augenscheinlich bei dem neben Ingrid Zwerenz sitzenden Menschen um mich handelt, gehe ich schuldbewusst in mich und nehme mir nach reichlicher Prüfung vor, im nächsten Leben alles anders zu machen. Als gehorsamer Wehrmachssoldat werde ich statt zu desertieren jeden Schießbefehl befolgen, die Schuld am 2. Weltkrieg den Juden und Kommunisten aufbürden, meine DDR-Opposition ebenso bereuen wie meine Ostermarsch- und Anti-Vietnam-Kriegsreden in der Bonner Republik.
Den Teufel werde ich tun! Als Stefan Heym 1994 das Plenum des Bonner Bundestages betrat, um als Alterspräsident seine Rede zu halten, blieben CDU/CSU unter Helmur Kohls Kommando bräsig sitzen. Nun ja, so etwas passte zu Broder, hatte er doch Heym und anderen »Zonis« »moralischen Bankrott« bescheinigt, weil sie u.a. ihren Antifaschismus nur »simuliert« hätten. Grass wird verübelt, dass er sagte, »es habe selten einen ›grausameren und absurderen Sieg‹ gegeben als den der früheren Stasi in der heutigen BRD.« Lustigerweise steht der Grass-Satz im Spiegel als Fangzeile unter meinem Foto. Das ärgert mich vor allem, weil ich davor warnte, »die Stasi-Herrschaft zu dämonsieren.« Fragt sich nach diesem Chaos-Artikel, wie unzuständig, verwirrt, wo nicht politbanausisch ein Journalist sein muss, bis er so etwas schwarz auf weiß der Öffentlichkeit präsentieren darf. Doch vor den hohen Richterstühlen des zeitlos apohaften Broder und des national opahaften Baring, dieser Sieger im Weltbürgerkrieg, sind Ostdeutsche eben Wüstenbewohner. Insofern stehen wir sechs Personen, die Silvester 1953 in Auerbachs Keller der Zukunft nicht ganz hoffnungslos entgegensehen, stellvertretend für alle DDR-Bewohner: selber schuld. In linker Erbsünde vegetierend, egal was einer tut oder nicht.
Anfang 1944 brach in einem Bataillonsgefechtsstand der Wehrmacht vor Nettuno hochgradige Hysterie aus. In der Nacht hatte Hitler höchstpersönlich angerufen. Der Führer hat Angriff befohlen! schrie ein aufgeregter fast atemloser Major durch die Stellung. Die Soldaten staunten, erzitterten brav und liefen gehorsam ins Feuer. Befehl ist Befehl. Deutschland musste vor den Amis gerettet werden.
Am 22. Oktober 1923 ließ Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) die Reichswehr nach Sachsen (und Thüringen) einmarschieren, um die sozialdemokratisch-kommunistische Koalitionsregierung in Dresden unter Ministerpräsident Erich Zeigner (SPD) zu stürzen. Das war der Sachsenschlag in vorauseilender Parallele zum Preußenschlag von 1932. Denn Befehl ist Befehl. Deutschland musste vor der Volksfront gerettet werden.
Erich Zeigner, 1923 von Eberts Reichswehr abgesetzt, weil er zwei Kommunisten in seine Regierung aufgenommen hatte, kam unter Ebert in Haft, unter Hitler in Haft und KZ und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1949 in Leipzig, wo er für die Vereinigung von SPD und KPD arbeitete. Als gebürtiger Erfurter, der in Leipzig aufwuchs, zählt er zu den Klassikern der sächsischen Arbeiterbewegung – vielverfolgt und trotzdem aufrecht. Ich werfe einen letzten leicht melancholischen Blick auf des Foto aus Auerbachs Keller mit den sechs des Sozialismus harrenden Figuren und diagnostiziere mit der einem Sachsen naturgemäß eingeborenen Nüchternheit: Wir wurden seit 1923 pausenlos von einander abwechselnden Parteien und Militärs besetzt. Auf Ebert-Geßlers Reichswehr folgten Hitlers Wehrmacht, Stalins Sowjetarmee, Ulbrichts Volksarmee, Kohls Bundeswehr. Sollten wir's zur Abwechslung nicht mal mit den Pazifisten versuchen, auch wenn Bruder Broder das nur für einen Kaffeenachmittag zulassen will und Prof. Baring uns das »Sterben-lernen« empfiehlt?
Als sächsischer Internationalist lehne ich alle diese nationalistischen Besatzer und ihre Zumutungen ab. So sitzen wir getrost in Auerbachs Keller herum, wie Herr von Goethe uns Platz nehmen hieß als die lustigen Frosch, Brander, Siebel, Altmayer samt Chor, doch statt Faust tritt Prof. Baring auf, statt Mephisto Bruder Broder, den Goethe markiert der Platzhirsch Erich Loest, aber »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie«, denn jetzt will Biermann unbedingt den Faust spielen und Margot Honecker das Gretchen, für das Goethe-Loest bereits Frau Merkel einplante, die von der Regie(-rung) jedoch erst für die anschließende »Hexenküche« vorgesehen war, wie Uwe Johnson, auf einem Whisky-Fass vorbeireitend, anzüglich bemerkt und dann zitiert »Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied!«
Ich denk' still bei mir: In Goethes Leipziger Lieblings-Keller auf den Sozialismus wartend war das Studentenleben so garstig nicht, wie die Medienteufelchen uns einreden wollen. Vonwegen verzwergt und verhunzt: »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie. Und grün des Lebens goldner Baum.« (Faust 1. Teil, Studierzimmer)
Am Montag, den 03. März 2008, erscheint das nächste Kapitel.