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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 33. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  33. Nachwort

Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz


  Russische Revo­lution 1917 – Trotzki und Stalin noch als Genos­sen neben­einander, bevor der Mord sie trennte


Unter dem Titel Auf der Epochen­schwelle steht in der jungen Welt vom 8. Juli 2010 zum 125. Ernst-Bloch-Geburts­tag geschrieben: „Für den Anti­kom­munis­mus einiger seiner Schüler Günter Zehm, Sander, Gerhard Zwerenz z.B. – ist er weder subjektiv noch objektiv verant­wort­lich zu machen …“ So dekretiert vom Herrn KP-Genossen Prof. Dr. und Philo­sophen Hans Heinz Holz. Jeder Vorwurf des Anti­kommunis­mus lässt fragen, geht er gegen Kommunisten, die andere Kommunisten umbringen oder gegen welche, die von Kommunis­ten umgebracht worden sind. Über den jW-Artikel musste ich lachen. Als ich ihn und die Fort­setzung am nächsten Tag gelesen hatte, sagte ich mir, was soll's, der Verfasser hat sich bemüht.

 

In früheren Zeiten, als die stärkste der Parteien der Arbeiter­klasse dem Anti­kom­munismus-Vorwurf die Untat folgen ließ, wäre ich alarmiert gewesen. Wie war das – ließ Trotzki den Genossen Stalin ermorden oder Stalin den Genossen Trotzki? Heute ist dies alles das Geschäft von Märchen­erzählern, die fürs sanft einschlafende Kindlein sorgen sollen. Das ist eben so in der Vorlaufzeit zum Welt­unter­gang. Kurt Tucholsky am 15.12.1935 an Arnold Zweig: „Man muss von vorn anfangen, nicht auf diesen lächer­lichen Stalin hören, der seine Leute verrät, so schön, wie es sonst nur der Papst vermag – nichts davon wird die Freiheit bringen. Von vorn, ganz von vorn.“

 

Dabei wollte ich's belassen. Doch mein Pseudonym Gert Gablenz will nicht schweigen. Zehm, sagt er, ist in der Tat der rechte Flügel­mann unter den Bloch-Schülern. Steht alles in Kopf und Bauch, Frankfurt/M 1971, sag ich, Zwischenbericht, Seite 111 bis 152. Um das zu wissen, meint Gablenz, müsste der Professor mal etwas anderes lesen statt nur sich selbst und andere Klassiker, doch als Solipsist reproduziert er ständig seine eigenen Irrtümer und Missgriffe. Ich: Er präsentiert Hans Dietrich Sander ungescheut als Bloch-Schüler. Darauf Gablenz: Das war dieser Herr nun wahrlich nicht. Im Nachwort 32 hast du ja einen Artikel des Springer-Journa­listen Sander aus der Welt über dich nachge­druckt, demnach bist du ein hochge­fährlicher Kommunist. Ich würde gern einiges zitieren, was es von dir über HHH gibt. Einverstanden? Ich: Nein, denn es wird nichts nützen bei hochgebildeten Analphabeten und Legasthenikern. Doch kann ich dich nicht hindern, du bist ein freies Pseudonym.

 

Gablenz: Zuerst ein paar Sätze aus Sklavensprache und Revolte: Mitte der fünfziger Jahre tauchte der seiner Progressivität halber gerühmte Hans Heinz Holz aus Westdeutschland in Leipzig auf. Sein Wunsch, in die DDR überzusiedeln und an Blochs Philo­sophischem Institut zu arbeiten, wurde in der Parteiorganisation heftig diskutiert. Man befürchtete, mit Holz dringe westliche Dekadenz in die Republik ein. Bloch gab sich nicht gleich geschlagen. Da fand sich die Schrift eines westlichen Autors, der in der DDR gänzlich undenkbar war. Holz hatte viele Jahre früher ein Vorwort dazu geschrieben. Das genügte. Bloch sah ein, Holz würde nie in die DDR übersiedeln dürfen und wäre er ein Genie wie weiland Prof. Hegel. Also. blieben dem Doktor Holz genau jene politischen Verwicklungen erspart, die ihn später in der BRD bekümmerten, weil ihm die hiesigen Ideologie-Bürokraten nun seiner KP-Nähe wegen zusetzten.

 

Mehr über den Fall Holz und seine Weite­rungen steht in Folge 82. Hier ein Auszug: Edgar Most, vormaliger Vizepräsident der DDR-Staatsbank, der seine Karriere als Direk­tor und Vorstands­mitglied in der Deutschen Bank fortsetzen konnte, äußerte in der jungen Welt vom 2./3. Mai 2009: „Wir brauchen eine Markt­wirt­schaft, einen dritten Weg. Der Markt­kapita­lismus hat versagt, ebenso der Staats­sozia­lismus. Markt und Staat müssen zum Wohle der Menschen zusammen­gebracht, der Dollar muss als Leit­währung abgeschafft werden. Wir brauchen eine fiktive Weltwährung.“ Am 11. Mai wurde Most in Neues Deutschland noch konkreter: „Es muss endlich ein Pakt Ost beschlossen werden, der für 40 Jahre gilt, egal wer regiert – eine Art zweites Grund­gesetz für Ost­deutschland. Man hat sich mit der Wieder­ver­eini­gung gegen eine neue Verfassung entschieden. Es wurden nie die Vorteile Ost und West auf den Prüfstand gestellt und abgewogen. Die Bevölkerung ist nicht gefragt worden. Und damit haben wir auch nicht die mentale Einheit. Die Ostdeutschen fühlen sich über den Tisch gezogen. Es ist das eingetreten, was wir immer gelehrt bekommen haben: ›Das Sein bestimmt das Bewusst­sein.‹ Wenn man keine Arbeit hat, keinen gefüllten Geldbeutel oder bei Sozial­leistungen unter­schiedlich behandelt wird, wie soll man dann das System befürworten? Ein System wird daran gemessen, wie viel Armut es versorgt oder zulässt. Das gilt auch für den Dritten Weg.“

 

Das konkrete Sofort-Programm von Most lautet: „Soli­dari­täts­zuschlag ab­schaf­fen, Stasi-Akten schlie­ßen, denun­ziato­rische Geschichts­bilder zer­reißen. Vor allem aber Steuer­modelle speziell für den Osten, die nationales und inter­nationales Kapital anlocken. Groß­betriebe mit mehreren Stand­beinen, auch in der Land­wirtschaft, Erhöhung der Bil­dungs- und For­schungs­ausgaben, Rück­holung der abge­wanderten jungen Leute durch spezi­fische Anreiz­programme, finanzielle Absi­cherung kultureller Standorte etc. Dann kann der Osten sich selber nähren und wird gesamt­gesell­schaftlich zur Wert­schöpfung beitragen. Und es kann endlich innerer, sozialer Frieden einkehren.“

 

In der jungen Welt hatte die nach dem chinesischen Dritten Weg klingende Forderung prompt zu unter­schiedlichen Reaktionen geführt. In einem ersten Leserbrief war Most ein „fundierter Fachmann“, im zweiten hieß es im üblichen Jargon: „Sein Gefasel vom ›dritten Weg‹ zeigt, dass er die ökono­mische Basis der gesell­schaftlichen Verhält­nisse nicht kennt, weil er sonst wüsste, dass an gesell­schaft­lichen Haupt­produk­tions­mitteln nur entweder privates oder gesell­schaft­liches Eigen­tum bestehen kann …“

 

Die braven Orthodoxen, welcher Glaubens­richtung auch immer, greifen automatisch zum großen Hammer. Dazu gibt's einen feinen Witz:

 

Ein nach Bayern ver­pflanzter Berliner Steppke wird vom Lehrer gefragt: Was ist das? Es ist lockig, hüpft munter von Ast zu Ast und hat einen langen buschigen Schweif? Antwort: Ick hätt ja jedacht, es ist ein Eich­hörn­chen, doch wie ick den Betrieb hier kenne, wird's wohl das liebe Jesulein sein.

 

Was dem einen sein Jesulein, ist dem anderen das Eigentum an den Pro­duk­tions­mitteln. Dogmatiker aller Kirchen vereinigt euch. Im 3. Weg finden sie zueinander gegen­einander und gegen­einander zueinander. Hatte Heinrich Schwartze schon 1957 in Neues Deutschland vor der Illusion des Dritten Weges gewarnt, warnt 52 Jahre später der DKP-Theoretiker Hans Heinz Holz: „Einen dritten Weg zwischen Marx-Engelscher Dialektik und einer anderen Inter­pretation philo­sophischen Wissens gibt es nicht …“ Die Artikel-Über­schrift lautet: Parteienkampf in der Philo­sophie.(junge Welt 13.5.2009) Tags darauf holt Genosse Prof. Holz noch einmal weit aus und behauptet so umfangreich wie unver­drossen die „Unmöglichkeit des dritten Wegs“, wobei er, einmal im teuto­nischen Elan, gleich den ihm zu idealis­tischen Königs­berger Immanuel Kant mit erledigt.

 

Im Sammelband nachzulesen ist Blochs Erklärung zum 3. Weg
 
Ernst Bloch, sein Doktor­vater, auf den Holz sich gern beruft, ist zu unserer Haupt­frage anderer Ansicht: „Ich habe gesagt, dass ich mich zur DDR bekenne, dass ich diesen dritten Weg für disku­tier­bar halte … es gibt nur die Selbst­reinigung des Marxis­mus, das ist eine alte Theorie von mir. Das heißt aber nicht, also Moment, zur DDR kann ich mich beken­nen, zur Regie­rung nicht.“ (Quelle: Leipziger Abhör-Protokolle, Treffbericht mit GI Lorenz vom 7.12.1957 – wahrscheinlich Fik­tiona­lisierung in eine Person, in Wirk­lich­keit Auf­zeichnung durch Wanzen) Was nun, Genosse Holz? Seine Sicht auf die Geschichte wäre dis­kutabel, hörte sie nicht 1923 mit dem Ende der Revo­lutionsperiode und 1924 mit Lenins Tod auf. Zum anschlie­ßenden Konflikt Stalin-Trotzki und der neuen massen­mörde­rischen Weltlage schweigt des Theore­tikers Höflichkeit, denn im Kom­munis­tischen Mani­fest steht kein Satz über faschis­tische und/oder stalinistische Konter­revo­lutionen. Marx war ein begnadeter Diag­nostiker, kein Prognostiker. Vom Faschis­mus und Stali­nismus trennten ihn Welten.

 

Mein Pseudonym Gert Gablenz, einmal im Schwung, möchte die gesamte Folge 82 zitieren. Da spreche ich ein Macht­wort. Wer Näheres zum 3. Weg wissen will, kann im poetenladen selber reinklicken. Hier die lustigen 3 Schluss-Sätze der Folge 82: … gestern durfte in der jungen Welt der marxis­tische Prof. Dr. Wolfgang Fritz Haug mit Fug und Recht dem marxistischen Prof. Hans Heinz Holz die Leviten lesen. Die Herren Genossen Akademiker werden doch nicht etwa auch noch den Moskauer 20. Partei­tag der KPdSU von 1956 entdecken. Bei soviel Fort­schritt wird einem ja ganz schwindelig.

 

Laut jW-Anmerkung ist der Holz-Beitrag vom 9.7.2010 die überarbeitete Fassung des 1985 in der Schriften­reihe der Marx-Engels-Stiftung, Band 4, dokumentierten Vortrags Ernst Bloch – Denker der Zwischen­welten. Bloch gelangte demnach von 1985 aus den Zwischenwelten auf die Epochen­schwelle von 2010 – die Jahre 1989/90 sind dabei verschwunden wie die vormaligen Holz-Einsichten vom Sperma der Blochschen Philosophie. Logos Spermati­kos. Ernst Blochs Philosophie der unfertigen Welt, Luchterhand, 250 Seiten, Darmstadt/Neuwied – ein interessantes Buch, leider vom Verfasser in die Luft ejakuliert. Das ist ideologische Lüftl­malerei, und dieses scherzhafte Angebot steht hier aus Achtung vor dem früheren, jedenfalls vergangenen Marxisten Holz. Ein Wort noch zur Zeitung junge Welt, in der auch Artikel erscheinen, die wir jedenfalls nicht missen möchten, etwa Was war 1968 von Helmut Dahmer oder Ungezogene afghanische Kinder von Kurt Pätzold – beides erschienen am 12.7.2010, nennen wir als jüngstes Beispiel noch Otto Köhlers Doppel­seite vom 13.7. über Christian Wulffs seltsame Haltung zu den von ihm favo­risierten Schlesier-Treffen und Polen.

 

Wir schalten zur jungen Welt vom 8. und 9.7. zurück, wo Holz seinen Anti­kom­munismus-Vorwurf in einer Ulbricht-Apologie münden lässt. Demnach enthielt Ulbrichts „Rechen­schafts­bericht an das 30. Plenum des ZK der SED … keinen einzigen direkten Vorwurf gegen Bloch“, auch werde „die gespannte Leipziger Lage nur mit einem kurzen Zitat aus dem Brief der Partei­leitung der SED am Institut für Philo­sophie an Bloch erwähnt. Kurt Hager führte in seiner Diskussions­rede dann Beispiele für partei­feind­liche Inter­ventionen von Bloch-Schülern an und fuhr fort: ›Man fragt sich, was ist das für eine Philosophie, die derartige Resultate hat?‹ “

 

Ich weiß nicht, woher Prof.Holz seine Informationen bezieht. Als Prog­nostiker, der ich mitunter bin, beant­wortete ich die Fragen zu Ulbricht, Bloch, Hager schon vor Jahren, so dass ich den Text nur dem Hausarchiv zu entnehmen brauche:

 

Ein Brief Walter Ulbrichts und die Unsterblichkeit Ernst Blochs

 

Inzwischen aufgefundenen Geheim-Akten sowie Unterlagen von Staat, Partei und Uni­versität ist zu entnehmen, dass bis zum November 1956 nicht beabsichtigt war, Ernst Bloch zu repressieren. In unserem Archiv findet sich ein Brief Walter Ulbrichts an Paul Fröhlich, den 1. Sekretär der SED-Bezirks­leitung Leipzig. Mit Datum vom 28.11.1956 wird vor ideologischen Ein­flüssen aus Polen und Ungarn gewarnt. Gleich zu Beginn ist Ernst Bloch genannt.

 

Das Schreiben, im Ton gemäßigt, bezieht sich auf bereits übermittelte „Materialien“ und fordert zur ideologisch-politischen Abklärung auf. Hand­schriftlich ist angefügt: „Auch eine Besprechung mit Professor Markov wäre von Nutzen“, was friedvoller klingt als es ist. Markov war wegen Titoismus aus der Partei ausgeschlossen worden.

 

Leipzig war alarmiert. Bereits am 15.12.1956 wurde ein umfangreicher „Bericht“ über Blochs Philo­sophisches Institut fertiggestellt, an dessen Erarbeitung sich Partei und Staats­sicherheit beteiligten. Die Mischung aus Tatsachen und flüchtigen Fehlern wie schwer­wiegenden Irrtümern gibt von jetzt an die Linie der Verfolgung für das ganze Jahr 1957 vor. Ulbrichts Hinweis so radikal wie möglich inter­pretierend, setzte Fröhlich den Philo­sophen wiederum an die Spitze der Verdächtigen, womit Bloch in allen Unter­suchungen von vornherein zum Haupt­belasteten erklärt werden konnte.

 

Auf dem geheimen 33. Plenum im Oktober 1957 behaup­tete Ulbricht, Bloch habe „konter­revolu­tionäre Stim­mungen ... erzeugt. “ Auf eine nicht befrie­digende Antwort Kurt Hagers folgte laut Protokoll ein Zuruf, der wahr­scheinlich auch von Ulbricht stammt: „Er hatte doch seinen Plan für die Konter­revo­lution.“ (Zitiert nach der Beilage zu Das Parlament vom 18.12.1957)

 

Der verschärfte Vorwurf ist durch die streng vertraulichen, dem SED-Plenum vorliegenden Informationen nicht völlig gedeckt. Auch wird unter­schieden zwischen „A. Die staats- und partei­feindliche Gruppierung Harich-Janka“ und „B. Ideologische Bastionen feindlicher Art“, worunter Bloch und seine Schüler gerechnet werden, was darauf deutet, dass Ulbrichts Bemerkung über einen konter­revolutionären Plan Blochs nicht strafrechtlich, sondern im ideologischen Sinne gemeint war. Der Berliner Zeit­geschichtler Prof. Siegfried Prokop schrieb mir am 29.3.2001 über das 33. Plenum: „In der Diskussion mussten Becher, Bredel, Dahlem und Hager Selbstkritik üben. Sie hatten aus der Sicht Ulbrichts alle eine falsche Position zu der konter­revolutionären Gruppenbildung Blochs.“

 

Im Laufe des Jahres 1957 entwickelte Ulbricht sich vom zurückhaltenden Bloch-Gegner zum radikalen Feind. Abgesehen von subjektiven Gründen sind dafür zwei andere Faktoren bestimmend. Erst die gezielte Zuarbeit durch die Leipziger Parteiführung ermöglichte es, Bloch zum Hauptfeind aufzubauen. Damit sah Ulbricht sich imstande, seine Berliner Widersacher in Politbüro wie ZK zu bedrängen und anzugreifen. Die von Siegfried Prokop genannten Personen können durch weitere Betroffene ergänzt werden. Das 33. Plenum im Oktober 1957 festigte Ulbrichts Position durch Schwächung seiner Gegner. Dabei war bisher unbekannt, dass Ulbrichts Brief vom 28.11.56 sich nicht nur gegen Bloch richtete, sondern auch gegen Johannes R. Becher. Laut Aktennotiz des MfS vom 26.11.56 signa­lisierte „die KP May“, dass „von Seiten des Kultur­ministers Genosse J. R. Becher veranlasst wurde, dass am 27.11.1956 im Haus der Wissen­schaften Leipzig C1, Dimitroffstr. eine Aussprache von Intelli­genzlern stattfindet. Genosse J.R. Becher spricht zu dem Thema ›Aktuelle kultur-politische Fragen.‹

 

Der Kulturbund des Bezirkes Leipzig wurde verantwortlich gemacht, ca. 60 – 80 Personen einzuladen. Zu den einge­ladenen Personen gehören General­intendanten, Direktoren der Hochschulen u.a. Besonderen Wert legt Genosse Becher auf den Zwerenz-Kreis und den Schriftsteller Loest. Besondere Einladungen werden zu dieser Aussprache nicht verschickt. Alle Personen werden fernmündlich geladen. Genosse Wagner, Siegfried – Bezirksleitung der SED Leipzig, wurde ebenfalls eingeladen.“

 

Ein Vergleich der Daten ergibt: Becher signalisiert am 26.11.56 von Berlin aus seinen plötz­lichen Besuch für den nächsten Tag in Leipzig. Das beabsich­tigte Treffen wird vor Ort hintertrieben, der Kultur­minister fährt enttäuscht am Morgen des 28.11. nach Berlin zurück. Am selben Tag richtet Ulbricht seinen Brief an den Leipziger Bezirks­sekretär, durch den der Konflikt mit Bloch eskaliert. Becher muss auf dem 33. Plenum für seine Verstän­digungs­versuche vom Vorjahr zusammen mit Hager, Dahlem und Bredel Asche auf sein Haupt streuen. Die end­gültige Abrechnung mit Bloch erfolgte noch im Dezember auf der Ebene des Kulturbundes.

 

Bloch jedoch, der 1977 starb, erschien Fest noch 1980 als lebender revolutionärer Unruhe­stifter in Person
 
Trubel und Ärger wegen Bloch ist stets mit dessen revo­lutio­nären Ideen ver­bunden. Fand Ulbrichts Brief vom Jahr 1956 seine Antwort in der repres­siven Reaktion des DDR-Staats­appa­rates, gras­sierte das Unbe­hagen an Bloch auch in der Bonner Republik. Am 10.3.1991 sandte Ingrid Zwerenz folgende Leser­zuschrift an die FAZ: „Joachim Fest schreibt am 9.3.1991 in seinem Bloch-Porträt: ›Über Man­gel an revolu­tionärer Un­ruhe brauchen wir keine falschen Sorgen zu haben, versicherte der Philo­soph noch 1980.‹ Nun war Ernst Bloch gewiss eloquent, doch als Toter dürfte er kaum noch gesprochen haben, auch wenn Joachim Fest derlei ver­nommen zu haben vermeint. Bloch starb im Jahr 1977.“

 

Der Leser­brief blieb ohne Antwort. Wir haben verstanden: 1957 beschuldigte Walter Ulbricht den Philosophen der Konterrevolution im Osten, 1980 sah Joachim Fest, damals FAZ-Mitherausgeber, den Denker im Westen revolutionäre Unruhe verbreiten. So zweifach bescheinigt ist die Unsterblichkeit des ewigen Ketzers und konterrevolutionären Revolutionärs Ernst Bloch gewiss.

 

Soweit unsere Reaktion auf die Löcher im Wissen eines „der deutschen Universal­gelehrten“ (siehe Wikipedia) Holz, insofern es die DDR-Geschichte von Ulbricht bis Bloch angeht. Es kann jederzeit mehr dazu geliefert werden. Die vom FAZ-Herausgeber manifestierte Unkenntnis, Bloch betreffend, scheint sich übrigens im Blatt genetisch fortzusetzen. Fest-Nachfolger Frank Schirrmacher beleitartikelte am 10.10.2007 Bloch als „Mystiker, der leider ins rote Prophetentum abglitt.“

 

Wir kehren vom schreckhaften Bürgerfeuilletonisten zum KP-Philosophen zurück. Im Dezember 2009 lieferte Holz einen Text, der im KomInform so eingeleitet wird:

 

Hans Heinz Holz über Stalin
21.12.2009, 02:39
Beitrag von: Anonymous
  Heute, 21.12.2009, jährt sich – nach sowjetischer Tradition – zum 130. Mal der Geburtstag von Jossif Wissa­riono­witsch Dschuga­schwili, besser bekannt als Stalin.

In beilie­gendem Artikel behandelt der berühmte marxistische Philosoph Hans Heinz Holz Leben und Werk Stalins, fern der apolo­getischen Verehrung, aber auch der Dämo­nisierung und Verteu­felung, wie es heutzutage in Kreisen der „modernen Konjunktur­linken“ gar so schick ist, aber weder den historischen Tatsachen, noch einer marxistischen Analyse gerecht wird.

 

Ob man nun Kommunist, Ex-Kommunist, Anti­kommunist oder nur wissens­durstig ist, die drei Seiten zum Stalin-Geburtstag wollen gewürdigt sein. In strenger Objektivität selbstverständlich, dekonstruktiv eben, wie es die Meisterdenker lehrten.

 

Diesen Spaß behalten wir uns fürs nächste Nachwort vor. Jedenfalls nähern wir uns in konzentrischen Kreisen dem Leipziger Bloch-Quadrat mit dem vormaligen Dimitroffplatz an der Pleiße und Auerbachs Keller, wo unser Stück spielt, dessen Weltenbürger-Ensemble Goethe, Faust, Mephisto, Nietzsche, Kafka, Bloch jetzt durch Hans Heinz Holz komplettiert wird, der seinen Genossen Stalin mitbringt. Regie führt Stalin­preisträger Bertolt Brecht. Kurz vor seinem Tod nannte er Stalin Verdienter Mörder des Volkes. Lustspiel oder Trauerspiel – das ist hier die Frage. In der Hauptsache aber stimmen wir wohl überein – historisches Verdienst des Jossif Wissarionowitsch ist die massenhafte Produktion von T 34 und Stalinorgel, deren wagne­ria­nische Marsch­musik der sieg­reichen Wehrmacht die Rückkehr zum Berliner Reichstag instrumentalisierte.

 

Dieser Tage parlierte unsere polyglotte Reisekanzlerin munter po russki mit Medwedew und Putin zwecks Wirtschaftsbeziehungen. Ende der dreißiger Jahre gab es sowas schon mal, bis es 1941 anders kam. Unsere NATO-Spitzen begründen die Wehrpflicht mit dem Verweis auf Georgiens Aufnahme ins Bündnis und seine Bedrohung durch Russland. Mal sehen, wie diesmal im Reichstag entschieden wird.

Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 26.07.2010, geplant.

Fotos zur Lesung mit Gerhard Zwerenz aus der Sächsischen Autobiographie am 19.11.2009 im Haus des Buches, Leipzig   externer Link

Lesungs-Bericht bei Schattenblick  externer Link

Interview mit Ingrid und Gerhard Zwerenz bei Schattenblick  externer Link

Gerhard Zwerenz   19.07.2010   
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz