POETENLADEN - neue Literatur im Netz - Home
 
 
 
 
 
 
 

Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | Folge 78

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

78

Die zweifache Lust

Gerhard Zwerenz
Die Lust am Sozialismus
Heinrich Heine Verlag
Frankfurt a.M 1969
Friedrich Sieburg
Die Lust am Untergang
rororo-TB 1961
Der sächsische König August der Starke war Souverän, Potentat, potent, Protzer, Playboy und ein früher 68er – alles in einer Person. Hielt es mit den Russen gegen die Schweden, pfiff auf den landes­eigenen Protes­tantis­mus, wurde katholisch, den Polen zu gefallen, den Rest des Adels bestach er mit Geld und schönen Weibern, die er selbst soweit befreite, dass sie in sein breites Bett an der Elbe sanken, und wenn eine intrigant wurde wie die Gräfin Cosel gab es Festungs­haft bis ans Lebensende. So wider­rief der frühe 68er seine Libe­ralität ganz wie unsere 68er die ihre, als sie zu Ministern aufstiegen. August war märchen­haft lenden­stark und zeugte, wer hat mitgezählt, vielhundert Kinder, wie das Volk bewundernd raunte als wär's aus Tausend­und­einer­nacht, in Wirk­lichkeit waren es nur ein oder zwei Dutzend linker Hand, er liebte sie alle väterlich und erkannte seinen Nachwuchs königlich an. Heute ist die Hälfte der Ursachsen von königlichem Geblüt, nur die zuge­reisten Spät­sachsen sind für die landes­weiten schwarzen Sümpfe verant­wortlich, aus denen sie stammen.

Soviel als Vorspruch für eine Erklärung in eigener Sache. Unsere liebens­würdige Hei­mat­serie firmiert als sächsische Auto­bio­gra­phie in 99 Frag­menten, was sowohl das Land als auch den Landes­flücht­ling, also Land­streicher betrifft. Ohne bestimmte Absicht schrieb ich nach und nach ne Menge auf und ziehe es von Fall zu (Un-) Fall hervor. Von Gablenz, Crimmitschau, Chemnitz, Leipzig bis Dresden, Erzgebirge, Vogtland, von Pleiße, Mulde, Elbe bis Oder, Neiße und tausend Bäch­lein ist bisher alles vertreten. In konzen­trischen Kreisen näherten wir uns dem faustischen Ort in Leipzigs Mitte. Es gibt zwei zentrale Stätten im Land: den Königshof als Märchen­schloss an der Elbe und den Doppelpalast inmitten von Leipzig an der Pleiße, beidseits direkt anschließend – westwärts das seines Namens beraubte Dimitroff­museum, ostwärts das noch nicht so benannte Bloch-Quadrat. Hier sind wir nachhaltig zuhause. Hier beginnt und endet der vielverleumdete Dritte Weg. Jüngst ist wieder aus dem Inneren der Behörde für gestrige und heutige Unwissen­heiten zu vernehmen, ich hätte in den Folgen 68 und 69 dieser fröhlichen Serie doch nur Ulbrichts Genossen Graf und Prof. Kosing bestätigt, wonach Prof. Markow den Unwillen Blochs von 1956/57 konsta­tierte, von mir für den opposi­tionellen Dritten Weg in Anspruch genommen zu werden.

So simpel, werte Genossen, ist das nicht. Keineswegs verargte ich Markow seinen Disziplinierungsversuch, schließlich hatte er selbst Grund genug, als abgestempelter Titoist seine Obrigkeit zu fürchten. Bloch wiederum wollte ab Oktober 1956 durch Mäßigung dem aus Budapest verschwundenen Georg Lukács helfen. Allerdings blieb er nicht durchweg so zurückhaltend. Wissend, dass meine Post kontrolliert wurde, gar die Mitleser lustvoll konternd, schrieb er am 25.3.1957 einen Brief, den ich 2004 in Sklavensprache und Revolte in Auszügen zitierte, was zur Kenntnisnahme offenbar nicht ausreicht, also folgt hier, den partiellen Analphabetismus zu beheben, das vollständige Schreiben als Beitrag zur Geschichte des Briefverkehrs in der DDR der fünfziger Jahre:


 Handschriftlicher Brief Blochs
 vom 25.3.1957 an Zwerenz
 (Zoom per Klick)

Abschrift
Brief von Ernst Bloch an Gerhard Zwerenz
25. III. 57
Wilhelm-Wild-Str.8. Leipzig W 31

Lieber Herr Zwerenz,

etwas stimmt da nicht. Wir scheinen keine gut arbei­tenden Zwischen­träger zu haben. Prof. Mayer hat den von Ihnen angegebenen Rat nicht an mich gerichtet. Ich glaube im Gegen­teil, dass Hans Mayer zu Ihnen rebus sic stantibus sympa­thisch steht.
Doch ist das alles ja offenbar halb so wichtig. Bei mir selber jeden­falls brauchen Sie nicht zu meinen, dass ich mich – weil mir seiner­zeit der Witzton im Allerlei nicht gänzlich gefallen mochte und konnte – dass ich mich zu einer – wenig edlen – Distanz bequeme.
Von der Hacks-Kontro­verse habe ich nur durch Kleine vor einigen Tagen etwas gehört.
Und sicher weiss ich nicht, was das alles mit Ihnen und mir, mit „gutem Onkel“ und mit dem „Ansehen Blochs“ zu tun haben soll.
Ich glaube, da ist eine gewisse verdinglichte Nervosität, und sobald wir wieder einen Tee zusammen trinken, stellt sich die Realität wieder her, die nicht nur aus Hundsfott und Honiglecker bestehende.
Ich beglück­wünsche Sie, dass es nun zu einem Boden für belle­tris­tische Betäti­gung reicht. Und das Leben auf dem Land wird Ihnen tüchtig anschlagen. Aber bevor Sie weg­gehen, machen Sie mir das Vergnügen, Sie zu sehen und zu sprechen.
( s .oben)
Ihr Ihnen herzlich ergebener
Ernst Bloch

Hier ist schwarz auf weiß zu lesen, wie wenig exakt Ulbrichs Sekretär Herbert Graf die damalige Situation erfasst, wenn er vom „größten Unwillen“ Blochs schreibt, „von einigen aufgeregten Studenten à la Zwerenz als Kronzeuge“ der Opposition „auf den Schild gehoben“ zu werden.

Blochs Schreiben ging in leicht ver­schlüsselter Form auf einen leicht ver­schlüsselten Brief von mir ein, der offenbar nicht mehr aufzufinden ist. Da ich durch die Staatssicherheit vor weiteren Kontakten mit Bloch gewarnt worden war, machte ich von Blochs Einladung erst im Sommer Gebrauch.

Zu einigen Details: Die Kontroverse mit Hans Mayer schildere ich in Der Widerspruch. Blochs Missfallen am „Witzton“ bezieht sich auf meinen Artikel Leipziger Allerlei im Sonntag (21.10.56).

Gustav Just hatte mir einen Ratschlag von Bertolt Brecht übermittelt, den ich beherzigte. Die leichtere Machart missfiel Bloch jedoch als „Wiener Feuilleton“. Der wahre Grund für seinen Einwand erhellte sich erst später. Mit „Kleine“ ist der über lange Zeit hin repressierte Bloch-Schüler Lothar Kleine gemeint. Die „Hacks-Kontroverse“ resultiert wahrscheinlich aus einem geheimdienstlichen Zersetzungsversuch, wie Hacks Jahre darauf ent­schul­digend mitteilte. Karola Blochs Verweis auf meinen beabsichtigten Weggang Richtung Westdeutschland trifft zu. (Folge 68) Sie wusste nicht, dass ich auch Ernst Bloch gewarnt hatte – in Ostberlin kursierten Gerüchte über seine bevorstehende Verhaftung.

Übrigens fand mein letzter Besuch in der Wilhelm-Wild-Straße nicht „eines Morgens“ statt, sondern abends, als es an diesem Sommertag endlich dunkelte. Ich wollte mit meinem Zelt nach kurzem Zeit wieder verschwinden und im Wald schlafen, doch der vereinsamte Philosoph war so animiert wegen der Aussicht, statt ins Bett zu gehen, die Nacht im Gespräch zu verbringen, dass er Karolas Einwand, ich könne beobachtet worden sein, mit dem schlagenden Argument abwies: „Entweder sind sie ihm gefolgt und wissen sowieso Bescheid, oder es ist nicht an dem, in beiden Fällen kann er also im Hause bleiben.“ Man sieht, der Philosoph war in Leipzig an der Pleiße auf phantasievolle Weise widerspenstiger als später in Tübingen am Neckar, wo Walter Jens am Ende auch nichts anderes übrigblieb als den Hölderlin im Turm zu spielen.

Bloch bewies auch bei anderer Gelegenheit Stehvermögen. Einige Zeit vor dieser Nacht war er eigens nach Jena gereist, um sich bei Prof. Mende für dessen Assistenten Günter Zehm zu verwenden, der in ideologische Aus­einander­setzungen geraten war. Mende erstattete einem MfS-Offizier Bericht über den Bloch-Besuch. In einem Brief, den Rainer Kirsch am 20.2.57 aus Jena an Heinz Kahlau nach Berlin schickte und von dem die Stasi eine Abschrift fertigte, heißt es zu diesen Vorgängen: „Lieber Heinz ... mein Freund Günter Zehm (der von Zwerenz im Leipziger Allerlei erwähnte Philosoph mit der beachtlichen Staatsexamensarbeit ...) wird am Montag aus der Partei ausgeschlossen werden, dann wahrscheinlich arbeitslos dasitzen. Letzte Versammlung ging schon um ihn. Prof. Mende tobte in ausgesprochen faschistischer Art ... Pogromstimmung ...“

Am 4.3.09 lief im RBB die Sendung Klipp und Klar mit Haupt­darsteller Schabowski, der einst die Mauer verteidigte und 1989 aus operativer Lese­schwäche öffnete. Zwischen­durch Wider­stands­tätigkeit als ND-Chef­redak­teur, der seine Zeitung ganz und gar unlesbar zu machen suchte und heute, zwanzig Jahre später, den Marxismus für so null, nichtig und dikta­torisch erklärt, wie er ihn einst betrieben hatte. Im Schutze seiner perma­nenten Unwissen­heit bekämpft er in Schulen, bei CDU-Tagungen und im Fernsehen den Kommunismus der Politbürokratie, der er als privilegierter Scharfmacher angehörte, bis ihm das brave Volk glaubte und durch die Mauer ging. Da staunte der brave Obergenosse – zum ersten Mal in seinem langen Parteileben hatte er die Wahrheit gesagt, wenn auch aus Versehen und schon änderte er damit die Welt wie die 11. Feuerbach-These es verlangte.

Neben dem versehent­lichen Open the wall-Mann nutzte Florian Havemann das von der roten Diktatur befreite Berliner Leben in der tv-Runde und betrachtete den Ex-Politbürobullen mit lässiger Nachsicht, selbst wenn der dauerschwafelte. Flori, 1971 der DDR entlaufen und zu ihr auf Distanz gegangen, genoss die intime Nähe zum Tischnachbarn mit der Lust jener Unschuld, die den Günter S. in die dummdreisten Heftigkeiten der ehemaligen Funktionärsbande zurückfallen ließ, die er doch verbergen wollte. Am Tisch noch die Autorin und Liedtexterin Monika Ehrhardt-Lakomy, vormals SED, jetzt Die Linke, als deren Mitglied sie souverän und ganz nebenbei die diversen Dummheiten des langgedienten Politbürokraten erledigte. Außerdem gab's noch die tiefgläubige SPD in Gestalt des Stephan Hilsberg, der genau jene Klischees ablieferte, die ich ihn schon vor Unzeiten im Bonner Bundestag ausstoßen hörte. Das sind Folgen friedloser Konter­revolutionen.

1966 schrieb ich, mit Walter Ulbricht setze sich die Tradition der revolu­tionä­ren Arbeiter­bewegung fort, auch wenn es uns nicht gefalle. Sebastian Haffner stimmte mir ausdrücklich zu. Er hatte Hitler-Deutschland 1938 verlassen, ohne dazu gezwungen zu sein. Aus freien Stücken. Ich hatte sechs Jahre später Reich und Wehrmacht über die Front verlassen. In der Frei­willigkeit fühlte ich mich Haffner nahe. Es gibt Bündnisse freiheitlicher Verhaltens­weisen und Lebens­arten. Aus Scheu vor großen Worten liebe ich es ein paar Nummern kleiner, wo die Fakten überprüfbar sind. Unsereinem musste kein Anti­faschismus „verordnet“ werden. Für mich war dann Chruscht­schows Anti­stalin-Rede von 1956 der letzte Anlass für eine strukturell-revolutionäre Korrektur. Jetzt musste gehandelt werden. Wir waren viele in der Partei. Wer sich später disziplinieren ließ und/oder seine damaligen Haltungen und Hoffnungen vergaß, sollte sich an sein besseres Ich erinnern. Die DDR musste 1989 nicht untergehen. Unsere frühe 56er Bewegung bot eine Alternative an, in der kleinen Revolte der Intellektuellen wirkte der 17. Juni 1953 nach. Von Berlin bis Leipzig, nein von Leipzig bis Berlin entstanden Reformationsbedürfnisse als Vorahnung des chinesischen Modells, auch das ein Dritter Weg. Es fehlten bei uns nur die Revolutionäre, die klug und charakterstark durchhielten, um sich von Stalin so abzunabeln, wie die KP Chinas sich später von ihrem Mao abnabelte. Revolutionär statt konter­revolutionär. Bloch wie Georg Lukács wollten die Veränderung und zweifelten dennoch. War der 20. Parteitag der KPdSU hinreichend durchdacht? fragten Bloch und Markow den gerade von der Moskauer Universität nach Leipzig zurückkehrenden Helmut Seidel in der Hoffnung, am Ort des Geschehens könne einer mehr erfahren haben. Erschien ihnen der Vorgang zu diffus und untauglich zum Fanal, das benötigt wurde, von Stalin wieder zur Revolution zu gelangen?

Statt an der Pleiße oder Spree schrieb ich zwischen Rhein und Main die verlorene Lust am Sozialismus (1969) wieder herbei. Das war und ist eine Lust gegen den Untergang. Friedrich Sieburg hatte 1961 in Die Lust am Untergang behauptet, man werde um so weniger untergehen, je weniger man die Drohungen beachte. In kunstvolle Ironien und Melancholien eingeflochten, sollte das Vergnügen bereiten. Ich zitiere aus meiner Lust am Sozialismus die Einwände:

„Als Zeitdiagnostiker war Friedrich Sieburg, Friede seiner Tinte, bankrott wie seine ganze Klasse. Als Schriftsteller war er witzig, fintenreich bis geistreich und gehörte ins vorige Jahrhundert, wo er der Gebildetsten einer gewesen wäre. Für unser 20. Jahrhundert wusste er einfach zu wenig, wie seine Klasse. Immerhin ließ er sich im Rausch des Formulierens zu Einge­ständ­nissen verführen. Kleine Kompromisse mit der Wahrheit erwuchsen manchmal dem allgemeinen bürgerlichen Ideologiegestrüpp. In seinen besten Stücken gelang ihm das Kunststück, die horrende Geistlosigkeit der Adenauer-Ära in Provokation zu verwandeln. Da wurde er beinahe liebens­wert, denn er begann eine Wüste zu besiedeln. Nach seinem Tode blieb nichts zurück. Er war die beste Feder seiner Klasse. Sie kann sich Federn kaufen, wie wir sehen; doch Sieburgs Verteidigung der bürgerlichen Un- und Untergangsordnung entsprang seinem innersten Bedürfnis. So leidenschaftlich, flüssig und höchst unterhaltsam lügt seither keiner mehr.

Parallel zum Wort ›Leidenschaft‹ setzte Nietzsche das Wort ›Freudenschaft‹. ›Du legtest dein höchstes Ziel diesen Leidenschaften ans Herz: da wurden sie deine Tugenden und Freudenschaften.‹ Die bürgerliche Gesellschaft nahm die Wortfügung nicht an. Das liegt an ihrer Beschaffenheit; Freudenschaften wäre ein Wort für den Sozialismus.“

Die zuckersüße Provokation von der Lust am Sozialismus brachte der Frankfurter Heinrich-Heine-Verlag im Stil der Weltbühne mit Querflöte, Gift und Trommelschlag heraus. Ach ja, die Weltbühne von Tucholsky und Ossietzky war ein Dritter Weg in Form und Inhalt. Was, wenn die Deutschen sich statt für Hitler für Tucholsky und Ossietzky entschieden hätten? Stattdessen Sieburgs Lust am Untergang als Untergangs­lust. Lauter Akte im Tragödien­stadl. Wie groß darf die nächste Blase sein? Welche Stärke soll die nach oben offene Katastrophen­skala erreichen? Es riecht nach Ebert, Hindenburg und Adenauer.

Da ich nicht allein fürchtete, die DDR werde scheitern, die Bonner Republik aber den alten nationalen Holzweg beschreiten, fühlte ich mich als DDR-Flüchtling in der BRD zugleich als Botschafter meiner Genossen. Unsere Botschaft lautete: Gehen wir den Dritten Weg. Kaum hatte ich das angedeutet, läuteten die Alarmglocken der Geheimdienste. Was jetzt alles geschah, ist so unglaublich, dass ich die bisher ausgeblendete Tragikomödie doch einmal vorlegen muss. Denn heute erst scheint jener Dritte Weg, den damals alle als Hauptstraße zur Hölle bekämpften, der rettende Ausweg zu sein. Im Briefwechsel Enzensberger-Hacks taucht der Begriff Dritter Weg auf, weshalb Hacks sofort hysterisch blank zieht, ohne dass HME auch nur ein substantielles Argument dafür vorzubringen wusste. Papiertiger unter sich.

Hans-Ulrich Jörges, der im stern 4/2009 seine Kolumne „Auf dem dritten Weg“ nannte, was in Folge 68 dieser Serie von mir zitiert wurde, entwickelt im stern 11/ 2009 unter dem Titel „Kapital für alle“ seine Vorstellungen weiter. Motto: Macht jeden zum Millionär und alles wird gut. Nur wollen die Reichen da nicht mitmachen. Dafür kommt Jörges im stern 18/2009 erneut drauf zu sprechen, und Andrea Nahles schreibt in einem neuen Grundsatzpapier zum selben Thema. In Adenauers Projekt, Teil 6 der Spiegel-Serie 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland vom 2.3.09 ist der Dritte Weg so präsent wie die Worte Raketenlücke, Westbindung, Nuklearwaffen. Das bezeichnet die Lage nach 1945, die an die Weimarer Republik erinnert, als die 1918 begonnene Revolution versagt hatte und die Pazifisten der Weltbühne fortan eine Kultur und Politik des Dritten Weges verkörperten und unterlagen. Statt des Dritten Weges realisierte sich das Dritte Reich. Irrlichternd warnte die FAZ am 7.8.2003 auf Seite 1 per fett­gedruckter Überschrift „Der dritte Weg“ vor ihm als dem gefürchteten absoluten Desaster. Wer das aufmerksam liest, begreift, das Dritte Reich war ein Kinder­spiel verglichen mit dem drohenden Dritten Weg. Meinen die Verteidiger der Heuschrecken.

Soviel zur heutigen Krisenlage. Ein halbes Jahrhundert früher saß ich arglos am Ufer des Rheins, nicht ahnend, dass ich inzwischen mit meinem Loblied vom Dritten Weg unter die Wegelagerer von Ost und West geraten war. Von Walterchen Ulbricht bis Wehners Herbert, von Gehlen wie Nollau und Mielke bis Henri Nannen glühten die Drähte und Stirnfalten. Am 21. Juli 1961 erhielt ich gar ein freundliches Briefchen direkt von Rudolf Augstein: „Lieber Herr Zwerenz! Wenn Sie gelegentlich einmal im Hamburg sind, besuchen Sie mich dann? Ich hätte Sie gerne einmal kennengelernt, werde Sie auch gerne besuchen, wenn ich in Ihre Nähe komme. Vielleicht ergibt sich doch eine Zusammen­arbeit, wenn nicht im SPIEGEL, dann außerhalb. Mit respektvollen Grüßen Ihr Rudolf Augstein“

Als ich das gelesen hatte, dachte ich, da musst du wohl irgendwo aus Versehen dein kleines Nachtlager zwischen den kalten Fronten aufgeschlagen haben. Dabei hatte ich ursprünglich nur in Leipzig leben, jedes zweite Jahr einen humoristischen Roman über die Sachsen und ab und zu in der Weltbühne einen satirischen Artikel über die deutschen Streithammel dichten wollen.

Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 11.05.2009.

Gerhard Zwerenz   04.05.2009   
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz