Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
Vor jedem Krieg muss die Ordensvergabe gesetzlich neu geregelt werden. Das zählt zum strategischen Fortschritt der Kultur. Die eisernen Kreuze verbürgten Kontinuität vom Eisernen Kanzler Bismarck, der 1871 Frankreich besiegte, über Kaiser Wilhelm, der von 1914 – 1918 tapfer aus der hohlen Hand Eiserne Kreuze an willige Schlachtopfer verteilte, bis zum bitteren Ende von 1945, als der deutsche Führer dem letzten HJ-Helden lobend in die Wange kniff. Danach begann die furchtbare ordenslose Zeit. Keine neuen Tapferkeits-Ehrenzeichen. Wer eines aus seinem alten Sortiment tragen wollte, musste zur Feile greifen. Dem Ex-Major Mende baumelte sein Ritterkreuz ohne Hakenkreuz unterm MdB-Adamsapfel. Auch die Bundesluftwaffe durfte sich mit Kreuzen schmücken, ohne Haken ganz wie im glorreichen 1. Weltkrieg, der auch schon verloren ging, das walte Versailles. Das Kreuz ist offizielles Hoheitszeichen der Bundeswehr, die neugeregelte Ordensfrage aber stieß jetzt auf Definitions-Schwierigkeiten bei Volk und Führungselite. Unklar war, ist der Krieg einer oder keiner. Sind Tote Gefallene oder Verkehrsopfer. Alte Kameraden samt BW-Reservistenverband votierten vaterländisch fürs traditionelle EK, das es im 2. Weltkrieg über 2 Millionen mal für die ewige Tapferkeit gab. So originalgetreu wollte man's nicht. Also schuf man phantasiebeschwingt ein „Ehrenkreuz für Tapferkeit“, das für „gefährliche Einsätze“ verliehen wird. Das trifft auf unsere BW-Mädels und -Jungs in Afghanistan zu, wo schon viele Eindringliche aus dem Land getrieben wurden, zuletzt die SU, die fahrlässig auf die Beihilfe der DDR-NVA verzichtete, während die USA ihre BW-Kameraden nicht entbehren möchte, weshalb unsere Ordensindustrie künftig viel zu tun haben wird. Am 6. Juli verlieh, wie Bild berichtete, Bundeskanzlerin Merkel die Tapferkeitsmedaillen an 4 Soldaten, die sich im Oktober 08 nach einem „Selbstmord-Anschlag bei Kundus … um ihre Kameraden gekümmert hatten. Bei dem Attentat waren 2 deutsche Soldaten gefallen und 5 afghanische Kinder getötet worden.“ Da können wir natürlich nicht ruhmlos und feige abziehen wie 1988 die Sowjetische Armee, diese weicheiernden Bolschewiken. In der Truppe gibt's geteilte Ansichten. Luftwaffenpiloten, die gegen Jugoslawien dabei waren, wollten schon damals öffentlich geehrt werden, wie die Süddeutsche Zeitung herausfand. Ein Oberstleutnant a. D. klärte am 7.9.06 in der FAZ kategorisch die Lage: „Zum Wesen und Selbstverständnis des Soldaten gehört der Krieg und damit der Kampf.“ Und: „Denn der Soldat ist sui generis kein bewaffneter Sozialarbeiter.“ Da wissen wir doch, woran wir sind, egal, was diverse Kriegsminister beschönigen. Auch Kanzlerin Merkel zeichnet nur Soldaten aus, „die sich um ihre Kameraden gekümmert hatten“, Sozialarbeiter also. Unter uns Landsern hieß es: Kameraden gibt's nicht mehr, der letzte starb in Stalingrad. Heute führt Nietzsches Satz von der ewigen Wiederkehr des Gleichen zur Freiheitsverteidigung an den Hindukusch, wie Kaiser Wilhelm seine Hunnen im Jahr 1900 gegen den Boxeraufstand nach China befahl. Einigkeit und Recht und Freiheit ist uns immer ein paar schöne Tapferkeitsmedaillen wert.
Die Frage ist, wie lange so eine simple Tapferkeitsmedaille ausreicht. Schon die Wehrmacht erfand dafür Steigerungen je nach Kriegs-Eskalation. Auf EK II und EK I folgten das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes; das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub; das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub und Schwertern; das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten; das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit goldenem Eichenlaub, Schwertern und Brillanten. Die Kreuze eskalieren mit den Schlachten.
Zur Zeit der Wehrmachtausstellung erklärte ein Juraprofessor und CDU-Bundestagsabgeordneter, der auch kurze Zeit Verteidigungsminister gewesen ist, sein Vater sei in Stalingrad gefallen, jedoch kein Verbrecher. Diese Aussage signalisiert die Verlegenheit der honorig-bürgerlichen Familie. Normalerweise steht der Name von „Gefallenen“ auf dem Kriegerdenkmal und ihrer wird ehrenvoll gedacht. Was aber, handelt es sich um einen „Angriffs- und Vernichtungskrieg“? Was war dann Stalingrad? Teil des Verbrechens? Was waren die deutschen Soldaten in Stalingrad? Auf welchem Weg vom einzelnen Soldaten zum allgemeinen Desaster wurde der Angriff auf die Stadt zum Verbrechen? Für Deutsche heißt Stalingrad Untergang einer Armee. Von fast einer Viertelmillion Soldaten marschierten etwa 90.000 in Gefangenschaft, spärliche 6.000 kehrten zurück. Der tv-Blick auf die jämmerlich frierenden und halbverhungerten Gefangenen vermittelt ein Bild des Abschieds. Von neunzig Soldaten werden nur sechs überleben. Was vorher war, ist Hitlers Schuld, der seinen Generälen den Rückzug verbot. Wer aber befahl und befolgte den Angriff? Fragt jemand, wie viele Menschen der Feind verlor? Es kann die dreifache, wenn nicht vierfache Anzahl sein. Daran denkt der Sohn nicht, dessen Vater „in Stalingrad blieb“, ohne Verbrecher gewesen zu sein. Denn die Teilhabe an einem Verbrechen ist höchstens strafbar, handelt es sich um eine kriminelle Vereinigung. Das aber sagten selbst die Alliierten nicht von der Wehrmacht, nur von der SS. Die leistete an der Wolga bloß Beihilfe.
Nun, das sind vergangene Zeiten. Im Moment ist die Russenfeindschaft wieder en vogue. Von Merkel bis zur FAZ kriegt der Osten sein Fett weg. Auch die Chinesen sind schon wieder böse, obwohl Mao längst durchs gelbe New-Deal-Programm ersetzt wurde. „Die Kommunisten sind noch nicht tot“, schreit es aus der FAZ vom 21. 11. 07, Seite 3, und Schäuble fordert auf Seite 2: „Mehr Soldaten für Afghanistan!“. Ran an den Feind?
Ja, sie bekämpfen den Terrorismus. Das taten schon ihre Väter und Großväter. Laut Abkommen zwischen SS und Wehrmacht sollten die Einsatzgruppen im Osten zusätzlich Emigranten, Saboteure und Terroristen umbringen, welche Zielpersonen Generaloberst Halder noch ausdrücklich um Kommunisten und Juden ergänzte. Göring und Heydrich hatten 1941 bereits vor dem Angriff im Osten festgelegt, dass die Truppe wissen solle, „wen sie praktisch an die Wand zu zu stellen habe.“ (Jürgen Förster Die Wehrmacht im NS-Staat) Was von oben angeordnet wurde, fand bei der Truppe volles Verständnis. Befehl der 12. Infanteriedivision vom 21.6.1940 für den Angriff auf Frankreich: „Gefangene Reichsdeutsche ...sind, soweit es sich um sogenannte Emigranten handelt ... zu erschießen.“
Nicht alle Wehrmachtsoldaten waren gehorsam. Der renitente Obergefreite Erich Kuby schrieb ganz Bücher über Gehorsam und Ungehorsam. Er war so unbequem, dass er in unseren Medien endlich vergessen gemacht werden musste. Mit Kuby zusammen werden heute viele aus dem Gedächtnis gestrichen, die nach 1945 nie wieder in den Krieg ziehen lassen wollten. Wenn Roland Koch zur hessischen Wahl seinen toten Parteibruder Alfred Dregger für den Kampf auferstehen lässt, klingt es wie Donnerhall über die Heldenfriedhöfe. Als die FAZ sich in ihrem Fragebogen erkundigte, welche militärischen Leistungen Dregger am meisten bewundere, antwortete er: „Die Standhaftigkeit von Teilen der Wehrmacht in der Niederlage von 1945 mit dem Ziel, die ostdeutsche Bevölkerung vor der Roten Armee retten.“
Dregger war vom ersten Kriegstag an bei der Wehrmacht. Wer wurde da gerettet? Sie fallen als gepanzerte Heuschrecken in fremde Länder ein, marschieren bis Moskau, Leningrad, Stalingrad, Kreta, Tobruk, Athen, an den Ebrus, und wenn ihnen der angegriffene Feind heimleuchtet, retten sie „die ostdeutsche Bevölkerung“, die ohne ihre tapferen Soldaten gar nicht in die rettungslose Lage geraten wäre, was einzusehen den Horizont der Helden übersteigt. Deutschland über alles.
In Ossietzky, Heft 11 vom 2.6.07 zitiere ich unter dem Titel „Kriegsverrat oder Friedensverrat“ den CSU-MdB Norbert Geis, der am 10. 5. 07 im Deutschen Bundestag zu Protokoll gegeben hatte: „Wer desertiert, um die eigene Haut zu retten … hat sich nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt verwerflich verhalten ... Durch eine von der Linksfraktion geforderte Aufhebung dieser damaligen Urteile wegen Kriegsverrats würde solch ein verwerfliches Verhalten nachträglich sanktioniert werden.“ Abgesehen davon, dass Geis für seine Partei den antinazistischen Widerstand in Misskredit bringt und diese Verteidigung des Angriffskrieges auch noch der “zivilisierten Welt“ zuschreibt, dekonstruiert er sich selbst intellektuell und charakterlich. Das will bewiesen sein. Dazu ein Beispiel: Am 8.1.1944 erfolgte gegen den Schützen Anton P. vom XV. Fest.lnf. Btl. 999 Tatbericht wegen Kriegsverrats. Am 25. 1.44 folgt das Todesurteil, das durch keinen Geringeren als Generalfeldmarschall von Kleist aufgehoben wird, obwohl gegen Angehörige des Strafbataillons 999 Todesurteile leicht und schnell ausgesprochen und vollstreckt wurden. Derselbe von Kleist weist auch ein zweimal verhängtes Todesurteil gegen einen anderen 999er zweimal zurück und erreicht Strafminderung auf 8 Jahre Haft.
Wäre das nicht ein schöner Bericht für Panorama? Ein Hitlerscher Feldmarschall kämpft unverdrossen um das Leben zweier wegen Kriegsverrat zum Tode verurteilten Strafsoldaten und 63 Jahre später kämpft der CSU-Bundestagsabgeordnete Geis im Namen der christlichen Parteien gegen die von der Linksfraktion geforderte Rehabilitierung der wegen Kriegsverrat verurteilten Soldaten. Aber nein, die Herren Christen wollen nur Einzelfallprüfung? Das nehme ich ihnen sogar ab. Der nächste und bereits jetzt gegen Recht und Grundgesetz geführte Krieg soll seinen präheroischen Freispruch erhalten, und wer widersteht, soll als Kriegsverräter verurteilt werden. Das ist die subkutane Botschaft der Friedensverräter, die den Kriegsverrat, statt ihn zur Bürgerpflicht zu erheben, kriminalisieren.
Die Gruppe der Kriegsverräter wurde bisher von der Rehabilitierung der verurteilten Deserteure ausgenommen. Wie viele Soldaten als Kriegsverräter galten ist unbekannt. Es lebt keiner mehr. Die andauernde Verschleppung der Debatte, die nun am 26. August 09 auf einer Sondersitzung des Bundestages ein Ende finden soll, ist in ihrer Geschichtsverspätung 64 Jahre nach Kriegsende nur noch gespenstisch. Nicht weniger gespenstisch erscheint mir der Beitrag meines Geburtslandes Sachsen zu dieser gesamtdeutschen Rückständigkeit. 600 Jahre Universität Leipzig - Aus Tradition Grenzen überschreiten heißt eine Festschrift, ein großformatiger, reichbebilderter Band, den ich mit Gewinn las, obwohl Bundesminister a. D. Hans Dietrich Genscher im Vorwort eigentumssüchtig von „meiner Universität“ spricht, wozu der Leipziger Ehrendoktor mehr als ein Dutzend Sätze braucht. Dafür wird Thomas Münzer, Ernst Bloch, Hans Mayer nur jeweils ein Satz zur Vorstellung zugebilligt. Lobend erwähnt wird auch „die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel, damals Physikstudentin an der Leipziger Universität.“ Vier verunklarende Sätze handeln von den Opfern „der beiden Zwangsherrschaften des 20. Jahrhunderts.“ Bei der Lektüre begriff ich, weshalb die Universität als Vorbereitung auf die 600-Jahrfeier im Jahr 2004 Bloch und Mayer mit einer rudimentären Ausstellung abtun wollte. „Lasst uns streiten!“ hieß es damals immerhin. Aber der Kustos und Universitäts-Archivar Prof. Gerald Wiemers wusste auch, bei Bloch „liegt noch zu viel im Dunkeln“, denn der sei „ein Stalinist gewesen, der sich zum Opportunisten wandelte.“ Offenbar liegt dort 5 Jahre später immer noch soviel im Dunkeln, dass „der interessante Mann der Zeit- und Universitätsgeschichte“ (Wiemers) mit einem einzigen Satz abgefrühstückt werden musste.
Blochs Versuch, von Leipzig aus dem Orwellschen Untergangsmodell 1984 einen Nietzscheanischen Marxismus als so revolutionären wie gangbaren 3. Weg entgegenzustellen, soll nicht benannt und gar näher erläutert werden. Bloch als Klassiker einer erneuerten Existenzphilosophie kriegt von unwissend-eilfertigen Administratoren den Stalinismus-Vorwurf ans Bein gewischt. Wir äußerten uns dazu in Folge 80 dieser Serie. Wenn es um Sachsens revolutionäre Vergangenheit geht, teilt die zeitgemäß postmoderne Reaktion sich in zwei Gruppen, die eine betreibt ein Verschweigekartell, die andere lügenhaftes Denunziantentum.
Als neulich Bundeskanzlerin Merkel dem US-Präsidenten Obama geflissentlich nach Buchenwald folgte, erinnerte ich mich meiner Anfrage an die Bundesregierung, ob es nicht an der Zeit sei, den jährlichen Holocaustgedenktag am 27. Januar in Buchenwald zu begehen, um dort die Opfer zu würdigen. Zu meinem Erstaunen beschloss ausgerechnet der Sächsische Landtag die Reise. Es geht also, führte aber zu der deutschpeinlichen Frage, ob dort auch des auf Führerbefehl ermordeten Ernst Thälmann gedacht werden dürfe.
Der Besuch sächsischer Politiker in der thüringischen Gedenkstätte illustriert ein gesamtdeutsches Dilemma: Wer grenzt wen aus? Als Modell dient, so scheint mir, der traditionelle, inzwischen modernisierte Spießrutenlauf in den Medien und mit deren Beihilfe. Die Gretchenfrage lautet: Wer darf reden? Wer darf öffentlich, also im Fernsehen auftreten? Wer darf nicht? Es wird taktisch eliminiert und symbolisch liquidiert. Wer die Macht hat, verleiht Auftrittslizenzen und indirekte Verbote. Solange er keine direkten Mordlizenzen erteilen darf, leidet er an seinen beschnittenen Machtbefugnissen. Das geht bei uns seit 1945 so gehemmt zu. Der berühmte Staatsrechtler Carl Schmitt mümmelte vordem, souverän sei, wer über den Notstand gebiete. Seither streben alle Mächtigen die volle Souveränität an.
Üben wir uns stattdessen im Spurenlesen: Im August 1942 zerbombte die deutsche Luftwaffe eine Woche lang Stalingrad, um es sturmreif zu schießen. Verluste der Bevölkerung: ca. 40.000. Im Juli/August 1943 gab es eine Woche lang alliierte Luftangriffe (Unternehmen Gomorrha) auf Hamburg. Verluste der Bevölkerung: ca. 40.000. Vom 13. – 15. Februar 1945 hagelte es alliierte Bomben auf Dresden. Verluste der Bevölkerung: ca. 30 - 40.000. Das Buch Hiob endet mit den Worten: „Und Hiob starb alt und Lebens satt.“ (42/17) Was ist mit den ungefähr 120.000 Bombentoten von Stalingrad, Hamburg, Dresden, die nicht alt und Lebens satt werden durften? Sie begehrten nicht auf wie Hiob und starben gehorsam. Anfang August 1944 durchquerte ich das Warschauer Trümmerfeld. Was ist, dachte ich schaudernd, wenn Deutschland das alles heimgezahlt wird? Der Gedanke war unsereinem nicht fremd. Er wurde nur schnell beiseite geschoben. Was denn, wenn die strahlend wiedererrichtete Dresdner Frauenkirche vergessen lässt, was gewesen ist? War das Trümmerdenkmal, dieser Torso, nicht ehrlicher? Als ich dies notierte, informierte mich die Zeitung unter der Überschrift: „Dresden glänzt“ – Unterzeile: „Nach 67 Jahren endlich wieder der Ball in der Semperoper.“ Weiter im Text: „1939 brach die Tradition ab, 1944 lag das Opernhaus in Trümmern und in den 45 langen Jahren danach waren bürgerliche Vergnügungen dieser Art tabu ...“ Hebt mit dem Opernball endlich wieder die tabulose Zeit an? Dazu ein Foto mit den Worten: „Landeseltern im Wiegeschritt: Georg Milbradt mit Gattin Angelika.“ Das walte der Wiegeschritt. Das Paar sah nicht besonders beglückt drein. Warum soll Dresden nicht wie Wien, München, Frankfurt am Main ein rauschender Opernball gegönnt sein? Die Millionäre und Prominenten samt Tratsch- und Klatschbediensteten wollen ihre Spielwiese haben. Wir wissen doch längst, der plötzliche Übergang vom Normalmenschen zum Übermenschen ist Resultat einer Negativauslese, von der wir in Deutschland nie mehr überrascht werden können; schließlich ist unsere vaterländische Geschichte voll von regressiven Mutationen, denen zufolge Menschen sich über Affen zurückverwandeln auf Schleimbeutelgrößen und Amöbendimensionen.
Das Land hat besseres verdient als seinen jetzigen angehaltenen Zustand. In Industrialisierung und Arbeiterbewegung, im Widerstand gegen Hitler, mit den unter schwierigen Bedingungen an die SU geleisteten Reparationszahlungen inklusive der erzwungenen Uran-Förderung, im öffentlichen Protest gegen eine falsche Politik der sowjetischen Besatzungsmacht und den von ihr abhängigen Politbüros war Sachsen vital und wegweisend. Warum verharrt es in der Resignation, wohin ist der Elan von 1989/90?
Inzwischen liegt der 6. Juli 09 mit Merkels Ordensverleih an vier Bundeswehr-Feldwebel schon einige Zeit hinter uns. Die 2 Millionen Träger des Eisernen Kreuzes aus dem 2. Weltkrieg applaudieren aus ihren Massengräbern. Laut Spiegel vom 6.7.09 fordert Steffen Heitmann für die sächsische CDU mehr sächsischen Dialekt im MDR-
Am zweihundertfünfzehnten Tag des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses, Freitag 30. August 1946 erklärte Oberst Telford Taylor, beigeordneter Ankläger der USA: „Der deutsche Militarismus wird, wenn er wiederkommt, nicht unbedingt unter der Ägide des Nazismus auftreten. Die deutschen Militaristen werden sich mit jedem Mann und jeder Partei verbünden, die ihnen eine Wiedergeburt der deutschen bewaffneten Macht verspricht.“ Der Herr Oberst war ein Prophet. Wir werden uns mit seiner Weisheit noch ein wenig befassen müssen.
Schnell wie der Teufel reagierte schon am 7.7.09 die FAZ als Flaggschiff der Rückwende zu herrlichen Kriegszeiten. „Für Tapferkeit“ schreit und halluziniert es im üblichen Heldensound: „ …unter Einsatz ihres Lebens … tapfer den Kampfauftrag … Einsatz in Afghanistan …“ Endlich wird eine Ordens-Sonderstufe gefordert für „jene Politiker … die seine Einführung (und den Einsatz in Afghanistan) tapfer verteidigen.“ Als pazifizierender Sachse schlage ich den hitzigen Kriegsdichtern und ihren so einsatzbesessenen Politikern ein abkühlendes Bad in der radiumhaltigen Pleiße vor. Am vormaligen Leipziger Reichsgericht und nachmaligen Dimitroff-Museum ist ein schöner Platz dafür freigehalten, und sie können dort sogar dem geköpften van der Lubbe begegnen, falls ihre Phantasie weiterreicht als bis zum Hindukusch.
Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 20.07.2009.
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Gerhard Zwerenz
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