Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
Blochs Aufforderung, Schach statt Mühle zu spielen, bedeutete Dekonstruktion statt Sklavensprache. 1956 hieß das, nicht zurück zum toten Stalin, sondern vorwärts zum überlebenden Marx. Vom Parteiausschluss bedroht wäre ich vielleicht zurückgewichen, doch gegen Bloch aufzutreten war mir unmöglich, da hätte ich mein ganzes Leben verraten müssen, beginnend mit der frühen Lektüre all der verfolgten und verbotenen Anti-Kriegsbücher. Meine Vorbilder hießen nicht Jünger und Richthofen und erst recht nicht Hindenburg und Hitler, doch das musste geheim bleiben bis zum Bruch mit den Germanen. Als es dann in der DDR plötzlich gegen Lukács und Bloch ging, war Protest gegen die Herrschaftsgenossen geboten.
In meinem Heimatort gab es drei Deserteure. Zwei Kommunisten und mich als Nachwuchs. Der Maurer Reißmann überlebte die Fahnenflucht nicht, wahrscheinlich erledigten ihn die Russen. Der desertierte Strafsoldat Eickworth wurde von ihn verfolgenden deutschen Soldaten erschossen. Ich wusste Bescheid, als ich diese fatale Armee, abtarnend Wehrmacht genannt, verließ. Was soll einen noch zurückhalten, sind die Grenzen des Zumutbaren überschritten. So etwas brennt sich ein bis in den letzten Nerv. Das hätte ich am 30. Januar 1957, vor Hunderten Kulturarbeitern angeklagt wegen dreier Texte, vergessen müssen. Na schön, ihr armen Funktionsträger, wenn ihr unbedingt einen zum Abstrafen braucht bitte sehr, doch gegen jenen Ernst Bloch anzutreten, der unsereinem viele Lichter aufsteckte und schon im 1. Weltkrieg in die Schweiz emigriert war, um den Geist der Utopie gegen das kriegführende eigene Land zu mobilisieren, Motto: Kampf, nicht Krieg, gegen so einen Mann Stellung beziehen? Mit mir nicht. Die Mutter der Freiheit heißt Revolution. „Macht eueren Dreck alleene!“ Da wir gerade von Vertriebenen sprachen passt es gut ins Konzept, Ingrid Zwerenz zu zitieren, die von Verschiedenen Verlusten schrieb: „1946 nannte der unter ständiger Lebensgefahr im Dritten Reich aktive Antifaschist Günther Weisenborn, in den Jahren nach dem Krieg mit großem Erfolg auf zahlreichen Bühnen gespielter Theaterautor, viele beim Namen, die von ihrer Heimat verbannt, verjagt, verflucht und ausgebürgert worden waren. Weisenborn hielt eine Gedächtnisrede für den Schriftsteller und Dramatiker Ernst Toller, der sich als Emigrant in den USA 1939 in einem Schub tiefster Depression am Gürtel seines Bademantels erhängt hatte, kampfesmüde und verzweifelt an Nazi-Deutschland wie Kurt Tucholsky, der in Schweden eine Überdosis Veronal schluckte. ›Hier im Land‹, fuhr Weisenborn fort, ›starben eines furchtbaren Todes: Egon Friedell (...) Adam Kuckhoff, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky.‹ Damit wir es nicht vergessen: Egon Friedell stürzte sich 1938 in Wien aus dem Fenster in den Tod, als die Gestapo vor der Tür stand, um ihn zu verhaften. Der linksdemokratische Journalist und Widerstandskämpfer Kuckhoff wurde 1943 in Plötzensee enthauptet, Erich Mühsam im KZ Oranienburg 1934 von der SS zu Tode gequält. Das Martyrium Carl von Ossietzkys ist bekannt. Nun bin ich mir darüber klar, dass diese Fakten an der Vertriebenen-Präsidentin Steinbach rückstandslos abgleiten und der Titel von Weisenborns Rede Der Verlust an Weltkultur ihr nichts bedeutet – diese Kultur ist nicht ihre Kultur, was für ihren langjährigen Verbündeten, den verstorbenen Peter Glotz nicht zutrifft, dessen Engagement für das Zentrum gegen Vertreibung, dieses unglückselige Projekt, mir immer unbegreiflich bleiben wird. De mortuis nihil nisi bene, über Tote nur Gutes, doch dieser intelligente, integre Mann war als Steinbach-Kompagnon fehl am Platz. Er wurde als Kind selbst vertrieben, das trifft auf viele Menschen zu, auch auf mich. In Liegnitz geboren und im Sommer 1945 als Elfjährige der Heimatstadt verwiesen, ist mir die bittere Erfahrung wochenlanger Fußmärsche nicht fremd. Der Treck irgendwohin, wo einen niemand haben wollte, prägt lebenslang. Die Interpretation dieser Erlebnisse möchte ich jedoch nicht delegieren, vor allem nicht an die CDU-Bundestagsabgeordnete Steinbach. Sie hat nur die Folgen für die Deutschen im Sinn, eine Analyse der Ursachen verweigert sie. Da findet sich die biblische Antwort: Wer Wind sät, wird Sturm ernten und der so banale wie passende Spruch: Sowas kommt von sowas. Wer Krieg beginnt, darf nicht jammern, wenn er dafür büßen muss. Ein Volk, das es fertig gebracht hat, den Großteil seiner Elite aus dem Land zu jagen, sollte sehr behutsam umgehen mit Gedenkstätten, sind sie auch denen gewidmet, die eifrig mitgejagt haben. Weisenborn: ›Es gibt einen Todfeind des Menschen in der Welt, das ist der Militarist, und es gibt einen Todfeind der deutschen Dichtung, das ist die ›Deutschland-über-alles-Literatur‹. Geht die Umkehrung der Täter-Opfer-Beziehung so hurtig weiter wie in den letzten Jahren, sind wir bald wieder bei dieser Literatursparte angelangt. Weisenborn beließ es 1946 nicht bei der Trauer um die Verstorbenen und Ermordeten, sondern richtete einen Appell an die überlebenden Emigranten: ›Wir bitten um die Rückkehr aus allen Ländern der Welt ... Es ist das andere Deutschland, das ruft.‹ Aufgeführt werden 45 Namen, davon seien einige hier genannt und in Klammern jeweils angemerkt, ob sie der Bitte folgten und wohin sie gingen: Ernst Bloch (DDR), Bertolt Brecht (DDR), Lion Feuchtwanger (blieb in den USA), Leonard Frank (BRD), Oskar Maria Graf (weiter in den USA), Wieland Herzfelde (DDR), Ludwig Marcuse (BRD), Thomas Mann (Schweiz), Heinrich Mann (verstorben vor der Übersiedlung in die DDR), Robert Neumann (Schweiz), Erich Maria Remarque (weiter USA), Anna Seghers (DDR), Bodo Uhse (DDR), Arnold Zweig (DDR) ... Es optierten also eine ganze Reihe Rückkehrer für die östliche Republik, offensichtlich mit Recht im Zweifel, ob sie im Westen wirklich das von Weisenborn akklamierte ›andere Deutschland‹ anträfen.“ Soweit Ingrid zur Vertriebenen-Frage. Rainer Werner Fassbinder wollte übrigens, dass ich in seinem Film Lili Marleen (1981) Günther Weisenborn spiele. Da ich in den Drehtagen nicht im Lande war, übernahm er die Rolle selbst. Von den drei toten Stalingradern erfahre ich, infolge der von Kanzlerin Merkel bestätigten Erderwärmung tauen immer mehr tiefgefrorene Gefallene auf und bilden Heimkehrerverbände. Die Moskauer Regierung ist gespalten. Der deutschfreundliche Putin will die Kameraden ziehen lassen. Der auf erhöhte Produktivität setzende Medwedjew möchte sie dabehalten, um ihre Arbeitskraft zu nutzen. In der Armee sagt man: Zwar besiegten wir die Wehrmacht in Stalingrad. Heute aber heißt die Stadt Wolgograd und das georgische Geburtshaus Stalins liegt in Feindesland. Sollte uns der dortige Präsident erneut angreifen, könnten wir ihm eine Division wiederauferstandener Wehrmachtsoldaten entgegenstellen, die lagen schließlich lange genug in unserer heiligen russischen Erde, um zu wissen, wohin der Rubel rollt.
Unbeeindruckt vom langsamen, aber zielsicheren Untergang des Abendlandes feierte das Finanzkapitalblatt FAZ am 9.10.2010 zu Unehren der grassierenden Buchmesse ihren Grabenkämpfer Jünger mit den statuarischen Worten: „Erstmals erscheinen Ernst Jüngers Kriegstagebücher. Darin kann man dem Autor über die Schulter schauen und verfolgen, wie zwischen Sommer 1918 und Januar 1920 aus roher ungeordneter Masse ein Stück Literatur gemacht wurde.“
Ernst Jüngers Mantel-Porträt bietet eine Entblößungs-Szene über die Person hinaus, das Grabmahl der Kriegerkaste, deren Fortbestehen vom 20. ins 21. Jahrhundert hinein das Ende der Schrecken nur verzögert, auch der nachfolgende Sozialismus wurde davon noch infiziert. Siegreiche Revolutionäre, die keinen eigenen 3. Weg riskieren, enden bald im Chaos. Kuba zögerte lange – zu lange? – einen eigenen „chinesischen“ Weg einzuschlagen. Der original chinesische 3. Weg dekonstruiert unsere vorherigen revolutionären Siege, die alle in Niederlagen mündeten. Allein China wagte die Ungeheuerlichkeit, das Lenische Modell der Kaderpartei mit dem Prinzip der ursprünglichen Akkumulation zu verbinden. Der Aufgang dieses marxistisch-konfuzianischen Morgenlandes vollzieht, was bei Oswald Spengler bloß warnende Ahnung gewesen ist, der Untergang des Abendlandes realisiert sich als Untergang des machthabenden weißen Mannes und Sarrazin spielt einen verspäteten Spengler. Wobei die bourgeoise Existenzangst im Kern unbegründet ist. Das russische Beispiel zeigt, der zaristische Geist verseuchte die kommunistische Hierarchie, deren Klassengenossen nach dem Exitus der Sowjetunion als bourgeoise Millionäre und Milliardäre wieder auftauchten. Dieses Bürgertum ist die realisierte Morphologie Richtung Endzeit. Dem Kapital ist es egal, wer es besitzt, es geht wie Gott mit den stärkeren Bataillonen.
Im Interview-Band Weder Kain noch Abel fragte mich Jürgen Reents: „Haben Sie sich im Krieg auch als Held gefühlt?“ Da fiel mir eine Szene von der Italien-Front ein, im Buch ist sie gedruckt und steht hier, leicht gekürzt, als Illustration einer fatalen Wahrheit: „Als die Amerikaner 1944 in Nettuno landeten, um nach Rom vorzustoßen und weil sie am Monte Cassino nicht weiterkamen, wurden wir zu einem Gegenangriff dorthin gefahren … Wir hockten also in einem Graben und guckten über den Rand. Etwa 300 oder 400 Meter vor uns sahen wir eines der typischen italienischen Güter, die Mussolini dort nach einer Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe bauen ließ. Das ganze Gelände war von Panzern nicht befahrbar, deswegen sind die Amerikaner nicht vorangekommen. Es war zwar urbar gemacht worden, aber von vielen Gräben durchzogen, in denen das Sumpfwasser abzog. Der Hauptmann sagte: ›Das ist unser Angriffsziel.‹ Die Kompanie war aber nur noch in Zugstärke, als Gefreiter war ich Gruppenführer und meine Gruppe bestand aus zwei Leuten. Der Hauptmann sprang auf den Rand des Grabens, hielt seine Pistole in die Luft und rief: ›Angriff!‹ Der Restbestand der Kompanie lief also in Richtung dieses Bauernhofes. Wie ich den Hauptmann mit seiner Pistole vorangehen sah, war meine ganze Wut auf diesen Kerl gerichtet, weil ich ihn für einen furchtbaren Angeber hielt. Ich bin rausgesprungen, rechts der eine von meiner Gruppe, links der andere. Was dann passierte, kann man nicht rational erklären. Ich bin bis zu diesem Gehöft gelaufen. Der Mann links neben mir kam abhanden – was aus ihm geworden ist, habe ich nie erfahren. Und der rechte Mann – er stammte aus Döbeln in Sachsen – ist mit mir gelaufen und auch an diesem Gehöft mit angekommen. Abwechselnd warf sich immer einer von uns hin und schoss, um dem anderen, der vorlief, Deckung zu geben. Während wir vorstürmten, sah ich, wie sich eine Gruppe Amerikaner absetzte. Sie trugen offensichtlich einen Verwundeten und verschwanden in dem Wäldchen hinter dem Gebäude. Als ich mich umguckte, war von unserer ganzen Restkompanie und von Hauptmann Geier nichts zu sehen. Nur der aus Döbeln und ich sind an diesem Gehöft angekommen, und wir hatten das Gefühl, die Amerikaner in die Flucht gejagt zu haben ... Wir stießen mit dem Gewehrkolben gegen die Tür, bis uns der italienische Bauer öffnete. Dann standen wir drinnen. Alle Fenster waren verrammelt und die Familie hockte in einer Ecke. Wir sind mit unseren schweren Stiefeln ins Obergeschoss hinaufgestiegen und standen wieder vor einem zugeschlagenen Fenster. Ich stieß das Fenster auf und sah plötzlich: Die Amerikaner hauen nicht mehr ab, die kommen zurück. Und schon ging die erste Kugel direkt neben meinem Kopf in den Fensterrahmen, peng, der Putz war weg … Wir poltern also die Treppe runter, rennen aus der Haustür raus und sehen, wie die Amerikaner sich gruppenweise nähern. Ich habe mich schutzsuchend in einen dieser Wasserkanäle geschmissen, die waren dort aber nur einen halben Meter hoch. Während ich mich in den Graben werfe, bekomme ich einen Schuss in den Arm und mein Gewehr fliegt weg. Hinter mir schmeißt sich der Junge aus Döbeln in den Graben und schreit auf. Er hatte ebenfalls einen Schuss in den rechten Oberarm gekriegt, aber schlimmer als ich. Bei mir war der Knochen angekratzt, bei ihm war er kaputt. Schussbruch nannte man das … Der Hauptmann Geier hatte in der Zwischenzeit eine kleinkalibrige Kanone von den Italienern organisiert und schoss mit ihr eigenhändig in Richtung Front. Er wollte zeigen, dass er eigentlich doch ein Held ist. In Wirklichkeit hatte er den Angriff ja abgeblasen, war mit dem Rest der Kompanie zurückgekrochen. Er kam zu uns beiden – wir hockten mit blutendem Arm und völlig verdreckt an einem Strohschober – und sagte: ›Ach, sind Sie verwundet?‹ Ich habe ihn nur angeguckt und nicht geantwortet … Nach dieser Geschichte in Nettuno fragte ich mich später immer wieder: Warum warst du denn so blöd, hast dich nicht wie die anderen auf den Boden geworfen und bist dann zurückgekrochen? Ich glaube, ich hatte damals einen solchen Zorn, eine solche dumme Wut, dass ich dieses Gebäude unbedingt einnehmen wollte. Ich wollte diesem Hauptmann zeigen, was ein richtiger Kerl ist, im Gegensatz zu ihm, ich wollte der Held des Augenblicks sein. So idiotisch war es im Krieg.“ „Der Hauptmann sprang auf den Rand des Grabens, hielt die Pistole in die Luft und rief: ›Angriff!‹ “ – Dieser Satz enthält den Kern der Szene und die Ursache meines Wutanfalls. Längere Erläuterungen kann ich mir ersparen, denn die Jünger-Seite der FAZ vom 9.10.2010 entzückt ihre Leser mit ein paar Worten, die mir als Echo in den Ohren dröhnen: „ Jünger springt wie immer als erster aus dem Graben, die Pistole in der Rechten …“ Jüngerianern steht die großkotzige Pose sofort vor Augen, weil Bücher und Filme die Konstellation bis zum Erbrechen stets aufs neue inszenierten. Unser Hauptmann Geier mit dem EK I aus dem Weltkrieg Nr. 1 äffte 1944 bei Nettuno auch nur seinen Jünger nach, warf sich indessen im Feuer bald zu Boden und kroch in die Deckung zurück, und ich junges Arschloch setzte vor blinder Wut mein kleines Leben aufs Spiel. Jürgen Reents bot mir im Interview Gelegenheit, den damaligen irren Zustand zu schildern. Auf seine Frage nach etwaigen Desertionsgedanken in jener Zeit erwiderte ich: „Ich war zusammen mit einem Kameraden – er hieß Eberhard und stammte aus Dortmund – auf einem Spähtrupp vor unseren Linien … Als Eberhard sich als erster von uns beiden zu ergeben versuchte, rammte ihm sein Gegenüber, ein Neuseeländer, das Bajonett in den Leib.“ Das wollte ich nicht riskieren. Diagnose: Erste Fahnenflucht misslungen. Ersatzhandlung im Angriff. Desillusionierung, weil unser Hauptmann den Ernst Jünger von 1914 – 1918 plagiierte … Ein Jahrhundert später wird weiter Falsches gehätschelt und Richtiges missachtet. Ernst Blochs Empfehlung Schach statt Mühle zu spielen, erreichte die Linke bis heute nicht. Stattdessen äffen die Konservativen ihren Jünger nach, denn der Mephisto des Zweiten und Dritten Reiches soll sie auch in ihr Viertes Reich geleiten. Wie die DDR ab 1957 nicht vorwärts, sondern zurück in überwundene Zeiten gelenkt worden ist, so steuert die West-Elite ihre Berliner Republik zurück in die deutsche Kriegsgeschichte. Heute melden die Medien, jeder zehnte Deutsche will einen Führer und jeder dritte findet das Land überfremdet. Ich finde das auch – von jedem zehnten und dritten. Wenn aber jeder zehnte und dritte zuviel ist, muss nach den Gründen gefragt werden. Gleich nach 1945 kamen Ostdeutsche, und keiner wollte sie haben.1989 kamen Mitteldeutsche, die auch als Ostdeutsche galten, doch DDR-Deutsche waren. Seit den 60ger Jahren gibt's den Türkensturm und andere Islamisten-Scharen. Und alles in unser „Kein Einwanderungsland“. Endlich ersteht uns im sozialdemokratischen Finanzpolitiker Thilo S., der gemeinsam mit Horst Köhler die DDR deindustrialisierte, dass sie uns BRD-Deutschen seither als Mühlstein um den Hals hängt, ein tapfrer Siegfried, der den Türken zwischen Wien und Berlin heroisch und todesmutig die Stirn bietet. Mit Pullovern als Winterhilfe zaubert unser Wunder-Koch aus dreieinhalb Euro ein überaus gesundes Tagesmenü, das jede Hausfrau beschämt erblassen und jeden Familienvater schleunigst Hartz 4 beantragen lässt. Mit dem ersparten Geld kaufen die Bürger das Buch Der Untergang des Abendlandes mit Spenglers Pseudonym Sarrazin als Dichter. Derweil erobert Erika Steinbach die zeitweise besetzten Ostgebiete zurück, um sie ins christlichdemokratische Hessen einzugemeinden, und Pastor Gauck predigt das vereinte Land so linkenleer glücklich, wie es von 1933 bis 1945 gewesen ist. Das alles geschieht als historisches Trauerspiel in Auerbachs Keller zu Leipzig, wo mein sächsischer Statthalter Gert Gablenz den Figuren unserer westlichen Wertegemeinschaft die Plätze zuweist, die sie verdienen. Wie Adenauer statt Niemöller Bonner Kanzler wurde, werden SPD-Grüne demnächst dafür Gauck vorschlagen statt Schorlemmer, den unverdrossenen Wiedertäufer von der Elbe. Da öffnet Jünger seinen Mantel der Geschichte, dass die Ordenskreuze blitzen und die Panzerkanonen donnern. Husch-Husch zum Hindukusch und Schluss mit der Friedensdividende. Versprochen ist gebrochen. Spielen wir Bahnhöfe versenken und singen endlich wieder unsere komplette Nationalhymne, damit die Entzugserscheinungen abklingen. Brechts Verweis aufs große Karthago, das bis zur Unauffindbarkeit drei Kriege führte, wird vom beliebten Sprichwort Aller guten Dinge sind drei korrigiert. Der deutsche Held springt dreimal in denselben Fluss, führt drei Kriege und schmettert sein Über alles-Liedlein mit sämtlichen drei Strophen, um endlich nicht mehr als Gutmensch verteufelt zu werden. Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 25.10.2010, geplant.
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Gerhard Zwerenz
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