Eben entdeckte Götz Aly den Faschismus der 68er. Schon Hitler war ein 68er. Das mag die ganz eigene Bekehrung und Beichte eines religiös gewordenen vormaligen Krawalleurs sein, beleidigt aber zugleich andere 68er von Frankfurt/Main über West-Berlin bis Prag, zu denen Frau Merkel auch nicht gehörte. Könnte man sie wenigstens als Leipziger Oppositionelle ausgeben? Notfalls laudiert Marcel, den unsere Angela jüngst in einer Hamburger Hitparade so überzeugend und herzlich hofierte, dass man dem preisverleihenden Magazin fast Hitlers Tagebücher als authentisch abzunehmen geneigt war. Wer's nicht glauben mag, sitzt im falschen Film. Kurzum, wer noch ein Blauhemd im Koffer aufbewahrt, sollte aus Gründen der Pietät am 3. Juni an die Pleiße pilgern und entweder die Kanzlerin oder ersatzweise meinen Geburtstag feiern: Auferstanden aus Ruinen: Wir alten DDR-ler kommen …
Jetzt im Jahr 2008 rumort es in den eingeschwärzten Medien wegen 1968, denn der Konflikt liegt exakt 40 Jahre zurück, was werden die erst mosern und maulen wird es im Jahre 2018 ein Halbjahrhundert her sein. Vor einigen Monaten googelte Ingrid diesen Text aus meiner Vergangenheit aus dem www-
»Kaum jemand dürfte den Angriff auf die Ordinarienuniversität und die alten Bildungsprivilegien mit drastischeren Worten beschrieben haben als der Schriftsteller Gerhard Zwerenz:
›Ja, wir kommen, aufgepasst ihr akademischen Traditionstrottel und Universitäts-
Der ehemalige Leipziger Student, der bei Ernst Bloch Philosophie studiert hatte und 1957 in den Westen geflohen war, lag im objektiven Trend der Zeit. Nicht zufällig erkannte er sich in den wichtigsten Zielsetzungen der Studentenbewegung wieder.«
Ja, wir kommen, aufgepasst ihr akademischen Traditionstrottel und Universitäts-
Wir kommen. Wir holen euch ab, wenn ihr ausgeweidet, ausgenommen, ausgeschlachtet seid, so hohl, wie es euch in Wahrheit entspricht. Wir sind längst dabei, euch auszuhöhlen. Wir kommen und sind längst gekommen, einzeln am Tage oder nachts in kleinen Gruppen. Schon sind eure feinen Bürgersöhne keine feinen Bürgersöhne mehr, ein leichtes Zucken des Augenlids, ein Blinzeln, wir haben uns verständigt. Es ist höchste Zeit, euch abzuholen, euch abzufahren. Wir sind gekommen. Wir werden immer mehr. Andere kommen zu uns herüber, und wir gehen gemeinsam zu euch hinüber, und DRÜBEN sind wir Wir, WIR SIND GEKOMMEN, wir haben uns hervorgewagt, hervorgeschwindelt, hervortaktiert, hervorgeschlagen, hervorgebüffelt. Wir lehnen keine List ab, keine Gewalt, keinen Umweg, keine Tarnung. WIR KOMMEN IMMER NOCH. Wir nehmen euch in Besitz, ihr ängstigt euch noch vor der Revolution von gestern, wie IHR EURE Armeen auf den Krieg von gestern trainiertet. WIR ABER KOMMEN. In Ost und West und West und Ost. Wir sind unerfahrener als IHR, ungebildeter, ungeduldiger, unwissender, unwilliger, unbekannter, unberechenbarer, ungezügelter, unvermögender. Wir sind schroff, armselig, abhängig, unkonventionell, keine Augenweide, wir sind bösartig, verletzend, nach Gerechtigkeit rufend und nach Rache dürstend, sind nicht fein, nicht gut und nicht zu haben, wir vergreifen uns an euch, wir machen nicht mit, wie ihr denkt, was ihr wollt, verlangt. Wir vergiften euch, wir gehen euch an die Gurgel. Wir sabotieren euch. WIR KOMMEN.«
Leipziger Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung 1991 Lesend: Gert Neumann. Zuhörer (von l. nach r.): Ulrich Schacht, Werner Heiduczek, Lutz Rathenow, Horst Drescher, Joachim Walther, Dirk von Kügelgen, Hubert Witt, Erich Loest, Gerhard Zwerenz
Als ich neun Jahre zählte, verschwand der Mann, der uns Kindern in Schwarzarbeit die Haare schnitt. Gleich ihm verschwanden im Sommer 1934 in unserer Gegend viele Antifaschisten in den Gefängnissen oder konnten sich gerade noch über die Grenze retten. Der Friseur wurde, obwohl nach der Haft wehrunwürdig, 1943 zum Strafbataillon 999 eingezogen, desertierte und verlor sein Leben beim Schusswechsel mit deutschen Soldaten. Das Beispiel bestärkte mich in der löblichen Absicht, von der Fahne zu gehen. Aber nicht unbewaffnet. Die schwarzen Fundis von der Deutschen Christenheit wollen uns heute wie vor 1945 den Antifaschismus vergällen. Ich werde unser Leben nicht dementieren. Gegen Faschismus hilft nur Widerstand mit Kopf und Bauch.
Am 1. April 2008 erinnerte die Chemnitzer Freie Presse an unseren Leipziger Freund Joachim Wenzel, der seine journalistische Arbeit 1948 in Chemnitz begann und am 1.4.1958 im Haftkrankenhaus Leipzig-Meusdorf starb.
Seither sind 50 Jahre vergangen. Da offenbar erst der Sohn Andreas Wenzel den Anstoß für den Gedenkartikel »Die Stille am Grab des Journalisten« geben musste und, soweit ich es überblicke, weder das Dresdner Hannah-
Soviel als Nothilfe für die zuständigen Institutionen des Freistaates Sachsen, wo die Vergangenheit Löcher hat wie mottenzerfressene Kleidung.
Seit dem Sachsenschlag von 1923, als der sozialdemokratische Reichspräsident Ebert die sozialdemokratische sächsische Landesregierung von Reichswehrsoldaten davonjagen ließ, weil sie zwei Kommunisten als Minister aufgenommen hatte, herrschen in Sachsen illegitime, wo nicht illegale Zustände. Seitdem ist jeder Sachse ein wiedergeborener Ursachse und wir bilden die 5. Internationale nach der Formel: Buddha + Konfuzius + Christus + Marx = Widerstand im Gelächter, auch Auferstehung ohne Kreuzigung genannt. Das Experiment, ein Groß-Sachsen namens DDR zu errichten, scheiterte am herrschenden Prinzip der Feindschaft. Ergo schaffen wir die Feindschaften ab. Da wir als Jugend zwar kommen, aber nicht bleiben durften, kehren wir wieder als junggebliebene Alte.
Vom Altenburger Historiker Günter Hauthal las ich die Autobiographie Als junger Soldat der Fallschirmpanzerdivision HG von 1943 bis 1945 vom Kriegsglück begünstigt, 2007 im Selbstverlag erschienen, wo sonst bei den kaputten Kulturstrukturen des besiegten Ostlandes. Wieder fällt auf – 1. wie real und ungeschminkt der Krieg darzustellen ist, wenn keine Ideologie und kein die Verkaufs-
Bush, Putin, Sarkozy, Merkel lauten die Namen der vier glorreichen imperialen Helden, die im April 08 natofriedensstiftend zusammentrafen, und alle sind sie erklärte Christen. Bush's USA genügte das Vietnamdesaster nicht, der fromme Lügenpräsident stieß noch die Iraker in den Krieg. Putin hat Tschetschenien kriegsbefriedet, Sarkozy sitzt auf dem algerischen Folter-
Natürlich hat jeder Kriegsfürst Grund zur machtvollkommenen Zufriedenheit. Bush stürzt Länder, die nicht selbstfolternd kuschen, in seine demokratischen Befreiungskatastrophen. Putin wird von der friedenstüchtigen NATO zur erneuten Landesverteidigung von der Lena bis zur Wolga gezwungen. Sarkozy hilft den USA, de Gaulle vergessend, in Afghanistan wie Merkel der SPD beim Verlieren von Wählerstimmen.
Es ist alles in bester Weltfriedensordnung. Ich frage mich auch nur ganz leise und nebenbei, wie unsere bibelfeste Pastorentochter sich beim Berühren massenmörderisch blutbesudelter Hände fühlt. Ja, ich weiß, bei großer Politik gilt Luthers Zwei-Reiche-Lehre. Christ ist das eine, Politik das andere. Auf diese Weise hatte die werte Christenheit 2000 Jahre Zeit, sich selbst zu widerlegen. Der atheistische Marxismus, der es auf kaum 150 Jahre brachte, hat also zum Gleichziehen noch 1.850 Jahre vor sich.
Als die Talkshows noch nicht zu witzlosen Kabarettparodien verkommen waren, fragte ich Frau Merkel in einer Berliner ARD-Runde, ob es ihr in der DDR schlecht ergangen sei. Sie verneinte, obgleich schon Kohls Mädchen und Ministerin, was für einen gewissen Hang zur protestantischen Offenheit spricht. Als Kanzlerin aber ist sie schlechthin genial. Weil die alte Frontlinie Dregger-Koch-Kohl bei den letzten Wahlen ins Risiko führte, verordnete Angela der CDU energisch Kurs auf sozialen Demokratismus, was die SPD zum einzigen Hort der neoliberalen Neokonservativen verdonnerte. Zur selben Zeit stand August Bebels Wiedergeburt im linken Zwillingspaar Lafontaine-
Hoffentlich erscheint sie nicht so prachtvoll dekolletiert wie neulich in Oslo, sondern akademisch hochgeschlossen, sonst blicken die versammelten Profs zu tief, als dass sie noch den fabulösen Hut sehen könnten. Vielleicht empfiehlt die Gepriesene in ihrer Dankesrede die geliebte Gottheit Dalai Lama als dritte Möglichkeit zur Bundespräsidenten-Wahl, wo ein erklärter Pazifist schon deshalb hingehört, weil Angelas Jesus Christus ja auch als Pazifist lebte, starb und zum Himmel fuhr.
In Folge 13 wurde von Ingo Graf berichtet, dem »Sänger, der nicht mehr singt« und ich zitierte aus seinen phantastischen Briefen. Das Schöne an einer Internet-Serie ist, man kann jederzeit vor- und zurückschalten und so dem Faktor Zeit eine lange Nase drehen. In der Folge 13 also heißt es: »Der märchenhaft quicke Briefschreiber Hartwig Runge aus Leipzig war unter dem Pseudonym Ingo Graf ein erfolgreicher, geschätzter DDR-Schlagersänger, der sich nach der Wende als Liebhaber einer Nationalhymne gefiel, die er nach der Musik von Joseph Hayden mit Texten der Hoffmann von Fallersleben, Johannes R. Becher und Bertolt Brecht zusammenmixte – ein Kunstwerk mit Sinn und Witz, eine Hymne gar mit Verstand, was bei Nationalhymnen ein Widerspruch in sich ist. Endlich erfand er den explosiven Satz vom Anteil der Arbeitslosigkeit an der Affenwerdung des Menschen, womit er dem sächsischen Sarkasmus klassische Qualitäten verleiht. Zudem greife ich die postmodernen Paradoxien im Brief auf, um sie geschmeidig weiterzuführen. Wer seine schönsten Träume verleugnet, fälIt den Angstträumen anheim. Lasst eure Phantasien tanzen … Unser eigenes Copyright betrifft die Innovation per Montage von Tod und Glosse, Fakt und schwarzer Romantik, Autobiographie und Geisterseherei alias Religion, Karl May und Karl Marx, Pleiße und Elbe, Sachsen und China. Es geht ums Erwachen der Sachsen aus ihrem traumatischen Dämmerschlaf …«
Von Hartwig Runge bzw. Ingo Graf, der nicht mehr singt, aber unverdrossen schreibt und graphische Kunstwerke in original sächsisch-satirischer Qualität schafft, stammt ein Postwertzeichenentwurf, den ich als Geburtstagsgeschenk zum 3. Juni gern akzeptiere. Unsere frühere Leipziger Physikstudentin und tüchtige FDJlerin Merkel kriegt einen Ehrendoktorin-Hut, ich aber gehe als rote Briefmarke um die Welt … Irgendein kräftiges Detail sollte schon noch an die große rote sächsische Vergangenheit zwischen August dem Starken, Walter Ulbricht, Herbert Wehner und Karl May erinnern. Der Dr. h.c., h.c., h.c. und so fort Kanzlerin aber gestatte ich mir dieses freundliche Gedicht zu widmen:
8. Mai
Hundertmäulige Prominente und angeschlossene Intellektuelle erklären uns den Krieg wie er nicht war und als ob er seit 1945 vorbei wäre Ich suche nach einem revolutionären Gewehr das nach hinten losgeht nach Bomben die die Bomber treffen nach Generälen die sich vorher selbstmorden Der Urvater starb vor Verdun Der Großvater blieb in Stalingrad Der Vater erkämpft den Frieden am Hindukusch Sein Sohn ist ein Computer Du glaubst gar nicht wie viele Feinde dir erwachsen wenn du dich einfach zu schießen weigerst statt die befohlenen Ziele zu vernichten Gerhard Zwerenz Briefmarke von Ingo Graf Am Montag, den 9. Juni 2008, erscheint das nächste Kapitel.
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