Auf den Spuren des Günter Wallraff
Jan Günter wohnte in Köln, Thebäerstraße 20, und kam dem Kommissar an der Haustür entgegen. Seine hellbraune Ledertasche schwenkend rief er: „Kommen Sie mit in die Sauna?“ „In die Sauna nicht, aber kann man dort auch schwimmen?“ Jandell mochte nicht schwitzen, doch schwamm er leidenschaftlich gern. Jan Günter holte ihm noch Badehose und Handtuch aus der Wohnung. Sie fuhren nach Marienburg in eine Privatanstalt, Eintritt sieben Mark, angenehme Atmosphäre, ansprechende Bedienung. Jan Günter verschwand in die Saunaräume, Jandell duschte und stieg gemächlich die Stufen ins Becken hinunter. Das Bassin war überraschend groß, keines dieser wassergefüllten Gevierte, wo zwei Badegäste einander schon ins Gehege kamen. Er zog seine Bahnen, und nach und nach füllte sich das Becken, eine Menge Leute wollten ihr Pensum runterschwimmen, da verließ der Kommissar das Becken. Er machte es sich auf einem der Liegestühle bequem. Jan Günter erschien. Er war groß, nicht stark, eher schmal, doch breit in den Schultern. „Das ist doch dieser Jan Günter!“ tuschelte eine Dame auf Liegestühlen neben JandelI ihrem Mann zu. Der Kommissar lauschte. Der Mann beobachtete Jan Günter. Dann sagte er ziemlich laut: „Man sollte ihm ein paar hinter die Ohren geben!“ Jandell erzählte Günter, was er gehört hatte. „Sie hassen mich wie die Pest“, sagte Jan Günter. „Dass ich auf Gerlings Schreibtisch gelegen hab, brachte den Versicherungskonzern ins Unglück, meinen die Reichen abergläubisch. Erst die Herstatt-Pleite, dann die schweren Folgen innerhalb des Konzerns. Sie zerschmettern das Barometer, wenn es schlechtes Wetter anzeigt.“ Jan Günter war noch nicht lange aus den griechischen Gefängnissen zurück. Er hatte sich auf dem Athener Platz der Freiheit angekettet, Flugblätter verteilt und Reden gegen die Junta gehalten. Er war niedergeschlagen, inhaftiert und gefoltert worden. Man sah die Spuren noch an seinem Körper. „Wie geht's?“ fragte der Kommissar und deutete auf die Narben und Flecke, die von glühenden, in der Haut ausgedrückten Zigaretten herrührten. „Erträglich“, antwortete der Schriftsteller, „nur der große Zeh ist noch so gefühllos, da kann man mit einer Nadel reinstechen, ich spüre gar nichts.“ „Wie haben Sie diese private Schwimmanstalt gefunden – Sie wohnen eigentlich recht weit weg von hier?“ „Röhl hat mich hier eingeführt. “ „Wieso Röhl, dieser linke Zeitschriftenherausgeber? Der wohnt doch in Harnburg?“ „Er verbrachte eine Menge Zeit in Köln. Einer Frau zuliebe, die ihm viel bedeutete. Die Beziehung ist jetzt in die Brüche gegangen. Das hat ihm schwer zugesetzt.“ „Er kommt nicht mehr nach Köln?“ „Kaum. Hat seine hiesige Wohnung aufgegeben. “ „Wer glaubt einem so flotten und flatterhaften Menschen soviel Anhänglichkeit an eine Frau – “ „Die meisten Bilder, die man sich von den Leuten macht, sind falsch.“ Das war ganz Jan Günter, der kühle Reporter und Realist, der als Schriftsteller eine neue Seh- und Schreibweise eingeführt hatte. Der sich verkleidete und mit falschem Namen und falschen Papieren in Klöster, Ämter, Fabriken einschlich, wochenlang als Mönch betete und fastete, als Arbeiter robotete, als Portier beaufsichtigte und Besucher informierte, dabei seine Recherchen ansteIlte und die Ergebnisse dann in linken Zeitschriften veröffentlichte. Was dieser Schriftsteller publizierte, lief den offiziellen Meinungen meist sehr zuwider. Jan Günter wurde der bestgehasste Mann, eben weil er Dinge an die Öffentlichkeit brachte, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. „Literatur hat Folgen, oder sie ist ein Schlafmittel“, sagte der Schriftsteller und verschwand in die Sauna zu einer zweiten Sitzung. Jandell hatte Günter kennengelernt, als sie beide sich noch in den Vorstadien ihrer jetzigen Tätigkeit befanden. Der Schriftsteller hatte eben eine schwere Zeit als Wehrdienstverweigerer bei der Bundeswehr hinter sich und saß dann in Köln auf seiner ärmlich möblierten Bude, wo er seine Aufzeichnungen für den Druck vorbereitete – seine ersten Publikationen in der später eingestellten Zeitschrift twen. Der Kommissar arbeitete in diesen Jahren für den Funk, ein nebenberuflicher Journalist und nebenberuflicher CIA-Mann. Jandell lächelte, erinnerte er sich der damaligen Zeit. Sie hatten beide eine ziemlich abenteuerliche, krause Vergangenheit, der inzwischen weitberühmt gewordene Reporter und Schriftsteller ebenso wie er, der weithin unbekannte Geheimdienstler. Jan Günter kam krebsrot aus der Sauna zurück. „Worum geht es eigentlich?“ fragte er schweratmend. „lch nehme an, wir misstrauen einander ebensowenig wie vor zehn Jahren“, sagte der Kommissar. „Ich benötige eine Auskunft, die Sie selbst mit angeht. Ich denke doch, Sie wollen die sozialliberale Koalition nicht stürzen, auch wenn Sie weit links von ihr stehen, wofür ich volles Verständnis habe.“ „Worum geht's?“ fragte Jan Günter nochmals. „Um die schwedische Journalistin Barbara. Mir liegen Berichte vor, sie ist mit dem Kanzler befreundet und – “ „Stimmt“, sagte Jan Günter, „sie wohnt manchmal bei mir. Sie übernachtet bei mir auch. Na, wir haben nebeneinander auf der Matratze gelegen, aber es war nichts. Sie ist auf Vater-Typen fixiert. Verstehen Sie? Eines Tages tauchte sie auf und erzählte, ich besuche am nächsten Tag den Kanzler. Interview. Danach kam sie zurück. Mit dem Interview wurde es nichts, sagte sie, aber es war auch so ganz interessant. Begreifen Sie das? Sie ist eben auf Vater-Typen abonniert.“ „Halten Sie's für möglich, dass diese Barbara für den Osten arbeitet?“ „Ich halte grundsätzlich erstmal alles für möglich“, beschied der Schriftsteller den Kommissar, „doch in diesem konkreten Fall verriete ich Ihnen nichts, auch wenn ich was wüsste!“ „Mann, Sie als gesellschaftskritischer Autor müssten doch einsehen, dass das Ding mit Guillaume eine Riesendummheit des Ostens war. Die DDR hat damit einfach Mist gebaut. Es liegt im Interesse auch der DDR selbst, die Angelegenheit schnell zu bereinigen.“ „Das Ganze ist aber doch Ihr Bier!“ sagte Günter kurzangebunden. „Wirklich nur meines?“ „Mann“, antwortete der Schriftsteller ärgerlich, „das mit Willys Weibern verbraten die von der Rechten doch nur, um der SPD zu schaden.“ „Sie sind der große Reporter,“ hakte der Kommissar ein, „warum drehen Sie den Spieß nicht einfach um und informieren die Öffentlichkeit über das Nachtleben der rechten Politiker?“ Jan Günter rieb sich mit dem Handtuch Schultern und Rücken. Eine Verlegenheitsbewegung. Er war längst trocken. „Ich decke Strukturen der Ökonomie und der Macht auf“, erklärte er leise, „nicht aber welche des Unterleibs.“ Er nahm umständlich Platz und lehnte sich zurück. Es blieb eine Weile still. Aus dem Wasser klangen die Schnaufer der Schwimmer, die sich abmühten, Fett zu verlieren und Fitness zu gewinnen. Wer hierher kam, brauchte mit der Mark nicht zu knausern. Der Kommissar fand es amüsant, den kritischen Schriftsteller unter lauter wohlbeleibten und gutbetuchten Bourgeois saunen und schwimmen zu sehen. Jandell sagte: „Das machen Sie richtig, wenn Sie hierher gehen. Man muss immer unter den Leuten leben, über die man schreibt. Sie bleiben stets am Ball. Das finde ich gut. Aber Sie sind zu anständig, und das ist vielleicht Ihr größter Fehler. Auch Ihre Kollegen sind zu anständig. Zu anständig, zu elitär, zu ästhetisch.“ „Ich bin kein Ästhet!“ „Was Sie vorhin über die Strukturen sagten, widerlegt Sie. Die Linken und Marxisten theoretisieren zu viel und schreiben an den Massen vorbei. “ „Ich theoretisiere nicht! “ widersprach der Schriftsteller.“ „Mag sein“, gab Jandell zu, „Sie sind ein weißer Rabe; nein, ein roter!“ Jan Günter ist Günter Wallraff, das Pseudonym gab ich ihm für die Maskerade im Quadriga-Roman, der 1975 erschien und auf der Bonner Bundespressekonferenz vorgestellt werden konnte, weil der Fall Guillaume phantastische Blüten trieb. Moderiert wurde die Veranstaltung von Hans-Dieter Lueg. Hier eine Auswahl der damaligen Meldungen, die den Zustand der ausgekundschafterten Bonner Republik spiegelt: Günter Wallraff alias Jan Günter und ich alias Gert Gablenz werden uns am kommenden 19.11.09 zur Lesung im Leipziger Haus des Buches mal wieder treffen. Ich freue mich darauf. Seine Kunst der Verwandlung, ohne ein anderer zu werden, sondern er selbst zu bleiben, macht ihn zum Warner vor einem drohenden Schattenreich. Die Maske beim Großen Ball. Was ist Maskerade, was ist Gesicht.
Oder Wallraff der Testpilot. Gesellschaften, die zu Bruch gehen. Wenn die Oberen ihren Unteren so respektvoll begegnen als könnte jeder einzelne ein Günter W. sein, wird das Spiel ernsthafter als die Regisseure das wollen.
Eckart Spoo, dem heute die exzellente Zweiwochenzeitschrift Ossietzky zu verdanken ist, geriet 1973 in Konflikte mit seinem Arbeitgeber, dem Chefredakteur Karl Gerold, Herausgeber der Frankfurter Rundschau, für die Spoo aus dem brodelnden Straußschen München berichtete. Fünf Kollegen beschlossen, Eckart Spoo beizuspringen, Wallraff war dabei. Ganz direkt und ohne Maskerade.
Da ich in Offenbach nahe Frankfurt wohnte, meinte Böll, ich solle das Papier mit den fünf Unterschriften dem Herausgeber Gerold direkt überbringen. Es war ein frischgefrorener Wintertag, ich schlitterte mit dem Wagen fast gegen eine Hauswand.
Gerold empfing mich mit der gewohnten Freundlichkeit. Las den Brief und verfinsterte. Eine Woche später hatte ich mein erstes Hausverbot weg. Vorher waren die Redakteure gedrängt worden, mich zu drucken, jetzt durften sie gar nicht, ich war verboten worden wie Robert Neumann. Das dauerte an, wurde aufgehoben und bald erneuert. Als Gerold verstarb, hatte ich gerade mein zweites Hausverbot kassiert. Im Feuilleton brüteten die Redakteure über einem Protestschreiben. Der plötzliche Tod des Herausgebers erledigte den Fall. Ich durfte im Blatt wieder gedruckt werden, es wurde aber nie mehr wie vordem. Heute soll es in der Frankfurter Rundschau nur noch drei Redakteure geben, die noch zu Karl Gerolds Lebzeiten für die Zeitung gearbeitet hatten. Bei Gelegenheit werde ich mich gern über den braven Mann äußern, der bei allen Schwächen und Macken, die als Karrierekrankheiten gelten dürfen, ein bewährter Anti-Nazi gewesen ist. Im Fall Spoo aber gerierte er sich obrigkeitstreuer als er war. Da er mich gerade aus seiner Huld verbannt hatte, richtete er seine verlegene Antwort an Günter Wallraff.:
Kollegialität hin oder her. Eckart Spoo, der nebenbei bemerkt auch als Bundesvorsitzender der Deutschen Journalistenunion Zensurgelüsten in Presse- und Verlagswesen einfallsreich zu begegnen wusste, erstritt sein Recht vor Arbeitsgerichten. Aus München durfte er nicht mehr berichten, doch aus Hannover, wo er später Ossietzky gründete. Mit der Zeitschrift siedelte er dann nach Berlin um, wo einst die Weltbühne erschien. Eine gewisse rote Nachfolge sollte schon sein in Zeiten medialer Schweinegrippen. Mehr dazu demnächst in Leipzig. Ein drittes Nachwort ist für Montag, den 09.11.2009, angekündigt.
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Gerhard Zwerenz
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