Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
„Vorgestern haben sie ein paar Russen erschossen, zwegen [sic] Spionage, ich habe assistiert – natürlich nur mit denen Gerichtsakten und nicht etwa mit dem Karabiner – und es war eigentlich nur jämmerlich …“
So Tucholsky am 20.2.1917 an Hans Erich Blaich. Die Szene taucht nicht in Tucholskys Texten auf und ist nur durch seine Korrespondenz überliefert. Man darf darin aber ein Grundmotiv an Erfahrung sehen. Von hier ist es ein kurzer Weg zum militanten Pazifismus: „Wir wollen bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, dass diese Brut nicht wieder hochkommt … Der Helm muss und wird heruntergeschlagen werden …“ Gemäß dem von Nietzsche geheiligten Motivsatz von der ewigen Wiederkehr des Gleichen wurde der Helm 1935 bei Tucholskys Tod erneut aufgesetzt, denn der Kaiser ging, die Generäle blieben, und 1955 zum dritten Mal, denn Hitlers Generäle wurden Adenauers Generäle. Und 2007 wagt der NDR eine tv-Dokumentation über die Familie Quandt nur mit einem Teil des eruierten Materials und sehr spät um Mitternacht zu senden – soviel Furcht herrscht vor den Milliardären, die mit Hitlers Häftlingen im Rüstungsgeschäft den Grundstock ihres Riesenvermögens schufen.
Es kommt noch schöner: Die FAZ am 13.10.07: „Eine Schuld am Scheitern der Weimarer Republik trage der George-Kreis nicht; dafür seien Ernst Jünger und Kurt Tucholsky und deren Ungeduld mit der parlamentarischen Demokratie verantwortlich zu machen.“ Jünger und Tucholsky in einem Boot? Da war der FAZ-Redakteur Friedrich Karl Fromme 1986 exakter, als er schrieb: „Inzwischen neige ich mehr der – von Kompetenteren lange vor mir geäußerten Ansicht zu, dass Tucholsky zu dem schmalen Teil, das dem Intellektuellen zugemessen ist, zum Untergang der Weimarer Republik beigetragen hat.“ Die Kompetenteren hatten sich am 10. Mai 1933 mit ihrem neunten Feuerspruch bei der Bücherverbrennung deutlich artikuliert: Gegen Frechheit und Anmaßung – Für Achtung und Ehrfurcht vor dem deutschen Volksgeist – Tucholsky, Ossietzky –
2010 ist ein rundes Tucholsky-Jahr: Geboren am 9. Januar 1890 – gestorben am 21. Dezember 1935 – also liegt die Geburt 120 Jahre zurück, sein Freitod 75 Jahre.
Da erinnere ich mich an ein Interview von 1978 mit Wolfgang Neuss:
Neuss: Ich hab ja ein Erlebnis gehabt mit Tucholsky, das will ich dir gleich mal loslassen. Ich will dir was sagen, ich war so'n Mensch, so'n Schlachter, ja? Verstehste? Da hat mich ein amerikanischer Offizier in München geholt, der hat gesagt, hier, lesen Sie doch mal Tucholsky, da hab ich so die ersten Seiten gelesen, gefressen dann und alles gebracht, was in dem Buch stand auf der Bühne, aber alles von mir und nicht von Tucholsky, verstehste, geklaut, wie man das so nennt, das war das Größte, weil ich immer so ändern mußte, daß es wirklich von mir war, dann war so'n Mensch wie du im Publikum, hab ich gekuckt, Moment, hab ich gedacht, der versteht, daß ich geklaut habe, da muß ich so klauen, daß er's nicht merkt, ich habs aber immer toller getrieben mit Tucholsky, ja? Dadurch hab ich ihn ganz verstanden, was das für ein Mensch war, der war ganz wach, darum lieben ihn die einfachen Leute auch, ein ganz wacher Mann, der die Krankheit im Gesicht hatte, ich hab nur mit ihm gekämpft und gemacht, hier hat er's gehabt – (Neuss faßt sich in die Mitte der Stirn), der Mensch hat nämlich drei Augen, one, two, three, und dieses dritte Auge, hat er immer gesagt, bringt ein neues Lebensgefühl. Noch kämpfen? Hindenburg, Hitler, ach, hier Weltbühne, ich brauch ein neues Lebensgefühl ... Zwei Frauen, Gripsholm, nein, auch nicht, was kann ich machen, was ... hier drin sitzt es, hier muß es aufgehen, dann hab ich das neue Lebensgefühl, nicht mehr diese alte Scheiße schreiben, entschuldige, ja, der ganze Tucholsky, verstehst du, der war von Haschischrauchern der zwanziger Jahre umgeben, Friedrich Wolf, Erich Mühsam, von all diesen Leuten, die mit Haschisch zusammenkamen, aber auch mit Kokain, und Kokain war Hitler, und Haschisch ist irgendwie Jugend, neues Lebensgefühl, Sinn für die Sache, Tao nennen wir das, Tucholsky war nahe dran, ja darum mögen ihn die Leute und holen sie ihn vor, weil er gesagt hat, ich muß es schaffen, in Stockholm hat ers dann geschafft, ob der sich umgebracht hat, bezweifle ich, der hat sich totgesehnt, Sehnsucht nach dem neuen Lebensgefühl hatte der ...
GZ: Wolfgang, hast du das Gefühl gekriegt in letzter Zeit, daß Tucholsky, nachdem er abgesunken war, plötzlich wieder im Kommen ist?
Neuss: Immer wenn Protest, Satire, Kabarett zu Ende ist, und das Theater und was dran hängt, die Oper, die Kunst und die Kultur, es ist etwas ganz anderes zu Ende, der Protest zu Ende, und darum ist Tucholsky auch nicht mehr im Kommen, der Protest als Haltung im Volk ist out, ja, mag nicht mehr angenommen werden von den Leuten, darum ist auch meine Sache zu Ende gewesen, die Protesthaltung möchten sie ändern, das hat auch wieder was mit einem neuen Gefühl zu tun, es ist: wie kann man lieben, ohne den Leuten auf den Wecker zu fallen und trotzdem ändern, mit Protest mag ichs nicht mehr machen, Tucholsky wollte es damit auch nicht mehr machen, ja? Und die Leute, ich spür das, mögen es nicht mehr, die Protesthaltung.
GZ: Bei Tucholsky war der Einschnitt 1933 mit dem Faschismus.
Neuss: Der Kampf gegen den Faschismus ist eine Sache für sich, der findet täglich statt. Darauf war natürlich Tucholsky wie du und ich und alle anderen abgefahren, die dachten, der Kampf gegen den Faschismus wäre eine einmalige Sache, wenn er mal besiegt ist, wird er besiegt sein, nein, der entsteht ununterbrochen neu in uns, um es mal abzukürzen, ja, durch das, was man in sich reintut, mit den anderen, da essen also 200. 000 Leute Fleisch in der Stadt, kannste annehmen, die machen das mit Bockwurst, da denken sie gleich, gleiches Denken aber ist nicht der Sinn des Menschen, gleiches Sein ist der Sinn des Menschen. Irgendwo geht's da nicht zusammen, bei gleichem Denken kommt Langeweile auf, tödliche Langeweile, das ist doch die Gefahr heute in der Gesellschaft, da könnte doch Tucholsky gar nichts mehr mit seinem Kampf gegen den Faschismus anfangen, das hat in seinem Leben genauso eine Rolle gespielt wie in deinem und meinem, damit der Mensch seine Dogmen in sich bekämpft, hat er immer ein Drama, ich bin augebürgert, bin ausgestoßen Eight Men Out, den Film hab ich mal gesehen, es ist eine Sache, die ich jedem Menschen mal gönne, das Erlebnis, Emigrantenerlebnis, ja? ne wunderbare Geschichte.
GZ: Aber er ist dran kaputtgegangen, Wolfgang.
Neuss: Das ist ja das neue Lebensgefühl, der Mensch geht nicht kaputt, das ist die Antwort auf die Neutronenbombe.
GZ: Aber er hat sich wirklich –
Neuss: Die Antwort ist, der Mensch geht nicht kaputt, der geht nie kaputt, das siehste doch an mir, keine Zähne, aber kaputt?
GZ: Bei dir weiß ich nicht, bist du wiederauferstanden?
Neuss: Hast du den Eindruck, daß ich geistig tot bin oder –
GZ: Ich finde, du bist vollkommen da.
Neuss: Ich finde, ich bin besser als früher, aber das ist ne andere Geschichte, ja ich muß das finden, damit ich so wurde – na also, ein starker Mann von einem starken Stamm, ne? Sagen wir ruhig Jude, was sind denn die Juden anderes als die ewigen Spieler, das ist doch das größte Theater der Welt, daß es das überhaupt gibt, was die machen, die Deutschen halten die für die größten Geschäftemacher, in Uganda halten sie die für die größten Zauberer, die größten Geschäftemacher sind da die Inder, ja die Juden sind schon die größten Spieler in der Welt, davon kommt ja Tucholskys perfektes Spiel auch, kuck mal die lustigen Sachen von dem an. Sowas kannste nur im Judentum finden, unter den ungarischen Juden gibt's solche tollen Geschichten.
GZ: Tucholsky war ein lebenslängliches Kind, er wollte nie erwachsen sein.
Neuss: Ein tolles Kind, das darfste glauben. Der hat schon die Gewalt von der Geburt nicht vertragen und die Gewalt am Ende, den Terror überhaupt nicht vertragen, so geht's jedem Menschen übrigens, Tucholsky hat ja am meisten gegen die Gewalt – also das geht den Pazifismus in diesem Jahrhundert an, und darum wird er auch noch ne Weile leben, der Pazifismus ist ja auch nur ne Ausrede, um über die Gewalt hinwegzukommen. Tucholsky hat den Pazifismus angetrieben: ›General, General, wag es nur nicht noch einmal‹, ja, das war ja todernst gemeint, das kannste heute nur noch lächelnd sagen, das konnte man damals nur lächelnd sagen, er hat ja gleichzeitig auch solche Sachen wie sie im Simpl waren gegen Generäle geschrieben.
Also wie gesagt, er und Karl Kraus haben es mit der Gewalt gehabt in Europa, in diesen zwanziger Jahren und die müssen die meisten Schmerzen in sich gehabt haben, du verstehst, was ich meine, ja? Je mehr Leiden der Mensch in sich hat, Leiden, Mitleiden, mit sich mitleiden, um so mehr nach außen ist er gegen die Gewalt, gegen den Terror. Das ist das, was ich bei einer Analyse über Tucholsky sagen kann. Eine Analyse über Tucholsky ist immer ne Analyse über dich selbst, da kannste machen was de willst. Ohne anspruchsvoll zu sein, ohne Tucholsky sein zu wollen, biste einer.
Der Spiegel 29.10.1973 | Gerhard Zwerenz über Wolfgang Neuss
„Die belfernde Schandschnauze der Nation mit dem ›ausdrucksstarken Pfannkuchengesicht‹ (Gerhard Zwerenz), ein ganzes Theater in einer Person – Wolfgang Neuss ist wieder da, früher Kabarettist, Filmproduzent, Buchautor, Parteipolitiker, Demonstrant …“
Wir haben das Interview mit Neuss über Tucholsky aus dem Hausarchiv geholt, weil Neuss in der Silvesternacht auf Phönix in einer Dokumentation zu sehen und hören war, was einige seiner Kollegen nicht ganz neidlos zu kommentieren vermochten. So beginnt das Tucholsky-
Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 11.01.2010, geplant.
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