Rendezvous beim Kriegsjuristen
Mitten in das mörderische Kriegsspiel in Süditalien drang die Botschaft, ich müsse zurück zu irgendwelchen hinteren Stäben. Mir war es nur recht, sollten sich die andern die Köpfe einschlagen, über viele Zwischenstationen gelangte ich nach hinten, fast bis nach Rom. Kurz vor der Heiligen Stadt, die ich immer schon hatte sehen wollen, war noch eine andere und kleinere Stadt halbwegs stehengeblieben, und hier residierte ein hoher Stab mit diesen und jenen Abteilungen, endlich stand ich vor einem elegantbetuchten Herrn, er war zwar in Uniform, tat auch militärisch, doch merkte man ihm sofort an, er spielte es nur. Zu meiner größten Verwunderung lag ein dickes Buch vor ihm, mein verschwundener Rubens-Bildband. So sehr ich mich freute, das Buch wiederzusehen, so sehr wunderte ich mich über die Umstände, die sie deshalb machten, dennoch, es war anständig von den Kerlen, mir mein Eigentum zurückzugeben. Jedoch rückte der Armeerichter, um ein solches höheres Wesen handelte es sich, wie er mir nun mitteilte, mein Buch nicht heraus, sondern fing an zu reden, endlich dann kam er mit dem Ansinnen heraus, ich solle ihm erklären, was ich in das Buch geschrieben habe. Das hätte noch gefehlt, schließlich war das ja gerade der Sinn meiner Privatstenographie, dass ich damit nur für mich selbst lesbar schrieb und andere nichts anfangen konnten mit dem Gekritzel.
Nach einiger Zeit äußerte er den Verdacht, ich hätte staatsfeindliche Dinge aufgeschrieben, das könne er nur vermuten und mutmaßen. Was ging das mich an, beweisen ließ sich nichts, und übersetzen wollte ich meine Notizen auch nicht, aus tumber Scham, wie ich ihn glauben machte. Er versuchte es mit krummen Touren, klopfte mit dem Finger auf eine Stelle und las maliziös Worte vor, die ganz unbedenklich waren, es war nur seine klugscheißende Methode, mich aufs Glatteis zu führen und vertrauensselig zu stimmen, er meinte, ich würde ihm doch irgendwie helfen, hinter mein heimliches Alphabet zu kommen. Ich blieb stur und stumm, gab mich so dumm und schamhaft, dass er sich bald zu wundem anfing, wieso einer überhaupt imstande sei, sich eine solche ausgeklügelte Kurzschrift zuzulegen, er begann mich schlicht für einen einseitig begabten Irren zu halten. Ich beschloss deshalb etwas Wasser auf seine Mühlen zu gießen und. teilte ihm mit, dass ich Schwierigkeiten mit der Normalschrift hätte, in Orthographie und Grammatik schwach sei und aus diesen und anderen ähnlichen Gründen meiner Unzulänglichkeit ganz von selbst auf diese Stenographie verfallen wäre. Er starrte mich verblüfft an, dass jemand was Kluges tun könne, weil er zu blöde sei, sich normal zu verhalten, wollte ihm offensichtlich doch nicht ganz in den Schädel. Als unsere Sitzung schon eine gute Stunde gedauert hatte und ich dachte, es sei nun bald vorüber, kam er erst mit den Bouletten rüber. Ob ich in Holland, in Utrecht genauer gesagt, mit einer holländischen Familie Kontakt gehabt hätte. Ja schon, kann schon sein, wich ich aus, und er nannte einen Namen, den ich zwar nicht genau verstand, ich begriff aber, es war schon der Name der Familie, die ich kannte. Was kann bloß los sein mit denen, dachte ich, überlegte fieberhaft, wie ich es anstellen könnte, mich in keiner seiner Schlingen zu verfangen und Käthes Familie ebensowenig reinlaufen zu lassen. Der Kriegsrichter erhob sich hinter seinem beschnitzten Tisch, stelzte um das Möbelstück herum, trat ans Fenster und blickte hinaus. Dann fuhr er sich mit beiden Händen sachte über sein pomadisiertes enganliegendes Haar und säuselte im sanftesten Ton: Sie brauchen keine Rücksicht zu nehmen, die Familie ist sowieso hinüber.
Hinüber? fragte ich. Wohin hinüber?
Er wiederholte seine Bewegung, lächelte mich für einen Augenblick freundlich an und blickte wieder durchs Fenster auf die Straße hinaus.
Aus! erklärte er, erledigt. Erschossen!
Ich überlegte, ob ich aufspringen und ihn umbringen könnte. Er hatte zwar eine Pistole im lackglänzenden Ledertäschchen am Koppel hängen, aber ob er damit etwas anfangen konnte, war eine andere Frage, ebenso, ob ich ihm Zeit ließe, das Ding überhaupt zu ziehen. Ich erwog meine Chancen, hier zu entkommen, sie standen gar nicht schlecht. Allerdings zweifelte ich daran, ob es mir gelänge, mich von hier bis nach Holland durchzuschlagen, das wäre der schwierigere Teil des Unternehmens, hier standen die Chancen eins zu tausend dagegen. Also blieb ich gelassen sitzen und nahm mir vor, die Worte des Herrn nicht für bare Münze zu nehmen, ihm aber trotzdem auf den Zahn zu fühlen. Schließlich musste ja tatsächlich irgendwas Wichtiges passiert sein, wenn ich von so einem hohen Juristen verhört wurde und man mich von der Front ins Hinterland befahl.
Sie sind in etwas reingeraten, ohne zu ahnen, was es ist, begann der Herr Richter zu dozieren. Dann sagte er, die Familie Huinziger sei gar keine Familie Huinziger gewesen, sondern ein raffiniert getarntes Spionagenest der Angloamerikaner. Sie hätten die Wehrmacht in Holland ausspioniert, sich an deutsche Soldaten herangemacht. Der Unteroffizier Kurt Bieger, den ich wohl auch kenne, sei ein Deserteur, der von den Huinzigers angeworben worden sei, man habe ihn übrigens auch gestellt und erschossen. Sie brauchen keine Sorge zu haben, sagte der Herr Richter, wir wissen ziemlich genau Bescheid, mit Ihnen ist es nicht so weit gekommen, zwar hat man es versucht, aber Ihnen lag wohl nichts an der Spionage, Sie haben sich nur mit der jungen Dame abgegeben, stimmt's? Da hatte er ins Schwarze getroffen. Mit der jungen Dame abgegeben. In der Tat. Mich hätte an Käthe nicht die Spionage interessiert. Na schön, fuhr er fort, Ihre Geliebte ist leider die einzige der Bande, deren wir nicht habhaft werden konnten. Er lächelte sardonisch, als wolle er meine Erleichterung ausloten, ich blieb ungerührt. Ein junger Mann, ja gewiss, hat sich von einer kleinen raffinierten holländischen Spionin umgarnen lassen, kann man ja verstehen, so dämlich wie Sie sind. Allerdings, sagte er jetzt sehr streng, es gibt noch über einen anderen Vorfall in Berlin eine Akte, da spielt wieder ein Weib eine Rolle. Er fixierte mich scharf: Sie scheinen wohl überall was mit Weibern anzufangen, wie? Dann seufzte er resigniert: Es war schon immer so, des Narren Knüppel ist der Maibaum der Damen. Jawoll, antwortete ich, ist das ein Verbrechen? Meine Antwort verwirrte ihn, er versuchte es wieder mit Käthe. Wir haben Zettel von Ihnen gefunden, Sie nennen diese Kriminelle Venus von Holland. Jawoll, sagte ich, ich wusste ja nichts von der Spionage, wenn ich davon was gewusst hätte, wäre ich nicht drauf reingefallen.
So, so, das wären Sie nicht?
Natürlich nicht!
Ich blickte ihn so wütend und entsetzt an, wie ich es wegen der Toten in Holland war. Mir stand innen das ganze Mobiliar meiner Seele im Wege, ich wusste nicht, was ich im nächsten Moment täte, es konnte sein, dass ich zu heulen anfinge, und es konnte auch sein, dass ich dem Herrn Militärrichter doch noch an den Kragen ginge, ich wusste es selbst nicht, wartete nur ab, wie es sich drehte. Er bemerkte wohl meine inneren Stürme, aber er war nur ein Juristenmatz und deutete sie falsch. Ich hatte den toten Punkt überwunden, lachte plötzlich, Frontschwein, das ich war, verschwitzt, verdreckt, unbekümmert, mit der Faust schlug ich auf den feinen alten Schreibtisch, es krachte und schepperte, ist das denn die Möglichkeit, sagte ich treudeutsch empört, wegen so einem Quatsch holen Sie einen Soldaten von der Front weg, wo er für die Verteidigung von Heimat und Volk kämpft und jederzeit bereit ist, sein Blut zu vergießen? Ich sprang auf, warf dabei den Stuhl um, ging zum Fenster, wo ich mich neben dem geschniegelten Herrn aufbaute, der immer noch auf die Straße hinabblickte. Wissen Sie, sagte ich, das ist so, ich bin nämlich nicht schwul, und wenn ich ne Frau flachlegen kann, dann leg ich sie flach, und wenn ich das Reich verteidigen darf, also dann verteidige ich das Reich, denn ich bin kein Drückeberger!
Mir war nicht so ganz klar, was ich da hinsprudelte, ich dachte mir, es könnte das Richtige sein, es war jedenfalls nicht das Falsche, denn mein Verhörer reagierte unsicher, bot Erläuterungen an, die mehr Entschuldigungen waren, Rückzüge. Wer weiß, dachte ich, ob dieses Gerichtsschwein sich nicht auf die billige Tour eine Dienstreise von Holland nach Italien beschafft hat.
Der Mensch in seiner gelackten Uniform hatte jedoch noch einiges im Koffer. Sie können ruhig mit der ganzen Wahrheit herausrücken, sagte er jetzt, Ihre Freundin Käthe war nämlich damit einverstanden, daß Sie umgebracht werden.
Na, dachte ich, alter Knabe, da kennst du Käthe aber schlecht. Er nahm wieder hinter dem Schreibtisch Platz, ich setzte mich ebenfalls.
Erinnern Sie sich daran, daß Sie einmal mit Ihrer Freundin beschäftigt waren, als hinter Ihnen der Deserteur Kurt Bieger eintrat?
Und ob ich mich erinnerte. Eine ungute Unterbrechung war das gewesen.
Das war der geplante Moment gewesen, als Sie ermordet werden sollten, mein Lieber!
Ich? Abgemurkst?
Während Sie es mit Ihrer Freundin trieben, sollten Sie ein Messer durch die Rippen kriegen! Verdammt, dachte ich, die wissen aber genau Bescheid, und wenn sie davon wissen, dass dieser Kurt Bieger hinter mir durch die Tür trat, dann kann auch stimmen, was sie sonst noch behaupten. Ich kann nicht verstehen, weshalb man mich hätte abmurksen wollen, sagte ich.
Vielleicht, weil Sie sich nicht bereit erklärten, bei der Spionagegruppe mitzuarbeiten?
Von so was war nie die Rede.
Ihre Freundin hat nie versucht, Sie auszuhorchen?
Nee, außerdem, was hätte ich schon verraten können?
Ja, gab er zu, das ist der wunde Punkt dabei. Aber vielleicht ging es gar nicht darum, etwas von Ihnen zu erfahren, als vielmehr darum, Sie zur Desertion zu überreden?
Auch das versuchte man nicht.
Ja, wenn das so ist, dann müssen wir den Vorgang wohl erst mal abschließen.
Er sah mich prüfend an, während er sprach, dann nahm er wieder den vollgekritzelten Bildband und hielt ihn mir hin. Danke, sagte ich.
Da gehört schon was dazu, so ein dickes, schweres Buch überall mit herumzuschleppen -
Macht mir nichts aus, ist doch so schwer gar nicht.
Wir standen jetzt auf beiden Seiten des Schreibtisches. Ich machte eine zackige Ehrenbezeigung und wollte abgehen. Ein Wort habe ich entziffert, wissen Sie, es kommt öfter vor! Er wies auf mein Buch.
Ja?
Ich meine das Wort Anarchismus!
In mir klingelten sämtliche Glocken Alarm. Der Sachse in mir erwachte.
So dämlich, wie es nur anging, blickte ich ihn an. Was für'n Arschismus? fragte ich in meiner abgrundtiefen Ahnungslosigkeit.
Mein Arschismus? sagte ich noch mal und spürte, wie aus der Tiefe seines Herzens jene massive Verachtung hochstieg, auf die ich hoffte. Ich stand so weit unter ihm, benahm mich derart ungehobelt, unklug, ungesittet, war das geborene Frontschwein, dazu geschaffen, für ihn und seinesgleichen die Birne hinzuhalten und zu krepieren.
Es gab für ihn und seinesgleichen nur zwei Möglichkeiten des Umgangs mit solchen wie mir: Man fällte über diese Kerle die harten Sprüche, die sie verdienten, abgestuft nach KZ, Frontbewährung oder Exekution, was alles zusammen auf die Todesstrafe hinauslief. Oder so ein feiner Jurist zog sich von den Delinquenten in das geistige Reservoir der Elite zurück, wo man unter sich blieb, Leute von Rang und Stil.
Der Feldrichter entließ mich mit einer kaum angedeuteten Geste, ich merkte mir seine Visage und entschwand mit dem festen Vorsatz, es ihm nach Kriegsende heimzuzahlen. Langsam wuchs in meinem Gedächtnis eine Galerie von Köpfen an: Nach dem Kriege zu besuchen. Würde das ein Fest des Friedens.
Zum 70. Geburtstag Jörg Schröders im Herbst 2008 fanden in den feuilletonistischen Salons und Zirkusarenen respektvolle Notierungen statt, die das Ende postbourgeoiser Kultur zu widerrufen suchten. Der unerschrockene Jubilar protokollierte den großbürgerlichen Niedergang so witzig und hymnisch wie es sich gehört im Sektionssaal abendländischer Anatomie.
Klug geworden durch Schaden
In meiner Kindheit und Jugendzeit schmetterten die Fanfaren. Bis der Friede schlief und der Krieg erwachte: Zeit von Barbaren: Es bliesen die Angriffstrompeten. Es schossen die Artilleriemusketen. Richard WagnersTrauerklänge Füllten weit die Hadesränge. Ich dachte mir: Bei soviel Helden wirst du dich beiseite schleichen. Wirst dich im Gebüsch verstecken. Solln die Herrn doch selbst verrecken. Gejagt vom Ton der Kriegstrompeten, von Befehlen, diesen dummen, scharfen Worten, entzog ich mich den kriegerischen Orten und ging meine Venus harfen. Die Vernusharfe 1985 Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 5. Januar 2009.
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Gerhard Zwerenz
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Aufsatz
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