Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
Wir zitieren den ersten Absatz seiner Zusammenfassung: »Der Kommunismus muss als eine Utopie gelten, die in die Wirklichkeit umgesetzt werden soll(te) – mit Gewalt, aber auch mit dem Anspruch auf die Erfüllung eines geschichtlichen Auftrages. Wer als gläubiger Kommunist die unerbittlichen Gesetze der Geschichte bejahte, gestand in den Schauprozessen seine Schuld ein, weil die Partei, die nicht irren konnte, es so wollte. Immer wieder wandten sich ehemalige Verfechter der kommunistischen Ideologie an die Öffentlichkeit, um vor ihren Versuchungen zu warnen: Franz Borkenau, André Gide, Arthur Koestler, Ignazio Silone, Manès Sperber und viele andere mussten sich den Vorwurf des Renegatentums gefallen lassen. 1963 erschien eine von Horst Krüger herausgegebene Edition über »Das Ende einer Utopie«. Exkommunisten wie Leo Bauer, Ralph Giordano, Alfred Kantorowicz, Günther Zehm, Gerhard Zwerenz rechneten mit jener Ideologie ab, zu der sie sich noch vor einiger Zeit bekannt hatten.«
Folgt der ganze Sermon astrologischer Extremismusforschung mit Joachim Fests Anti-Utopie-
Von den Widerständlern, die bei uns 1934 in Westsachsen verhaftet wurden, waren die meisten ehemalige Sozialdemokraten, die über die SAP zur KPD gekommen waren, weil ihnen gegen die Nazis eine derart schlaffe SPD nicht mehr reichte. Der junge Willy Brandt war SAP-Genosse. Alles bloß Extremisten? Im wohlfeilen Gerede über die Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der damaligen Ostzone wird vergessen gemacht, dass Sozialdemokraten und Kommunisten in den Hitlerschen Zuchthäusern und KZ's original zwangsvereinigt worden waren. Ohne Kommunisten und Bolschewisten hätte Nazi-Deutschland ganz Europa erobern können; so mancher Totalitarismus-Experte wüsste dann noch weniger vom Widerstand als er so schon wissen will. Davon abgesehen dient die Totalitarismus-Masche heutigen Wahlkämpfen. Die Kommunisten sollen Nazis sein, die Sozis vom Kampf für soziale Prinzipien abgeschreckt werden. Eine neue Linke ist zu verteufeln, auf dass sich nichts ändere am herrschaftlichen Kurs in die totale Weltpleite.
Einer meiner Leser verwies gerade »erschüttert übers Dargestellte« auf Seite 264 von Krieg im Glashaus oder Der Bundestag als Windmühle Berlin 2000. Da das Buch vergriffen ist, zitiere ich hier die Seiten 264/65: In den protzig hochfahrenden deutsch-deutschen Vereinigungsfeiern wird geflissentlich die Tatsache fortgeredet, daß die größten Opfer im Widerstand gegen die Stalindiktatur von Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten gebracht wurden. Nicht die Kompanien friedenstüchtiger Pastoren, angefangen bei unserem sehr achtbaren SPD-Freund Schorlemmer bis hin zum letzten DDR-Verteidungsminister Eppelmann, wurden als Staatsfeinde verfolgt, sie wurden doch nur ein wenig geängstigt, meist toleriert, wo nicht hofiert. Gejagt, geköpft, gehängt, erschossen wurden unter Hitler wie Stalin Tausende von Linken und Revolutionären, und noch in den fünfziger Jahren setzte es Todesurteile, Lebenslänglich, Verschwinden nach Workuta, etwa bei Kurt Müller und Leo Bauer. Noch 1957 gab es bis zu zehn Jahren Zuchthaus für die Oppositionellen der Harich-Janka-Prozesse.
So wurde mit drastischer Strenge der linke Widerstand gegen die Moskauer Diktatur und die Diktatur der Moskauer gebrochen. Dieses Erstgeburtsrecht linken Widerstands wird nur allzu bereitwillig vergessen gemacht, paßt es doch nicht in die schöne Glitzermär vom Heldenmut einer späten Dissidentenschaft, der ihr Idealismus nicht abgesprochen werden soll, die jedoch aufrichtig einzugestehen vergißt, daß sie sich nicht rührte, als es den Kopf kosten konnte, sondern sich, durchaus vernünftigerweise, erst hervorwagte, als die Moskauer Perestroika strafmildernde Liberalität verkündete.
Die Todeslisten der Nazi-KZ's und Gulags sprechen die Sprache der Fakten. In Brandenburg und Bautzen, in Dachau und Buchenwald saßen schon Genossen ein, als die deutschen Bürgerkameraden noch vom Endsieg träumten oder, nach 1945, im Zeichen der Gehlen und Globke dennoch siegen zu können vermeinten.
Arnold Paucker in Arno Lustigers 1997 bei dtv München erschienenen Buch Zum Kampf auf Leben und Tod. Vom Widerstand der Juden 1933-1945 Seite 51: »Andererseits stand nach der Pogromnacht die kommunistische Untergrundpresse im Zeichen vorbildlicher Solidarität mit der drangsalierten jüdischen Bevölkerung. ›Gegen die Schmach der Judenpogrome!‹ lautete die Schlagzeile der Roten Fahne, die in den Novembertagen des Jahres 1938 nachts in den Arbeitervierteln Berlins unter die Türen geschoben wurde. Und überhaupt – schon in Anbetracht der großen Opfer, die sie gebracht haben, sind und bleiben die Kommunisten die Helden des deutschen Widerstands.« Offenbar ist doch nicht so einfach links gleich rechts.
Nach Lektüre eines Beschattungsprotokolls notierte ich 1996 in Das Großelternkind: Wie es gelang, 1976 die Reise ins mir seit 19 Jahren verbotene DDR-Land zu meinem Geburtsort durchzusetzen, ist ein Lach-Kapitel für sich ... Weil der Staat DDR einen Kontakt des für 3 Tage eingereisten Zwerenz mit Erich Loest im 72 km entfernten Leipzig befürchtete, wurden wir beschattet, wurde Loest in Leipzig beschattet, wurden Kontrollen und Straßensperren in mehreren Städten errichtet, gab es Alarm bei Polizei und Armee, rätselten Agenten bis hinauf zum General, warum »der Zwerenz und seine Ehefrau im Dorfe Gablenz an einem Platz mit mehreren Teichen« spazieren gingen. (Es sind nur zwei Teiche.) Warum er dort photographierte. Nun ja, dort steht sein Geburtshaus, das er nach 19 Jahren wiedersah. Auf einen so banalen Grund kommt ein Geheimdienst nicht, der naturgemäß Konspiratives argwöhnt.
An anderer Stelle notierte ich dazu: Die Überwacher ahnten nichts von meiner besonderen Beziehung zu diesem Ort, nichts von der »Weißbach«, die sich dort erstreckt, wo sich 1933/34 die Widerständler insgeheim trafen, nichts vom nahebeiliegenden Häuschen, in dem Alfred Eickworth gelebt hatte, der 1943 Erschossene. Wie sollten SED-Geheime so schnell antifaschistische Orts- und Geschichtskenntnisse aktivieren, wenn sie doch vollauf damit beschäftigt waren, einen Renegaten zu überwachen. Kein Gedanke auch an den tapferen Rudolf Hallmeyer, der sich hier in der Weißbach mit den Gablenzer Hitler-Gegnern traf. »Am 8. September 1943 mit dem Fallbeil hingerichtet«, vermerkt Chronist Wolfgang Gärtner in seinern Bericht: Der antifaschistische Widerstand 1933/34 im Raum Crimmitschau (die Alfred-Eickworth-Gruppe). Die Broschüre erschien 1977, ein Jahr, nachdem Ingrid und ich für drei Tage einreisen durften und genau am Ort des Widerstandes durch emsige Geheimdienstler observiert worden sind.
Von der parteiischen Naivität der überwachenden DDR-Geheimdienstler zu Jesses heutigem antimarxistischen Kurs, wobei er sich auf Arthur Koestler beruft. Empfohlen sei Prof. Jesse deshalb die 56. Folge meiner poetenladen-Serie, die nicht ganz unbeabsichtigt Zwischen Arthur Koestler und den Beatles heißt. Darin sagt Koestler im Interview, die künftige Gefahr sei nicht mehr die Ost-West-Konfliktlage, sondern die drohende Selbstvernichtung der Menschheit. Das Interview stammt aus dem Jahr 1966. Höchste Zeit für die Extremismus-Forschung, davon Kenntnis zu nehmen. Stattdessen verhagelte Jesses Doktorandin Carmen Everts ihrer hessischen SPD im schönen Herbst 2008 die Ablösung Roland Kochs als Ministerpräsident, weil ja von links die Diktatur des Proletariats drohe. Inzwischen ging auch der rechte Flügelmann Clement von Bord. Die Welt des Kapitals havariert als sei es die Titanic. Professor Jesse und seine Dr. Carmen aber bekämpfen die Linke, auf dass die Kontinuität vaterländischer Geschichte in all ihrem Schrecken wieder hergestellt sei. 2013 wird sich die Einweihung des Leipziger Völkerschlachtdenkmals zum hundertsten Mal jähren – wie lustig – 100 Jahre Völkerschlacht. Und in Berlin wollen sie das Hohenzollernschloss wieder errichten. Die Zuckerbäcker üben schon zusammen mit den Generälen, da wollen sie wohl bald ihren Kaiser Wilhelm wiederhaben.
Im Spiegel 17/2008 wird Eckhard Jesse zitiert mit seiner Erkenntnis, es sei »ganz wichtig«, dass mit Stanislaw Tillich als Dresdner Ministerpräsidenten »die Sachsen nun von einem Sachsen regiert werden«. Kaum ausgesprochen muss der tapfre katholische Sorbe aus Pauschwitz-Kuckau seine veröffentlichte Biographie korrigieren, weil ein zugereister Sozi darin erhebliche Lücken entdeckte. So ist das, wer anderen eine Grube vor der Haustür gräbt, sollte selber Fallschirm tragen.
Mit Blick auf die 2009 anstehenden Bundestagswahlen probt der eisiggraue Konservenflügel der CDU die Rückkehr in die geliebten Kaltekriegszeiten. Die Herrschaften von vorgeblich links und rechts schlagen sich eifrig ihre Vergangenheiten vor die Birne. Wer war KPD, SED, Ost-CDU, West-Juso, Friedensmarschierer. Hessens wackerer Linkspolitiker van Ooyen wurde mit Ostgeld ausgestattet? Entstammt das nicht dem Milliarden-Kredit, den der Privat-Pilot F. J. Strauß höchstpersönlich dem Genossen Honecker besorgte? Zur Jahreswende 2008/9 stecken die eifrigen Politkrieger bis zur frechen Unterlippe im selbstverschuldeten Billionendefizit ihrer Finanzartistik, doch ihre ganze Sorge gilt dem eigenen Fortkommen im Klassen- und Kassen-Glitsch. Prof. Jesse aber, den in Chemnitz der steinerne Marx-Nischel nicht ruhen lässt, will in die vergangenen FAZ-Zeiten zurück, als unter der seligen Joachim-Fest-
Zum 90. Jahrestag der Revolution legt der S. Fischer Verlag so pünktlich wie verspätet Alfred Döblins Riesenepos November 1918 in einer preiswerten Neuausgabe vor. Das Werk, seiner literarisch-politischen Radikalität und Wahrheitsleidenschaft wegen lange vernachlässigt, wo nicht abgelehnt, gar verboten, wird plötzlich favorisiert. Schon am 23.11.08 überraschte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung mit der Überschrift: »Das Leben radikal anders denken«, was ich mir gern gefallen lasse, selbst wenn's von ungewohntem Ort kommt. Die FAS also: »Zahlreiche historisch verbürgte Personen treten auf, darunter Ebert, Scheidemann und Noske, der Bluthund von der SPD …« Gerade wurde im hessischen Wahlkampf eine linke Politikerin verdammt, weil sie so etwas nicht nur wusste, sondern auch noch öffentlich äußerte. Weiter im FAS-Text: »Dort agieren die amputierten Machtmenschen, Leute wie Ebert & Co, die in Döblins Darstellung die deutsche Revolution erstickt haben … Dort schießt der SPD-Noske den Aufstand nieder …« Was sich doch anhand eines Romans alles unbestraft sagen lässt im Reich der Mitte. Wir erstaunen weiter. Sogar Sebastian Haffner wird nebenher gewürdigt, zwar sei sein Buch über 1918/19 »hinreißend«, wenn auch nicht an Döblin heranreichend, doch:»Das Buch ist der engagierte Versuch, die Ereignisse mit einer Hand zu fassen, die maßgeblichen politischen Motive und Handlungen zu analysieren, deren fatale Folgen bis zu Hitler reichten. Da schrieb sich ein Journalist in die Vorfälle hinein wie in das aktuelle Tagesgeschehen, das er mit seinen Kommentaren nicht nur begleiten, sondern am liebsten beeinflussen wollte. Ein Kerl muss eine Meinung haben, das hat Döblin einmal geschrieben. Haffner war ein Kerl.«
Was sich doch Ende 2008 noch für Kerle in den letzten Tagen der Menschheit entdecken lassen: Alfred Döblin, Sebastian Haffner, sogar Eberhard Rathgeb von der FAS. Seit die Krise zur Weltkrise eskaliert, geschehen Zeichen und Wunder.
Herr Extremismusforscher Jesse, es gibt viel zu tun.
Bei den Dreharbeiten zu Fassbinders Berlin Alexanderplatz fiel mir in meiner Rolle die expressionistische Sprache des Buches schwer. Im Grunewald an einen dicken Baum gelehnt verhaspelte ich mich, dachte an eine frühere Döblin-Lektüre und riet Rainer, Döblins Revolutionsroman über 1918 zu verfilmen. Fassbinder kannte sich aus. Vielleicht später, sagte er, so ein Projekt ist sehr teuer. Wer wollte das bezahlen …
Darüber starb unser phantastischer Extremist der Bilder einfach weg.
Sklavensprache XVII
Lass nie dich von Gefühlen täuschen, die sie von außen überstülpen dir und deinesgleichen. Sie wollen dich nur lebensgroß im Sarge haben. Von Anfang an, mit Wiegenliedern. Statt von der Muttermilch sollst du von Tranquilizern naschen. Auf Sicherheit und Ruhe eingestellt. Sie nehmen Maß an deinem Hosenboden, sie stecken deine Zunge ab. In deiner Bibel streichen sie die schärfsten Stellen einfach durch. Dann lassen sie dich fromme Lieder singen, und wenn du aufbegehrst, kriegst du eins drauf. Sie löchern dich und hängen deinen Hals ins Seil. Las nie dich von den schönen Worten täuschen, mit denen sie an deiner Grube loben, was da liegt. Du bist ein braver Hund gewesen deinem Herrn. PS.: Eben erinnere ich mich, mein Beitrag in dem von Prof. Jesse benannten Buch Das Ende einer Utopie schließt auf Seite 193 mit der Aufforderung zur Aufklärung. Allerdings steht dort: »Man wird, will man sich dieser Aufgabe unterziehen, freilich in Ost und West auf erbitterte Gegnerschaft stoßen. Aber das sollte kein Hindernis sein.«
Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 15. Dezember 2008.
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Gerhard Zwerenz
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