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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 95. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
95. Nachwort |
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Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
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1988 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein Werbeplakate, die den gleichnamigen Titel des Buches von Gerhard Zwerenz zeigten.
Gerhard Zwerenz
„Soldaten sind Mörder“
Die Deutschen und der Krieg
Knesebeck Von Dem, 1988
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»Diese Mörderdebatte haben wir seit vielen Jahren hinter uns gelassen«, so ex cathedra Thomas de Maizière am 17. Oktober bei Anne Will zum Thema: Auslandseinsatz Afghanistan – war es die Opfer wert? Die Fragestellung hinterfragte keiner – was ist das Opfer wert oder geht es um den Preis? Und was sind uns die afghanischen Opfer wert? Etwa 100 – 140 afghanische Frauen, Männer und Kinder wurden getötet, weil Bundeswehr-Oberst Georg Klein seinen Bombenbefehl durchsetzte, der übrigens nicht legitim war, den Offizier jedoch keineswegs daran hinderte, zum General ernannt zu werden. Gibt es wieder Karrieren wie einst in Stalingrad? Durchhalten, Kameraden, Stalingrad hielt kein Jahr durch. Die Bundeswehr hält die Front nun schon ein reichliches Jahrzehnt am Hindukusch, wo laut Peter Struck unsere Sicherheit verteidigt wird.
Bei Anne Will forderte der offenbar urchristliche Jürgen Todenhöfer den Verteidigungsminister auf, sich bei den Hinterbliebenen der Opfer in Afghanistan zu entschuldigen und dem Bombenbefehlsgeber Klein den Generalsrang wieder abzunehmen, des üblen Eindrucks wegen, der den Satz Soldaten sind Mörder wieder in Erinnerung rief, den doch de Maizière eben »für seit vielen Jahren hinter uns gelassen« erklärt hatte. So kaltschnäuzig ist Kultur abschaffbar, wenn es einem obrigkeitlichen, unreflektierten Befehlshaber gefällt? Kürzlich setzte Jan von Aken, Linkspartei MdB, dem emsig talkenden Minister in einer anderen tv-Runde fachlich so exakt zu, dass wir statt von einem Kriegsminister Thomas de M. von einem Selbstverteidigungsminister sprechen sollten. Immerhin wurde bei Frau Will klar, dass die Bundeswehr in Afghanistan Krieg führt aus Gründen der Bündnis- Verpflichtung. Krieg also aus USA-Treue und NATO-Gehorsam. Das ist ein Soldatenleben wert, das ist sein Preis, Bleibt die Frage: Ab wann ist der Soldat ein Mörder und von welcher Zahl an müssten auch die getöteten Feinde einbezogen werden? Und gehört die Debatte nicht vielmehr in den 2. Weltkrieg statt in unsere neuen demokratischen Kriege? Die nachgeborenen Clausewitze definieren den heutigen Kriegstyp als asymmetrisch, was so neu nicht ist, doch die Kreuzzügler der Theorie belebt. Konsequenterweise führt die Asymmetrie dazu, dass eine Weltmacht mit Atomraketen und atomar bestückten Superdrohnen ganze Weltregionen samt deren Weltreligionen vernichten kann. Es sei denn, die Feinde sind durchtrieben und stark genug zu antworten, womit die Vernichtung wieder absolut symmetrisch wird.
Das Tucholsky-Zitat Soldaten sind Mörder wählte ich als Titel für ein Buch, das im Februar 1988 erschien. Das Cover dazu löste im Verlag und bei Betrachtern Diskussionen, wo nicht Angst und Entsetzen aus. Mir erging es nicht anders. Bis ich mich hinsetzte und eine Bildbeschreibung dazu verfasste, die die Figur samt ausgelösten Ängsten und Bedenken und den Ansturm der Gefühle in Worte zu fassen sucht:
Hand aufs Herz – ist er nicht süß, der Junge? Also wenn mir einer so herzhaft ehrlich und offen die Klaue hinhält, da muss man doch einfach einschlagen. Es geht schließlich um Tradition, Vaterland, Ehre, Treue, Tapferkeit. Und er könnte dein Pappi sein oder dein Opa, Onkel und was da so läuft, familienmäßig.
Was mir an dem Bild nicht ganz glasklar wird, ist, ob es sich um einen Mörder oder einen Ermordeten handelt. Möglicherweise um beides. Ich stelle mir vor, dieser behelmte Papa zog 1939 mordend über die Reichsgrenzen, und er hielt sich fast fünf Jahre jenseits auf, bis ihn die andern 1944/45 zurückdrängten ins Reich, wo er auf dem Felde der deutschen Ehrenindustrie fiel, wie seinem Knochengesicht anzumerken ist, dem Markenzeichen Deutschland über alles und Die Fahne hoch ...
Sicher sein können wir in der Annahme, dass es sich um keinen SS-Mann handelt, sondern um einen Wehrmachtsoldaten. Möglicherweise um einen Intellektuellen, wie die Inkonsequenz zwischen Gesicht und Hand zeigt. Die Hand übrigens besitzt gewisse verführerische Qualitäten, wie sie sich da übern Bildrand dem gefälligen Betrachter entgegenstreckt: Komm her, Junge und du kriegst vom Papa einen kameradschaftlichen Händedruck geschenkt ... Wer wollte da nicht einschlagen.
Heißt es nicht immer, die Alten kümmern sich nicht um die Jungen? Hier steht
Einer, kann nicht anders, bietet euch die Hand an ... Er möchte dich reinziehen in sein Bild? Komm mit Kamerad ...
Auf die Bildbeschreibung folgt die dem Tucholsky-Satz inhärente Sprachdefinition:
Krieg ist Mord. Moderner Krieg Massenmord. Also ist, wer Krieg führt, Mörder. Wer sich drauf vorbereitet, bereitet sich darauf vor, Massenmörder zu sein. Da kein Zweck das Mittel heiligt, heiligt kein Kriegsziel den Krieg selbst. Übrigens ist der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln nach geltendem internationalem Kriegsrecht Kriegsverbrechen. Also droht jeder Staat, der Massenvernichtungsmittel besitzt, Kriegsverbrechen an. Also ist jeder Soldat solcher Armeen ein potentieller Massenmörder.
Was nun die Sprache betrifft, so ist, nur als Beispiel, das Wort killen längst gesellschaftsfähig geworden und wird von Militärs und Militärwissenschaftlern selbst verwendet, etwa im Begriff Overkill. Derselbe Zynismus zeigt sich, wenn Atomraketen Peacemaker genannt werden. Hat aber der Militärjargon derart zynisch gewuchert, muss die Antimilitärsprache das sprachlich aufgreifen können. Es ist weder Gotteslästerung noch Majestätsbeleidigung, nutzen die Pazifisten gegen das Militär und seine Sprache der Waffen die Waffe der Sprache. Pazifisten verzichten auf jede Waffe. Ihre Moral ist die Waffenlosigkeit. Wenn es dem Militär gelingt, die Pazifisten zur Sprachlosigkeit zu verurteilen, ist die pluralistische Demokratie besiegt. Tucholskys Wort Soldaten sind Mörder wurde am 10. Mai 1933 mit verbrannt. Erst verbrennt man Bücher, dann Menschen, so Heinrich Heine. Wer Tucholskys Mahnworte verfolgt, setzt die Unheilslinie der deutschen Geschichte fort.
Minister de Maizière schlägt neuerdings einen militärischen Neusprech vor: Wenn Frieden Krieg ist und Krieg Frieden, wie wir seit Orwell wissen, hat die verbale Orwellisierung Zukunft. Das Wort Einsatz wurde längst per stetem Gebrauch entnazifiziert. Sternberger, Storz, Süskind sind aus dem Gedächtnis getilgt. Krieg wird erst geleugnet, dann akzeptiert. Die Toten hat der Feind zu liefern. Die eigenen Toten, geraten sie doch mal in die News, dürfen entgegen vorheriger Sicht endlich wieder als Gefallene deklariert werden, was sie in die ewige Veteranen-Kameradschaft Walhalla eingemeindet. Bevor ich die ministerielle Sprachwäsche weiter notiere, sei sie mit der eigenen Kriegserfahrung kontrastiert, dem realen Tacheles der Sätze auf der Rückseite des Buchcovers von 1988. Zu diesem Thema muss ich nichts neu formulieren, es steht alles Notwendige da:
Soldaten sind Mörder erschien Anfang 1988 und umfasste eine Reihe von Einzeltexten, die noch in der Ostberliner Weltbühne und danach in zahlreichen Zeitungen sowie Radiosendungen veröffentlich wurden. Die im Buch vereinten Arbeiten trugen uns mehr als zwei Dutzend Anzeigen, Vernehmungen, Ermittlungsverfahren und eine Hauptverhandlung mit Wiederholung und Freispruch ein. Anderthalb Jahre äußerte ich mich in Funk und Fernsehen, reiste von Lesung zu Lesung und stieß meist auf viel Verständnis. Weil diese freigeistige Atmosphäre, virulent noch kurz vor der sogenannten Vereinigung, mit viel Eifer vergessen gemacht wird, hier zwei Erinnerungen aus dem Hausarchiv, das allein zu diesem Thema mehr als fünfhundert Dokumente enthält.
Im vereinten (sic!) Deutschland wurde aus der Bundeswehr zur Verteidigung eine Armee im Auslandseinsatz, wie das Kennwort lautet. Dem Kalten Krieg entgangen, marschiert man direkt in heiße Kriege. Warum das? Ach ja, die Bündnispflichten – ich bin keine eingegangen und habe das auch künftig nicht vor. Im April 1997 fühlte ich mich im Bonner Bundestag zur Erwiderung auf Die sprechende Wehrmachts-Ikone Alfred Dregger veranlasst:
PS vom Oktober 2012: Von Dreggers Mitgliedschaft in der Hitlerpartei wusste ich 1997 noch nichts. Ich nahm ihn stets als christlichen Wehrmachtshauptmann wahr. Man will ja so gerne fair sein, selbst beim Wortgefecht mit den ehernen Stahlhelmen.
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W. Borchert: „Dann gibt es nur eins: Sagt NEIN!“
G. ZWerenz: Desertion heißt: Pazifisten an die Front!
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Alfred Dregger ist im Jahr 2002 verstorben – an Nachfolgern in kämpferischer Gesinnung fehlt es dem lebenslänglich strammen Militär nicht, sogar eine brave Ehefrau lässt sich nicht lumpen – wie ein Exempel aus jüngster Zeit beweist: »Beim Gespräch mit Angehörigen von in Afghanistan getöteten Soldaten sei ihr die Idee dazu gekommen, erzählte Martina de Maizière in ihrem kurzen Statement. Die Gesellschaft müsse Verantwortung für die deutschen Soldaten übernehmen. ›Sie sind in diesen Einsatz gegangen, und sie gehören dazu.› Das hört sich genauso schnörkellos an wie bei ihrem Mann. Und weil Jauch in seinem Moderationsstil auch unverkennbare Sympathien für den Minister und seine Frau erkennen ließ, konnte sich die Linke Luc Jochimsen mit ihrer grundsätzlichen Kriegskritik nicht in der Runde durchsetzen.« (Die Welt 13.6.2012) Pflichten wir dagegen Luc Jochimsens grundsätzlicher Kriegskritik bei. Der Titel dieses Nachwortes fragt, was der Soldat denn nun sei: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur? Er vermag jedes davon und alles zu sein. Wenn per Rakete und Drohne fern vom Kriegsschauplatz jedwede obere Instanz vom PC aus den Tod aussenden kann wie sie es für angebracht hält, schrumpfen alle ihre Untergebenen zu soldatischen Parodisten eines Standes ein, der in früheren Zeiten das eigene Leben riskierte. Selbst wenn der soldatische Parodist heute dabei fällt, stirbt er nur einen Scheinheldentod. Dazu noch ein kurzer Rückgriff auf die Folgen meines 1988 erschienenen Buches:
TP: 60 Jahre Grundgesetz – 60 Jahre Meinungsfreiheit?
heise.de – 22. Mai 2009
1988 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein Werbeplakate, die den gleichnamigen Titel des Buches von Gerhard Zwerenz zeigten. ... „Soldaten sind Mörder“ Zu einer Kontroverse um Meinungsfreiheit und Ehrenschutz führte die Verwendung des Kurt-Tucholsky-Zitates „Soldaten sind Mörder“ Mitte der 1980er Jahre. Es gab mehrere Anklagen und Verurteilungen wegen Volksverhetzung und Beleidigung. 1991 wurde ein Sozialarbeiter verurteilt, der einen Aufkleber mit dem Zitat bei einer Antikriegsdemonstration gegen den Golfkrieg trug. Der Prozess ging vom Amtsgericht Krefeld bis hin zum Bundesverfassungsgericht, das 1995 im Wesentlichen die Praxis der Freisprüche bestätigte und den Fall an das AG Krefeld zurückverwies. Erst im Juli 1996 bestätigte das Oberlandesgericht Düsseldorf den Freispruch. Dabei war Tucholsky selbst, der diese Äußerung 1931 in der „Weltbühne“ in einem Text über die Feldgendarmerie im Ersten Weltkrieg veröffentlicht hatte, damals vom Vorwurf der Beleidigung der Reichswehr freigesprochen worden (BVerfGE 93, 266).
Hier noch ein Resümee zum Buch:
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Das Buch verschwand 1989 mit dem Mauerfall abrupt aus dem öffentlichen Diskurs.
Mit der friedlichen Revolution brach man aus dem befriedeten Kalten Krieg kurzum in zahlreiche neue heiße Kriege auf. Gestern Stalingrad, heute Hindukusch, morgen Mali und die ganze weite Welt der Ressourcen. Der Deserteur aus allen euren Kriegen meint, so fahrt doch zur Hölle, wenn es denn eure gar so große Liebe ist.
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