Der Bunker oder 12 Deserteure und ein Krieger
Das Beispiel mag umstritten sein. Seine Realität ist unbestreitbar. Der Fortbestand ganzer Länder, Erdteile, des Erdballs selbst wird in die Hände eines einzelnen Mannes gelegt. Mehr ist der Menschheit der eigene Fortbestand nicht wert. Ein Befehl zur Folter, und es wird gefoltert. Ein Knopfdruck, und es wird atomar vernichtet. Der Armageddon im Zeitalter postmoderner Christenheit. Ich nenne es Machtanmaßung, getragen von Leuten, die lieber ihre Welt verbrennen lassen als dagegen aufzubegehren. Im Augenblick der Vernichtung gelten sie nur soviel wie die schäbige Existenz des kommandoführenden Vernichters.
1983 erschien mein Roman der End-Zerstörung, Titel Der Bunker. Im Spiegel vom 12.12.83 hieß es dazu:
„Im Jahr 1984 gerät das Gleichgewicht des Schreckens unwiderruflich aus der Balance. Im Versuch, die nukleare Auseinandersetzung nicht global explodieren zu lassen, und um die eigenen Territorien vor der Vernichtung zu schützen, verständigen sich die USA und die Sowjet-Union auf einen Kriegsschauplatz Mitteleuropa: Im zynischen Schach der Supermächte müssen die beiden deutschen Staaten als ›atomare Bauern‹ geopfert werden.
Die Bundesregierung zieht sich, von der Nato gewarnt, in ein weitverzweigtes Bunkersystem in der Eifel zurück. Dort versammelt der amtierende Kanzler, eine Mixtur aus Schmidtscher Intelligenz, Straußschem Machiavellismus und Kohlscher Aufgeblasenheit, alle Personen, die zur Aufrechterhaltung von deutscher Ordnung im Angesicht der Katastrophe unentbehrlich sind: Juristen, Wissenschaftler, Militärs.
Unter den Bunker-Bewohnern befindet sich auch der einstige Pressesprecher Landauer, aus dessen Perspektive erzählt wird. Landauer hat den makabren Auftrag, eine Chronik der laufenden Ereignisse so zu verfassen, dass die politische und moralische Mitschuld der Bundesregierung an der Katastrophe verwischt wird. Außerdem hat Landauer die Funktion eines intellektuellen Hofnarren, der seinen Kanzler vor allem mit Lesestoff versorgt.
Während die Herrschaften unter meterdickem Beton an ihren Monitoren beobachten, wie Stadt für Stadt zu Staub zerfällt, weichen Angst und Hoffnungslosigkeit immer mehr einer Lust am Verderben, einer perversen Ästhetik des Grauens: Den Kanzler gelüstet nach Ernst Jüngers Weltkriegs-
Der Spiegel hatte mit der Besprechung Klaus Modick betraut, einen der letzten literarischen Intellektuellen, der nicht leugnete, die „mangelnde Friedensradikalität“, die der Roman angriff, selbst mit zu bedauern. Nur im Falle des Bundeskanzlers, den Modick als Mixtur von Schmidt, Strauß, Kohl entzifferte, war ich nicht einverstanden. Zwar hatte ich alle Politikaster in den Untergang einbezogen, beim Kanzler aber dominierte Schmidt. Er reist am Ende im Panzer durch die atomare Trümmerlandschaft. Der letzte Überlebende. Ist er nun zufrieden?
Zehn Meter außerhalb unserer von hohen Bäumen bestandenen Gartenwildnis im Taunus erstreckt sich ein kleines bachdurchlaufenes Tal, wo allerlei Gerät abgestellt wird und der Nachbar nachmittags sein nicht zum Schlachten bestimmtes kluges Wildschwein frei umherstreifen lässt. Den Sommer über weiden Pferde, die irgenwelchen privaten Haltern gehören, gegen eine kleine Pachtsumme auf der wilden Wiese. Bei schönem Wetter feiert die Dorfjugend am Abend dort mit lauter Musik, Bratwurst und Bier. Diese urwüchsigen Germanen pflanzen, wo sie gehen und stehen, flatternde Fahnen auf. Jetzt im Herbst ist es stiller, nur zwei an Zweige gebundene stolze Fahnentücher wehen im Wind über die Rossäpfelhaufen hin. Meine Fahnenphobie murmelt, wenigstens sind die blöden Lappen scharzrotgold statt schwarzweißrot. Als ob es darauf noch ankäme. Wir sind Deutschland, plappern die Stoffstücke und hängen matt am Baum wie Deserteure, die die im Dritten Reich tausendfach aufgehängten Fahnen ablösten, je eiliger der geliebte Krieg in seine Heimat zurückkehrte. Die Sowjets erschossen fünfmal mehr fahnenflüchtige Rotarmisten als die Wehrmacht eigene Landser, und das russische Blut ist nicht billiger als das deutsche. Zu Ehren der deutschen Vereinigung rief Brechts Tochter Hanne Hiob im heißen Herbst 1989 eine Handvoll überlebender Wehrmachtsdeserteure zusammen. Wir bereisten das aufgeregte Land und spielten uns selbst in München (Theater der Jugend) – Würzburg (Radlersaal) – Frankfurt/Main (Gewerkschaftshaus) – Hannover (Capitol) – Hamburg (Thalia-Theater) – Westberlin (Hebbel-Theater) – Ostberlin (Brecht-Bühne). Ich versuchte die Mienen des Publikums zu entziffern. Es desertierten 1989 allein die Ostmenschen. Die Westmenschen blieben, was sie waren - Soldaten. Bald werden sie es bereuen, dachte ich und beobachtete Stadt für Stadt das Spektakel. Ein Jahr vorher war mein Buch mit dem Tucholsky-Titel Soldaten sind Mörder erschienen. Wir spielten unsre Geschichte nach. Hanne Hiob sprach herbe Worte und beschwor lapidar die klaren Sätze ihres Vaters. Wenige Jahre später starteten deutsche Kampfpiloten unbeirrt zu neuen illegalen Kriegen. Ein rechter Mann wird doch nicht ewig totalverweigern, Leute?
Brecht: Brüder, wenn ich bei euch wäre ... wäre ... wäre ...
Heute, im Januar 2009 lese ich meine damaligen Notizen zu unserer Deserteursparade von 1989 nach und stelle mir Helmut Schmidt vor, wie er unser Dutzend als Dreizehnter vervollständigt und erklärt, warum er acht Jahre in Hitler-Deutschlands Wehrmacht gehorsam seinen Dienst tat und anschließend der Bonner Bundesrepublik den Nachrüstungsdoppelbeschluss servierte: 12 Deserteure und 1 ewiger Krieger?
Idee: Hanne Hiob
Zusammenstellung und Regie: Hanne Hiob und Thomas Schmitz-Bender Mitwirkende: Ludwig Baumann Willi BeIz Hanne Hiob Matthias Holzapfel Ewald Homey Maria Hribar Alfons Lukas Udo Meven Birgit Regler Hermann Reineck Peter Schilling Gerhard Zwerenz Mitarbeiter: Ursel Ebell und Roland Schulz – Änderungen vorbehalten – Premiere: Bonn 30. und 31. August zum Antikriegstag Tournee: 4. bis 10. Oktober: München, Würzburg, Frankfurt, Duisburg, Hannover, Hamburg. 16. und 17. November: Berliner Ensemble,Berlin DDR 18. und 19. November: Hebbeltheater West-Berlin Soweit ich sehe, leben von den 1989 an der Tournee beteiligten Deserteuren heute noch Ludwig Baumann, Peter Schilling und ich.
Wäre es der Wehrmacht gelungen, zum Jahreswechsel 1944/45 mit der Ardennenoffensive die Alliierten an der Westfront aufzuhalten, hätte der Krieg sich bis in die Sommermonate verlängern können, wobei die erste Atombombe wahrscheinlich Berlin statt Hiroshima zerstört hätte. Helmut Schmidt, der brave Soldat, hätte sicher weiter gehorsam Dienst getan. Stolz auf seine Pflichterfüllung, pries er sich noch 2008 den Rekruten beim Gelöbnis an.
Ich freue mich, dass es mir gelang, noch am 12.7.1989 in der taz einen Leitartikel zum „Menschenrecht auf Totalverweigerung“ unterzubringen, was heute wohl auch nicht mehr möglich wäre. Hier der Text:
Erneut verkündete der Staatsratsvorsitzende der DDR letzte Woche zum Antrittsbesuch von Kanzleramtsminister Seiters, ein Schießbefehl bestehe an der DDR-Grenze nicht, ausgenommen bei Deserteuren, auf die geschossen werde. Offenbar beruhigte die mehrfach gegebene amtliche Auskunft die auf Einhaltung der Menschenrechte besorgte Weltöffentlichkeit, vorweg das besonders besorgte bundesdeutsche Gewissen. Wenn nicht auf Menschen geschossen wird, sondern nur auf Deserteure, ist alles halb so schlimm.
Schließlich erklären bundesdeutsche Gerichte die Exekution von Wehrmachtsdeserteuren für Rechtens. Schließlich dürfen Bundeswehrtotalverweigerer mehrfach bestraft werden und landen im Gefängnis. In der Kriminalisierung und Verfolgung von Deserteuren und Totalverweigerern besteht gesamtdeutsche Einigkeit und Unfreiheit. Sie zu erhalten und zu erweitern will der BRD-Bundespräsident, ein Wehrmachtshauptmann und Leningradkämpfer a.D., gar das Grundgesetz ändern. Zu den erlaubten Todesschüssen auf heutige Deserteure schweigt der DDR-Verteidigungsminister, ein ehemaliger Wehrmachtsdeserteur, der damit seine damalige Fahnenflucht widerruft. Somit wird die gesamtdeutsche Blutlinie wiederhergestellt: Soldaten haben zu gehorchen. Wer sich verweigert, hat die Folgen zu tragen. Da helfen keine Volksarmee-
Im Endspiel-Roman Der Bunker heißt es über den End-Kanzler: „Wenn ein Satiriker früher so etwas niedergeschrieben hätte, wäre er von den Lesern ausgelacht und von den Politikern für ebenso uninformiert wie unzuständig erklärt worden!“ sagte er, sich den Anschein des über den fatalen Fakten stehenden Weisen gebend. Dabei blickte ihm das Grauen aus den Augen. Er war entsetzt und zugleich niedergeschlagen. Die kurzen Stunden beim NATO-Gipfel hatten ihn geschockt … Sein Gesicht war das einer Metall-Statue, so unbewegt, als er sich mir zuwandte und erklärte: „Es ist jetzt soweit. Die Mittelstreckenraketen beider Seiten befinden sich in der Luft. Die Flugzeit beträgt rund fünf Minuten. In etwa hundertzwanzig Sekunden wlrd Deutschland nicht mehr existieren.“
Ich dachte: Er ist wahnsinnig.
Ich wusste genau, es war falsch, was ich dachte, ich wollte es so denken. Der Kanzler war normal, so normal, wie man nur sein konnte in diesem Moment.
Dazu passte ein feines Nietzsche-Zitat: „Mich ekelt vor diesen großen Städten und Narren. Hier und dort ist nichts zu bessern, nichts zu bösern. Wehe diesen großen Städten. Und ich wollte, ich sähe schon die Feuersäule, in der sie verbrannt werden. Denn solche Feuersäulen müssen dem großen Mittage vorangehen … Wo man nicht mehr lieben kann, da soll man vorübergehn!“
Im Roman wird das Nietzsche-Zitat von einer klugen Dame erläutert: „Die einzige wahrhafte Kulturleistung der weißen Rasse ist das Massaker, denn es zeigt die beiden charakteristischen Qualitäten, die dazu nötig sind: die Dauer und der stete Fortschritt. Das Massaker begann als Handarbeit, betrieben mit Dolch, Axt und Spieß. Am Ende aber umfasst das Massaker die gesamte Erdbevölkerung, die es mit einer letzten Meisterleistung von Wissenschaft, Technik und Waffenproduktion, in einer einzigen, allumfassenden und unnachahmlichen Anstrengung aller verfügbaren Kräfte und Energien vernichtet. Das Massaker ist die Krönung aller Kultur, das unübertreffbare Kunstwerk an sich!“
Damit erreichte das Buch von1983 die Echtzeit des 21. Jahrhunderts. Es ist der gleiche Bunkergeist und der gleiche Tunnelblick.
Im Roman liest der Kanzler am Ende Nietzsche. Ich kann verraten, es sind in Also sprach Zarathustra nahe beieinander stehende Sätze, die ich damals aus Respekt vor der von mir vermuteten regierenden Vernunft nicht zu zitieren wagte. Da ich, alt genug geworden, den Respekt als Illusionsprodukt verlor, seien die Zeilen jetzt hier angeführt: „Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen, den kurzen Frieden mehr als den langen … der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt … Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde. Ich, der Staat bin das Volk.“
So einfach geht das von Untergang zu Untergang.
Bremen 3 nach 9 in den 80iger Talk-Jahren - 3 Helmut-Schmidt- Das Internet weiß zur Brecht-Tochter Hanne Hiob mitzuteilen, sie habe 1976 ihre Bühnenlaufbahn beendet, sei aber weiter aktiv geblieben, z.B. mit den „Programmen Am Fleischerhaken hängt er, ach (Aussagen von Wehrmachtsdeserteuren) …“.
Nochmal stelle ich mir vor, Helmut Schmidt sei 1989 mit unserem Dutzend Verweigerern durchs Land gereist und habe unumwunden erklärt: Leute, ich war so blöd, acht Jahre lang in des Führers Wehrmachtsmaschine treu und gehorsam zu sein … Es tut mir leid, ich hätte es besser wissen müssen …
Wir hätten das verstanden. Das Publikum auch. So einfach macht es Schmidt sich und uns nicht. Zu seinem jüngsten Geburtstag, als er am 23.12.2008 neunzig wurde, überschüttete ihn alle Welt mit Gratulationen. Den ganzen Dezember über setzte es feierliche Artikel, der Kanzler a. D. spendete unzählige Interviews und sonderte ein Buch ab, das im Spiegel sofort auf Platz 1 rückte, kommentierte sich in Die Zeit als Selbstherausgeber und alle Fernseh-Sender eskalierten zur Schmidtschen Kollektiv-Show, am gelungensten beim WDR in seinen Mitternachtsspitzen, wo man die beiden Darsteller von Loki und Smoky durch die Originale ersetzte. Reality-tv für die Unendlichkeit, das so schön und echt nie wiederkommen wird. Helmut als staatsorganisches Räucherstäbchen.
Das ist Kabarett, also Politik mit Witz, während Politik zum witzlosen Cabaret denaturierte. Die Bunker-Story enthält die Szenerie einer Vereinbarung zwischen den Staatsmännern, dass jeder Staat in den anderen geheime Mörder einschmuggelt, die verpflichtet sind, vor dem Atomkrieg den ihn auslösenden Politiker zu töten. In den mehr als 100 Buch-Kritiken wird das nur 3 x wahrgenommen. Nach der klassischen Revolutionslehre von Marx und Lenin sollten im Kriegsfall die Gewehre umgedreht und gegen die eigenen Obrigkeiten gerichtet werden. Das geschah 1917 in Russland. Im 2. Weltkrieg versuchte Stauffenberg das Kriegsende zu erzwingen, indem er den Tyrannenmord privatisierte und individualisierte. Im Roman konstruierte ich daraus ein utopisches Spiel, das Charakter voraussetzt. Die Literatur darf das, wenn einer sich die Utopie zutraut. Die Politik traut sich nicht. Statt von Popper zu Bloch marschiert sie zu Nietzsche: „… der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt …“ Ich begriff, die bedrohte Tierart Mensch steuerte so gemütvoll wie blindwütig auf ihr Ende zu. Nach Der Bunker schieb ich keinen autarken Roman mehr. Die pragmatischen Nihilisten hatten das Kommando.
Sklavensprache XXII Und wenn ich mich erbrochen habe, lehn ich mich zurück und schwöre ernsthaft, nie mehr zu speisen und nie mehr zu trinken. Mich ekelt. Manchmal gehe ich einfach weg und still nach Hause. Vergrabe mich unter meinen Zweifeln und mäste meine stolze Verachtung. Mit Ekel. Manchmal versichere ich hoch und unheilig, mich nie mehr in die Politik einzumischen, in die Verwaltung der Irrtümer dieser Welt. Pünktlich, nach längeren Pausen, vergesse ich all meine klugen Ernüchterungen und schwer genug errungenen Weisheiten. Vom Ekel allein läßt sich nicht leben. (Aus: Vergiss die Träume Deiner Jugend nicht, Rasch und Röhring, 1989) Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 2. Februar 2009.
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Gerhard Zwerenz
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