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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 73. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
73. Nachwort |
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Die Suche nach dem anderen Marx
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Beginn einer hoffnungsvollen Politkarriere
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Der gespenstische Engel des Marxismus prägte die tapfere deutsche Arbeiterbewegung im ständigen Auf und Ab. Bei den Sozialdemokraten dominierte das Auf bis 1914, von da an ging's mit Noske bergab. Die 2. Internationale wurde eine alte Nationale. Die nachfolgende russisch geprägte 3. Internationale der Kommunistischen Parteien erhob die Diktatur des Proletariats zum Aufnahmekriterium, bis das Proletariat zum Prekariat absackte. Noch während des Krieges gegen Hitler-Deutschland löste Stalin konsequenterweise die 3. Internationale auf. Dem Sieg von 1945 folgte der kurze Aufstieg von SU und DDR und das baldige Ende in den Jahren 1989/90.
Die heutige Linkspartei entwickelte sich zur linkssozial-demokratischen Gruppierung. Als PDS war sie ostregional. Mit Lafontaines aufrechten linken Sozis und steilen Gewerkschaftern folgte Erweiterung nach Westen. Als Linkspartei brachten sie es auf einen Schnitt von ca. 10% gutwilliger Wähler. Mehr ist in Deutschland mit seiner fatalen Vergangenheit und der vererbbaren Mediokrität der Eliten nicht drin. Weniger gibt's, wenn die Linkspartei-Köpfe versagen. Das Versagen fällt leichter als das Nichtversagen und wird besser gelöhnt. Im Augenblick lebt die Linkspartei vom 10prozentigen Bedürfnis nach ihr. Tendenz fallend. Im Osten sterben die Genossen aus. In weiten Teilen der Provinzen sind sie schon weg. Die Jugend hat auch keine Lust. Im Westen kann die Linke auf Gewinn hoffen, sobald die SPD wieder regiert und das kapitale Chaos verantworten darf. Darauf können Oskar & Sahra hoffen. Am 24.11.2011 lautet eine Überschrift in der FAZ: Das Prinzip Hoffnung – das galt dem Fußballspiel FSV gegen Paderborn. Zu mehr reicht es nicht.
Im Dezember 2011 ist der Euro gerade dabei zu explodieren. Sogar das mainische Banken-Amtsblatt sieht sich aufgeschreckt genötigt, den US-Professor Michael Hudson auf einer ganzen Seite vor dem Ende warnen zu lassen, zwar nur im Feuilleton, das sich kleinere Mordsspäße erlauben darf, doch immerhin im Klartext, soweit es bürgerlich dazu noch fähig ist. „Was sind Schulden?“ fragt das tapfere Übersee-Schneiderlein, das schon die Schrecken der geplatzten US-Immobilienblase pünktlich vorausgesagt hatte und nun das nächste Desaster prophezeit, auf die Poleteia des Aristoteles zurückgreifend – den Wechsel von Demokratie, Oligarchie und Tyrannei. Und wo stehen wir heute – vor Weimar II? Bonn war nicht Weimar. Berlin wird es?
Der Euro ist also gerade dabei zu explodieren, während die Staatsbanken der westlichen Halbwelt ihn durch endlose Geldzufuhr zu retten versprachen, was als Konkursverschleppung Weltrekord ist, doch die Deutschen, der Herbst war trocken, das Heu ist in der Scheuer und das Gold im Safe, versammeln sich zur bundesweiten Fernsehschmonzette. Die Clowns von den Schönheitsfarmen treten freudetrunken trauernd auf, weil Wetten-dass-Gottschalk sich verwettete und abtrat oder zum nächsten Zirkus übertritt, das werte Publikum, zum Applaus bestellt, spielt die Gala übern Horizont, wo die Länder der Welt darauf warten, mit dem Euro getauft oder verbrannt zu werden. Denn China verweigert die Rettung des Kapitalismus außerhalb seiner Großen Mauer und die USA sind zwar pleite, aber ein Halbdutzend seiner atomaren Flugzeugträger hält alle Welt im Entsetzen vor dem Inferno noch zusammen.
Bedenke ich gänzlich konsensions- und konfessionslos mein Leben, gelange ich zu dem Schluss, es als gänzlich unerträglich zu definieren, wäre es in gehorsamer Alternativlosigkeit als Maulwurfsdasein verlaufen. Unter den fünf Deutschlands, von denen ich vier überlebte, das fünfte turtelt noch, war keines, das den armen Heinrich von Kleist nicht in höchsten Tönen gelobt hätte. Kein Wunder, er war für jedes Deutschland der Suicid-Heros. Der tollkühne Stilist litt an Phimose. Jede Erektion schmerzt, weil die zu enge Vorhaut Grenzen setzt. Beschneidung hätte erlöst. Kleist's Zerbrochener Krug ist die deutsche Komödie in Permanenz. Der Täter als Richter, der Richter als Paraderolle. Sehr beliebt unter Schauspielern. Hans Filbinger: Die geschmähte Generation – damit meinte er sich und seinesgleichen. Jeder Text von Kleist eine Tragödie als Posse. „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ und Schreiben, nein Schleifen bis zur Rasierklingenschärfe. Die Allmählichkeit beim Verfertigen lässt aus Gefühlen Begriffe entstehen. Die will er gar nicht. Also geht's über die Begriffswerdung zur Kunstwerdung. Der ästhetische Schlüssel findet sich bei Aristoteles und Bloch. Aber das nur nebenbei. Sie wurden ausgetrieben.
„Ich bin der Geist, der stets verneint!“ deklamiert Mephisto in der Studierstube, und weil Faust etwas schwer von Begriff ist, setzt er hinzu: „Und das mit Recht: Denn alles was entsteht, Ist wert, dass es zugrunde geht.“ Wir wechseln von der Studierstube („Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum.“) direkt ins nächste Kapitel Auerbachs Keller in Leipzig. „Will keiner trinken? Keiner lachen?“ Lachen ja, und schräg dazu. Reden wir also vom Abstieg der Leipziger Volkszeitung (LVZ) zum obersächsischen Regionalblatt, das von Berlin her aufgemotzt werden soll. Ich kenne das von Frankfurt, wo die Frankfurter Rundschau als unsere geliebte sozialliberal- kritische Zeitung solange standhielt, bis das Bankengespenst obsiegte und die SPD programmgemäß den Schwanz einzog. Ein Absturz zum Regionalblatt als Folge von Vereinigung und Medienkonzentration. „Mein Leipzig lob' ich mir?“ An der Pleiße gibt's keine Leipziger Allgemeine. Nur die LVZ und die geht weiter den Bach runter. Da lacht Mephisto und Faust wundert sich. Die LVZ war der Platzhirsch am Ort und wird zum Bambi verzwergt. Frankfurts laute Bankerstimme bleibt per FAZ weithin vernehmbar. Die Stimme der LVZ, von Berlin her souffliert, verkommt zum unerhörten Hilferuf. Die Heldenstadt, einst weltgerühmter Buch- und Verlagsort, degeneriert zum erweiterten und verwässerten Auerbachskeller, wo vergangene Größen, an die Wand geklatscht, auf bessere Zeiten warten. Wirtschaft, Horatio – so oft kann man Shakespeare gar nicht zitieren, wie es heutzutage zutrifft. Kapitalschwäche und Austreibung. Wohin ist unser legendärer Hörsaal vierzig? Wer das nicht wissen will, der irrt sich.
Heinz Lippmann links neben Honecker
Am 8.12.2011 sendete RBB um 22 Uhr 45 die Dokumentation Honeckers abtrünniger Stellvertreter, das war Heinz Lippmann, wie ihn seine brave Enkelin Karoline Kleinert, die den Großvater nie kennenlernte, einschätzt. Diese Sicht reicht für einen Blick zurück. Der Durchblick ist es nicht. Vielleicht versperrt die Sendung als Medium in der Bilder- und Interview-Abfolge den Geheimnisverrat. Die Tiefendimension in der Tragödie Lippmann ist nicht erreicht. Lippmann und Merkel sind zwei diametrale Möglichkeiten, das FDJ-Hemd abzulegen. Honecker wäre die dritte Möglichkeit. Er und sein früher Stellvertreter scheiterten. Angela hat es noch vor sich.
In der jungen Welt vom 8.12.2011 wurde der Lippmann-Film sogar fair und fast sympathisantenhaft vorangezeigt: „Innerhalb weniger Jahre wird aus dem KZ-Häftling ein Spitzenfunktionär. Und doch ergreift er auf dem Höhepunkt seiner Karriere die Flucht.“ Man stelle sich vor, statt Honeckers Stellvertreter hätte Honecker selbst schon am 23. September 1953 die Flucht ergriffen. Was wäre dann aus der DDR geworden?
65 Fragen an die SED – blieben ohne Antwort
Was die Dokumentation nicht zeigt, steht in Heinz Lippmann – Porträt eines Stellvertreters von Michael Herms, Dietz Verlag Berlin 1996 mit Vorwort von Hermann Weber, der, soweit es mich betrifft, im Buch exakter formuliert als im Film: „Es ist übrigens bemerkenswert, dass mich der Schriftsteller Gerhard Zwerenz nach Heinz Lippmanns Tod anrief und zu überlegen gab, ob dahinter nicht die Stasi stecke.“ Wenn ich mich recht entsinne, gab es Gründe für diesen Verdacht. „Bist du, Geselle, ein Flüchtling der Hölle?“, Faust I im Studierzimmer. Für Lippmann hatte die Hölle in Auschwitz begonnen und nie geendet. Sahra Wagenknecht eröffnet am 8.12.2011 ihren antikapitalen FAZ-Artikel bildungsstatusgemäß mit Faust II:
„Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr. Und täglich wächst mir neue Pein.“ Das stimmt exakt für die Jahreswende 2011/12 und könnte von Mutti Merkel stammen statt vom Urgroßvater Goethe. Lippmann übrigens brauchte nicht alle Tage mehr, hatte von der FdJ-Kasse für geheime West-Arbeit 300.000 Westmark ausgeborgt, im BRD-Untergrund aber so fehlerhaft spurenlegend verplempert, dass die Geheimen des früheren Klassenfeindes ihn festnehmen konnten. Es begann seine Tragödie II wo nicht III.
Von Hermann Weber und Heinz Lippmann alias Lothar Pertinax stammt das gemeinsame Buch Schein und Wirklichkeit in der DDR – Untertitel – 65 Fragen an die SED, erschienen 1958 in Stuttgart, ein Werk, das unverlierbar zur Wissenschafts-Geschichte zählt, auch wenn es heute unbekannt geworden ist. Hermann Weber begann damit seine Hochschulkarriere. Die SED scheute die Antworten. 65 Fragen waren ihr offenbar zuviel. In der Selbstaufklärung blieb sie rückständig.
Mehr als 6.000 Google-Auskünfte zu Lippmann – Zwerenz
Zu Heinz Lippmann äußerte ich mich in Büchern, Artikeln, Radiosendungen. Bei Google werden über 6.000 Ergebnisse gemeldet. In der Kasbacher Zeit hatte Jo Scholmer (Dr. Joseph Schölmerich) mich gebeten, mit Lippmann über den 3. Weg zu sprechen. Sie machten dann die illegale Flugschrift draus. Auf langen Spaziergängen begriff ich, Heinz zählte zum 3. Geschlecht. Das ist politisch gemeint. Im übrigen war Heinz von Jugend an ein Womanizer. Die Frauen flogen auf ihn. Zuletzt spannte er noch einem reichen rheinischen Fabrikanten das Eheweib aus. Ingrid erinnert sich an den Besuch des frischverliebten Paares in unserer Kölner Wohnung. Häufig waren dort mit Lippmann gemeinsam Wolfgang Leonhard und Ralph Giordano zu Gast. Da waren's ihrer drei Ex-Genossen mit den gleichen Havarien und der daraus resultierenden Provokationslust.
Bei aller analytischen Skepsis lasse ich mir meine Sympathien für die Linkspartei nicht nehmen. Sie wird benötigt. Erfreulich wäre, ihre Leute wüssten das auch (zu würdigen). Man stelle sich vor, Dietmar Bartsch brächte seine Meck-Pom-Genossen dazu, sich geschlossen aus der Landespolitik zurückzuziehen. Die NPD, in nordöstlichen Grenzräumen bereits dominierend, käme im ganzen Schweriner Bundesland ans Ruder. Die Bürgerlichen wären erschrocken, nähmen es aber als gesetzlich-demokratisch legitimiert hin. Würde Sachsen dann widerstehen oder wie jetzt Antifa-Gegenaktionen verfolgen? Der 30. Januar 1933 war formal auch legitim. Ende des Angsttraums. Beginn eines Wunschtraums. Schorlemmer ist sauer, wo nicht verstört, weil Deutschland bereits an dritter Stelle beim weltweiten Waffenexport rangiert. Und so wagt er schleunigst vor den Kameras von ADR/ZdF Schwerter zu Kochtöpfen umzuschmieden und avanciert zum Fünf-Länder-Bischof der vereinigten Protestanten. Aufgewühlt beginnen auch die katholischen Militärpfarrer mindestens aus Konkurrenzgründen das unverfälschte Wort Christi zu predigen. Ende Wunschtraum.
Das wird mir jetzt im Ton zu weihnachtlich. Ich bin kein deutscher Christ, sondern Trotzkist von Geburt an und Blochianer seit meiner zweiten Geburt in Leipzig, das von unsereinem nichts wissen will. Pfeifdrauf. Ich bleibe der Gert Gablenz aus dem Mendelssohn-Haus, der in Gablenz an den zwei Teichen auf die Welt geriet. Aus Sympathie für meinen Freund und Leidensgenossen Heinrich Graf (von) Einsiedel nannte ich mich in unserer Bonner Zeit ab dem vierten Glas Rotwein von und zu Gablenz am Donnersberg, und als ein von und zu Freiherr G. als künftiger Herrscher der Deutschen aus dem oberfränkischen Altreich jauchzend auftauchte, bestaunte ich die Leichtigkeit des inszenierten Albtraums. Hatte nicht Adolf der Verführer das verdiente Ende seines Volkes konstatiert, das im Kampf mit den Russen schwächlich unterlag? Die Enkel fechten's, dem Lügenbold folgend, besser aus? So ist das Leben. Früher stand der Hamburger W. Biermann weit links vom Hamburger Schmidt-Schnauze. Heute steht er weit rechts von Schmidt-Bambi, der im Alter Meister Popper zu spielen versucht, obwohl dem Wehrmachts-Oberleutnant sein verschluckter Stahlhelm noch im Magen liegt. Such is Life. Unsere Kriegshelden kriegen ihre große Vergangenheit einfach nicht aus den Klamotten.
Gibt es Gott Janus als Schatten? Franz Josef Strauß forderte die Deutschen auf, endlich aus dem Schatten Hitlers herauszutreten. Der war gewiss ein Gott und überlebt als Schatten. Was aber geschieht, tritt einer draus heraus? Wo ist er dann? Angenommen, die NPD würde verboten. Was passiert mit den 130 eingeschleusten V-Leuten des Verfassungsschutzes – werden sie pensioniert wie Beamte? Als Beamte? Auch wenn sie führende NPD-Funktionäre waren, verantwortlich für die Politik einer Partei, die dafür verboten wird (wurde)? Wie nennt sich so ein Pensionär dann? Pensioniert wegen verbotener Politik? Es gibt Schatten, die die Schattenmenschen als Vergangenheit scheuen oder aufarbeiten, und Schatten, auf die sie stolz sind. Schmidt, Gauck, Sarrazin sind stolz auf sich, wie ihre Bücher und Gesichter zeigen. Sie sind, gänzlich schattenlos, ganz windschlüpfig mit sich im reinen. Anders unsere linken Genossen, diese veraltet verwaltete Junge Garde im Garten Chaos.
Was wurde aus den unzähligen Demonstranten der Heldenstadt Leipzig? Die friedliche Revolution, eine Straßenrevolte, fegte den Staat DDR hinweg und erreichte ihren Anschluss. Seither führt Deutschland wieder Kriege und nimmt als Waffenexporteur hinter USA und Russland den 3. Platz ein. Das soll der Sinn einer friedlichen Revolution gewesen sein. Die Parallele zur verlorenen Revolution von 1848 liegt nahe. Die damaligen Monarchen schlugen die Aufstände allerdings militärisch nieder, was die wankende Sowjetunion nicht mehr riskierte. Auf unsere Ideen eines 3. Weges von 1956 verzichteten die niedlich-friedlichen Bürgerrechtler von 1989, ohne sie auch nur eine Sekunde lang zu erwägen. China und Vietnam riskierten ihren 3. Weg mit einem Erfolg, der das Kapital heute zum Bittsteller macht. Das Gebiet der DDR verkam zum teuren Anhängsel des Westens. Das war politisch borniert, finanziell und ökonomisch stinkkonservativ und intellektuell so schwach wie die SED-Kopfbefindlichkeit beim Endspiel um die Macht.
Nach dem Exitus ihrer DDR hatte die Rest-SED die unfreie Wahl, eine neue kommunistische Partei oder eine linke SPD zu gründen. Um nicht gleich verboten zu werden positionierte sie sich als linkssozialdemokratischer Flügelschlag und nannte sich PDS. Wer nicht mitging, privatisierte, schlüpfte in Nachbars Bürgergärten unter oder entdeckte die Schönheiten von Sektenvereinen. Die neue Linkspartei als Hauptstrom reüssierte, bis die heutige große Zeit tatsächlicher Endspiele begann. DDR und SU lieferten nur den Prolog dazu. Was nun tun, Genossen? Zurück zu Stalin oder voran zu Marx? Wie wär's mit August Bebel statt Noske und Wilhelm Liebknecht statt Hindenburg-Ebert? Auf dem langen Weg durch die Institutionen kam Sahra Wagenknecht am 8. Dezember 2011 im FAZ-Feuilleton an: „Schluss mit Mephistos Umverteilung!“ Ein Kanonenschuss aus unvermuteter Position.
Das Fernseh-Antikmöbel Arnulf Baring hatte in der FAZ schon im November 2002 gefordert: „Bürger auf die Barrikaden!“ Zu Zeiten der Gruppe 47 hieß es von der FAZ: Politik schwarz, Wirtschaft weiß, Feuilleton rot. Heute gibt's ne Wiederholung? Der US-Autor Michael Lewis hält in der FAS vom 1.12.2011 den Kapitalismus für revolutionsreif, nur die verheerende Erinnerung an das Scheitern des realen Sozialismus verhindere Umsturz. Solche Stimmen schwellen seit Wochen an. Sahra Wagenknecht zählt dazu. Siegt Marx auf unorthodoxe Weise an fremden Ufern? Neues Deutschland merkte dazu am 9.12. an: „Frankfurter Allgemeine Verunsicherung – Kapitalismuskritische Texte im Hausblatt des Kapitals ...“ Am 10.12. setzt Sahra in der jungen Welt einen Gastkommentar ab: „Merkels Geisterfahrt“. Da sagt Wagenknecht glasklar, was sie in der FAZ noch ortsangepasst im Langlauf mit Goethes Faust äußerte: 830.000 deutsche Millionäre besitzen mit 2,2 Billionen mehr Finanzvermögen als Bund, Bundesländer und Gemeinden Schulden haben.
Was wäre zu tun? Revolution als gerechter Ausgleich geht nicht. Friedlich schon gar nicht. Wie war das doch mit dem biblischen Tanz ums Goldene Kalb? Das Duo Wagenknecht-Lafontaine ist in der Vorweihnachtszeit multimedial vertreten. Am 3. Advent durfte Oskar bei Günther Jauch auftauchen. Der neben ihm plazierte Neoliberale Hans-Werner Sinn stimmte dem Linksparteiler auffallend oft zu. Lafontaine wunderte und freute sich. Verkehrte Welt oder späte, wenn nicht unheilbar späte Einsicht? Stoiber übrigens war auch dabei und nervte selbst ohne ähähäh-Gestotter. Wagenknecht in der FAZ Goethe zitierend: „Entschlüsse sind nicht zu vermeiden, wenn alle schädigen, alle leiden.“
Zwerenz – Wagenknecht
Die grundsätzliche Differenz
Beim Leipziger Dingsda Verlag erschien 1999 das Buch Die grundsätzliche Differenz – Ein Streitgespräch in Wort und Schrift – zwischen Sahra Wagenknecht und Gerhard Zwerenz. Damals riet ich Sahra W. zum Wirtschaftsstudium. Wenige Jahre später saß auf einem Frankfurter Podium Bruder Diether Dehm zwischen uns. Friede-Freundschaft-Eierkuchen? Was bleibt 2011/12 von der grundsätzlichen Differenz? Das will ergründet sein. Vorwärts Linke oder aus Angst vor der kapitalen Pest zurück ins warme Nest? Da heute selbst die USA sich Richtung Asien orientieren und Europa zu Bette geht, stellt sich die Frage: Was kommt nach dem Kapitalismus? 1994 erlaubte ich mir, diese Frage schon mal zu beantworten.
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Gerhard Zwerenz
Weder Kain noch Abel
Gespräch mit Jürgen Reents Das Neue Berlin 2008
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So stands damals in mehreren Blättern. Heute erscheint mir mein Optimismus von 1994 zu optimistisch. Linke Parteien sind von Marx her auf Revolution programmiert. Die Spaltung ab 1914 in Revolu–tionäre und Revisionisten wurde mit dem Ende der SU Geschichte. Das siegreiche Bürgertum ist nicht weniger ratlos und revolutionsunfähig. Ausgenommen einige Helden, Analytiker auf verlorenem Posten und im FAZ-Feuilleton, das eine Lizenz zum Widerspruch hat wie James Bond zum Töten. „Stellt endlich die Systemfrage!“ So Nils Minkmar am 11.12.2011 im Vorweihnachtsrausch. Erschiene dergleichen in Neues Deutschland oder junge Welt wären das Fälle für den Verfassungsschutz. Das jeweilige System ist heilig. Bis es untergeht. Ich erlebte 5 Deutschländer. Vier krachten weg. Das 5. übt noch. Am Ende wechseln Verfolger und Verfolgte Platz und Stellung. Oben geht runter, unten geht rauf. Bis zum nächsten Wechsel. Ja ihr braven Genossen, es ist Essig mit der Diktatur des Proletariats. Die Diktatur des intellektuellen Prekariats produziert ihre programmierte Chaotik. Keine Angst. Wenn die SPD demnächst wieder oben sein wird, wächst der waidwunden Linkspartei erneut oppositionelle Energie zu. Sie dürfte auch ehrlicher und klüger mit ihrer Vergangenheit umgehen. Die Geschichte der Kommunisten und Marxisten ist eine Tragödie mit dem Schlussakt eines Trauerspiels wie von Walter Benjamin beschrieben. Im Gesprächs-Buch Weder Kain noch Abel, erschienen 2008, fragte mich der Interviewer Jürgen Reents nach Sahra Wagenknecht. Meine Antwort steht auf Seite 84:
Heute würde sie sich wohl darüber freuen.
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