Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
Anfang 1977 riskierte ich wieder mal einen Vorstoß zur Verbesserung der DDR-Verhältnisse. Es ging um die geheimen Hinrichtungen in der DDR, die die Todesstrafe nicht abgeschafft hatte, über die Umstände der Exekutionen sich jedoch peinlich ausschwieg. So entstand, was in der Presse dann teils sensationell aufgemacht, teils verlegen verschwiegen wurde, die Story vom Todesauto.
Ich hatte ähnliche Geschichten schon öfter gehört, sie aber ins Reich der Gerüchte verwiesen. Zugleich wunderte mich die Art und Weise der Geheimhaltung. Die Todesstrafe wurde verhängt, doch Ort, Zeit und Hinrichtungstechnik blieben unbekannt. Auf vage Anfragen, die ich in den Medien unterbrachte, antwortete die DDR nie. Als mir der aus Plauen im Vogtland stammende Lyriker Gerald Zschorsch, der nach seiner Haft in den Westen gekommen war und in Frankfurt lebte, vom Todesauto erzählte, schrieb ich eine Anfrage an die DDR und verpackte den Text überdies derart, dass ich mich abgesichert glaubte, für die übliche Kalte-Kriegs-
Gerald Zschorsch, Lyriker, politischer Häftling in der DDR, fragte
GZ, weshalb die West-Linke zu den Todesurteilen im Osten schweige.
»So progressiv die DDR-Gesetzgebung beim Schwangerschaftsabbruch ist, so reaktionär ist sie mit der Todesstrafe, die noch verhängt und vollstreckt wird. Aus der DDR in die BRD abgeschobene Häftlinge kolportieren nun ein Gerücht, wonach die Hinrichtungen nicht mehr wie früher in einer bestimmten Haftanstalt vollzogen werden. Die Anstalten und die Städte, wo oder in deren Nähe sich die Anstalten befinden, halten die Exekutionen nicht für eine gute Imagewerbung. So konstruierte man ein Exekutions-Mobil, einen Lastkraftwagen mit besonderer Vorrichtung. Der Verurteilte wird im Wagen auf einem Stuhl festgebunden. Der LKW startet zur längeren Fahrt in die Gegend um Leipzig. Ein vorher eingestelltes Uhrwerk bewirkt, dass sich zu einem bestimmten Zeitpunkt, den der Verurteilte nicht kennt, der Todesschuss löst. Das Exekutionsauto kehrt mit der Leiche zu seinem Ausgangspunkt zurück.
Das Gerücht ist nicht überprüfbar. Sicher ist nur, dass es in DDR-Haftanstalten kursiert. Die ehemaligen DDR-Häftlinge, die mir davon berichteten, sagten auch, es würden keine politischen, sondern jeweils kriminelle Täter
hingerichtet. Ich bin gegen die Todesstrafe in jeder Form. Ein Exekutionsauto, das ein Verurteilter besteigen muss und in dem sich während einer längeren Straßenfahrt der tödliche Schuss löst, ist eine besonders widerliche Hinrichtungsart. Vergleichbar nur mit den Bestrebungen in den USA, Exekutionen im Fernsehen zu zeigen. Die DDR täte gut daran, die Todesstrafe abzuschaffen. Solange sie sich aber dazu nicht bereitfindet, sollte sie wenigstens offenbaren, wie die Todesstrafe vollstreckt wird. Die wuchernden Legenden, das Exekutions-Mobil angehend, beschädigen das Ansehen der DDR unverhältnismäßig. Sollte den Gerüchten aber eine Tatsache zugrundeliegen, so kann es sich bei der Hinrichtungsart nur um eine Neuentwicklung handeln. Früher inhaftierte DDR-
Die Folgen dieser öffentlichen Anfrage an die Herren Hinrichter brachen in mehreren dramatischen Steigerungen über mich herein. Die amtliche DDR-Nachrichtenagentur ADN sprach von »Nazipropaganda«, »Schauermärchen«
und »unverschämten Verleumdungen«. Klaus Rainer Röhl darüber im das da-März-Heft: » ... dass in der DDR Hinrichtungen vollstreckt werden, dementierte ADN nicht. Dafür erging es sich in wüsten Schimpfkanonaden gegen Zwerenz, ›einen Politpornografen‹, der ›vor mehr als einem Jahrzehnt die DDR bei Nacht und Nebel‹ verlassen habe. Also: das da-Autor Zwerenz kam vor reichlich zwei Jahrzehnten in den Westen, zwar – bei Nacht und Nebel. Und was den ›Politpornografen‹ betrifft: Welche Ehre – so wird Klaus Staeck von unseren Rechten auch genannt.«
Natürlich übernahmen die SED-Sympathisanten im Westen die ADN-Version, während die liberale Presse sich peinlich berührt beiseite hielt, um nicht in den Verdacht antikommunistischer Hetze zu geraten. Die Herrschaften, die nach der Wende gar nicht genug Sensationen in den Hals kriegen konnten, nachdem das SED-
Anders die Springer-Presse. Die BZ brachte am 26. Januar 1977 gleich nach Erscheinen von das da einen Bericht, Bild kam am 15. März 1977 mit einer eigenen Recherche groß heraus. Die BZ berief sich auf mich, verwandelte aber, ohne jeglichen Kontakt mit mir, meine mit einem Fragezeichen versehene Anfrage in pure Realität: »Todeskandidaten werden gefesselt im fahrenden Auto erschossen«. In Bild hieß es: »Wenn der Henker im Todesauto nach Torgau kommt. ...«
Diese Artikel bekam ich erst Wochen später zu Gesicht, was mir sehr schadete. Der Umstand aber, dass die beiden Blätter mit hohen Auflagenzahlen meiner Anfrage in dem kleinen Blatt das da den nötigen Nachdruck verliehen, war mir recht, zumal sich die große liberale Presse so ostentativ uninteressiert und feige zeigte.
Nun lässt sich gegen meine damalige Anfrage einwenden, die Hinrichtungen seien gar nicht in einem Todesauto vollzogen worden. Ich hatte das auch nicht behauptet, sondern ein Gerücht als solches gekennzeichnet und öffentlich angefragt, was daran sei. Inzwischen wissen wir, die Todeskandidaten wurden in einem geheimen Trakt des Leipziger Gefängnisses hingerichtet. Anfangs durch eine Guillotine, die nicht glatt funktionierte, dann durch Genickschuss. Es starben dort Kriminelle, aber auch politische Verurteilte. Zum Beispiel Stasioffiziere. Und hier wird der Fall noch einmal brisant. Jedenfalls wurden die Todeskandidaten aus den verschiedenen Haftanstalten in einem speziellen Auto angeliefert, einem grauen, fensterlosen Transporter vom Typ Barkas B 1000, der seine für den Tod bestimmte Fracht bei Nacht einsammelte und zur Leipziger Exekutionsstätte brachte.
Bernt Engelmann, Schriftsteller, lange mit I+G Zwerenz befreundet,
dann wegen Meinungsverschiedenheiten über den Umgang mit der DDR
entfremdet
Weil das Transitabkommen den Ausschluss vom Transitverkehr nur vorsah, wenn die Transitstrecken für kriminelle Handlungen benutzt worden waren, log die DDR-Seite, ich hätte derartige Verbrechen begangen. Die Lüge wurde ein ganzes Jahr lang aufrechterhalten. Als sich nichts beweisen ließ, übergab das DDR-Außenministerium am 20. Dezember 1978 dem Leiter der Ständigen
Vertretung der BRD, Staatssekretär Gaus, ohne Kommentar die »Ablichtung eines Artikels aus der BZ vom 26. Januar 1977 ... wonach Sie berichtet haben sollen, dass die Todesstrafe in der DDR in einem ›Exekutions-Mobil‹ vollstreckt würde«. (Zitiert nach Schreiben des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen vom 8. Januar 1979)
Das Transitverbot wurde endlich aufgehoben, das Einreiseverbot blieb bestehen. Meine »Feindtätigkeit« tauchte kurz darauf in den Stasiakten von Erich Loest wieder auf, wo sie gegen den damals noch in Leipzig lebenden Schriftsteller benutzt wurde. Derart arbeiteten Staat und Stasi Hand in Hand. Indessen hatte das öffentliche Aufsehen um das »Todesauto« auch sein Gutes. Die letzte heimliche Hinrichtung in Leipzig fand am 26. Juni 1981 statt. Den Gedanken, ein ganz klein wenig zur Sabotage der Exekutlonen beigetragen zu haben, finde ich tröstlich. Allerdings frage ich mich manchmal, wie sich die an den Hinrichtungen Beteiligten fühlen, und sei es nur als schweigende oder hetzende Redakteure und Journalisten.
Die Story vom Todesauto wollte damals keiner glauben. Dabei stimmte sie, auch wenn der Wagen nur zum Transport benutzt wurde. Das schlechte Gewissen der DDR-Obrigkeit erwies sich in der befohlenen Heimlichkeit. Das schlechte Gewissen von ADN zeigte sich in der Wut, mit der man mich beschimpfte. Mein eigenes schlechtes Gewissen beschämt mich, indem es mir sagt: Du hättest die Spur damals noch viel konsequenter verfolgen müssen, denn wenn Staatsorgane ihre Untaten so lautstark leugnen, kannst du sicher sein, es ist in Wirklichkeit alles noch viel übler. Das ist in Ost so wie in West.
Die DDR-Staatspresse wurde im Februar 1977 von der staatlichen Presseagentur ADN wie befohlen mit der gewünschten Desinformation beliefert. Die Story vom Todesauto wurde auch im Titel nur wenig variiert. In der Freien Presse Plauen hieß es: »Neue Schauermärchen aus der BRD«, die Union Dresden nahm dieselbe Überschrift, andere Zeitungen ließen das »Neue« weg und signalisierten einfach »Schauermärchen«, welcherTitel im ND zum
Untertitel schrumpfte, während darüberstand: »Keine Lüge ist zu schmutzig ...«
Nach meinem Kenntnisstand vom Januar 1992 wurden in der DDR mehrere hundert Menschen hingerichtet, darunter politische Häftlinge und etwa 50 wegen Spionage oder Verrat Angeklagte. Nun muss man das vorher nicht gewusst haben. In der DDR selbst sorgte die Diktatur für anhaltende Unkenntnis. Insofern ist das unfreie Presseunwesen verständlich. Die Deutsche Volkszeitung allerdings erschien in der Bundesrepublik, und ihr Bericht vom 3. März 1977 sei als Exempel einer freiwillig falschen Berichterstattung aus ideologischen Gründen der Nachwelt überliefert:
»Kürzlich schockierte der Schriftsteller Gerhard Zwerenz die zivilisierte Welt mit der bestürzenden ›Information‹, die Todeskandidaten in DDR-Haftanstalten würden in einem Lastwagen auf einem Stuhl festgebunden und in diesem Zustand quasi auf große Reise geschickt. Ein eingebautes Uhrwerk bewirke nach einigen Kilometern der Fahrt die Auslösung des Todesschusses und zwar zu einem Zeitpunkt, den der Verurteilte selbst nicht kenne.
Die bürgerliche Presse verbreitete gerne diese einstweilen letzte Version einer Teufelei. Das ›Neue Deutschland‹ erregte sich über die ›niederträchtige Verleumdung‹. Auf den Gedanken, der Autor habe unter dem Eindruck der
Hinrichtung Gilmores in den USA die Geographie verwechselt oder leide ganz einfach unter Wahnvorstellungen, kam niemand.
Sollte das SED-Zentralorgan die Absicht haben, auch künftig ›Nachrichten‹ solchen Kalibers zu dementieren, wir warnen davor. Es würde die eitle Phantasie seiner neurotischen Feinde erheblich unterschätzen ...
Helmut Bausch«
Ein Jahr lang kämpfte ich mit Rechtsanwalt gegen die Behauptungen der DDR in der gemischten Transitkommission, wonach ich die Transitstrecke für kriminelle Handlungen gegen die DDR benutzt hätte. Einen Teil des unglaublichen Briefwechsels druckte die Frankfurter Rundschau am 11. Oktober 1978 in ihrer Deutschlandausgabe ab. Es liest sich wle von Kafka erfunden.
Zwar erlaubte die DDR in einem Non-Paper schließlich wieder meine Teilnahme am Transitverkehr, wovon ich ebensowenig Gebrauch machte wie zuvor, weil ich den Genossen nicht übern Weg traute, aber das Eingeständnis der DDR-Seite, mich zu Unrecht beschuldigt zu haben, wurde zugleich mit dunklen Drohungen verbunden. Bei Lesungen im bayerischen und hessischen Grenzgebiet zur DDR, so in Würzburg, traten Stasiagenten auf, die mich beschuldigten, das Transitabkommen zu verletzen und mit der Story vom Todesauto Hetze gegen die DDR betrieben zu haben. Einer dieser kleinen Agenten entschuldigte sich inzwischen bei mir. Danach lernte ich seinen wahrscheinlichen Agentenführer kennen. Der Mann machte einen netten
Eindruck. Jedenfalls gab er sich Mühe, und ich gestehe einem jeden die Fähigkeit zu, sich zu ändern. Schließlich war Paulus vor seinem Damaskuserlebnis Saulus.
Noch ein Nachwort zur Deutschen Volkszeitung, deren Einfluß in westdeutschen linken Kreisen nicht zu unterschätzen war, galt sie doch im Gegensatz zur direkten KP-Presse als relativ selbständig, was sie indessen nie war. Die Parolen, die über gewisse Steuerungssysteme von der DDR über die DV ausgegeben wurden, setzten sich wirksam über viele Redaktionen und Köpfe fort. Autoren wie Engelmann, Wallraff, Kipphardt wurden von hier aus protegiert, fanden Rückhalt und Förderung. Umgekehrt wurde so einer wie Zwerenz nach Kräften niedergebügelt. Dieser Einfluss reichte weit hinein bis in die bürgerlichen Medien. Wer weder rechte noch linke Exekutoren akzeptierte, stand gegen deren Adepten und hatte auch in der Mitte keine Freunde, denn dort hockten die unsichersten Kantonisten, die den Mantel stets nach dem Wind hängen. Da sind mir die offenen Feinde zu beiden Seiten schon lieber, denn man weiß, woran man mit ihnen ist. Im übrigen wird von China bis hin zu den USA weiter tüchtig todesgestraft.
Nachtrag: Als ich im August 1993 meine Stasiakten einsehen konnte, fand sich ein ganzes Konvolut Papiere zum Vorgang »Todesauto«. Mit der amtsgängigen Gründlichkeit bedachten die Herren Genossen mich wieder einmal mit einem Haftbefehl.
Nach Lektüre meiner Stasiakten darf ich mich mit meiner »Aktion Todesauto« bestätigt fühlen. Ich hatte zwar an den Folgen zu tragen, doch auch etwas bewirkt. Der Haftbefehl vom 4. Februar 1977 wurde viereinhalb Jahre später, am 31. August 1981, aufgehoben, neun Wochen nach der letzten Exekution, die in Leipzig an Stasi-Hauptmann Werner Teske* vollzogen worden ist. Wenn die mir erteilte Auskunft zutrifft, fanden die letzten Hinrichtungen im Leipziger Bloch-Quadrat östlich von Reichsgericht, Pleiße und Harkortstraße statt. Es ist exakt der Gebäudekomplex, in dem ich 1953 anmerkte, hier könne, wer vorne etwas sage, hinten gleich bestraft werden. Zum Peterssteinweg hin gab es damals die Universitätsinstitute der Historiker, Theologen, Philosophen, auf der Rückseite befanden sich Polizei und Haftzellen. Heute enthält der ganze Bau außer einer Mensa nur noch gehobene Dienststellen von Kriminalpolizei und Justiz. Das ersetzt offenbar die revoltierende Philosophie, Geschichte und Theologie.
Fragt sich, warum ein Atheist überhaupt gegen die Todesstrafe agiert. Wie in allen Überlebensfragen erweist sich die gottesfürchtige FAZ schon seit langem als auskunftsfreudig. Am 8. 2.1991 druckte das Blatt einen Artikel der rasanten Philosophin Dr. Barbara Zehnpfennig, in dem gefragt wurde: »Was macht eigentlich das Leben so lebenswert, warum soll man es unter allen Umständen erhalten?« Ja warum wohl, du christliches Abendlandjuwel?
Sklavensprache XIV
Es gibt Dinge, die musst du tun. Nichts hilft dir heraus. Manche Dinge musst du einfach tun. Sie lassen sich nicht verweigern. Ich rate dir, denk darüber nach. Manche Dinge, die man tun muss, lassen dir immerhin eine Wahl: Sie lassen sich anders tun. Distanziere dich in der Art, wie du sie tust, vom Zwang. Tu, was du tust, mit jener Abwendung, die etwas signalisiert.
(Zu Klaus Rainer Röhls Lebensbogen vom SED-Geheimgenossen und Ulrike-Meinhof-Ehemann über den links engagierten konkret-Chefredakteur zum Doktoranden der FAZ-Edelfeder Prof. Ernst Nolte demnächst mehr in diesem Theater)
* Werner Teske, geboren 1942, Stasi-Hauptmann, wegen „Verratsplänen“ zum Tode verurteilt, 1981 in Leipzig als letzter Häftling hingerichtet. Am Montag, den 6. Oktober 2008, folgt das nächste Kapitel.
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Gerhard Zwerenz
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