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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 57. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  57. Nachwort

Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin





Ernst Blochs erstes Buch Geist der Utopie, geschrieben während Weltkrieg 1 im Schweizer Exil, erschien erstmals 1918, wurde 1923 marxistisch komplet­tiert und gilt heute als unmodern, wenn nicht unlesbar. Die Suhrkamp-Ausgabe von 1964 bekamen wir bald darauf zugeschickt, sie enthält eine leicht sibyl­linische Widmung: (Siehe auch Folge 61)
  Der Genesungs­glück­wunsch betraf meine eben überstandene Krankheit, der erwähnte Wille spielte an auf Schopenhauer und die Minimalisierung Jugendbuch, jedoch herzlich überreicht, verwies auf letzte Gespräche in Leipzig sowie aktuelle Treffen in Tübingen. Klärungen waren gefragt.

Das Ende einer Utopie
Ernst Bloch
Geist der Utopie
München 1918
 
Widmung | Zoom per Klick
Widmung  (Zoom per Klick)
 
Ernst Bloch ist 1949 ein Geschenk der DDR an sich selbst gewesen. 1957 dementierte sie diese un­schätz­bare Gabe und zog sie zurück. Bloch fühlte sich den­noch dem anderen deutschen Staat auch vom Westen aus verbunden. Er war wie Rosa Luxemburg gegen Weltkrieg 1 und blieb bis zu seinem Tode prinzi­pieller Kriegs­gegner. Das ist der historisch-politische Kern seines Denkens. Wer ihm darin folgt, ist Blochianer: In der Philosophie- und Kultur­geschichte nach Lebens- und Über­lebens­weis­heiten fahnden – Krieger überlisten, Kriege verhindern, wo nicht sabotieren. Das ist heute zur Existenz­frage geworden.
  Klassische Marxisten und Leninisten stellen immer erneut die Eigentums­frage. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen sie geschla­gen und ver­loren da. Die Sozial­demo­kraten setzen auf den Ausgleich von Arbeit und Kapital. Jetzt dominiert das Kapital die Arbeit bis hin zu drohenden autori­tären und dikta­torischen Gewalten. Das End­resultat schrieb George Orwell auf. Wer sich damit abfindet, installiert ein anderes 1933 und zwingt Bloch ins letzte Exil der Ver­drängung. Bloch ist der Gegen-Orwell. Wer aber vor der Geschichte besteht ist noch nicht ent­schieden. Es kommt auf die Courage und Kraft zur Dekon­struk­tion an, ohne im dro­hen­den Nihi­lismus der Selbstaufgabe zu enden.

„Der von uns sehr geschätzte Religionskritiker und Tierfreund Ingolf Bossenz irrte, als er am 19.1.2011 im ND schrieb, Ernst Bloch habe den zweiten Satz der 11. Feuerbach-These von Marx komplettiert zu ›… es kommt darauf an, sich zu verändern.‹ Diese Variante stammt zwar indirekt von Bloch und entspricht seinen Intentionen, formuliert wurde sie jedoch von Gerhard Zwerenz im Buch Sklaven

sprache und Revolte – Der Bloch-Kreis und seine
Feinde in Ost und West, (2004), nach­zulesen auf Seite 155 und Seite 343/44 als Fünfte der dort veröffentlichten Zwölf Bloch-Thesen.“
  Dieser Leserbrief von Ingrid erschien am 22./23.1.2011 in Neues Deutschland. Zuerst hatte ich abgeraten. Die winzige Differenz zwischen sie und sich ist schwer vermittel­bar. Es gibt darüber aller­dings einen erhellenden E-mail-Wechsel mit Blochs Sohn Jan Robert, dessen auf­klärendes Resultat eben die von Ingrid erwähnten Seiten 155/56 und 343/44 sind, wo zu lesen ist: „Bloch reflek­tierte die elfte Feuerbach-These bis hin zu dem daraus folgenden zwingenden Grund der Korrektur, die er unterließ, aber nahelegte. Denn der Satz ›Die Philo­sophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändem ‹ ist zu komplet­tieren durch: ›... es kommt darauf an, sich zu verändem.‹ Erst diese Konse­quenz stellt dem Objekt das revol­tierende Subjekt gegenüber und damit gleich.
  Als ich 1957 die DDR verließ, nahm ich mir vor, nie wieder in Abhän­gig­keit von Univer­sitäten, Akade­mien oder Staat und Parteien zu leben, denn sie forderten einen Tribut, den ich schon aus mentalen Gründen nicht leisten konnte. Meine Maxime ging dahin, dass die Marxsche äußere Revo­lution durch eine innere Revo­lution des Individuums zu ergänzen sei. Es ist zu wiederholen: Der zweite Halbsatz der elften Feuerbach-These ›es kommt darauf an, sie (die Welt) zu verändern‹, korreliert mit: ›es kommt darauf an, sich (selbst) zu verändern.‹ In diesem Sinne finden sich Marx, Nietzsche und Sigmund Freud in Blochs revolu­tionärer Refor­mation des Marxis­mus und der sub­versiven Revolution der Bürgerlichkeit. Zwar scheiterte Bloch daran, doch die Lehre ist durch ihn in die Welt gelangt. Es gilt, sie nicht zu verleugnen, es sei denn, es wolle einer ein Saulus bleiben.
  Die Wende vom Objekt zum Subjekt ist kein Ersatz des ersten durch das zweite, aber längst fällig gewordene Vervollständigung.“

Der ursprüngliche Begriff der Destruktion entstammt geologischen Formationen. Im Sprachge­brauch bedeutet Destruktivität negatives Verhalten. Das von Heidegger ursprünglich verwendete Wort erweiterten die Nachfolger zur De-Konstruktion, deren Ziel es ist, verbale Konstruk­tionen zu delegitimieren. Der Universa­lienstreit nutzte die Versalien in Richtung von fünf Universalien, die in der Scholastik als oberste Allgemein­begriffe galten. Inzwischen gibt es unendlich viele Bücher und Artikel, auch im Internet, die sich damit befassen und das Problem zur Un­kennt­lich­keit vergrößern. Im Kern bleibt eine logische Operation, bei der die jeweilige Univer­salie als ein Allgemeines in ihre Einzelheiten aufgelöst wird. Im marxis­tischen Wortgebrauch sind dafür die Begriffe Quantität und Qualität üblich. Die Besonderheit der Dekon­struk­tion bleibt dabei unerreicht.
  Blochs Dekon­struktions-Philosophie entstand als eine Art Geheimlehre. Wo es früher um religiöse Glaubens­mysterien ging, standen jetzt die Stalinschen Dogmen des Marxismus zur Debatte. Bloch hatte u. a. bei Nietzsche die Differen­zierung von Allge­meinheiten (Universalien) erfahren, doch dessen Rück­wendung zu Zara­thus­tras Barbarentum verworfen. Als 1927 Heideggers Sein und Zeit erschien, erkannten Brecht, Benjamin und Bloch im bürger­lichen Philosophen den künftigen SA-Mann. Wo Nietzsche noch von blonden Ur-Helden phantasierte, gab Heidegger das neue deutsche Ziel vor. Nietzsche wie Heidegger führten stracks in den Sumpf des Nihilismus samt Folgen.

Blochs Auskunft, Nietzsche habe die richtigen Fragen gestellt, doch falsche Antworten gege­ben, zählt zu den Eck­punkten, mit denen er seine sub­versive Denkweise signalisierte. Kurz skizziert sind das außer dem 19. Kapitel in Das Prinzip Hoffnung, Band I, die Disser­tation von Marx, Blochs Schach-statt-Mühle-Satz, die von ihm häufig heran­gezogene Drachen­geschichte, Ungleich­zeitig­keit und Diagnose fehlender Sicherungen bei der Diktatur des Prole­tariats, die Mühen um eine marxis­tische Ontologie und Anthropologie, ein differen­zieren­des und in der Konse­quenz eingrei­fendes Denken. Jeder Eckpunkt ist im Werk oder in gelegentlich erzählten, leicht getarnten Exempeln belegbar.
  Auf den Universalienstreit verwies Bloch in vielerlei Facetten, ein Beispiel aus Sklavensprache und Revolte, Seite 266/67: „Das Prozesshafte, die Möglichkeiten seiner Tendenzen und Weiterentwicklung gingen nicht mit in die Begrifflichkeit ein, und insofern stellt unsere Erkenntnis aufgrund ihrer festen Formeln die sich entwickelnde Wirklichkeit immer als Abgeschlossenes dar. Ingrid malte aus, wie sich Bloch echauffierte, als er darauf zu sprechen kam. Sie standen beide auf dem Flur im Philosophischen Institut, der Professor packte die Studentin am Arm, Lukács, meine Liebe, sagte er, gleitet dauernd ins Deduzieren aus Feststehendem ab. Die Zerstörung der Vernunft ist voll davon. Dagegen komme es darauf an, und die Dialektik verlange das, die Wirklichkeit in ihrer Bewegung und Weiterentwicklung zu erkennen und zu fassen. In der Vorlesungsnachschrift fanden sich eine Menge Beispiele, die Bloch für seine Auffassung heranzog.“ Im Buch werden weitere Meinungsunterschiede zwischen Bloch, Lukács und der Orthodoxie erwähnt.

Die Deduktion ist in der Dekon­struktion ein Vorgang formal-logischer, ergo sprachlicher Zerstörung. Aus einer Allgemeinheit resultieren Besonderheiten. Die Pariser Postmarxisten legitimierten ihren Abschied vom Marxismus, indem sie seine Abstraktionen zertrümmerten. Einige kehrten zu Marx, nicht zum Marxismus zurück. In der DDR, exakt in Leipzig stand diese Frage 1956/57 zur Debatte. Am Philosophischen Institut ging es um Bloch und einen Marx ohne Stalin. Der Rest ist bekannt. Meine kurze Darlegung an dieser Stelle entstammt Notizen für einen Bloch-Roman, den ich nach dem Tod des Philosophen abbrach, wie ich Karola Bloch mitteilte, die es bedauerte und anmerkte, aber dem Bloch entgehst du nicht. Wahr gesprochen. Ich versuche cool zurückzudenken ohne zu explodieren.

Sprachmusik: Die unendlich vielen klugen Schriften über Bloch und seine Philosophie lesend wurde mir immer unpassender zumute. Sie verstellen seine Weisheiten und verbuddeln ihn unter ihren akademischen Nichtigkeiten.
  Bloch in Leipzig wurde für die Philosophie was Bach für die Musik bedeutete: Alltag und ein Darüberhinaus. Und wie die Zeitgenossen Bach nach dessen Tod erst einmal vergaßen, so wurde Bloch nach seinem Weggang von der Pleiße vergessen gemacht und im Westen unter Wortlawinen begraben.
  Blochs Sprache ähnelt Bachs Musik. Es gehört Musikalität dazu, das herauszuhören. Nur zählt auch das Wort dazu. Es gibt ein kantatenhaftes Denken, das auf ein musikalisches Publikum setzt. Blochs Tübinger Auskunft, er habe in Leipzig nur Philosophiegeschichte, nicht die eigene Philosophie gelehrt, ist das Eingeständnis einer verschämten Form von Sklavensprache und stellt Staat sowie Partei ein vernichtendes Zeugnis aus, attestiert es doch einen geringeren Freiheitsraum als ihn Immanuel Kant im königlich-preußischen Königsberg besaß. Wer allerdings Ohren hatte zu hören, der entnahm den Kaskaden des Leipziger Professors jene Töne, Andeutungen, Ironien, die den Sklaven zu allen Zeiten als indirekte Aufsässigkeiten zur Verfügung stehen. Häftlinge signalisieren einander verbotene Übereinkünfte noch unter Aufsicht der Wärter. Die Schwierigkeiten beim Verbreiten der Wahrheit eskalierten im Reich der Revolutions-Erben zu Existenzgefährdungen. Mancher büßte mit seinem Leben. So vernichtete die Revolution neben ihren Kindern noch die Väter. Als Alternative bestand lediglich die Chance, die verbotene Wahrheit auf einem westlichen Lehrstuhl zu artikulieren, mit der penetranten Aussicht auf Folgenlosigkeit.
  Den Ausweg ins Renegatentum scheute Bloch, bis er ihn 1961 widerwillig doch wählte. Darum ging es auch bei unserer Differenz um die 11. Feuerbach-These. Der Bezug auf das Subjekt ist in Blochs Philosophie indirekt enthalten. Formalisieren wollte er ihn ebenso wenig wie er sich als Renegat bekennen mochte. Für mich zählte das jedoch zum notwendigen Bruch. Allerdings kehrte ich den Spieß um, als er aus dem Politbüro geschleudert wurde. Wenn Renegaten Renegaten Renegaten nennen, ist die Revolution nur noch eine Farce.

Am 5. Juni 2010 findet sich über Joachim Gauck in der FAZ dieser denk­würdige Satz: „Der Kapitäns­sohn, 1940 in Rostock geboren, erlebte die braune und die rote Dikta­tur.“ Was kann einer wohl erlebt haben, wenn er bei Kriegs­ende fünf Jahre zählte und der Vater als Offizier der Kriegs­marine brav seine Pflicht für die braune Diktatur erfüllte? Die FAZ-Elite­schrei­ber schlu­dern nicht immer. In selte­nen Fällen wissen sie Bescheid und zeigen es auch. Am 27. August 2008 ist über den Publizisten Dolf Sternberger zu lesen: „Eine Leitfrage Stern­bergers lautet: ›Der Mensch: Herr oder Knecht der Sprache? ‹ In den Jahren 1945 bis 1948 verfasst er zusammen mit Gerhard Storz und Wilhelm E. Süßkind das Wörterbuch des Unmenschen. Es umfasst achtund­zwanzig Stücke, in denen einzelne Wörter kommentiert werden, die den Verfassern als typisch für die Sprache der National­sozia­listen gelten, etwa Anliegen, Betreuung, durch­führen, echt, Einsatz …“
Sternberger / Storz / Süskind
Aus dem Wörterbuch des Unmenschen.
DTV 1970 (Claassen 1957)
Die Aufzählung geht noch weiter: Wir halten bei Einsatz inne. Die Artikel-Überschrift lautet: „Kains­male der Worte“. Kains­male aus dem Wörterbuch des Unmenschen, in Hitlers Reich täglich im Gebrauch, gerieten nach Kriegsende aus der Mode und verwuchsen seit der Ver­einigung und den zahl­reichen aktuellen Kriegen zum Neusprech-Dschungel. Keine Kanzle­rinnen-Rede, kein Front­bericht, keine Kaser­nen­repor­tage ohne Einsatz – Kampf­einsatz, Kriegs­einsatz, Einsatz­zeiten, Ein­satz­dauer, in den Ein­satz gehen, Tele­fon­ein­satz, Einsatz­truppe …
  Der Spiegel in der Nr. 8 aus dem Jahr 2005 zum Einsatz-Marathon: Karriere der Nazi-Sprache. Das Einsatz-Kapitel im Wörterbuch des Un­menschen beginnt mit der Erklärung: „Das Wort ist vom Verbum her entstanden.“ Später heißt es: „Sollte man meinen, dass ein Mensch Lust haben könnte, EINSATZ genannt zu werden oder auch nur als solcher zu gelten? Erstaun­licherweise ist dem aber so, und dies sogar im Sinne eines Ehrentitels.“
  Wir empfehlen das Wörterbuch für den Schul­gebrauch als Einübung in Dekon­struktions­möglichkeiten.

Die angestellten Schreibsklaven mit der erigierten Goldfeder sind nicht durchweg ungebildet, es fällt ihnen nur schwer, über ihren kurzgeschorenen Horizont hinaus zu denken. Am 3. Dezember 2010 philosophiert der FAZ-Korre­spondent aus Warschau, es könne „heute ja auch getrost offenbleiben … wer im philosophischen Uni­versalien­streit des Mittelalters, der Frage nach der Natur der Allgemeinbegriffe, nun wirklich recht hatte.“ Das ist bestechend klug daneben gedacht. Und doch folgt ein wenig Selbsterkenntnis: „Historiker müssen Konflikte eben nicht immer lösen, es reicht, sie zu beschreiben – auch wenn es die eigenen sind.“ Man klopfe bei der Allgemeinheit FAZ an die Tür und schon erscheinen die SA-Männer Carl Schmitt und Martin Heidegger zum Einsatz, kommandiert vom ewigen Grabenkämpfer Ernst Jünger. Und alles als Resultat von Dekon­struktion.

Das kann hier nicht so allgemeingültig stehenbleiben. Abseits vom Feuilleton gibt's noch die Wirtschaftsredaktion, die heutigen Realitäten nicht ins nationale Museum ausweichen darf. Im Leitartikel vom 23. Januar 2011 erfahren wir:

Frage: Muss es denn gleich Kommunismus sein? Wie wäre es statt mit Gewalt mit kritischer Vernunft? Die FAZ am 39. Januar 2011 über die Krise: „Bei Marx und Schumpeter lässt es sich in die Schule gehen.“ Dass es sich beim Kapital von Marx um die Dekon­struktion desselben handelt, scheint sich nach und nach sogar bis in die publizistischen Herzkammern am Main herumzusprechen.

Wer die eine Universalie, statt sie zu dekon­struieren mit der nächsten auswechselt, fällt von einem Glaubensirrtum in den anderen. In der Poetik führt die Dekon­struktion hingegen zur konkreten Poesie. Brecht ernüchtert den Krieg auf die drei Steige­rungskriege, die das Ende Karthagos mit sich brachten. Die Subversalie Einsatz aber wird für die Kriege der Deutschen im ganzheitlichen Wortsinn der Unmenschen­sprache belassen, damit sie ihren Mobili­sierungs-Effekt nicht einbüßt. Unsere Soldaten sind gern eingesetzt. Ganz so wie orthodoxe Stalin-Gläubige an der Universalie Diktatur des Proletariats festhalten, weil sie Trotzkis Definition, daraus sei eine Diktatur über das Proletariat geworden, nicht zur Kenntnis nehmen geschweige denn akzeptieren. Sie leben weiter in der 3. Internationale.

Bloch war in Tübingen im falschen Film. Den Studenten ein Trost, was den Zustrom bestärkte, von links hochgeehrt, von rechts bemisstraut, in der Wirkungs­geschichte unterbrochen. Der Eckpunkt ist auf den Tag genau zu benennen: Es ist der 28. November 1956. Wir greifen vor. Am 2.2.2011 gibt es eine Sensation:

Der Journalist Klaus Taubert betont mit Recht den Ausnahme-Status der Ulbricht-Äußerungen. Doch schon im Jahr 1961 hatte Ulbricht ähnlich anfeuernd gesprochen. Im 50. Nachwort verwiesen wir auf die junge Welt vom 9. 11. 2009, in der unter der Überschrift Immer Erdbeeren, aus einer Ulbricht-Rede des Jahres 1961 zitiert wurde. Er sagte:„Unser Tisch soll mit dem Besten gedeckt werden, was die Natur zu bieten hat: hochwertige Fleisch- und Milch­produkte. Edelgemüse und beste Obstsorten, früheste Erdbeeren und Tomaten zu einer Zeit, da sie auf unseren Feldern noch nicht reifen. Weintrauben im Winter, nicht nur zur Zeit der großen Schwemme. Als Sozialisten sind wir uns darüber klar, dass im sozialistischen Lager bis 1965 ein Überfluss an Lebensmitteln erreicht werden soll. Was da auf den Handel zukommt, diese immer mächtiger anschwellende Woge von Lebens- und Genuss­mitteln aus aller Herren Länder, von Kleidern und Schuhen, von wundervollen neuwertigen Stoffen, von Küchen- und Waschmaschinen, Autos, von Kunstgewerbe und Schmuck, von Foto­apparaten und Sportgeräten!“
  1961 hoffte Ulbricht noch auf 1965. Das half nicht. Er reformierte zu langsam, zu schwächlich und zu spät. Als er 1970 endlich Tempo vorlegen wollte, setzten ihn 13 Genossen mit Breschnews Beistand ab. Der Vorgang ist hinreichend bekannt. Gravierend blieb Ulbrichts Prinzip der Verzögerung. 1966 verwies ich in Walter Ulbricht (Archiv der Zeitgeschichte, München. Bern) darauf: „Die Kunst Ulbrichts besteht nicht zuletzt im Hinaus­zögern entschei­dender Maß­nahmen …“ Das stützte die Karriere, schadete jedoch der DDR. Als die Sowjetarmee im Oktober 1956 den unga­rischen Oktober­aufstand niederschlug, wartete Ulbricht ab. Erst am 28. November startete die Aktion gegen Bloch. Tags darauf folgte Wolfgang Harichs Verhaftung. Die vier Wochen entschieden zwischen Ent- und Restali­nisierung. Im eigenen Polit­büro mit Kritik konfrontiert, holte Ulbricht zum Schlag gegen die Reform­intel­lektu­ellen aus. Er hätte sich auch anders entscheiden können. Beides war sowohl subjektiv wie objektiv möglich. Später gab es diese Alternative nicht mehr. Indem Ulbricht 1957 Ernst Bloch, 1958 Fritz Behrens repressierte, steuerte er die DDR in eine System-Verzö­gerung, die sich als unaufholbar erwies. Ganz im Gegensatz zu China, das Richtung Weltspitze aufbrach, während DDR und SU vergingen.
  Es ist als würden in Krisenzeiten die am meisten genutzten Wörter den Charakter von Universalien annehmen, das reicht von der taktischen Ungenau­igkeit bis zur offenen Propaganda-Lüge und betrifft die marxistische Terminologie ebenso wie die bürgerliche und anti­kommunis­tische. Die neue elektronische Kommuni­kation mit ihren schnellen Meinungs­äußerungen zeigt, wie ungleichzeitig, aber express Sprachverfall und Machtverlust verlaufen. Unsere Beispiele vom Ost-Untergang stammen aus einem inzwischen deutlich wahr­nehmbaren Erfahrungsraum. Den noch andauernden Untergang des westlichen Abendlandes werden dessen Apologeten auch solange leugnen, bis er vollzogen ist und zur Staats­raison erklärt wird.

Mein Leipziger Pseudonym Gert Gablenz rief zu nacht­schlafener Zeit hier an. Verstand ich ihn richtig, tauchte gestern abend Hegel vor der Tür zu Auerbachs Keller auf, wurde aber von Kafka abgewiesen. Gablenz: Hegel möchte in unserem Faust 3 – 5 mitspielen. Ich: Hegel in Leipzig kann nicht sein. Gestern besuchte er die Berliner junge Welt-Redak­tion. Gablenz: Hab ich gelesen, 2. Februar 2011, Artikel-Überschrift: Dialektik der Vernunft. Ich: Und so etwas kriegt ihr sogar in Leipzig zu Gesicht? Er: Hegel nennt sich in der j W Hans Heinz Holz. Ich: Der lebt noch? Er: Hegel ist auch nur scheintot gewesen. Ich: Lenin sprach Hegel heilig, Stalin hasste ihn. Er: Den H H Holz? Ich: Nein, den Hegel. Er: Ich werde mal Kafka fragen, ob er nicht doch lieber Hegel statt Holz reinlassen will.

Heute haben wir den 3. Februar. Gestern hatte ich keine Lust auf Zeitung. So lese ich heute die von gestern nach. In seiner Variante von Dialektik der Vernunft tanzt Holz den Hegel. Auf den langen Hegelschen Holzwegen dahinmarathonierend halte ich inne bei einem Satz gegen Ende: „Der fortgeschrittenste Stand der Vernunft ist bisher die Aufklärungstradition, zu der Marx, Lenin, Stalin doch gehören.“


Ohne ihn kann Prof. Holz nicht sein
So Prof. Holz am 2. Februar 2011 tatsächlich in einer Zeitung, die unter Genossen wie Anti­genos­sen als marxis­tisch gilt und es in guten Teilen auch ist, mindes­tens zu sein versucht. So wird dieser georgische Wissa­riono­witsch, der mehr deutsche Genos­sen zur Strecke brachte als Adolf Hitler, noch als Klassi­ker gehandelt. Brecht nannte Stalin Verdienter Mörder des Volkes. So einer zählt keines­wegs zum fort­geschrit­tensten Stand der Auf­klä­rungs­tradition. Rekrutiert Holz seinen KP-Trupp unter der Losung Vorwärts Genossen, wir gehen zurück? Wir begannen dieses Nachwort mit Ernst Blochs Utopie-Buch und seinen lebens­langen Befrei­ungs­kämpfen auch von Stalin. Am Ende kehrt einer, der sich auf Ernst Bloch als seinen Doktorvater zu berufen pflegt, zu Stalin zurück. Es ist wie bei der FAZ, die so oft es geht ihre drei Heiligen aus dem Abend­land beschwört: Die beiden SA-Recken Carl Schmitt und Martin Heidegger sowie den Graben­kampf­hysteri­ker Ernst Jünger. Ohne dieses Trio fühlt das Blatt sich schutzlos und nackt. Ganz wie H H Holz ohne seinen Ivan den Schreck­lichen II. Eine kurze Anfrage bei Google nach FAZ – Ernst Jünger lieferte auf Anhieb 13.800 Ergeb­nisse.
  So fällt es schwer, die Rückkehr gestriger Helden zu verhindern. Dem Prof. Holz sitzt sein oller Stalin, der FAZ ihr doppelter Welt­krieger Jünger im Genick. In Dresden endlich wollen Juristen den Wider­stand gegen Adolf und seine Nach­geburten gericht­lich verbieten lassen. Nur die Ägyp­ter schafften ihren diebi­schen Pharao endlich ab. Sie üben ja auch schon seit 7000 Jahren.
Gerhard Zwerenz    14.02.2011   

 

 
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz