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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 57. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
57. Nachwort |
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Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
Ernst Blochs erstes Buch Geist der Utopie, geschrieben während Weltkrieg 1 im Schweizer Exil, erschien erstmals 1918, wurde 1923 marxistisch komplettiert und gilt heute als unmodern, wenn nicht unlesbar. Die Suhrkamp-Ausgabe von 1964 bekamen wir bald darauf zugeschickt, sie enthält eine leicht sibyllinische Widmung: (Siehe auch Folge 61)
Der Genesungsglückwunsch betraf meine eben überstandene Krankheit, der erwähnte Wille spielte an auf Schopenhauer und die Minimalisierung Jugendbuch, jedoch herzlich überreicht, verwies auf letzte Gespräche in Leipzig sowie aktuelle Treffen in Tübingen. Klärungen waren gefragt.
Ernst Bloch ist 1949 ein Geschenk der DDR an sich selbst gewesen. 1957 dementierte sie diese unschätzbare Gabe und zog sie zurück. Bloch fühlte sich dennoch dem anderen deutschen Staat auch vom Westen aus verbunden. Er war wie Rosa Luxemburg gegen Weltkrieg 1 und blieb bis zu seinem Tode prinzipieller Kriegsgegner. Das ist der historisch-politische Kern seines Denkens. Wer ihm darin folgt, ist Blochianer: In der Philosophie- und Kulturgeschichte nach Lebens- und Überlebensweisheiten fahnden – Krieger überlisten, Kriege verhindern, wo nicht sabotieren. Das ist heute zur Existenzfrage geworden.
Klassische Marxisten und Leninisten stellen immer erneut die Eigentumsfrage. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen sie geschlagen und verloren da. Die Sozialdemokraten setzen auf den Ausgleich von Arbeit und Kapital. Jetzt dominiert das Kapital die Arbeit bis hin zu drohenden autoritären und diktatorischen Gewalten. Das Endresultat schrieb George Orwell auf. Wer sich damit abfindet, installiert ein anderes 1933 und zwingt Bloch ins letzte Exil der Verdrängung. Bloch ist der Gegen-Orwell. Wer aber vor der Geschichte besteht ist noch nicht entschieden. Es kommt auf die Courage und Kraft zur Dekonstruktion an, ohne im drohenden Nihilismus der Selbstaufgabe zu enden.
„Der von uns sehr geschätzte Religionskritiker und Tierfreund Ingolf Bossenz irrte, als er am 19.1.2011 im ND schrieb, Ernst Bloch habe den zweiten Satz der 11. Feuerbach-These von Marx komplettiert zu ›… es kommt darauf an, sich zu verändern.‹ Diese Variante stammt zwar indirekt von Bloch und entspricht seinen Intentionen, formuliert wurde sie jedoch von Gerhard Zwerenz im Buch Sklavensprache und Revolte – Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West, (2004), nachzulesen auf Seite 155 und Seite 343/44 als Fünfte der dort veröffentlichten Zwölf Bloch-Thesen.“
Dieser Leserbrief von Ingrid erschien am 22./23.1.2011 in Neues Deutschland. Zuerst hatte ich abgeraten. Die winzige Differenz zwischen sie und sich ist schwer vermittelbar. Es gibt darüber allerdings einen erhellenden E-mail-Wechsel mit Blochs Sohn Jan Robert, dessen aufklärendes Resultat eben die von Ingrid erwähnten Seiten 155/56 und 343/44 sind, wo zu lesen ist: „Bloch reflektierte die elfte Feuerbach-These bis hin zu dem daraus folgenden zwingenden Grund der Korrektur, die er unterließ, aber nahelegte. Denn der Satz ›Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändem ‹ ist zu komplettieren durch: ›... es kommt darauf an, sich zu verändem.‹ Erst diese Konsequenz stellt dem Objekt das revoltierende Subjekt gegenüber und damit gleich.
Als ich 1957 die DDR verließ, nahm ich mir vor, nie wieder in Abhängigkeit von Universitäten, Akademien oder Staat und Parteien zu leben, denn sie forderten einen Tribut, den ich schon aus mentalen Gründen nicht leisten konnte. Meine Maxime ging dahin, dass die Marxsche äußere Revolution durch eine innere Revolution des Individuums zu ergänzen sei. Es ist zu wiederholen: Der zweite Halbsatz der elften Feuerbach-These ›es kommt darauf an, sie (die Welt) zu verändern‹, korreliert mit: ›es kommt darauf an, sich (selbst) zu verändern.‹ In diesem Sinne finden sich Marx, Nietzsche und Sigmund Freud in Blochs revolutionärer Reformation des Marxismus und der subversiven Revolution der Bürgerlichkeit. Zwar scheiterte Bloch daran, doch die Lehre ist durch ihn in die Welt gelangt. Es gilt, sie nicht zu verleugnen, es sei denn, es wolle einer ein Saulus bleiben.
Die Wende vom Objekt zum Subjekt ist kein Ersatz des ersten durch das zweite, aber längst fällig gewordene Vervollständigung.“
Der ursprüngliche Begriff der Destruktion entstammt geologischen Formationen. Im Sprachgebrauch bedeutet Destruktivität negatives Verhalten. Das von Heidegger ursprünglich verwendete Wort erweiterten die Nachfolger zur De-Konstruktion, deren Ziel es ist, verbale Konstruktionen zu delegitimieren. Der Universalienstreit nutzte die Versalien in Richtung von fünf Universalien, die in der Scholastik als oberste Allgemeinbegriffe galten. Inzwischen gibt es unendlich viele Bücher und Artikel, auch im Internet, die sich damit befassen und das Problem zur Unkenntlichkeit vergrößern. Im Kern bleibt eine logische Operation, bei der die jeweilige Universalie als ein Allgemeines in ihre Einzelheiten aufgelöst wird. Im marxistischen Wortgebrauch sind dafür die Begriffe Quantität und Qualität üblich. Die Besonderheit der Dekonstruktion bleibt dabei unerreicht.
Blochs Dekonstruktions-Philosophie entstand als eine Art Geheimlehre. Wo es früher um religiöse Glaubensmysterien ging, standen jetzt die Stalinschen Dogmen des Marxismus zur Debatte. Bloch hatte u. a. bei Nietzsche die Differenzierung von Allgemeinheiten (Universalien) erfahren, doch dessen Rückwendung zu Zarathustras Barbarentum verworfen. Als 1927 Heideggers Sein und Zeit erschien, erkannten Brecht, Benjamin und Bloch im bürgerlichen Philosophen den künftigen SA-Mann. Wo Nietzsche noch von blonden Ur-Helden phantasierte, gab Heidegger das neue deutsche Ziel vor. Nietzsche wie Heidegger führten stracks in den Sumpf des Nihilismus samt Folgen.
Blochs Auskunft, Nietzsche habe die richtigen Fragen gestellt, doch falsche Antworten gegeben, zählt zu den Eckpunkten, mit denen er seine subversive Denkweise signalisierte. Kurz skizziert sind das außer dem 19. Kapitel in Das Prinzip Hoffnung, Band I, die Dissertation von Marx, Blochs Schach-statt-Mühle-Satz, die von ihm häufig herangezogene Drachengeschichte, Ungleichzeitigkeit und Diagnose fehlender Sicherungen bei der Diktatur des Proletariats, die Mühen um eine marxistische Ontologie und Anthropologie, ein differenzierendes und in der Konsequenz eingreifendes Denken. Jeder Eckpunkt ist im Werk oder in gelegentlich erzählten, leicht getarnten Exempeln belegbar.
Auf den Universalienstreit verwies Bloch in vielerlei Facetten, ein Beispiel aus Sklavensprache und Revolte, Seite 266/67: „Das Prozesshafte, die Möglichkeiten seiner Tendenzen und Weiterentwicklung gingen nicht mit in die Begrifflichkeit ein, und insofern stellt unsere Erkenntnis aufgrund ihrer festen Formeln die sich entwickelnde Wirklichkeit immer als Abgeschlossenes dar. Ingrid malte aus, wie sich Bloch echauffierte, als er darauf zu sprechen kam. Sie standen beide auf dem Flur im Philosophischen Institut, der Professor packte die Studentin am Arm, Lukács, meine Liebe, sagte er, gleitet dauernd ins Deduzieren aus Feststehendem ab. Die Zerstörung der Vernunft ist voll davon. Dagegen komme es darauf an, und die Dialektik verlange das, die Wirklichkeit in ihrer Bewegung und Weiterentwicklung zu erkennen und zu fassen. In der Vorlesungsnachschrift fanden sich eine Menge Beispiele, die Bloch für seine Auffassung heranzog.“ Im Buch werden weitere Meinungsunterschiede zwischen Bloch, Lukács und der Orthodoxie erwähnt.
Die Deduktion ist in der Dekonstruktion ein Vorgang formal-logischer, ergo sprachlicher Zerstörung. Aus einer Allgemeinheit resultieren Besonderheiten. Die Pariser Postmarxisten legitimierten ihren Abschied vom Marxismus, indem sie seine Abstraktionen zertrümmerten. Einige kehrten zu Marx, nicht zum Marxismus zurück. In der DDR, exakt in Leipzig stand diese Frage 1956/57 zur Debatte. Am Philosophischen Institut ging es um Bloch und einen Marx ohne Stalin. Der Rest ist bekannt. Meine kurze Darlegung an dieser Stelle entstammt Notizen für einen Bloch-Roman, den ich nach dem Tod des Philosophen abbrach, wie ich Karola Bloch mitteilte, die es bedauerte und anmerkte, aber dem Bloch entgehst du nicht. Wahr gesprochen. Ich versuche cool zurückzudenken ohne zu explodieren.
Sprachmusik: Die unendlich vielen klugen Schriften über Bloch und seine Philosophie lesend wurde mir immer unpassender zumute. Sie verstellen seine Weisheiten und verbuddeln ihn unter ihren akademischen Nichtigkeiten.
Bloch in Leipzig wurde für die Philosophie was Bach für die Musik bedeutete: Alltag und ein Darüberhinaus. Und wie die Zeitgenossen Bach nach dessen Tod erst einmal vergaßen, so wurde Bloch nach seinem Weggang von der Pleiße vergessen gemacht und im Westen unter Wortlawinen begraben.
Blochs Sprache ähnelt Bachs Musik. Es gehört Musikalität dazu, das herauszuhören. Nur zählt auch das Wort dazu. Es gibt ein kantatenhaftes Denken, das auf ein musikalisches Publikum setzt. Blochs Tübinger Auskunft, er habe in Leipzig nur Philosophiegeschichte, nicht die eigene Philosophie gelehrt, ist das Eingeständnis einer verschämten Form von Sklavensprache und stellt Staat sowie Partei ein vernichtendes Zeugnis aus, attestiert es doch einen geringeren Freiheitsraum als ihn Immanuel Kant im königlich-preußischen Königsberg besaß. Wer allerdings Ohren hatte zu hören, der entnahm den Kaskaden des Leipziger Professors jene Töne, Andeutungen, Ironien, die den Sklaven zu allen Zeiten als indirekte Aufsässigkeiten zur Verfügung stehen. Häftlinge signalisieren einander verbotene Übereinkünfte noch unter Aufsicht der Wärter. Die Schwierigkeiten beim Verbreiten der Wahrheit eskalierten im Reich der Revolutions-Erben zu Existenzgefährdungen. Mancher büßte mit seinem Leben. So vernichtete die Revolution neben ihren Kindern noch die Väter. Als Alternative bestand lediglich die Chance, die verbotene Wahrheit auf einem westlichen Lehrstuhl zu artikulieren, mit der penetranten Aussicht auf Folgenlosigkeit.
Den Ausweg ins Renegatentum scheute Bloch, bis er ihn 1961 widerwillig doch wählte. Darum ging es auch bei unserer Differenz um die 11. Feuerbach-These. Der Bezug auf das Subjekt ist in Blochs Philosophie indirekt enthalten. Formalisieren wollte er ihn ebenso wenig wie er sich als Renegat bekennen mochte. Für mich zählte das jedoch zum notwendigen Bruch. Allerdings kehrte ich den Spieß um, als er aus dem Politbüro geschleudert wurde. Wenn Renegaten Renegaten Renegaten nennen, ist die Revolution nur noch eine Farce.
Am 5. Juni 2010 findet sich über Joachim Gauck in der FAZ dieser denkwürdige Satz: „Der Kapitänssohn, 1940 in Rostock geboren, erlebte die braune und die rote Diktatur.“ Was kann einer wohl erlebt haben, wenn er bei Kriegsende fünf Jahre zählte und der Vater als Offizier der Kriegsmarine brav seine Pflicht für die braune Diktatur erfüllte? Die FAZ-Eliteschreiber schludern nicht immer. In seltenen Fällen wissen sie Bescheid und zeigen es auch. Am 27. August 2008 ist über den Publizisten Dolf Sternberger zu lesen: „Eine Leitfrage Sternbergers lautet: ›Der Mensch: Herr oder Knecht der Sprache? ‹ In den Jahren 1945 bis 1948 verfasst er zusammen mit Gerhard Storz und Wilhelm E. Süßkind das Wörterbuch des Unmenschen. Es umfasst achtundzwanzig Stücke, in denen einzelne Wörter kommentiert werden, die den Verfassern als typisch für die Sprache der Nationalsozialisten gelten, etwa Anliegen, Betreuung, durchführen, echt, Einsatz …“
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Sternberger / Storz / Süskind
Aus dem Wörterbuch des Unmenschen.
DTV 1970 (Claassen 1957)
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Die Aufzählung geht noch weiter: Wir halten bei Einsatz inne. Die Artikel-Überschrift lautet: „Kainsmale der Worte“. Kainsmale aus dem Wörterbuch des Unmenschen, in Hitlers Reich täglich im Gebrauch, gerieten nach Kriegsende aus der Mode und verwuchsen seit der Vereinigung und den zahlreichen aktuellen Kriegen zum Neusprech-Dschungel. Keine Kanzlerinnen-Rede, kein Frontbericht, keine Kasernenreportage ohne Einsatz – Kampfeinsatz, Kriegseinsatz, Einsatzzeiten, Einsatzdauer, in den Einsatz gehen, Telefoneinsatz, Einsatztruppe …
Der Spiegel in der Nr. 8 aus dem Jahr 2005 zum Einsatz-Marathon: Karriere der Nazi-Sprache. Das Einsatz-Kapitel im Wörterbuch des Unmenschen beginnt mit der Erklärung: „Das Wort ist vom Verbum her entstanden.“ Später heißt es: „Sollte man meinen, dass ein Mensch Lust haben könnte, EINSATZ genannt zu werden oder auch nur als solcher zu gelten? Erstaunlicherweise ist dem aber so, und dies sogar im Sinne eines Ehrentitels.“
Wir empfehlen das Wörterbuch für den Schulgebrauch als Einübung in Dekonstruktionsmöglichkeiten.
Die angestellten Schreibsklaven mit der erigierten Goldfeder sind nicht durchweg ungebildet, es fällt ihnen nur schwer, über ihren kurzgeschorenen Horizont hinaus zu denken. Am 3. Dezember 2010 philosophiert der FAZ-Korrespondent aus Warschau, es könne „heute ja auch getrost offenbleiben … wer im philosophischen Universalienstreit des Mittelalters, der Frage nach der Natur der Allgemeinbegriffe, nun wirklich recht hatte.“ Das ist bestechend klug daneben gedacht. Und doch folgt ein wenig Selbsterkenntnis: „Historiker müssen Konflikte eben nicht immer lösen, es reicht, sie zu beschreiben – auch wenn es die eigenen sind.“ Man klopfe bei der Allgemeinheit FAZ an die Tür und schon erscheinen die SA-Männer Carl Schmitt und Martin Heidegger zum Einsatz, kommandiert vom ewigen Grabenkämpfer Ernst Jünger. Und alles als Resultat von Dekonstruktion.
Das kann hier nicht so allgemeingültig stehenbleiben. Abseits vom Feuilleton gibt's noch die Wirtschaftsredaktion, die heutigen Realitäten nicht ins nationale Museum ausweichen darf. Im Leitartikel vom 23. Januar 2011 erfahren wir:
Frage: Muss es denn gleich Kommunismus sein? Wie wäre es statt mit Gewalt mit kritischer Vernunft? Die FAZ am 39. Januar 2011 über die Krise: „Bei Marx und Schumpeter lässt es sich in die Schule gehen.“ Dass es sich beim Kapital von Marx um die Dekonstruktion desselben handelt, scheint sich nach und nach sogar bis in die publizistischen Herzkammern am Main herumzusprechen.
Wer die eine Universalie, statt sie zu dekonstruieren mit der nächsten auswechselt, fällt von einem Glaubensirrtum in den anderen. In der Poetik führt die Dekonstruktion hingegen zur konkreten Poesie. Brecht ernüchtert den Krieg auf die drei Steigerungskriege, die das Ende Karthagos mit sich brachten. Die Subversalie Einsatz aber wird für die Kriege der Deutschen im ganzheitlichen Wortsinn der Unmenschensprache belassen, damit sie ihren Mobilisierungs-Effekt nicht einbüßt. Unsere Soldaten sind gern eingesetzt. Ganz so wie orthodoxe Stalin-Gläubige an der Universalie Diktatur des Proletariats festhalten, weil sie Trotzkis Definition, daraus sei eine Diktatur über das Proletariat geworden, nicht zur Kenntnis nehmen geschweige denn akzeptieren. Sie leben weiter in der 3. Internationale.
Bloch war in Tübingen im falschen Film. Den Studenten ein Trost, was den Zustrom bestärkte, von links hochgeehrt, von rechts bemisstraut, in der Wirkungsgeschichte unterbrochen. Der Eckpunkt ist auf den Tag genau zu benennen: Es ist der 28. November 1956. Wir greifen vor. Am 2.2.2011 gibt es eine Sensation:
Der Journalist Klaus Taubert betont mit Recht den Ausnahme-Status der Ulbricht-Äußerungen. Doch schon im Jahr 1961 hatte Ulbricht ähnlich anfeuernd gesprochen. Im 50. Nachwort verwiesen wir auf die junge Welt vom 9. 11. 2009, in der unter der Überschrift Immer Erdbeeren, aus einer Ulbricht-Rede des Jahres 1961 zitiert wurde. Er sagte:„Unser Tisch soll mit dem Besten gedeckt werden, was die Natur zu bieten hat: hochwertige Fleisch- und Milchprodukte. Edelgemüse und beste Obstsorten, früheste Erdbeeren und Tomaten zu einer Zeit, da sie auf unseren Feldern noch nicht reifen. Weintrauben im Winter, nicht nur zur Zeit der großen Schwemme. Als Sozialisten sind wir uns darüber klar, dass im sozialistischen Lager bis 1965 ein Überfluss an Lebensmitteln erreicht werden soll. Was da auf den Handel zukommt, diese immer mächtiger anschwellende Woge von Lebens- und Genussmitteln aus aller Herren Länder, von Kleidern und Schuhen, von wundervollen neuwertigen Stoffen, von Küchen- und Waschmaschinen, Autos, von Kunstgewerbe und Schmuck, von Fotoapparaten und Sportgeräten!“
1961 hoffte Ulbricht noch auf 1965. Das half nicht. Er reformierte zu langsam, zu schwächlich und zu spät. Als er 1970 endlich Tempo vorlegen wollte, setzten ihn 13 Genossen mit Breschnews Beistand ab. Der Vorgang ist hinreichend bekannt. Gravierend blieb Ulbrichts Prinzip der Verzögerung. 1966 verwies ich in Walter Ulbricht (Archiv der Zeitgeschichte, München. Bern) darauf: „Die Kunst Ulbrichts besteht nicht zuletzt im Hinauszögern entscheidender Maßnahmen …“ Das stützte die Karriere, schadete jedoch der DDR. Als die Sowjetarmee im Oktober 1956 den ungarischen Oktoberaufstand niederschlug, wartete Ulbricht ab. Erst am 28. November startete die Aktion gegen Bloch. Tags darauf folgte Wolfgang Harichs Verhaftung. Die vier Wochen entschieden zwischen Ent- und Restalinisierung. Im eigenen Politbüro mit Kritik konfrontiert, holte Ulbricht zum Schlag gegen die Reformintellektuellen aus. Er hätte sich auch anders entscheiden können. Beides war sowohl subjektiv wie objektiv möglich. Später gab es diese Alternative nicht mehr. Indem Ulbricht 1957 Ernst Bloch, 1958 Fritz Behrens repressierte, steuerte er die DDR in eine System-Verzögerung, die sich als unaufholbar erwies. Ganz im Gegensatz zu China, das Richtung Weltspitze aufbrach, während DDR und SU vergingen.
Es ist als würden in Krisenzeiten die am meisten genutzten Wörter den Charakter von Universalien annehmen, das reicht von der taktischen Ungenauigkeit bis zur offenen Propaganda-Lüge und betrifft die marxistische Terminologie ebenso wie die bürgerliche und antikommunistische. Die neue elektronische Kommunikation mit ihren schnellen Meinungsäußerungen zeigt, wie ungleichzeitig, aber express Sprachverfall und Machtverlust verlaufen. Unsere Beispiele vom Ost-Untergang stammen aus einem inzwischen deutlich wahrnehmbaren Erfahrungsraum. Den noch andauernden Untergang des westlichen Abendlandes werden dessen Apologeten auch solange leugnen, bis er vollzogen ist und zur Staatsraison erklärt wird.
Mein Leipziger Pseudonym Gert Gablenz rief zu nachtschlafener Zeit hier an. Verstand ich ihn richtig, tauchte gestern abend Hegel vor der Tür zu Auerbachs Keller auf, wurde aber von Kafka abgewiesen. Gablenz: Hegel möchte in unserem Faust 3 – 5 mitspielen. Ich: Hegel in Leipzig kann nicht sein. Gestern besuchte er die Berliner junge Welt-Redaktion. Gablenz: Hab ich gelesen, 2. Februar 2011, Artikel-Überschrift: Dialektik der Vernunft. Ich: Und so etwas kriegt ihr sogar in Leipzig zu Gesicht? Er: Hegel nennt sich in der j W Hans Heinz Holz. Ich: Der lebt noch? Er: Hegel ist auch nur scheintot gewesen. Ich: Lenin sprach Hegel heilig, Stalin hasste ihn. Er: Den H H Holz? Ich: Nein, den Hegel. Er: Ich werde mal Kafka fragen, ob er nicht doch lieber Hegel statt Holz reinlassen will.
Heute haben wir den 3. Februar. Gestern hatte ich keine Lust auf Zeitung. So lese ich heute die von gestern nach. In seiner Variante von Dialektik der Vernunft tanzt Holz den Hegel. Auf den langen Hegelschen Holzwegen dahinmarathonierend halte ich inne bei einem Satz gegen Ende: „Der fortgeschrittenste Stand der Vernunft ist bisher die Aufklärungstradition, zu der Marx, Lenin, Stalin doch gehören.“
Ohne ihn kann Prof. Holz nicht sein So Prof. Holz am 2. Februar 2011 tatsächlich in einer Zeitung, die unter Genossen wie Antigenossen als marxistisch gilt und es in guten Teilen auch ist, mindestens zu sein versucht. So wird dieser georgische Wissarionowitsch, der mehr deutsche Genossen zur Strecke brachte als Adolf Hitler, noch als Klassiker gehandelt. Brecht nannte Stalin Verdienter Mörder des Volkes. So einer zählt keineswegs zum fortgeschrittensten Stand der Aufklärungstradition. Rekrutiert Holz seinen KP-Trupp unter der Losung Vorwärts Genossen, wir gehen zurück?
Wir begannen dieses Nachwort mit Ernst Blochs Utopie-Buch und seinen lebenslangen Befreiungskämpfen auch von Stalin. Am Ende kehrt einer, der sich auf Ernst Bloch als seinen Doktorvater zu berufen pflegt, zu Stalin zurück. Es ist wie bei der FAZ, die so oft es geht ihre drei Heiligen aus dem Abendland beschwört: Die beiden SA-Recken Carl Schmitt und Martin Heidegger sowie den Grabenkampfhysteriker Ernst Jünger. Ohne dieses Trio fühlt das Blatt sich schutzlos und nackt. Ganz wie H H Holz ohne seinen Ivan den Schrecklichen II. Eine kurze Anfrage bei Google nach FAZ – Ernst Jünger lieferte auf Anhieb 13.800 Ergebnisse.
So fällt es schwer, die Rückkehr gestriger Helden zu verhindern. Dem Prof. Holz sitzt sein oller Stalin, der FAZ ihr doppelter Weltkrieger Jünger im Genick. In Dresden endlich wollen Juristen den Widerstand gegen Adolf und seine Nachgeburten gerichtlich verbieten lassen. Nur die Ägypter schafften ihren diebischen Pharao endlich ab. Sie üben ja auch schon seit 7000 Jahren.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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