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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 42. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  42. Nachwort

Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt




 Vergangene Anfänge –
 hochmodern
Warum ich den Kern der Kultur­geschichte nach Leipzig verlege, fragen Sie? Dafür gibt's 4 Gründe. Erstens ist es die End­station der Pleiße. Zweitens: Dort wurde 1813 Napoleon geschlagen, was ich bedauere. Drittens: Hier putschte 1956/57 die Führung der führenden Partei der Arbei­ter­klasse gegen die Zukunft der Arbeiter­klasse, was ich nicht akzeptiere. Vier­tens: Keine Stadt ist faustischer und zugleich mephis­topheli­scher. Das kann ich so unbe­schwert sagen, lebte ich doch die meiste Zeit im öst­lichen oder westlichen Ausland. Da kochen Heimat­träume hoch, das walte Johann Wolfgangs Begeg­nung mit Faust, Gretchen und dem zu Mephisto minia­turisier­ten Herrn Teufel. 1. Nachwort: Nietzsche. 2. Nachwort Bloch. Notiert von Gert Gablenz / Ingrid Zwerenz unter Anrufung von Karl Marx und Karl May.
  Drei wahre Sachsen sind bei dem Unter­neh­men meine Zeugen. Wir erinnern uns. Da ist Friedrich N. – vom peniblen Philologen übern lästerlichen Pole­miker zum Irr­licht. Da ist Richard Wagner, vom Dresdner Barri­kaden­kämpfer zum Bayreuther Meister­sänger vor Königs­thronen. Karl May: Vom Mulden- und Pleißen-Strolch zum elbi­schen Welt­phan­tasten. Und allen hält der eherne Marx von Chemnitz aus die Laterne. Auf dass wir unsere tollen Brüder erkennen im festlichen Licht der Funzel, die dem Berg­mann vom Helm aus seinen Weg weist.

Nach 1957 durfte sich die DDR-Philo­sophie nur noch in Para­phrasen äußern. Wer mehr wollte, wurde gekon­tert. Das reichte von Havemann bis Bahro, bei denen es allerdings weniger um Philosophie als um Abwei­chungen von der Norm ging. Bei uns geht es heute im medialen Zeit­alter um die Unterhaltung des Hirns – Motto: von Kick zu Kick zum Kickdown.
  Sachsen war aber seit zweihundert Jahren ein grenz­festes Land mit Konti­nuität in Wirt­schaft, Kultur, Sprache. Die DDR als Versuch eines Groß-Sachsen ver­ging als ver­spätete Kriegs­folge und hinter­ließ ein syste­misches Erbe – einge­schwärzt zwar, doch reicher an Sensi­bi­lität, Seele und Gefahren, also Potentialen. Seit der neuen alten Einheit sehe ich mich als sächsischer Europäer, weil mir Deutsch­land schon wieder zu sehr über alles geht.
  Meine Vorfahren kamen aus Bayern und Böhmen, Ingrid kommt aus Schlesien, das die Länder schneller wechselt als die Schuhe, mit denen man davonzulaufen hat.
  Schlesien, Sachsen, Berlin waren Nachbarn und sind es. Thüringen ist so sächsisch wie Sachsen thüringisch. Sachsen-Anhalt bildet unseren Norden. Meck-Pom unsere nächste Meeres­land­schaft. Die Angel­sachsen sind unsere früh exilierten Stammes­genossen. Wie die Russen, die uns erst vor kurzem verließen (im Stich ließen …) Sachsen ist eine kleine heimlich-unheimliche Großmacht mit dem Stoff der Bombe im Erdreich und einem Dutzend Radiumbädern drumrumgruppiert.
  Soweit mein feines Heimat­märchen. Der wunde Punkt liegt woanders. Warum schickte Friedrich Ebert 1923 die Reichs­wehr, um die sächsi­sche Links­regierung zu verjagen? Warum wurde nichts aus der DDR, diesem Versuch Sachsens, im Bündnis mit Russland Welt­politik zu betrei­ben? Die DDR war als besseres Deutsch­land konzi­piert und erhielt 1956/57 neue Chancen. Die mögliche Reform des Ost-Marxis­mus blieb aus, was sich danach nicht mehr reparieren ließ. Was dann als friedliche Revo­lution firmierte, eska­lierte den kalten Krieg zu lauter heißen Kriegen.

Mein Sachsen-Porträt ist ein wenig er­in­nerungs­ver­goldet. Weil ich die DDR ab 1957 nur von außen be­trach­ten durfte, fehlen mir wohl einige Alltags­erfah­rungen. Statt­dessen gab es die im Westen. Wenn ich den Schaum erblicke, den der Nach­wuchs der Kom­munis­ten­hasser von Knabe bis Gauck heute absondert, frage ich etwas ver­wundert, ob das Ost-Unrecht wirklich so groß ist wie das des Westens klein. Heute, am 25.9.2010 jubelt sich die FAZ auf der ersten Feuil­leton­seite ein Halle­lujah, Pröstchen! von und auf Gottfried Benn ab, den Dichter, der einen auf „die aristo­kratische Form der Emigration“ hob, womit er die Wehrmacht meinte, in der er als Ober­stabs­arzt überlebte, nachdem er ab 1933 seine ehe­maligen Freunde, die weniger aristokratisch flüchten mussten, übern Reichs­rund­funk beschimpft hatte. Zum Dank erhielt er 1951 den Georg-Büchner-Preis der Darm­städter Akademie für Sprache und Dichtung. So läuft das in der westlichen Frei­heits­welt von Viertel-Halb-Voll-Faschis­ten samt deren panegy­rischen Post-Nazis. Hallelujah, Pröstchen, das gilt für Benn wie für Nietzsche, Heidegger, Carl Schmitt, Ernst Jünger, die Ehren­garde von Kriegs­helden, Offi­zieren, SA-Män­nern, die mit Kiesinger, Filbinger, Helmut Schmidt der Bonner Republik den Glanz ver­schafften, der unserer armen DDR weithin fehlte, weil diese dumpfen Kommunisten verbissen das Hitler-Reich bekämpften statt in ihm per Karriere aristo­krati­schen Widerstand zu leisten. Wie also steht's um die Ver­gangen­heit der Bonner Bundes­republik? Man wird ja noch fragen dürfen. Fortwährend lese ich Loblieder auf die Prä- und Post-Nazis. Von Sieburg bis Elisabeth Noelle-Neumann und ihrem braven ange­heirateten Anti­semiten, nachmals braver CDU-MdB – ein Feuilleton­pferch voller Aristo­kraten? Die Differenz zwischen der 1. und 2. Diktatur klafft in Ost und West aus­einander und weil sie immer heftiger dementiert wird, sei an den Tanz ums staat­liche Unrecht erinnert. Gegen den letzten DDR-Minister­präsi­denten Lothar de Maizière gewandt wurde die DDR von der Kanzlerin am 23.9.2010 erneut pauschal als Unrechts­staat definiert. Da Frau Merkels Doktor­titel demnach von einem Unrechtsstatt stammt, sollte sie anstandshalber den falschen Hut zurückgeben und noch mal ganz von vorn anfangen. Ganz und gar nicht von vorn fängt der Kriegs­artikler Lothar Rühl in der FAZ vom 24.9.2010 an: „Es gibt also auch keinen Rückzug auf kampflose Stabi­lisie­rungs­ein­sätze, weil Deutschland nicht in eine militä­rische Sonder­rolle gebracht werden darf.“ Über­schrift: Was die Bundeswehr braucht. Was braucht sie denn? Statt „kampfloser Stabi­lisierungs­ein­sätze“ z.B. „Dauer­einsätze mit mindestens 10.000 Soldaten …“ Auf in den Kampf, Kame­raden und heim mit PTBS. Hauptsache, sie vergessen das Trauma von 1945. Wie wir wissen, wurden danach lauter Unschul­dige vertrieben. Vielleicht sollte man in Zukunft die Schuldigen schon vorher ver­treiben. Jedenfalls von den Kommando­höhen samt Beistell­schreib­tischen. Wo bleiben nun die pazi­fistischen Ex-Bürger­rechtler der Ex-DDR? Gauck ist für den Krieg. Und die anderen christ­lichen Helden?

Jede Geschichte fußt auf Vorgeschichten. Wer, nur zum Exempel, den diversen Biographen und Interpreten Nietzsches folgt, stößt auf mehr als ein Dutzend Friedriche. Er selbst wird zum Produkt pluraler Optik, die lässt sich von links bis rechts fokussieren. Im Augenblick gefällt mir Walter Kauf­manns Nietzsche am besten. 1921 in Freiburg geboren, 1939 in die USA emigriert, immun gegenüber der Heidegger-Krankheit, versucht er kenntnisreich, fast liebevoll seinen Nietzsche gegen alle Unbill zu vertei­digen. Fassen wir den Fall kurz, kommen wir gleich auf den Nihilismus. Der Hammerphilosoph, ergrimmt weil Gott ihm den Papa wegnahm, der war doch ein Pastor, also auch ein Gott, rechnete mit dem obersten Vorge­setzten ab: Du bist gestorben! Das ist alles vergnüg­lich als sächsisches Pastorale nachvollziehbar. Bis zum Zara­thustra. Bloch: Nietzsche hat die richtigen Fragen gestellt, doch die falschen Antworten gegeben. Wir erinnern uns? Nietzsche alias Zarathustra.„Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr als den langen … So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am Lang-Leben! Welcher Krieger will geschont sein! Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Brüder im Kriege!“ Bemühte Umdeuter wollen uns einreden, das sei nur spiel­theoretisch gemeint oder bloße Rollen­prosa. Dafür wirkte es aber verdammt ernst. Bluternst. Ganze Generationen deutscher Offiziere beider Weltkriege verstanden es so. Der klare präzise Duktus Nietzsches zieht seine Blutspur über Ernst Jüngers Epik und Gottfried Benns Leichenfledder-Lyrik bis in den Volkslandserjargon und die Latrinen-Prosa deutscher Männerseelen.


 Thomas Müntzer
 Luther empfahl Müntzer
 nach Zwickau
Ernst Blochs Geist der Utopie, 1918 in Erst­fassung erschienen, stellte dem Krieg schon in der kontro­versen Sprache das ganz und gar Andere entgegen. Das Buch gilt heute als unlesbar? Bloch in den Nach­bemerkungen von 1963: „Wir leben und wissen nicht, wozu. Wir sterben und wissen nicht, wohin.“ Zuvor war ihm der „Sozialis­tische Gedanke“ gekom­men, auch „Karl Marx, der Tod und die Apo­kalypse“ genannt. Auf Geist der Utopie von 1918 folgt 1921 Thomas Müntzer, die pragmatische Feier des Menschen in der Revolte: „Müntzer brach am jähes­ten ab und hat doch das Weiteste gewollt … Um Neujahr 1519 war Müntzer in Leipzig, dort lernte er …Luther kennen … Luther empfahl Müntzer nach Zwickau …“
  Aus Zwickau (Nieder­planitz) kam 1952 jener Paul Fröhlich nach Leipzig, der Ernst Bloch verbot, die Karl-Marx-Univer­sität zu betreten, ganz wie Walter Ulbricht verlangte. 1970 erhielt Fröhlich den Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland. Tapfer kämpft die Junge Garde, sang die FDJ. Die Alte Garde kämpfte offenbar noch viel tapferer.

Die vormals so beliebte Aufforderung der Herren Wehrmacht­leutnante und Hauptleute von Dregger über Strauß zu Helmut Schmidt, endlich aus dem Schatten Hitlers heraus­zutreten, ließ mich naiv fragen, weshalb sie denn erst in Hitlers Schatten hineintraten, die kleinen Karriere­helden des Mittel­stands. Inzwischen ver­scheuchte die deutsche Einheit die Ängste vorm großen Adolf-Schatten. Nun geht's wieder munter von einem Krieg zum nächsten. Noch immer bin ich der nach­fragende Naivling. Als mir 1933 nach der Bücher­verbren­nung vom Großvater einge­schärft werden musste, über die Romane, die ich las, eisern zu schweigen, weil sie sich gegen Hitler und den Krieg richteten, las ich Remarque, Arnold Zweig, Barbusse, Feuchtwanger, Renn desto eifriger, und unsere ganz gefährlichen Bücher, die in der Nacht im Wald vergraben wurden, beflü­gelten meine trotzigen Träume bis zu rotz­frechen Rache­phantasien. Im Juni 1933 wurde ich acht Jahre alt. Am 27. 9. 2010 meldet die Bild-Zeitung:

Da sind wir also den 1. Weltkrieg endlich los. Für mich begann der 2. Welt­krieg aller­dings schon 1933 ganz konkret mit einem Schweige­gebot. So las ich Karl May und redete darüber, um nichts über die ver­botenen und verfolgten Bücher zu verraten, die mich bewegten. Mit acht Jahren lernte ich, es gibt gefähr­liche Lesefrüchte. Die Frage ist, lässt sich einer davon ein­schüchtern – muss ein Volk sich kollek­tives Ver­ges­sen befehlen lassen? Schweigen kann Taktik sein, wenn Reden Strategie wird, damit das Schwei­gen nicht zum Vergessen verführt.

Am 27.9.2010 wird Andrea Ypsilanti in der FAZ „Die Sarah Palin der Linken“ genannt. Grund ist ein Treffen des Instituts Solidarische Moderne in Frankfurt/Main, wo Ypsilanti von der SPD, der Grüne Wolfgang Strengmann-Kuhn und Katja Kipping von der Linken als leitendes Trio des neuen linken Denkerclubs eine Art „Gegen­hege­monie“ zur Regierung bilden wollen. Die wohlfeile Ironie der Bericht­erstatter ist dem Unter­nehmen sicher. Vielleicht sollten die neuen Denker mal ein wenig zurück­blicken, denn dieses Hessen war nicht immer von allen guten Geistern verlassen so deprimierend. Als es noch plurale Linke gab, bis 1989/90 immerhin, war Hessen das mit einem agilen Rot- statt Schwarz­funk gesegnete Abenteuerland. Den guten Erin­nerungen ans damalige Radio und Fernsehen füge ich einen weiteren Beleg hinzu: Wir wussten immer: Politik ja, aber mit Liebe zu Wort und Musik:



Zum Ostermarschplakat von 1966 passt der Verweis auf die Ernst-Jünger-Ausgabe der Streit-Zeit-Schrift von 1968 im Nachwort 41 recht gut. Um an den weithin vergessenen Herausgeber Horst Bingel zu erinnern, wurde das Cover von Literatur und Klatsch aus dem Jahr 1967 abgedruckt. Wie der Zufall so spielt, kommt per Post gerade vom VS Hessen die Info3/2010 ins Haus und darin lesen wir:

Die Horst Bingel-Stiftung für Literatur e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main engagiert sich seit 2009 im Umfeld der Literatur. Sie tut das im Sinne ihres Namens­gebers, des 2008 verstor­benen Schrift­stellers Horst Bingel, der von 1971 bis 1975 und 1977 bis 1978 Vorsitzender des VS Hessen sowie von 1974 bis 1976 Bundes­vorsitzender des VS war. Horst Bingel hatte in den 60er und 70er Jahren mit dem „Frankfurter Forum für Lite­ratur“ Lesungen auf U-Bahn-Bau­stellen und in Straßen­bahnen ver­anstaltet, Gedichte an Litfass­säulen ange­schlagen, erstmals Auto­ren­treffen zwischen Schriftstellern aus Ost- und Süd­osteuropa orga­nisiert und 1968 die internationale „Literarische Messe“ der Avantgarde im Frankfurter Römer gestaltet.

Von Bingels phänomenaler Streit-Zeit-Schrift weiß der VS Hessen offenbar nichts. Ist ja auch arg lang her.
  Da nun also Frau Ypsilanti, Herr Stegmann-Kuhn und Genossin Kipping in Frankfurt einen neuen linken Denkerclub vorstellten und hier mit Horst Bingel an unseren kleinen Literatenclub vor einem knappen halben Jahrhundert erinnert wird und weil ja in Hessen niemand von unserer seit drei Jahren im Leipziger www.poetenladen.de pu­bli­zierten Sachsen-Serie wissen kann, sei hier der Schluss von Folge 40 zitiert:

Als Horst Bingel kürzlich starb, gab es ein paar spärliche Nachrufe. Dabei verdanken die Stadt, die Autoren und der Schrift­steller­verband, dessen nicht unumstrit­tener Vor­sitzender er einige Zeitlang gewesen ist, wie später Erich Loest, diesem Bingel sehr viel. Der Spiegel nannte ihn spöt­tisch und mit einem leicht neidischen Unterton „Literaturquirl“. Er hatte jedoch die erlahmte Verleger- und Autoren-Szene vitalisiert, als die alten Konser­vativen pausierten, ihre Nachwüchse in kurzen Hosen steckten und die 68er noch nicht wussten, ob sie Pro­fessor, Minister oder Häftling werden wollten. Über der Todesanzeige für Horst Bingel, der am 14. April 2008. starb, steht das rätselhafte Motto:
„Merke dir seinen Namen gut,
du triffts ihn wieder:
es war Kain.“
Wer ist das „es“? Wer ist da Kain?

 
Fritz Bauer

Oppositioneller General­staats­anwalt – siehe Nachwort 15: Fritz Bauers unerwartete Rückkehr.

Hinweis auf den Film von Ilona Ziok Tod auf Raten – ab November 2010 im Kino

In Bingels Frankfurter Wohnung, Wiesenau 10, fand sich ab 1961 eine kleine Gesprächsgruppe ein. Der „Literaturquirl“ knüpfte Kontakte, die ihn bald zum kulturellen Organi­sator weit über Stadt- und Landesgrenzen hinaus werden ließen. Von den Teilnehmern nenne ich hier Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und den Kriminologen Prof. Armand Mergen. In etwas erweiterter Besetzung traf man sich auch in Conni Reinholds Kabarett Die Maininger nach der Vorstellung, wo oft Karl-Hermann Flach hinzukam, FDP-Generalsekretär, der von der Frankfurter Rundschau, in der er arbeitete, herübereilte. An andere erinnere ich mich nicht oder mag mich nicht erinnern. Es gab Infiltrationen. Ich nahm an, Fritz Bauer werde wegen seiner aktiven antifaschistischen Rolle in Vergangenheit und Gegenwart beschützt, der Frankfurter Auschwitz-Prozess ist ohne ihn nicht denkbar, Eichmanns Festnahme war mit seinem Spürsinn verbunden. Bauer jedoch wurde weniger beschützt als beschnüffelt, von wem auch immer. Ich bat Bingel, zwei Herren nicht mehr einzuladen. Im Keller der Maininger erschienen sie weiterhin. Die Mainmetropole war ein Agentenstadl, kein Wunder, dass Guillaume hier seine Bonner Laufbahn perfekt vorbereiten konnte. Wer aber ist Kain? Die damalige diffuse Konstellation wurde mir erst später bewusst, anfangs glaubte ich mich in einer Freundesrunde, in der ungescheut diskutiert wurde und in der ich gelegentlich aus meinen Büchern vorlas, bevor sie im Druck erschienen. Jedenfalls versuchte ich, weder Kain noch Abel zu sein. Meines Freundes Horst Bingel gedenke ich nicht ohne Wehmut. Mit guten Gründen ernannte ich diesen urtümlichen Hessen zum Ehren-Sachsen. Überhaupt fühlte ich mich von allerhand Ehren- oder Unehren-Leuten umgeben. Manche gingen wie Genosse Guillaume ihrer vom Osten gesteuerten oder wie Günther Nollau vom Westen gesteuerten Geheimdienstlichkeit nach. Lustig ist das Agentenleben? Ich hielt die Kerle für dressierte Hampelmänner und feierte stattdessen meine muntere literarische Umgebung zwischen Kassel und Darmstadt.

Kollegen, Kollegen (1982)

Der Herhaus säuft, oder er säuft nicht/ Es wird immer ein schöner Roman draus.

Der Hans Frick schwang sich auf seine/ Stewardess und entflog nach Portugal.

Der Horst Bingel produzierte schweigend/ ein zehn Jahre langes Gedicht.

Der Peter Härtling reitet auf seinen/ Bestsellern über die Startbahn West.

Die Gabriele Wohmann wird zur kurhessischen/ Großfürstin von Darmstadt gewählt.

Der Herbert Heckmann präsidiert/ leitet, sitzt vor oder nach.

Der Karl Krolow, seit Jahrtausenden ein/ Klassiker, lächelt dezent dazu.

Der Horst Krüger leitet das Amt für Werbung/ und Fremdenverkehr von Bad Frankfurt.

Na und diese Ingrid Zwerenz dichtet indessen/ alle meine vielen Bücher.

Während die Kollegen vom Schriftstellerverband/
sich einen Ring durch die Nase ziehen lassen.


Dieses Nachwort 42 begann mit Leipzig an der Pleiße und endet mit Frankfurt am Main. Bei den einen wurde der Revolutionär Bloch ausgetrieben, bei den anderen der Reformator Adorno abge­trieben. Es bleiben Geister­städte. Auf Bingels Projekte folgten übrigens bald Jörg Schröders März-Verlag und Olympia Press. Lauter vergeb­liche Versuche, in Geister­städten per Kopf­sprung Geist zu etablieren.

Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 11.10.2010, geplant.

Fotos zur Lesung mit Gerhard Zwerenz aus der Sächsischen Autobiographie am 19.11.2009 im Haus des Buches, Leipzig   externer Link

Lesungs-Bericht bei Schattenblick  externer Link

Interview mit Ingrid und Gerhard Zwerenz bei Schattenblick  externer Link

Gerhard Zwerenz    04.10.2010   
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz