Die Sächsischen Freiheiten
Mein Freund Ludwig Baumann, Gründer der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, saß als verurteilter Deserteur monatelang in der Torgauer Todeszelle und berichtet seit Jahren von skandalösen Konflikten in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, deren Sitzungen er wie auch der Zentralrat der Juden in Deutschland aus Protest fernbleibt, weil er Nazi-Opfer und Nazi-Täter in diesen Erinnerungsorten bis zur Ununterscheidbarkeit vereinnahmt sieht.
Machen wir uns nichts vor, in diesem Nolte-Satz über Heidegger artikuliert sich die wahre Meinung der nationalen Deutschen. Dagegen votiere ich, indem ich die Pleiße, Sachsen, Ostdeutschland, also die DDR verteidige, wo sie verteidigenswert bleibt, ausgenommen die Verhältnisse, gegen die wir 1956 protestierten, jedoch abgeschlagen worden sind.
An linken Neandertalern ist kein Mangel, hoch lebe der Homo sapiens, und dass uns dabei die rechten Neandertaler in die Quere kommen, darf nicht abschrecken.
Der nicht erst von Sebastian Haffner konstatierte Selbstverrat der deutschen Sozialdemokratie begann 1914 mit dem Übergang zur Kriegspartei. 1918 paktierte sie mit der Konterrevolution, statt einen sozialrevolutionären Anfang zu wagen. Als in Sachsen und Thüringen 1923 sozialrevolutiionäre Volksfrontregierungen entstanden, schickte der sozialdemokratische Reichspräsident Ebert die Reichswehr hin. Thüringen tendierte danach zur Rechten, Sachsen blieb, seine eigene Modernität bewahrend, links aufmüpfig. Stephan Heyms Schwarzenberg-Roman über die Stadt, die 1945 eine Zeitlang unbesetzt war, illustriert exemplarisch einen Freiraum, der von östlichen wie westlichen Besetzern gewährt, sehr schnell abgeschafft worden ist. In der Folge 30 dieser Serie fasste ich die Sächsische Freiheit in ihrer deftigen Pluralität zusammen.
Die Vorgeschichte beginnt bekanntlich mit der Entstehung des Erzgebirges, dem eine marxistische Gottheit Uran beimischte, damit die Bolschewiki später mit der amerikanischen Atombombe gleichziehen konnten. Nicht Adenauer, erst Helmut Kohl durfte mit Gorbatschows Hilfe den Kalten Krieg gewinnen und die Sowjets hintern Ural jagen, wo sie seitdem Jakuten heißen und von Schamanen regiert werden, während die Russen als orthodoxe Christen wieder wie zu des Zaren Zeiten den Feind spielen müssen, dem Europa bis kurz vor Moskau Paroli bietet, damit die Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches ihre ab 1941 zwischen Leningrad (Petersburg) und Stalingrad (Wolgograd) verloren gegangenen Ostkrieger endlich ehrenvoll gedenkend einsammeln und würdevoll bestatten können. Die Massengräber der ca. 25 Millionen vernichteten Feinde lassen sich dann verlandwirtschaften, wie es schon ursprünglich vor 1945 geplant war.
Hart aber fair oder unfair? Am 4.2.09 Auftritt Gesine Schwan, sozirötliche Sympathie-Werbetour als versuchte Köhlerverdrängung. Ex-stern-Chef-
Talk ach Talk – kurz zuvor, am 29.1.09 die Maybritt Illneriade mit einem fast liberalisierten CDU-Jungchen Missfelder, Grünspechtklassiker Ströbele, der im Unterschied zum Mitdiskutanten ZDF-Historikermajestät Guido Knopp nie ne schwarzrotgoldene Fahne in seinem Vorgarten hissen würde, abgesehen davon, dass er keinen Vorgarten hat. Dazu eine wohlgestaltete und recht munter argumentierende Dresdner Linke – Julia Bonk, nicht etwa Bond. Zum Ende hin beklagte die Runde das Los der Wehrmachtsdeserteure, die nicht rehabilitiert seien. Dass die Nazi-Fahnenflüchtigen gegen zähen Widerstand von CDU und SPD doch rehabilitiert worden sind, ging im Talk unter. Nicht rehabilitiert blieb die Gruppe der sogenannten Kriegsverräter, um sie wird jetzt gestritten. Darüber sprach ich bereits am 28.5.1998 im damals noch Bonner Bundestag und schrieb dazu am 2.6.2007 in Ossietzky. Der Spiegel spendete am 26.1.09 der bevorstehenden Berlin-Debatte im Bundestag zwei ganze Seiten. Inzwischen wurde die Debatte zum 13. Mal vertagt. Kriegsverrat soll strafbar bleiben. Helmut Schmidt blieb auch acht Jahre lang wehrmachtstreu. Als Widerstand genügt Stauffenberg. Der kleine Soldat hat wie sein Leutnant zu gehorchen. „Wer desertiert … hat sich nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt verwerflich verhalten …“ (Norbert Geis, CSU, im Bundestag)
Um thematisch nicht einseitig zu werden, grabe ich im Hausarchiv und ziehe aufs Geratewohl diese Spiegel-Meldung vom 29.9.1975 heraus:
„Autoren: Zwerenz lässt Büchner schimpfen
Die tückische Ermordung unseres Mitbürgers Sokrates in der Ecke hinter der Paulskirche –- so hieß ein lokalkulturkritischer Monolog, den der Schauspieler Volker Spengler mit Beihilfe des Schriftstellers Gerhard Zwerenz und dessen Ehefrau Ingrid verfasst und kürzlich in Frankfurt auf die Bühne gebracht hatte. Die Aufführung machte den Produzenten Mut – sie haben sich nun zu einer Text-und-Theater-
Von Frankfurt/Main zurück nach Leipzig/Pleiße, wo Walter Ulbricht Bloch einst als Konterrevolutionär aussperren ließ. Dann belehrte er sich an dessen Gedanken, bis ihn Breschnew und Stoph-Honecker absägten, weil er Bloch nachfolgend „bisher Nichtgedachtes“ beachten wollte.
Das bringt uns zum Papst Benedikt, vormals Ratzinger, der als Professor einst aus Tübingen floh, denn „Ernst Bloch lehrte nun in Tübingen und machte Heidegger als kleinen Bourgeois verächtlich.“ So ein entnervter Ratzinger, der in Bloch die „marxistische Versuchung“ der „Theologischen Fakultäten“ nahen sah, weshalb der Kampf für das von „existentialistischer Reduktion“ bedrohte Christentum aufgenommen werden musste.
Ratzinger also verschwand aus Tübingen und Helmut Schmidt wollte immer nach dort, um mit Bloch über die Utopie zu reden. Da er aber die Vision der Reise zum Propheten nicht zu realisieren wagte, ging er lieber zum Arzt und ließ sich einen Herzschrittmacher installieren.
In Berlin soll wegen 1989 ein Freiheitsdenkmal errichtet werden. Dazu ziehen sie, Kaiser Wilhelm sei gelobt, das kostbare Hohenzollernschloss wieder hoch. Nun will Leipzig auch ein Freiheitsdenkmal und hat doch schon den Völkerschlachtkloben. Vielleicht sollten sie Nietzsche darin endbestatten, bevor sie ihn aus seinem Dorfkirchengrab ausbuddeln und in Braunkohle umwandeln.
Chemnitz ist gut dran mit seinem Marx-Nischel. Dresden sollte Karl May, Herbert Wehner, Wladimir Putin und seinen starken August auf die Dimitroffbrücke stellen, doch dort wurde der Name ja ebenso liquidiert wie beim ehemaligen Leipziger Dimitroffplatz.
Wir hingegen und unser Halbdutzend Pseudonyme versuchen uns seit einem Halbjahrhundert ganz und gar ernsthaft in einem Projekt schwarzen Humors.
Der Begriff Bloch-Kreis wurde zur Verteidigung gewählt, weil die Bezeichnung Bloch-Gruppe unter ein Fraktions-Verbot fiel, das Partei und Staat streng eingehalten sehen wollten. Bleiben wir also beim Kreis. Der aber wurde im Osten verfolgt und zerschlagen und im Westen verhindert. So bilden wir einen virtuellen Bloch-Kreis nach dem Motto: Was wäre, wenn die Blochianer so kontinuierlich hätten sich entwickeln und agieren können wie die Schüler und Anhänger Adornos? Wir sammeln stellvertretend Fakten, was das Wirken einer möglichen Gruppe oder Fraktion ahnen lässt, auch wenn es sie nicht geben durfte. Hier aufgeführte Dokumente und Fragmente belegen praktische Versuche der 56er, die zwar besiegt wurden, sich aber nicht geschlagen geben. Eine plurale Revolte ist zu verifizieren, die dem Vergessen überlassen werden soll von denen, die sich jeweils als Sieger der Geschichte wähnen. William S. Burroughs, Idol der amerikanischen Beatniks und Hippies, erfand mit den Cut-Ups eine besondere Collage-Technik, indem er die Erzählzeit durch Schocks der Anarchie ersetzte. Wie moderne Hirnforscher verraten, stellt erst unser Gehirn die Zeitfolge her, also vermag unser Wille sie auch produktiv zu zerstören, was den Zufall zum Regisseur unseres Er-Lebens werden lässt. Die vorliegenden Dokumente wurden im Cut-Ups-Verfahren geheftet, denn der Wahn ist die Kontinuität, die in den Rachefeldzügen herrscht. Man hüte sich, einzelne Details für bare Münze zu nehmen. Das Ganze aber installiert im Reich der Lügen eine Dimension, die sich zwischen Swift, Grimmelshausen, Kafka und Orwell erstreckt. Ein veritabler Roman? Und alles nur, weil Bloch die Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs zum Anlass seines Nachdenkens nahm und der christlichen Völkerschlachtseele den Teufel auszutreiben suchte. So reicht die Wirkung Blochs und der Blochianer durch das 20. Jahrhundert und über die Grenze ins 21. hinein als ein roter Faden, der sich noch dort findet, wo ihn keiner vermuten will - bei den Geheimen Diensten samt ihren publizistischen Wirkungsfeldern und Heimatgemeinden. Unsere Auswahl von Fragmenten belegt die weitverzweigten Folgen des Bloch-Kreises und der 56er Bewegung in Ost und West. Sie erweist, es gibt Links- und Rechts-Blochianer sowie einige wenige Lumpen-Blochianer. Wir können nur Spuren legen. Stellen uns aber unverdrossen vor, so wie unsere subversive Zweiergruppe sich einmischte, könnten ein paar hundert Subversanten das Blochianertum in die Welt tragen als eine erneuerte Freimaurerei mit frischen Ideen und Praktiken. Wir fordern andere auf, unsere Belege und Erfahrungen durch eigene Materialien und Stories zu vervollständigen. Wir wissen, auf dem schmalen Pfad zum „aufrechten Gang“ sind manche Verleugnungen und Verbeugungen nötig, was akzeptabel ist, wird der Umweg nicht zum Endziel entwürdigt.
Ende unserer heiteren Programmerklärung. Viele Wege führen nach Rom. Unser Dritter Weg zwang uns zur Flucht aus Sachsen in die angrenzenden Deutschlande. Insgesamt haben wir Schwein gehabt. Es hätte alles noch viel verrückter kommen können.
Dem Internet ist zu entnehmen: Altkanzler Helmut Schmidt hat Lafontaine mit Hitler verglichen, zuletzt aktualisiert: 14.09.2008 um 22:42
Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hat Oskar Lafontaine ungewöhnlich scharf angegriffen. Er verglich das Charisma des Vorsitzenden der Linkspartei mit dem von Adolf Hitler. Die Sprüche von „Schmidt-Schnauze“: Man dürfe nicht vergessen, „dass Charisma für sich genommen noch keinen guten Politiker ausmacht“, sagte Schmidt der Zeitung Bild am Sonntag. Auch „Adolf Nazi“ sei ein charismatischer Redner gewesen. „Oskar Lafontaine ist es auch“, sagte der Alt-Kanzler. Zudem verglich er Lafontaine mit dem französischen Rechtspopulisten Le Pen. „Der eine ist links, der andere ist rechts. Aber vergleichbare Populisten sind Lafontaine und Le Pen schon“, sagte Schmidt dem Blatt.
Zugleich lese ich, die Bundeswehrhochschule Hamburg wurde nach Helmut Schmidt benannt. Und hätte Stalin nicht, wie Ernst Thälmann voraussagte, Hitler das Genick gebrochen, wäre Schmidts Wehrmachts-Karriere weiter erfolgreich verlaufen, an Führertreue fehlte es ihm nicht.
Bild.de meldet sehr früh Tatbestand: „Nach Kundgebung in Dresden Neonazis treten Gewerkschafter den Schädel ein – Brutaler Neonazi-Überfall nach der Friedenskundgebung in Dresden – Neonazis attackieren auf einem Rastplatz in Thüringen Mitglieder des DGB und der Linkspartei …“
Tatbestand Dresden: Vergangenes Wochende zog ein schwarzer Block von 6000 Nazis durch die Stadt. Fast doppelt so viele Menschen protestieren dagegen, zweigeteilt in Bürgerliche und Linke. Das Trauerspiel dreigeteilten Gedenkens gilt den Bombenterrortoten vom Februar 1945.
Tatbestand Wunsiedel Rudolf-Hess-Grab: Die exemplarische Nazipilgerstätte verschob sich wegen Widerstand in Bayern nach Sachsen. In Dresden sorgt die Polizei für Ruhe und Ordnung beim Marsch der braunen Sechstausend. In Thüringen bleibt die Polizei abwesend, wenn sie dringend gebraucht würde.
Tatbestand Akademiker: Dresdner Professor verurteilt Georg-Elser-Attentat auf Hitler. Chemnitzer Professor sieht rechte Gefahr nur von links hochgespielt: „Die Erosion der Abgrenzung zwischen demokratisch und extremistisch geschieht am linken, nicht am rechten Rand.“
Erst marschierten an der Elbe 600 Nazis. Man ignorierte die Bagatelle. Dann marschierten 6000. Es gab geteilte Proteste. Wenn 60.000 marschieren, werden sich gewiss abwiegelnde Professoren finden. Küsst die Faschos, die Tradition ist heilig.
Schöne Soldaten
Über tausend tote Leiber schreitend, unsre Wehrmacht in den Sieg begleitend badeten wir in fernen Flüssen. Schön ist es, wenn Fische küssen. Durch die Wasser fremder Erdenteile schwamm ich U-boothaft mit Dieselwelle. Sandte Grüße mit Torpedobahnen aus:Vom Meeresgrunde kehrt keiner mehr nach Haus. So reihten Sieg an Sieg wir, und Untergang an Untergang. Bis dass wir selber jubelnd untertauchten.Die schönsten Soldaten sind immer die verbrauchten. (Die Venusharfe, München 1985) Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 2. März 2009.
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Gerhard Zwerenz
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