|
|
Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 48. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
48. Nachwort |
|
Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
|
|
Gerhard Zwerenz
Vergiss die Träume Deiner Jugend nicht
Rasch und Röhrung 1989
|
Demnächst soll ein Buch mit Briefen deutscher Autoren an das Schlachtross Ernst Jünger erscheinen. Die alerte FAZ erfreute ihre Leser am 4.11.2010 mit dem Abdruck dreier Bitt-Schreiben. Als erster ist Wolfdietrich Schnurre dran, das „Gründungsmitglied der Gruppe 47“, wofür die Gruppe nicht kann, obwohl ihr der Hohn sicher ist. Schnurres ranschmeißerische Epistel an den Blutverspritzer stammt vom 20.12.1945 und hätte auch an den Weihnachtsmann gerichtet sein können. Der zweite Brief, verfasst von Heiner Müller am 16.7.1987, ist fünfzehn Zeilen kurz und voller Kunsthonig sowie Weihrauch. Resultat: Der geheiligte Krieger Jünger empfing den unheiligen DDR-Müller und beide schimpften kameradschaftlich auf den Genossen Wolfgang Harich. Das dritte Schreiben verfasste der pubertäre, also unschuldige Hubert Fichte am 20.2.1960 in der französischen Provinz, von wo er vom Pour-le-meritter Lektorat und Protektion für eigene Dichtung erbittet. Leider wurde bisher nicht verraten, ob und wie der Angeschmachtete, Angebetete auf die Post reagierte. Soviel von der Poetenfront.
Nun zur politischen Elite samt ihren publizistischen Kannegießern und Kammerdienern. Außenminister Joschka lief im Außenministerium mal schnell ne Hintertreppe runter und stieß dabei auf unpassende Vorgänger. Sie hingen als Bilder an der Wand statt am Nürnberger Strick, doch Fischer erschrak vor den Gespenstern und so schufen vier tüchtige Historiker ein Buch von fast 1000 Seiten und nannten es Das Amt. Bald sprach sich herum, den Titel hatte anno 1978 schon Günther Nollau besetzt – Unterzeile: 50 Jahre Zeuge der Geschichte. Genauer gesagt hätte es heißen müssen: Vom Kommunisten verfolgenden Dresdner SA- Mann zum Kommunisten verfolgenden Bonner Präsidenten des Verfassungsschutzamtes, was er lieber ungesagt ließ. Die Historikerkommission von 2010 aber sah sich veranlasst, den Titel lustig-luftig zu erweitern. Das liest sich nun so: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Alles klar? Aber klar doch. Unverzüglich liefen alle Politiker und Publizisten die vordem unentdeckte AA-Hintertreppe runter, sahen die Menetekel an der Wand und entsetzten sich im ehrlichen Kollektiv vor den bösen Geistern, die einst allerlei erklärte und unerklärte Kriege geführt hatten. Ein FAZ-Herr fiel gar aus allen Wolken und dichtete am 24.10.2010 in seinem Sonntagsblatt:
Wir sollten großmütig sein und der Gruppe Schirrmacher die späte Einsicht nicht verübeln. Blind geboren und nichts dazugelernt hat schon manche Karriere gefördert. In großen Zeiten ist das die einzige Voraussetzung.
Hans-Jürgen Döscher
Seilschaften
Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amts
Der Bericht der Historikerkommission über Das Amt … hatte Vorläufer. Von 1987-1995 erschien eine Trilogie von Hans-Jürgen Döscher. Der dritte Band heißt Seilschaften – Die verdrängte Vergangenheit des Auswärtigen Amtes (Propyläen Verlag 2005) Der resolute Historiker, geboren 1943 in Eberswalde bei Berlin, wurde in der FAZ im Brustton empörter Überzeugung der „Pflege von Ressentiments“ beschuldigt. Frühe Aufklärungen in der Frankfurter Rundschau und von Robert Kempner, dem amerikanischen Ankläger im Nürnberger Wilhelmstraßenprozess 1951, bekamen gleich mit die Rote Karte gezeigt. Die FAZ-Macher benötigten eben volle 60 Jahre bis zur Erkenntnis, dass das Auswärtige Amt „systematisch an der Judenvernichtung beteiligt“ war.
Nun erschien am 5.11.2010 schon wieder ein erschrockener Aufklärungsartikel im weltläufigen Finanzblatt an den Ufern des Main. Das Amt und der Friedhof lautet die Überschrift. Noch ein Amt? frage ich mich. Offen und neidlos eingestanden – dieser FAZ-Text über das Amt kommt nicht 60 Jahre zu spät, sondern um 6 Jahre:
Das Amt und der Friedhof
Ein deutscher General-
konsul schied im
Dissens aus dem
Auswärtigen Amt. Er
hatte sich geweigert, auf
dem Soldatenfriedhof
Costermano auch
NS-Verbrecher zu
ehren. Nach der
Veröffentlichungen von
„Das Amt“ erzählt
er uns seine Geschichte.
Soviel zum Vortext. Den Artikel sparen wir ein und drucken stattdessen diesen Offenen Brief ab:
„Gegen Verdrängung und Ehrenrhetorik auf dem
Soldatenfriedhof Costermano in Italien! Für eine neue Gedenktafel
An Herrn Reinhard Führer Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge Zur Kenntnis
An Herrn Bundespräsident Johannes Rau, Schirmherr des VDK
An Herrn Joschka Fischer Bundesminister des Auswärtigen, aus dessen Haushalt der VDK mitfinanziert wird
25. April 2004
Sehr geehrter Herr Führer,
die Arbeit des Volksbundes steht unter dem Motto „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden“. Wir, deutsche wie italienische Unterzeichner dieses offenen Briefes, teilen mit Ihnen dieses Ziel. Es setzt aber Wahrhaftigkeit vor der Geschichte und den Verzicht auf militaristische „Ehrenbezeugung“ voraus. Im Fall der deutschen Soldatenfriedhöfe in Italien fehlt es an beidem. Man verdrängt die Tatsache, dass unter den uniformierten „Kriegsopfern“, die dort begraben wurden, auch Täter sind.
Als negatives Beispiel möchten wir Costermano in der Provinz Verona ansprechen. In einer „Ehrenhalle“ befinden sich dort „Ehrenbücher“ aus Metall mit den eingravierten Namen der Toten – wenn auch nicht aller: Anfang der 90er Jahre entschloss sich der Volks&bund, drei Namen schleifen zu lassen: Die von Christian Wirth, Franz Reichleitner und Gottfried Schwarz, dreier SS-Führer, die das Morden während des „Euthanasieprogramms“ lernten und später KZ-Leiter in Belzec, Sobibor, Treblinka, San Sabba waren.
Diese Tilgung löst aber nicht das Problem. In den Ehrenbüchern bleiben zu viele Namen von Angehörigen der SS und der Wehrmachtsverbände, die Krieg „auch gegen Frauen und Kinder“ führten (so lautete der Befehl, der die Massaker an der Zivilbevölkerung zur Folge hatte, wie in Marzabotto oder Sant' Anna di Stazzema). Ihre Namen stehen zudem neben denen von Soldaten, die den Tod nicht „auf dem Feld der Ehre“ fanden, sondern durch deutsche Erschießungskommandos, weil sie mit den Partisanen zusammen gearbeitet hatten. Oder weil sie sich weigerten, weiter unter dem Hakenkreuz zu dienen. Einige ihrer Verwandten erleben die späte Erwähnung in den „Ehrenbüchern“ als Hohn.
Angesichts der widersprüchlichen Schicksale und der unterschiedlichen individuellen Verantwortung und Schuld scheint jede Form einer pauschalen „Ehrung“ verlogen. Deswegen bitten wir Sie, solche „Ehrenbücher“ zu entfernen.
Man könnte auch auf die martialische Sprache in den Publikationen des Volksbundes verzichten und auf die inflationären Hinweise auf „Ehrenhallen“ und „Ehrenmale“. „Gedenkhalle“ oder „Mahnmal“ würden reichen. So wie es besser wäre, wenn der Volksbund am „Volkstrauertag“, in Costermano und anderswo, nicht mehr zu „Totenehrungen“ einladen würde. Es schlichtes, mahnendes Gedenken scheint uns angemessener.
Bei Kritik an Costermano pflegt der Volksbund auf eine Gedenktafel hinzuweisen, die dort 1992 angebracht wurde und mit der „der Opfer des Krieges, des Unrechts und der Verfolgung“ gedacht wird. Dieser scheinbar gutgemeinte Text ist aber missverständlich und ungenügend, weil er die Art des „Unrechts“ nicht benennt. Im Sprachgebrauch des Volksbundes sind alle gefallenen Uniformierten „Kriegsopfer“, also auch SS-Führer wie Wirth, Reichleitner und Schwarz. Auf der Tafel werden sie stillschweigend mitbedacht. Sie sollte durch eine neue Inschrift ersetzt werden, die das erlittene Unrecht benennt. Wir schlagen folgenden Text vor:
NIE WIEDER KRIEG
„Auf diesem Friedhof sind einige Verantwortliche der Judenvernichtung in Europa und der Tötung von Schwachen und Kranken beerdigt. Wir gedenken ihrer Opfer. Wir gedenken auch der Männer, Frauen und Kinder, die in Italien von den deutschen Besatzern ermordet wurden, und der hunderttausende italienischer Zivilisten und Soldaten, die unter unmenschlichen Bedingungen in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten oder in den Konzentrationslagern starben.
Auf diesem Friedhof liegen auch deutsche Soldaten, die den nationalsozialistischen Krieg ablehnten. Sie wurden als Verräter oder Deserteure von der Wehrmacht erschossen. Einige hatten mit den italienischen Partisanen weitergekämpft. Sie alle werden wir dankbar in Erinnerung behalten.“
Falls der Volksbund eine solche Tafel auf dem Friedhof von Costermano nicht anbringen möchte, haben wir als deutsch-italienische Bürgerinitiative vor, sie in beiden Sprachen vor dem Friedhof aufzustellen.“
Die Liste der Erstunterzeichner des deutsch-italienischen Offenen Briefes von 2004 reicht von „Raul Adami, Vorsitzender des Nationalverbandes der italienischen Partisanen (Anpi) in der Provinz Verona“ über den Maler Willi Sitte bis zu „Gerhard Zwerenz, Schriftsteller (Schmitten)“ Unterschrieben haben u.a. auch Erich Kuby und „Manfred Steinkühler, früherer Generalkonsul in Mailand“, eben jener tapfre Mann, der sich weigerte, auf dem Soldatenfriedhof Costermano NS-Verbrecher zu ehren. Wie schön, wenn so etwas 6 Jahre nach unserem Offenen Brief von der FAZ zur Kenntnis genommen werden darf.
16 Tote auf einen Schlag
(Soldatenfriedhof Cairo bei Cassimo)
|
Inzwischen erschien in der FAZ am Sonnabend, dem 6.11. ihr Grabenkämpfer Jünger gleich auf Seite 1 als heldenhafte Comic-Figur: „Vom Jahrhundert gezeichnet … Der Ästhet des Schreckens …“ Auf Seite 33 (1933) gibt's noch mal Jünger mit Motiven und Heiligenbildchen dazu. Mag ja sein, im 2. Weltkrieg leisteten wir uns Kriegsverbrechen, wie man verspätet einzugestehen gezwungen ist, im sauberen 1. Weltkrieg aber galt: Jeder Stoß ein Franzos – Jeder Schuss ein Russ. Man wird doch noch seine Heroen feiern dürfen. Im Nachwort 47 verwiesen wir bereits auf die Ernst-Jünger-Ausstellung im Deutschen Literaturarchiv Marbach. Wie wär's zur Abwechslung mit einer Deserteurs-Präsentation an eben diesem Ort? Für so eine Unhelden-Ausstellung im berühmten Literatur-Archiv oder sonstwo auf dem Mond hätte ich manches kleine Abenteuer anzubieten: „Ich schaute zurück zu den Kameraden mit dem Maschinengewehr. Da gab es eine Bewegung, und als ich wieder zu Eberhard hinsah, stand er da, hatte seine Knarre weggeworfen, hielt die Hände hoch, und vor ihm stand ein riesenhafter Kerl. Er meinte es also doch ehrlich, dachte ich verwundert. Er hatte sich vorgenommen, sich zu ergeben, jetzt ergab er sich tatsächlich. Das ist eine gute Gelegenheit, dachte ich und wollte meine Knarre auch wegwerfen. Da erhob der riesenhafte Kerl dort vor Eberhard seine Waffe, stieß sie vor und rammte Eberhard das Bajonett in den Hals. Ich hörte einen krächzenden Laut, etwas Rosarotes sprang aus Eberhards Hals. Fast hätte man denken können, es sei Leuchtspurmunition. Aber das war es nicht. Es war Eberhards helles Blut. Und Eberhard fiel nicht zu Boden, aus irgendwelchen Gründen blieb er stehen, während der Amerikaner sich bemühte, sein Bajonett wieder aus Eberhards Hals herauszuziehen, wobei er Eberhard nun mit Tritten traktierte. Ja, dachte ich, man rennt eben seinem Feind das Bajonett in den Bauch oder zwischen die Rippen, aber nicht in den Hals. Und für diesen sträflichen Leichtsinn wirst du nun zahlen. Der Amerikaner versuchte noch immer, sein Bajonett herauszubringen; es knarrte und krächzte. Vielleicht hatte sich das Bajonett in der Wirbelsäule verfangen. Immerhin sank der Tote nun zu Boden. Jetzt trat der Amerikaner seinem Feind, ganz wie er es gelernt hatte, auf die Brust und wuchtete sein Bajonett heraus. Das hatte zu lange gedauert. Mir war klar geworden, was einem blüht, der sich diesem Gemütsmenschen ergibt. Ich legte an, sah seinen massiven Schädel in der Verlängerung von Kimme und Korn und drückte ab. Wo dem Amerikaner ein Stück Ohr unterm modischschräg aufgesetzten Helm hervorlugte, klaffte ein Loch, aus dem eine Blutfontaine herausspritzte, wie vorher aus Eberhards Hals. Er sank in die Knie, legte seine Knarre vor sich auf die Erde, verbeugte sich in Richtung Osten, so halb kniend hielt er sich. Ich ging hin, hielt ihm den Karabiner an den Hinterkopf und drückte ein zweites Mal ab. Es gab einen dumpfen Knall. Mir sprangen Schädelknochen, Gehirnmasse und Fleischfetzen ins Gesicht, ich konnte nichts mehr sehen, warf mich auf den Boden, griff nach Gräsern, wischte mir das Zeug aus den Augen. Endlich brach ich Eberhards Erkennungsmarke ab, steckte sie ein, stapfte zurück, mich zu melden beim Kompaniegefechtsstand.“
(Vergiss die Träume deiner Jugend nicht, Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1989) – siehe auch Nachwort 14 dieser Serie.
Der Autor noch nicht
vor der Tür |
Wenn Amerika das Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten ist, wird es vom Reich des unbegrenzten germanischen Übermenschen noch übertroffen. Im Spiegel vom 8.11.2010 wird die Kriegsreportage WAR des US-Journalisten Sebastian Junger mit Wunder der Sehnsucht angezeigt. Die Sehnsucht ist die nach dem Krieg auf den Krieg. Im vorigen Nachwort äußerten wir uns schon zu dem Buch. Im Spiegel folgt auf die romantische Überschrift: Nähe und Erfahrung statt Distanz und Metaphorik die Erläuterung: „Wie unterschiedlich amerikanische und deutsche Autoren über den Krieg schreiben. Von Georg Diez.“ Der Verfasser ist mir bisher nicht aufgefallen, laut www.single-generation.de gehört er zur Generation Golf, wurde 1969 in München geboren und studierte Geschichte und Philosophie, das scheint aber fruchtlos gewesen zu sein, es sei denn, Diez hat auf der Uni Kriegs-Geschichte belegt, attestiert er doch dem Autor Wolfgang Borchert, ein „weinerliches Heimkehrerdrama“ geschrieben zu haben, womit tatsächlich Draußen vor der Tür gemeint sein soll.
Die Nachfahren derer, die immer schon drinnen zu Tische sitzen, wenn andere später erscheinen, mögen weinerlich nennen, wenn welche „nach Hause kommen, die dann doch nicht nach Hause kommen“, wenn also Borchert/Beckmann fragt: „Soll ich mich weiter morden lassen und weiter morden?“ Noch ein Borchert-Zitat:
Derlei Einsichten sind inzwischen unmodern geworden. Den Spiegel-Rezensenten bewegt die Frage, „ob es wohl möglich sei, während eines Feuergefechts zu masturbieren.“ In Folge 72 dieser Serie zitiere ich aus meinem Buch Soldaten sind Mörder:
Wilhelm Strasser zählte zwanzig Jahre, als ihn nahe Adrano in der sizilianischen Gluthitze des 4. August 1943 ein riesiger dolchartiger Splitter ins Herz traf. Wir lagen unter den ausgebrannten Skeletten abgeschossener Panzer, die uns vor den gutgezielten Garben eines feindlichen MG schützten. Der Granatsplitter musste seitlich knapp über der Erde in den schmalen Spalt eingedrungen sein. Ich nahm dem Toten die Erkennungsmarke ab, sammelte seine paar Habseligkeiten ein und schickte sie abends mit dem Melder zum Kompaniegefechtsstand zurück. Ende September lag ich im sächsischen Freiberg im Lazarett. Strassers Vater besuchte mich, um etwas mehr über den Tod seines Sohnes zu erfahren, dabei ließ er die Zeitungsanzeige da, die ich einsteckte und erst nach der Abreise des Mannes las: „Unsagbar hart und schwer traf uns ganz unerwartet die überaus traurige Nachricht, dass unser einziger über alles geliebter, herzensguter Sohn, Neffe und Kusin Wilhelm Strasser – Gefreiter, MG-Schütze in der Division Hermann-Göring – im blühenden Alter von 20 Jahren, getreu seinem geschworenen Fahneneide, für Führer und Heimat am 4. August 1943 bei den harten Abwehrkämpfen auf Sizilien den Heldentod fand. Sein Heldengrab liegt etwa 2 km von Adrano in fremder Erde, doch uns wird er unvergesslich bleiben. Wer ihn kannte, weiß, was wir mit ihm verloren haben. Sein stets geäußerter Wunsch, seine Lieben und seine Heimat wiederzusehen, blieb ihm unerfüllt. Das hl. Requiem findet am Mittwoch, den 15. September 1943 um 10 Uhr vormittags in der Pfarrkirche zu Hoflau statt. In unsagbarem Schmerz und tiefer Trauer – Johann und Anna Strasser – Eltern – im Namen aller Angehörigen und Verwandten.“
Ich wage nicht zu entscheiden, was bornierter ist, die unsägliche Terminologie in der Todesanzeige von 1943 oder die Frage im Spiegel von 2010 nach möglicher Masturbation beim Feuergefecht. Die Generation Golf als Generation Wichser?
In der Folge 72 behalf ich mir mit dem Abdruck eines Gedichts, das ich während der Schlacht von Monte Cassino schrieb, ganz ohne zu masturbieren:
ihr meine onkels – lieben tanten
euch soll man mit torpedos schießen
auf euren glatzen sollen fallschirmjäger landen
und eurem ohr wird stacheldraht entsprießen
und endlich all ihr alten würdenträgerkrüppel
euch wünsch den buckel ich voll knüppel
und siebzehn eheweiber untern bauch
und blasensteine in den schlauch
euch soll der teufel in der hölle braten
elektrisch und ganz langsam heiß
und wenn euch hungert nehme man oblaten
und klebe sie auf euren steiß
Spiegel-Rezensent Diez bettete seine Selbstbefriedigungsfrage, die er dem besprochenen Buch entnahm, generös in einen noch viel umfassenderen Kontext ein: „Es geht um die Frage, ‹ob es wohl mental möglich sei, während eines Feuergefechts zu masturbieren. Das wäre, zugegebenermaßen, der Mount Everest der Masturbation›. Worauf ein Soldat zu Junger sagte: ›Wir sind wie die Tiere, nur schlimmer. ‹ Solch ein Satz findet sich in keinem der beiden deutschen Romane. Er findet sich nur da, wo es blutig ist und grausam, manchmal auch zärtlich und sogar schön.“ Mit dieser wunderbaren, wo nicht wundersamen herzerweichenden Ästhetik endet der Artikel. Wir sind beeindruckt.
Ich will ja der Generation Golf nicht zu nahetreten, was sich für Angehörige der Generation Maschinengewehr auch nicht ziemt, zumal ich seit 30 Jahren Saab fahre. Heute sind außer Autotagen vorwiegend Buß- und Bettage angesagt. Am 8.11.2010 durfte Hans-Jürgen Döscher in der FAZ eine Rezension veröffentlichen und daneben hochachtet ein Leserbriefschreiber diesen Historiker sogar, weil dessen Buch Die Seilschaften den Zusammenhang zwischen Auswärtigem Amt und Endlösung schon vor Jahren aufgedeckt hatte. Offenbar soll Döscher doch bitte vergessen, wie er für seine vorzeitige Aufklärung in der FAZ gerüffelt worden war, bevor Joschka Fischers Handstreich die fatale Wahrheit unwiderruflich ans Licht brachte.
Im Spiegel ging es früher ähnlich kritisch zu. Ein gewisser Rudolf Augstein hatte in Heft 10/ 1988 den Krieg glattweg verworfen und gar Israel hart zu tadeln gewagt unter dem Titel: Vom Kriege oder Kindern die Knochen zu brechen. Im Spiegel Heft 12 durfte daraufhin Prof. Dr. Manfred Messerschmidt, damals leitender Historiker beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg/Breisgau, den Kommentar Augsteins kriegsvölkerrechtlich substantivieren.
Messerschmidt ist inzwischen pensioniert, Augstein verstorben. Die Zeiten haben sich geändert. Spiegel-Cover vom 22.11.2006: Die Deutschen müssen das Töten lernen. Da nimmt sich Augstein mit seinen Antikriegsflausen recht deplaziert aus. Wir schulden dem WAR-Rezensenten Diez noch Auskünfte zu seinen Soldaten-Penis-Forschungen. Nun denn, bei der Wehrmacht gab's die Schwanzparade, so hieß der morgendliche Appell in der Kaserne: Aufstehen, Glied vorzeigen, Vorhaut zurückziehen! Und alles wegen der Hygiene. Ordnung muss sein in Reih' und Glied. Wo bleiben da die von Diez angemahnte Zärtlichkeit und Schönheit? Meine Antwort findet sich im Gedicht von Monte Cassino, wo es in Fortsetzung der drei zärtlich schönen Verse heißt:
und wenn euch dürstet sollt ihr feuer saufen
man gieß es euch mit kannen in den schlund
und solltet ihr den bart euch raufen
befehle ich: kv-gesund
und ab mit euch gleich in die nächsten schlachten
im gleichschritt marsch drei vier
so wills die order von dem wiederaufgewachten
auferstandnen musketier
Der 18jährige GZ im Schützenloch noch ohne PTBS
Statt auf den Kriegerfriedhöfen in Sizilien, bei Monte Cassino oder Costermano zu liegen, ziehe ich es vor, draußen vor der Tür zu stehen und glücklich am posttraumatischen Belastungssyndrom zu leiden wie die drei Bitt-Briefeschreiber, mit denen dieses Nachwort begann. Offensichtlich hat auch der Spiegel-Autor eine Art von PTBS – seine Generation kriegt sowas schon von der bloßen Lektüre einer Kriegsreportage. Wenn das kein Fortschritt ist?
Zum Schluss noch ein Spruch aus dem 1989er Buch Vergiss die Träume deiner Jugend nicht:
|
|
|
Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
|
|