Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
Die permanente sächsische Revolution begann mit der Genossin Magda Schnyder, als sie die Kaffeetasse ansetzend, einen kurzen prüfenden Blick aus dem Fenster warf, vor dem sich die Straße noch in gähnender Leere erstreckte. Die Frau trat ans Radio und schaltete den gewohnten Sender ein. Es war Herbert Fries, der diese Woche die Frühnachrichten sprach. Seine leicht heisere Stimme verriet nicht die geringste Erregung, während er die letzten Informationen verlas: „Nachdem Prag den Visumzwang für Bundesdeutsche abschaffte, schloss sich jetzt auch Warschau an. Scharen von Westdeutschen drangen heute nacht wiederum übers Erzgebirge in die DDR ein. Hunderte, vielleicht auch schon Tausende fuhren durch die CSSR nach Polen, wo sie ihre Autos an den östlichen Ufern von Neiße und Oder abstellten und die Grenzflüsse durchschwammen, um auf das Staatsgebiet der DDR zu gelangen. Meldungen der maritimen Grenzschutzorgane besagen, die Wessis landen mit Schiffen, Fähren und kleineren Booten in Rostock und Stralsund sowie am gesamten Ostseestrand in der verzweifelten Hoffnung, an den Segnungen des Sozialismus teilhaben zu können. Seit gestern abend 22 Uhr tagt der Ministerrat der DDR. Beschlüsse, das Aufnahmeverfahren der Westflüchtlinge betreffend, werden noch im Laufe dieses Vormittags erwartet.“
Magda Schnyder kratzte sich leicht am linken Knie, das der blütenweiße Morgenmantel freigab. Sie beugte sich vornüber und erblickte eine kleine, kreisrunde Rötung. Ich glaub, ich reagier allergisch auf die Westler, dachte die Genossin. Und: Es wird eng werden in unserer Heimat. Indessen war der Radiosprecher von den nationalen zu den internationalen Nachrichten gelangt: „Die Regierung der DDR richtete ein Ersuchen an die UNO, den Weltsicherheitsrat zusammentreten zu lassen ... Die Regierung der UdSSR protestierte durch ihren Botschafter in Bonn gegen die Massenflucht der Wessis, weil die DDR nicht alle 60 Millionen Bundesbürger als Flüchtlinge bei sich aufnehmen könne. Die Bonner Machthaber müssten endlich Reformen wagen, Washington mit hartem Dollar die weiche D-Mark stützen, damit die westdeutsche Wirtschaft wieder auf die Beine komme ... “
Folgte eine Direktschaltung ins DDR-Außenministerium, wo Minister Fischer eine Pressekonferenz abhielt.
Der Minister: „Die Westdeutschen übersteigen zu Tausenden den antifaschistischen Schutzwall. Wie das statistische Bundesamt in einer Schnellschätzung ermittelte, befinden sich nur noch 30 Millionen Bundesdeutsche auf dem Notstandsgebiet der BRD, woraus sich nach Adam Riese, dem Erzgebirgler, ergibt, dass ebensoviele Bürger Westdeutschlands bereits ins Staatsgebiet der DDR geflüchtet sind, was die dortige Bevölkerung von bisher 17 auf jetzt 47 Millionen anwachsen ließ, eine Zahl, mit der kein Staat der Welt so leicht fertigwerden könnte ... “
Da hat er recht, dachte Magda Schnyder, und der allergische rötliche Fleck auf ihrem Knie breitete sich aus, aber das konnte auch am Kratzen liegen. Doch wollen wir schön der Reihe nach berichten:
Die Wessis waren schon lange unzufrieden mit ihrer Regierung und Gesellschaftsordnung, die klügsten Eierköpfe lasen heimlich bei Marx nach, was sie noch unzufriedener stimmte. Nacht für Nacht suchte sie der Weltgeist heim und schließlich hatten sie schon von Brecht gehört, dass die Welt veränderbar sei.
So sei es, sagten sich die Eierköpfe und lernten inbrünstig den Text der Internationale auswendig, denn ihr aufgezwungenes Deutschlandlied missfiel ihnen sogar in der Verstümmelung. Vonwegen nur ab der zweiten Strophe singen, murrten sie, die DDRler durften ihre Nationalbecherhymne gar nicht singen und wer es doch tat, musste brummen. Derart stieg die üble Laune der gebeutelten und vom Kapital (dem eigenen) ausgebeuteten Wessis bis zum Überlaufen an. Denn der Kohl geht solange zu Wasser, bis er bricht. Dann wird der Rest verscherbelt.
Honecker ist ein großer Politiker, dachten die BRD-Spitzköpfe, der Schaden, den er anrichtet, hält sich innerhalb der Grenzen seines Jagdreviers. In den langen Stunden, die Honi mit der Flinte im Anschlag verbringt, kann er nicht regieren, also nichts Dummes anstellen. Und eine Menge Wessis wünschten sich klammheimlich, ihr Kohl wäre auch Jäger und verschwände die meiste Zeit in der Hütte oder auf dem Hochstand der Mainzelmännchen.
Im Wessiland grüßte man neuerdings mit „Horrido!“, was soviel bedeutete wie „Waidmannspech!“ und jeder wünschte jedem den Blattschuss. Denn unter Wessi-Christen ist jeder sich selbst der Nächste, auf den gezielt wird.
Das war genau die Zeit, in der die klügsten Marx-Lenin-Ossis das Gras wachsen hörten. Bei denen im kapitalistischen Ausland bereitet sich eine furchtbare Krise vor, schrieben sie in ihren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten, die sie bei der zuständigen Stasi-Dienststelle einreichten, wofür man ihnen sofort den Doktortitel verlieh. Auf diese Weise wurde ein gewisser Gysi oder so ähnlich zum Doktor der Rinderzucht graduiert, zumal er in einer Minute sieben Kühe, elf Schafe und dreizehn Nichtparteimitglieder restlos auszumelken imstande war. Mit diesem Doktor Oberschlau werden wir siegen, schrieb der Stasigeneral Leberwurst quer über die Dissertation, die noch heute im nationalen Revolutionsmuseum zu besichtigen ist. Erinnerungssüchtige Lehrer führen ganze Schulklassen dorthin, denen nach dem Besuch die Milchzähne zu Elefantenstoßzähnen langwachsen, was den Mangel an Elfenbein behebt. Zurück jedoch zur Krise, falls wir sie verlassen haben sollten, die im Traumland der Wessis grassierte wie Pest und Cholera im Dreißigjährigen Krieg, an dessen Neuauflage das unglücklich geteilte Volk nach Kräften arbeitete. Im Politbüro zirkulierte ein Papier mit dem Vorschlag, Mauer und Grenzzäune dreifach zu erhöhen und vierfach zu verbreitern, damit man dem zu erwartenden Ansturm unzufriedener, krisen- und wutgeschüttelter Wessis standhalten könne.
Honi aber, zwischen zwei Hirschkuh-Abschüssen, soll gesagt haben: „Meine Mauern sind hoch und breit genug.“ Und so führte des Oberjägers Kursichtigkeit mitten hinein in die gesamtdeutsche Katastrophe. Zuvor aber tagte das Politbüro ohne seinen Jägermeister noch einmal drei Tage und Nächte hindurch und beschloss an- und abschließend, es sei gewisslich nicht zu befürchten, dass die kapitalistischen Wessis bei den sozialistischen Ossis um Asyl bäten. Die Genossen hatten in dreimal vierundzwanzig Stunden mit verteilten Rollen alle drei Bände des Marxschen Kapital durchgelesen und nirgendwo ein Zitat gefunden, das derlei prophezeite.
Beruhigt legten die Politbüroleseratten sich in die Betten. Nichtahnend, dass Marx die bevorstehende Katastrophe doch erwogen und ausführlich dargelegt hatte, allerdings nicht im Kapital, sondern in einer Schrift, die im Zuge der Großen Bolschewistischen Oktoberrevolution für ungeschrieben erklärt und ausgelöscht worden war.
So stellt in der Geschichte immer ein Held dem anderen ein Bein, und der Fortschritt stolpert darüber und bricht sich das Genick. Soviel zum Ausstieg, wie ihn die Genossin Magda Schneyder erlebte. Ohne bunte Revolutionsmärchen bleibt das tägliche Leben alternativlos.
Über das alternative Weiterleben unterrichtet ein tv-Kulturbericht mit dem Titel: „Schriftstellertreffen ohne schwarze Liste“, in dem es heißt:
Wie aus ungewöhnlich gut unterrichteter Quelle bekannt wird, fand zum diesjährigen 17. Juni an einem geheimgehaltenen Ort ein organisiertes Dichtertreffen statt.
Hauptreferenten: Helmut Schmidt von der Sektion Historischer Roman zum Thema: Wie ich mit Honi ein Bonbon tauschte und Erich Honecker von der Sektion Archäologischer Sozialismus, Thema: Es war ein VEB-Bonbon.
Weitere Referenten: Apel: Der Abstieg, Krenz: Der Absturz, Waigel: Der Kassensturz, Schabowski: Als Mauern stürzten, Brandt: Vom Auseinanderstürzen, Brigitte Seebacher-Brandt: Mein Platz zwischen Willy und FAZ, Franz Alt: Jesus, der allerletzte Mann, Karl-Eduard von Schnitzler: Mit der Titanic durch den Schwarzen Kanal, Kuby: Als ich die Nitribitt ermordete, Franz Josef Strauß: Woher die Milliarde kam, Schalck-Golodkowski: Wohin die Milliarde ging, Scholl-Latour: Bruder Konzelmann, Konzelmann: Scholl-Latour ist Allah und ich bin sein Prophet, Lindlau: Die Mafia oder bei mir reden sie alle, Mielke: Meine Abenteuer unter Kohls Schreibtisch, Mischa Wolf: Mein Leben als Lamm, Wolf Biermann: Warum ich den Krieg liebe, Birgit Breuel / Treuhand: Von der Vermeidbarkeit neuer Ideen, Stefan Heym:Wie ich von deutschen Bildschirmen verschwand, Stephan Hermlin: Gottvater Stalin, Joachim Fest: Mein Freund, des Führers Architekt, Reich-Ranicki: Wie ich Ulla Hahn den Nobelpreis verlieh, Ulla Hahn: Meine pornographische Rache am Küster, Modrow: Vom Erschauern, wenn Kohl einem die Hand küsst, Hans Mayer: Als ich den Turm zu Babel erbaute, Walesa: Polen ohne Kondome, Enzensberger: Leben als Revolte-Beobachter, Biermann: Schön ist es, Soldat zu sein, Schönhuber 1. Band: Nun ist auch Grass dabei, 2. Band: Grüß Gott, Kameraden, Dyba: Der gerechte Krieg gegen die Frauen, Späth: Nur Fliegen ist schöner, Süskind: Parfüm hilft weniger zu stinken, Mittag: Wirtschaften, bis es nichts mehr gibt, Honecker: Jagen statt regieren, Gottschalk: Wirb oder stirb – ich aber lebe.
Außerdem sollen auf dem Dichtertreffen wichtige Nachlassbände vorgestellt werden:
Bei Rowohlt von Josef Stalin: Ich erschoss die Falschen, Ulbricht, Walter: Maurer gesucht, aus dem stern-Archiv: Hitler, die wahren Tagebücher, Band 1: Mein Sieg, Band 2: Wir werden weitersiegen, Die Bände 3 – 77 sind noch in Arbeit.
Wie es heißt, bemühen sich beide deutsche PEN-Zentren sowie der eine übriggebliebene Schriftstellerverband darum, die prominenten Polit-Autoren in ihre gelichteten Reihen aufzunehmen. Den inzwischen Verblichenen, die durch Nachlässe vertreten sind, wird die postume Ehrenmitgliedschaft verliehen, das spart Erbschaftssteuer.
Auf die Zusammenstellung der üblichen Schwarzen Liste wird verzichtet, denn schwarz genug sind sie alle, die Gedanken aber sind frei. Das walte die Demokratie.
Natürlich nahmen alle Leser an, der Kulturbericht sei ein Zeitungs-Entenschwarm. Wir Zeitzeugen aber wissen, von Stund an kam alles anders als die Regierenden sich dachten. Das kulturelle Chaos war nur der erste Schlag. Kein einziger Satiriker von all denen, die sich die wildesten Stories aus den Fingern sogen, ahnte, dass die Geschichte fortan noch verrückter spielte. Nur die gelehrtesten Marxisten blieben ruhig, hatten sie doch längst den Untergang des Kapitalismus vorausgesagt. Da frage ich mich, warum ich mir die Flucht der Wessis in den Osten erdichten muss und warum sie nicht tatsächlich so vor sich ging. Versagten hier seine Anhänger oder schon Marx selbst? Ihn erneut lesend, denke ich, an unserem Karl kann es nicht gelegen haben. Solange Marx im Exil existieren muss, werden uns unsere Mächtigen von einem Krieg in den nächsten jagen, solange, bis endgültig Schluss ist.
Es waren einmal 12 kleine Sachsen. Der erste blieb in Wilhelms Krieg. Der zweite machte Revolution und wurde erschossen. Der dritte wählte Hitler und verreckte in Stalingrad. Der vierte ging ins Exil. Der fünfte kehrte aus der Gefangenschaft zurück und wollte alles besser machen. Der sechste machte alles besser und siegte unverdrossen bis zur nächsten Niederlage. Der siebte protestierte heldenhaft bis zum Verlust seines Arbeitsplatzes. Der achte arbeitet seither in der Fremde. Der neunte hockt daheim bis zur Rente und gibt an allem den Nazis die Schuld. Der zehnte den Kommunisten. Der elfte hat den Durchblick, doch nimmt er, weil ihm keiner glaubt, solange am tv-Ratespiel teil, bis er Millionär wird. Anschließend versäuft er die ganze Kohle. Der zwölfte schafft als Politiker die Verhältnisse, unter denen alle leiden.
Unsere durch ein Dutzend Folgen gut trainierten Hochleistungs-Leser erkennen natürlich, dass dieses 12. Kapitel der Serie von meinem Pseudonym Gert Gablenz erdichtet wurde. Den nüchternen Kommentar dazu liefere ich jetzt als GZ wieder selbst:
Der Sozialismus sei als Idee gut, doch schlecht umgesetzt worden, hören wir mehr und mehr Menschen sagen. Wie könnte man ihn, wenn überhaupt, besser realisieren? 1917 erließ das 1. Bayerische Armeekorps den Befehl, die Soldaten müssten die Autos des Generalkommandos grüßen, auch wenn kein General drinsitze. Im Jahr 2007 wurden Bestrebungen bekannt, Carl Schmitt, dem „Kronjuristen der Nazis“ (Ernst Bloch), ein Denkmal zu setzen. Das sind so deutsche Traditionslinien. Am Horizont westlich von Crimmitschau stehen deutlich sichtbar drei Linden. Ein Schäfer des Rittergutes Frankenhausen, wegen Diebstahls zum Tode verurteilt, steckte, bevor er getötet wurde, drei Lindenzweige verkehrt herum in den Boden. Sollten sie absterben, sei er schuldig, falls sie heranwüchsen, hätte man ihm schweres Unrecht zugefügt. Die Linden gediehen prächtig. Sein Richter soll sich der Sage nach in der Pleiße ertränkt haben. Was für ein Ausnahme-Jurist. Ersäuften sich alle furchtbaren Juristen der letzten hundert Jahre, ließe sich aus ihren Knochen ein Riesen-Staudamm errichten.
Hier sollte diese 12. Folge enden, doch am vergangenen Wochenende suchte Bild am Sonntag die Welt durch die süffisante Schlagzeile zu schocken: „Hat Wolf Biermann mit Margot Honecker geschlafen?“ Als Quelle wird ein Buch von Florian Havemann genannt, das dieser Tage beim Suhrkamp Verlag erscheinen soll. Seither rotiert die Bettgeschichte in allen Medien. Der Fall ist allerdings schon seit Jahren bekannt. So berichteten darüber u.a.: Jakob Moneta in Sozialistische Zeitung, Nr. 24 vom 22.11.2001. Schröder und Kalender in Schröder erzählt, April 2002, Ingrid und Gerhard Zwerenz in der Zeitschrift Das Blättchen, Nr. 9 vom 29.4.2002.
Da uns nicht der vermutete Akt per Selbstvermarktung interessiert, sondern die informelle, interne Verbindung zwischen Dichter und Staatspräsidenten-Gattin, der Staatspräsident selbst also möglicherweise das Staatstor hinter dem fremdgehenden Poeten zumachte, gedenken wir der kuriosen Affäre mit einem heiteren Zitat aus unserem 2004 erschienenen Buch Sklavensprache und Revolte:
Dies bezeichnet den Abstand zum Radaubruder Wolf Biermann, dem ich alles nachsehen kann, ausgenommen den Fall Moneta. Über unseren Freund, den ehemaligen Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung Metall, Jakob Moneta, der in der Bundesrepublik viel für ihn getan hatte und in dessen Haus er 1976 übernachtete, wusste Biermann im Spiegel Nr. 46 vom 12. 11. 01 mitzuteilen: Moneta „war damals bekannt als Kopf der ›Vierten Internationale‹ in der Bundesrepublik. Nach der Wende wurde derselbe Jakob Spitzenkandidat der PDS in Frankfurt am Main. Nach meiner Erfahrung kann aus einem waschechten Trotzkisten, egal aus welcher sektiererischen Gruppierung, alles werden: ein SPD-Mann, ein CDU-Mitglied, ein fundamentaler Moslem, ein RAF-Terrorist oder ein Banker oder ein Immobilienhai oder ein Sozialfall, er kann sich sogar umoperieren lassen zur Frau – aber ein Mitglied der stalinistischen Bande wird er nur dann, wenn er es im Grunde immer schon heimlich war.“
Was Biermann nicht erwähnt: Bei seinem Aufenthalt im Hause Jakob und Sigrid Monetas erzählte er den beiden von seinem letzten Treffen mit Margot Honecker. Sie sei vor seiner Reise die Nacht über bei ihm gewesen und in der aufscheinenden Morgensonne habe er sich sehr vor „ihrem faltigen Hals geekelt“. Was muss der Mann gelitten haben. Verbrachte da unser Widerstandsheldenpoet die Nacht mit der gestandenen Stalinistin Margot, der Frau des obersten stalinistischen Bandenführers Erich Honecker, und ein Vierteljahrhundert später fällt ihm ein, dass er im Goldenen Westen im Hause des einladenden Helfers wieder bei einem stalinistischen Bandenmitglied gelandet sei? Nun behauptet unser Staatsdichter ja, Trotzkisten könnten „alles werden“, notfalls sich sogar „umoperieren lassen zur Frau.“ Biermann, der in der DDR als Privilegierter nie in reale Gefahr für Leib und Leben geriet, hat inzwischen im Westen allerhand Reichtum angehäuft. Er sollte der exilierten Margot im fernen Chile aus Dankbarkeit etwas Geld für einen kosmetischen Eingriff an ihren Halsfalten überweisen, wenn die ihn denn so ekeln.
Im seither vergangenen Vierteljahrhundert modellierte sich der Faltenflüchtling zum Musterexemplar der dritten Exkommunistengeneration. Von Biermann bis Schabowski wird die Richtung gewechselt. Das einzige Lebenselixier ist die „Hassproduktion“, wie Werner Mittenzwei das nennt. Was bei Schabowski verständlicher Haß auf die eigene bornierte SED-Karrierevergangenheit sein mag, ist bei Biermann wohl Vaterhass, denn dieser Vater ist ein unauslöschbarer jüdischer Kommunist gewesen. Wer so auf der Achterbahn in die Mussolinikurve rast, von links unten in Richtung rechts oben, muss natürlich auch seine früheren Lieder gegen den Krieg verleugnen und sich den schönen neuen militanten Zeiten anpassen. Am 25.3.02 delirierte sich der Wolf ohne Schafspelz im Feuilleton der Welt in Gewaltphantasien hinein, die von Bomben auf den Irak bis China und Russland reichen, wozu er sich von Orwell Argumente holt, die der, lebte er noch, ihm um die Ohren hauen würde.
So kann einer aus vielerlei Ekel zum Kriegssänger werden und blitzgeschwinde im Jahre 1914, wo nicht 1941 ankommen. Anno 1980 begegneten wir uns im Mainzer ARD-Studio, und Biermann erkundigte sich, ob ich ihm seine Haltung verüble. Was ich verneinte. Entweder war er noch nicht Richtung Mussolinikurve unterwegs oder wir haben uns missverstanden. Schade drum.
Am Montag, den 3. Dezember, erscheint das nächste Kapitel.