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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte
Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 88. Nachwort
Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.
88. Nachwort |
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Keine Lust aufs Rentnerdasein
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Chruschtschow: Weichensteller im Versuch – außerdem Stalinist, Anti-Stalinist, Reformator, Mauerbauer, gemeinsam mit J F Kennedy Atomkriegsverhinderer, auf dass wir überleben durften ...
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Das Wort vom »Weichensteller«, mit dem die Süddeutsche Zeitung mich an meinem 80. Geburtstag erfreut und ermutigt hatte, nehme ich dankbar an und der Verweis auf die verhinderte Weichenstellung mindert das Wort und den Wert nicht. Beides hebt im Gegenteil unsere prekäre Situation hervor, die sich im 21. Jahrhundert massiv zuspitzt. 1914 wurde der Weltkrieg nicht verhindert, 1939 gewollt, in der Kuba-Krise 1962 wurde der Welt- Atomkrieg erst in den letzten Minuten umgangen, genauer gesagt: aufgeschoben. Die Notwendigkeiten effektiver Mediation, wie sie den Dreißigjährigen Krieg 1648 mit dem Westfälischen Frieden zu beenden half, besteht bis heute in aller Dringlichkeit fort, das Kriegsrisiko ist ständig virulent. Was kann der kleine Mann, ein Mensch wie du und ich dagegen tun? Was sonst als in listiger wie strenger Bescheidenheit die eigene Weiche anders stellen. Wer die Weiche falsch stellt, fährt in die falsche Richtung. Wir steigen bei ihm nicht ein, sondern aus. So wie ich die ab 1933 verbotene kleine Bibliothek zu behüten und verteidigen half, verteidigte ich 1956/57 in Leipzig die scharf angegriffenen Bloch und Lukács samt ihren Büchern. Es erscheint mir nötig, mit meinen eigenen Schriften verteidigend und attackierend linke Traditionen fortzusetzen, gegen die der Zeit-Ungeist nun schon von einer Kriegs-Generation zur nächsten anrennt als wären Verdun und Stalingrad noch zu erobern.
Ohne mich. Ohne uns. Ich vertreibe mich zurück nach Leipzig als wären Ingrid und ich dort verblieben und Bloch nicht weggegangen, weil Bloch wie Karl May und seine Leser unkündbar zum Land zählen, weil die staatsamtliche Geschichtsschreibung der Korrektur bedarf wie die Macht der Opposition. Ich fühle mich freiweg als DDR-Autor, in Leipzig wohnend, wo wir unsere Welt von 1956/57 vertreten, ohne von politischen Übelkrähen gestört und behackt zu werden. Wenn aber doch, definiere ich das friedensdurstig zu Spaßvogel-Aktionen um. So mein Mediations-Angebot, damals abgeschlagen, heute aktuell wie vorgestern und auch noch übermorgen. Denn die blonden Bestien und die braunen Männer sind Vergangenheit. Es ist Zeit, in anderen Kategorien zu denken. Chruschtschow auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise: »Es ist möglich, dass die ganze Menschheit untergeht.« Die plötzliche potenzierte Angst vorm Atomkrieg stiftete ihn wie Kennedy zum Einlenken und Ausgleich an. Ausgleich als Aufschub der Vernichtung? Der Mord an Kennedy unterbrach die Chance der Mediation, der Kalte Krieg lief weiter bis heute. Eine Mediation, wie sie 1648 die Dreißigjährige Völkerschlacht beendete, ist im seit 1945 andauernden Kalten Wirtschafts-Religions-Krieg nicht möglich. Den Barbaren fehlt es dazu an intellektueller Moral. Vom ES kommend, das ICH aussparend simulieren sie die Tragödie vom Über-Ich, zu deutsch vom Übermenschen.
Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel – die heilige Familie der Übermenschen – mit Ausnahme von Willy Brandt, dem vaterlosen Exilanten. Für heute und morgen sind die Weichen von Adenauer bis Merkel über Brandt hinweg falsch gestellt. Seit 1848 sind die Deutschen, wenn auch recht unwillig, ein konterrevolutionäres Kriegervolk und, soziologisch betrachtet, eine Quasi-Kastengesellschaft: Oben ist besser als unten, westlich besser als östlich, rechts geht über links. Nach diesen Mustern lebend verbanden sie industrielle Spitzenleistungen mit politischer Irrationalität. Und Hochkultur mit integrierten Sado-Masochismen. Das Fehlen einer siegreichen Revolution kaschierten sie, indem sie sich für den Ostteil eine Friedliche Revolution erfanden, mit der sie dann vereinigt wieder in vielfältige Kriege ziehen durften. So kann ein Deutscher immer nacheinander Sieger und Besiegter sein. Es ist wie in der String-Theorie mit ihren zehn oder elf Dimensionen. Oben / unten, westlich / östlich, rechts / links, Sieger / Besiegter – jede Dimension für sich und mit anderen an und für sich und der ewige Wechsel, z.B. Versailles – Deutschland wird vertraglich für besiegt erklärt, Hitler nimmt Rache und kehrt das um, de Gaulle heiligt Adenauer, Kohl besiegt außer Moskau auch noch Paris, bis Merkel und Hollande in den Boxring steigen und Schiedsrichter spielen. Die String-Theoretiker mit ihren multidimensionalen Raumzeitwelten verkennen die gemeinsame Basis von Einsteins klarer Relativitätslehre und dem unerklärlichen Quantenzauber: Die Basis eben ist und bleibt unser eindimensionales Kasperletheater der Politik. Über den Festspielort Bayreuth wird die nächste Wagner-Oper draus. Lauter Eliten aus Politik und Showgewerbe reisen an. Praktizierende Politgespenster lassen sich dankbar von illuminierten Heldensängern aufmöbeln, der von Rudolf Hess begleitete Führer kehrt nach sechs Stunden Operngenuss erfrischt und bluttatendurstig aus dem Kulturbereich in die akute Europa-Politik zurück. Hess, dem Friedhof in der Totale entronnen, dirigiert den Untergang des Feierabendlandes und hätte doch so gern des kleinen Mozart Zauberflöte gespielt.
Max Hölz | Cover zum legendären Stülpner Karl:
Beide Männer nur Vorbildfiguren aus DDR-Jahren? |
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Einen Katzensprung nördlich des Bayreuther Operntempels lebt der Freistaat Sachsen in voller Operettenseligkeit vor sich hin. Das Institut für Wirtschaftsförderung (iwf) bezeichnet zwar viele Ostdeutsche als überqualifiziert, doch seien auch die meisten Kläranlagen wegen der noch immer andauernden Abwanderung überdimensioniert. Das Wettiner Fürstenhaus hält die sächsischen Kunstsammlungen auch für zu umfangreich und verlangt kostbare Teile zurück, obwohl der Freistaat schon mehr als genug auslieferte. Die Episode der Revolutionen ist eben vorbei. Die Konterrevolution mästet ihre Günstlinge. Am Ende zahlen Sachsens Hartz 4-Empfänger eine Wettiner-Euro-Steuer an die notleidenden Prinzessinnen und Prinzen. War da mal was? Der revolutionäre Max Hölz ertrank im Exil in russischen Gewässern. Wiederbelebungsversuche zwecklos. Hilft notfalls der wildernde Stülpner-Karl? Aus der DDR ist immerhin Merkel auf uns gekommen, von den Wohlbetuchten in aller Welt so gelobt und geliebt wie unsere modernen Panzer und U-Boote. Wohin geht die Fahrt, wer hält hier welchen Kurs?
Das wuchs so leise in mir heran, eines schönen Tages hatte ich es satt. Ich rede von den Arien der Selbstverleugnung. Begonnen hatte es mit dem Zwang, der von außen kam. Mein kindlicher Stolz, mir das Lesen mit Hilfe unserer Bücher selbst beigebracht zu haben, wandelte sich in ungläubiges Staunen, als ich erfuhr, diese Bücher seien verboten worden. Bald durchlebte ich die heimlichen Freuden der List. Die Bibliothek musste verteidigt werden, was Umsicht, Tarnung, Taktik verlangte. Wenn ich auf dem Weg zur Schule von meiner Karl-May-Lektüre erzählte und immer Zuhörer fand, weil ich als gelernte Leseratte die größere Übersicht besaß, dachte ich, wenn ihr wüsstet, was ich sonst noch so alles lese – ja wenn ihr wüsstet was ich weiß – ihr dürft es gar nicht wissen und ich darf euch nichts verraten.
Das heimlich-unheimliche Leben des Kindes im Dritten Reich. Als Schüler, Lehrling, Segelflieger bei der Hitler-Jugend, Soldat bei der Wehrmacht – danach ging es weiter bei den sowjetischen Siegern. Als Deserteur, in Gefangenschaft, bei der Volkspolizei, als Dozent an der Ingenieurschule in Zwickau, Student in Leipzig. Bis ich mir als freier Schriftsteller in der mitunter recht munteren Messestadt ein paar freie Worte erlaubte, weil ich alle Andeutungen, Anspielungen, Camouflagen und Tricks so verdammt satt hatte. Von den Folgen berichte ich seither und schreibe darüber – und das nun seit sechsundfünfzig Jahren, denn ich bin am 3. Juni 2012 ein unglaublicher 87er geworden. Dabei hatte die sozialfürsorgliche Mutter DDR dem lungenkranken 25jährigen schon 1950 die Rente einzureichen geraten. Ich verspürte keine Lust aufs Rentnerdasein, so wurde erst runde vierzig Jahre später was draus. Mit 65 statt mit 25 Jahren in Rente? Das ist nun auch schon wieder reichlich zwei Jahrzehnte her. Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR, Bonner Republik kamen und vergingen mit ihren mehr oder weniger herrschenden Sklavensprachen. Heute gibt's die Berliner Republik, die ihre Vergangenheit vorbereitet. Offen gesagt, mich der Sklavensprache der Berliner Republik zu bedienen, die immer deutlicher zu Weimar Nummer 2 wird, ist mir zuwider. Das Leben ist für die unendliche Wiederholung antiker Dummheiten zu kurz und zu wertvoll.
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Gerhard Zwerenz:
Frühes Dokument
25 Jahre alt, schwerbeschädigt,
guter Rat: Rente einreichen
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Die Folge 2 unserer Serie heißt »Wird Sachsen bald chinesisch?« Das ist eine schlankweg optimistische Aussicht, der puren Sympathie entsprungen. Ich stelle mir vor, der Freistaat sei so frei, seine vier Millionen statischen Einwohner pluralistisch zu vergroßstädtern: Alle Voraussetzungen sind vorhanden: Land und Leute, Natur sowie feste Grenzen und gute Traditionen. Was fehlt, sind Kapital, Zielbewusstsein, Phantasie und Ermunterungspotentiale. Eine Hundertschaft erprobter City-Erbauer aus China würde genügen, aus dem kleinen Land zwischen Pleiße und Elbe, zwischen Erzgebirge und Völkerschlachtdenkmal die Zehnmillionen-Metropole Pleiße-Elbe zu schaffen. Was Asiens Gelbe als Rote können, können Sachsens lang bewährte Rote schon lange. Sie ließen sich nur den Schneid abkaufen. Dazu gibt's keinen Grund. Die Sieger sind nicht besser als die Besiegten. Sie tun nur so.
Heute im 2. Jahrzehnt des 3. Jahrtausends laufen wieder allerhand Fahnenschwenker herum, schwafeln vom Patriotismus und dem Tod fürs Vaterland. Ich entdeutsche mich, wenn das um sich greift, zum sächsischen Patrioten im Ausland und rufe: Komiker aller Länder vereinigt euch in Lachstürmen. Das ist meine Erleuchtung. Salut Saxonia! Karl May schrieb nach seinen Abenteuerromanen eine Reihe strikt pazifistischer Bücher, die auf den kriegerischen Zeitgeist zielten, in Gemeinsamkeit mit Bertha von Suttners Roman Die Waffen nieder! Was wurde aus allen diesen Mühen? Der 1. und 2. und der heute anhaltende 3. Weltkrieg. Höchste Zeit also, dass sowohl Suttner wie May auferstehen müssen. Und unsere Pazifisten Tucholsky und Ossietzky dazu.
Bertha von Suttner
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Historisches Buchcover: Die Waffen nieder – kann nur ein Engel helfen? |
Ein Vorschlag zur Güte. Machen wir Sachsen zur Weltmetropole. Sächsische Wanderarbeiter glbt's genug auf den Autobahnen. Finden sie daheim endlich Jobs, müssen sie nicht in die Schweiz, nach Bayern, Österreich, Holland und Dänemark sausen. Ehrte Bayerns Stoiber kurz vor seinem Abgang aus Bayern in Hanoi schnell noch den toten Ho-Tschi-Mlnh, um in Vietnam Aufträge einzuheimsen, sollte Sachsen einen Kranz für Maos Grab spendieren und von den dortigen Sonderwirtschaftszonen lernen, wie der ehemaligen deutschen Ostzone aufzuhelfen ist. Wenn in China Kapital und Kommunismus gemeinsam Gold machen können, erinnern Sachsen sich an jenen J.F. Böttger, der anno 1708 für den sächsischen König Gold herstellen sollte und dabei das Meißner Porzellan erfand, auch dies ein Gold, das den Chinesen schon im 7. Jahrhundert gelungen war. Was hat das alles mit Karl May und Carl von Ossietzky zu tun? Mit May, Bertha von Suttner, nicht zu vergessen der ältere Friedrich Engels mit seinen eindringlichen Weltkriegswarnungen, begann eine Pazifizierung, die von Tucholsky und Ossietzky sowie der Weltbühne fortgesetzt wurde, bis das Dritte Reich mit Hitler auf- und einbrach. Wir benötigen dringend einen militant-pazifistischen Ossietzkysmus, soll der Tod nicht wieder zum heroischen Meister aus Deutschland werden. Erinnern wir uns.1933 wurde die Linke ausgeschaltet, um ungestört Kriege vorbereiten zu können. In Sachsen gibt es heute eine starke Linksopposition, die zur Klasse der Unberührbaren verurteilt wurde, und so blühte dort weniger die Landschaft als die eingewanderte Korruption. Nachdem wir vor einigen Jahren anfragten, ob Leipzig und Chemnitz bald chinesisch würden, reiste der damalige Ministerpräsident Milbradt prompt ins Land der Mitte, wo der kommunistische Kapitalismus gedeiht. Aber Vorsicht, ihr Christengenossen, im roten China droht bei Bestechlichkeit und Günstlingswirtschaft die Todesstrafe, die wir Pazifisten strikt ablehnen.
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Die Professorin und Publizistin im Clinch mit der Politikerin Angela Merkel |
Am 28.8 2012 benannte stern-Autor Walter Wüllenweber die »Oberschicht« als »Verursacher der Finanzkrise.« Sein Klartext wird ebenso klar spezifiziert. Exempel: »In Griechenland ist das Privatvermögen zweieinhalbmal größer als die Staatsschulden, in Portugal fast dreimal, in Spanien dreieinhalbmal.« Und in Deutschland? Bei ca. zwei Billionen Staatsschuld gibt's ca. acht Billionen Privatvermögen. Was also tun? Es werden Billionen Worte produziert. Das FAZ-Feuilleton marschiert in jüngster Zeit fleißig mit der Kritik am Marktfetischismus vorneweg. Am 9.8.2012 wird Angela Merkel kenntnisreich gekontert. Ihre stur wiederholte Meinung, dass der Markt immer recht habe, sei falsch. Und: »Die wahre politische Macht des Finanzkapitals bemerken wir erst jetzt in Krisenzeiten.« Aha! Und wer ist »wir«? Marco Herack, der das in der FAZ so offen formulieren darf, ist selbst Finanzguru, doch mit Durchblick. Nur der Ausweg bleibt versperrt. Den suchte am 4.8.2012 das Trio Bofinger, Habermas, Nida-Rümelin aufzuzeigen. Europa brauche einen Verfassungskonvent plus Volksabstimmung. So rät uns das SPD-artige Trio wie vorher schon eine Gruppe ebenso braver Eierköpfe, die das Chaos ordnen wollen, indem sie es vergrößern. Rein marxistisch gesehen wäre eine kleine Revolution nötig, die aber ging vor nicht allzu langer Zeit in der großen Sowjetunion gewaltig schief. In Frankreich und Washington wiederum ist Revolution längst Vorgeschichte. Wagt nun wer an das immerhin bisher erfolgreiche China zu denken? Ist intellektuelle Selbstrevolution im Abendland per Selbstreflexion etwa denkbar? Denkbar schon. Nur fehlen die Köpfe. Tatsächlich gibt es noch bemühte Restbestandsanhänger der Marx-Leninschen Revolutionslehre. Die unverdrossenen Genossen hoffen jeweils auf die nächste Revolution wie die Christen auf ihren Gott. Indessen wächst die Revolte aus den eigenen Reihen der Kanzlerin, von der doch alle Welt die Führungsrolle erwartet. Wohin soll die Führung führen? Da präsentiert sich in der FAZ vom 3. August die ansehnliche Literaturwissenschaftlerin, Unternehmensberaterin, Publizistin, rechtsintellektuelle Professorin Gertrud Höhler und versenkt ihre Christenschwester Angela Merkel in einem Feuerwerk femininer Feindseligkeit, dass es nur so blitzt und kracht. Zwei Stutenbissige, schräg und modisch formuliert, im Clinch? Dafür ist es dramaturgisch zu perfekt durrchgestylt. Aller Glanz der Polemik kann den tieferen Grund der Feindschaft nicht verbergen. Doch worum geht es?
Mich erinnert Gertrud Höhler über ihre Attitüden an Karl Heinz Bohrers postheroische Trauer wegen der herrschenden lausigen Alltäglichkeiten. Inzwischen erdichtete Bohrer sich eine Kriegsgeschichte, die er Granatsplitter nennt, weil er reale Granatsplitter sich einzufangen glücklicherweise zu jung gewesen ist. Die FAZ schlägt ihm sofort die Werbetrommel. Warum auch nicht, ich lese Bohrer-Texte ganz gern, um den Autor begründet zu bedauern. Keine Bange, auch Neues Deutschland wird ihn wie die FAZ bald feiern. Rechter Stil-Adel spürt einander im Schlaf auf. Schon Heiner Müller war zu Ernst Jünger gepilgert, um dessen durchschossenen Helm küssend gegen Wolfgang Harich anzuätzen. In Soldaten sind Mörder berichte ich von meinem Landsmann und Kameraden Wilhelm Strasser, der 1943 in Sizilien neben mir unter einem abgeschossenen Panzer liegend von einem Granatsplitter getötet wurde. Der Begriff Granatsplitter klingt mir anders in den Ohren als aus Bohrers Wortschatz. Offenbar eine sprachliche Generationen-Differenz. Solange unsere literarischen Postheroiker dem Heroismus nur auf dem Papier nachtrauern, bleiben sie als possierliche Papp-Figuren im deutschen Provinztheater erträglicher als ihre heldenhaften Vorgänger in der Weimarer Endrepublik.
Bonns triumphaler Sieg über die DDR und die geschichtsblinde Installation westdeutscher Macht über die ostdeutsche Verlassenheit führten in Paris und London zu Ängsten vor wieder erstarkender deutscher Hybris. So siegte der Euro als Notnagel über die D-Mark und wer diesen Sargnagel nicht hinreichend bejubelte, hatte ausgedient wie die Leiche in der Kiste, die ihren Scheintod beteuernd von innen wie verrückt gegen den Deckel trommelt. Klio, die lahmende Göttin der Geschichte inklusive Wirtschaftsgeschichte kennt nur zwei Arten auferstehender Wiederkehr: Vorwärts zu Europa oder retour zu einem Haufen von Nationalstaaten. Beides kostet mehr als die Lemuren haben.
2017 will die evangelische Kirche ihren 500. Reformationstag feiern. Nicht Margot Honecker, sondern Margot Käßmann ist die Glaubensbeauftragte. Was wird sie wohl zu Thomas Münzer sagen. Die Lutherstadt Wittenberg vermittelt den Eindruck sanfter Verlorenheit. Gott wird Luther und Käßmann brauchen, um Leben in die Bude zu bringen. Was aber, wenn die Christen ihren Jesus und die demokratischen Sozialisten ihren Marx ganz real und ernsthaft revitalisieren sollten bzw. wollten?
Wegen der Weichenstellung und weil unsere christlichen NATO-Soldaten zu kriegerischen Missionen in alle Welt ausrücken – laut Mose 2/32 ließ Gott, wie sein Pressesprecher Moses kundtat, »dreitausend Mann« als Strafe für den Tanz ums Goldene Kalb töten. Umgerechnet auf heutige Zahlen wäre das ein atomarer oder Stalinscher Massenmord. Ist Gott etwa Stalinist wie Stalin Gott war?
Der katholische Büchnerpreisträger Martin Mosebach, der Blasphemie wieder verfolgen möchte, wird meine Erkundung hoffentlich nicht als strafbar empfinden. Man möchte doch wissen, wie der Fall zum 500. Reformationstag für die protestantische Christenheit entschieden wird. Heißt es bei Büchner »Friede den Hütten – Krieg den Palästen« oder etwa Krieg den Hütten – Friede den Palästen? Und wie viele Menschen dürfen laut Gott von den Gläubigen auf ihren radikal-frommen Missionen umgebracht werden? Für solche Anfragen erhielt ich, nebenbei bemerkt, mal den Alternativen Büchner-Preis. Den gibt's aber nicht mehr, weil die Alternative fehlt.
Ingrid findet eben in der jahrelang sich im Internet hinziehenden Diskussion über die Wehrmachtausstellung ein kerniges Zitat: »Jener Baldur von Schirach, der dichtete ›Die Fahne ist mehr als der Tod‹, schickte die Fahnengläubigen in den Tod; er selbst überlebte auch das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis. Denn nur die Dummen glauben daran und müssen dran glauben.«
Nicht zu leugnen, diese Sätze sind von mir, wie es im Diskussionsbeitrag auch korrekt angegeben ist. In einigen Gebieten blieb offenbar die »versuchte Weichenstellung« nicht ganz wirkungslos. Das freut den Autor.
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Gerhard Zwerenz
Serie
- Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
- Wird Sachsen bald chinesisch?
- Blick zurück und nach vorn
- Die große Sachsen-Koalition
- Von Milbradt zu Ernst Jünger
- Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
- Reise nach dem verlorenen Ich
- Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
- Van der Lubbe und die Folgen
- Unser Schulfreund Karl May
- Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
- Die Westflucht ostwärts
- Der Sänger, der nicht mehr singt
- Ich kenne nur
Karl May und Hegel
- Mein Leben als Prophet
- Frühe Liebe mit Trauerflor
- Der Schatten Leo Bauers
- Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
- Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
- Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
- Tanz in die zweifache Existenz
- General Hammersteins Schweigen
- Die Pleiße war mein Mississippi
- Im Osten verzwergt und verhunzt?
- Uwe Johnson geheimdienstlich
- Was fürchtete Uwe Johnson
- Frühling Zoo Buchmesse
- Die goldenen Leipziger Jahre
- Das Poeten-Projekt
- Der Sachsenschlag und die Folgen
- Blick zurück auf Wohlgesinnte
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
- Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
- Brief mit Vorspann an Erich Loest
- Briefwechsel mit der Welt der Literatur
- Die offene Wunde der Welt der Literatur
- Leipzig – wir kommen
- Terror im Systemvergleich
- Rachegesang und Kafkas Prophetismus
- Die Nostalgie der 70er Jahre
- Pauliner Kirche und letzte Helden
- Das Kickers-Abenteuer
- Unser Feind, die Druckwelle
- Samisdat in postkulturellen Zeiten
- So trat ich meinen Liebesdienst an …
- Mein Ausstieg in den Himmel
- Schraubenzieher im Feuchtgebiet
- Der Fall Filip Müller
- Contra und pro Genossen
- Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
- Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
- Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
- Als Atheist in Fulda
- Parade der Wiedergänger
- Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
- Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
- Fragen an einen Totalitarismusforscher
- Meine fünf Lektionen
- Playmobilmachung von Harald Schmidt
- Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
- Denkfabrik am Pleißenstrand
- Rendezvous beim Kriegsjuristen
- Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
- Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
- Der Bunker ...
- Helmut auf allen Kanälen
- Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
- Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
- Die Sächsischen Freiheiten
- Zwischen Genossen und Werwölfen
- Zur Geschichte meiner Gedichte
- Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
- Der Dritte Weg als Ausweg
- Unendliche Wende
- Drei Liebesgrüße für Marcel
- Wir lagen vor Monte Cassino
- Die zweifache Lust
- Hacks Haffner Ulbricht Tillich
- Mein Leben als Doppelagent
- Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
- Vom Langen Marsch zum 3. Weg
- Die Differenz zwischen links und rechts
- Wo liegt Bad Gablenz?
- Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
- Der 3. Weg eines Auslandssachsen
- Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
- Am Anfang war das Gedicht
- Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
- Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
- Im Hotel Folterhochschule
- Brief an Ernst Bloch im Himmel
- Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
- Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
- 94/95 Doppelserie
- FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
- Rainer Werner Fassbinder ...
- Zähne zusammenbeißen ...
- Das Unvergessene im Blick
1. Nachwort
Nachworte
- Nachwort
siehe Folge 99
- Auf den Spuren des
Günter Wallraff
- Online-Abenteuer mit Buch und Netz
- Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
- Die Leipziger Denkschule
- Idylle mit Wutanfall
- Die digitalisierte Freiheit der Elite
- Der Krieg als Badekur?
- Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
- Alter Sack antwortet jungem Sack
- Vor uns diverse Endkämpfe
- Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
- Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
- Kampf der Deserteure
- Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
- Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
- Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
- Was zum Teufel sind Blochianer?
- Affentanz um die 11. Feuerbach-These
- Geschichten vom Geist als Stimmvieh
- Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
- Trotz – Trotzalledem – Trotzki
- Der 3. Weg ist kein Mittelweg
- Matroschka –
Die Mama in der Mama
- Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
- Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
- Jan Robert Bloch –
der Sohn, der aus der Kälte kam
- Das Buch, der Tod und der Widerspruch
- Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
- Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
- Hölle angebohrt. Teufel raus?
- Zwischen Heym + Gauck
- Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
- Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
- Die Philosophenschlacht von Leipzig
- Dekonstruktion oder Das Ende der Verspätung ist das Ende
- Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
- Meine Weltbühne im poetenladen
- Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
- Die Internationale der Postmarxisten
- Dies hier war Deutschland
- Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
- Einiges Land oder wem die Rache gehört
- Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
- Macht ist ein Kriegszustand
- Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
- Damals, als ich als Boccaccio ging …
- Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
- Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
- Leipzig am Meer 2013
- Scheintote, Untote und Überlebende
- Die DDR musste nicht untergehen (1)
- Die DDR musste nicht untergehen (2)
- Ein Orden fürs Morden
- Welche Revolution darfs denn sein?
- Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
- Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
- Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
- Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
- Die heimatlose Linke (I)
Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
- Die heimatlose Linke (II)
Ein Zwischenruf
- Die heimatlose Linke (III)
Wer ist Opfer, wer Täter ...
- Die heimatlose Linke (IV)
In der permanenten Revolte
- Wir gründen den Club der
heimatlosen Linken
- Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
- Links im Land der SS-Obersturmbannführer
- Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
- Leipzig. Kopfbahnhof
- Ordentlicher Dialog im Chaos
- Büchner und Nietzsche und wir
- Mit Brecht in Karthago ...
- Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
- Die Suche nach dem anderen Marx
- Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
- Vom Krieg unserer (eurer) Väter
- Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
- Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
- Die Heldensöhne der Urkatastrophe
- Die Autobiographie zwischen
Schein und Sein
- Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
- Atlantis sendet online
- Zur Philosophie des Krieges
- Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
- Der Prominentenstadl in der Krise
- Der Blick von unten nach oben
- Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
- Vom Krieg gegen die Pazifisten
- Keine Lust aufs Rentnerdasein
- Von der Beschneidung bis zur
begehbaren Prostata
- Friede den Landesverrätern
Augstein und Harich
- Klarstellung 1 – Der Konflikt um
Marx und Bloch
- Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philosophie und Verbrechen
- Der Kampf ums Buch
- Und trotzdem: Ex oriente lux
- Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
- Der liebe Tod – Was können wir wissen?
- Lacht euren Herren ins Gesicht ...
- Die Blochianer kommen in Tanzschritten
- Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz
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