In der letzten Folge versprachen wir die Fortsetzung der geheimdienstlichen Ehetragödie, wie sie im anderthalb Kilo schweren Suhrkamp-Wälzer unterm etwas hochfliegenden Titel Johnson-Jahre mitgeteilt wird.
Fritz J. Raddatz dazu: »Er hatte seine Frau öffentlich bezichtigt, 17 Jahre für den tschechoslowakischen Geheimdienst gearbeitet zu haben.« Tilman Jens über eine Art Notizbuch: »In ihm hat Elisabeth Johnson ihre Geschichte aufgeschrieben. Eine Beichte, die ihr der Dichter abgerungen hatte, als er durch einen Zufall von der Untreue seiner Frau erfuhr. Schreibend, in tagtäglichen Eintragungen sollte sie (…) ihre Schuld gestehen, den begangenen Verrat, bekennen, Abbitte leisten. Sie hat es getan.« Günter Grass über Johnsons »tiefe Verstörung«: »Die mündete (…) in eine Erklärung, auch mir und meiner Frau gegenüber, dass er Opfer einer Bespitzelung geworden sei. Er beschuldigte seine Frau Elisabeth (…) Seitdem kursiert diese Behauptung in der Öffentlichkeit, und sie ist durch nichts belegt worden, eine bloße Beschuldigung, die aber Folgen gehabt hat, Folgen für Elisabeth Johnson und die gemeinsame Tochter Katharina Johnson.« Anschließend wiederholt Grass, Johnsons Vorwurf der Bespitzelung sei bloß »behauptet, durch nichts bewiesen« worden.« Siegfried Unseld, an den Grass sich beschwerdeführend gewendet hatte, wehrte ab: »Günter Grass stellt leider unwahre Behauptungen auf.« So bleibt es bei Behauptung gegen Behauptung. Von dieser Art Argumentation sind die 1.270 Seiten des Sammelbandes geprägt. Hat Elisabeth ihren Uwe nun 17 Jahre lang bespitzelt oder nicht? Untreue ja oder nein? Wer fragt danach, wen kümmert's außer »uns Uwe«, den jedoch hat's schwer bekümmert. Das 2007 erschienene Konvolut ist die Sterbeurkunde der Gruppe 47 und der Geburtsschein einer andern Suhrkampkultur. Aber welcher? Man darf gespannt sein. Mein in der vorigen Folge erwähnter Korrektur-Wunsch betrifft die zweite Begegnung mit UJ in Berlin, bei der ich zu unlustig, wo nicht unwirsch reagierte. Auf die Idee, er wolle seinerseits etwas berichtigen, kam ich zwar, ging aber nicht darauf ein. Es roch nach Beichte. Ich bin kein Beichtvater. Am meisten irritierte mich sein wirres Agentengerede und das Wort von der »bürokratischen Exekution«. Da ich von seiner sprachlichen Präzision nicht viel hielt und Grund genug hatte, das literarisch Hochambitionierte jeweils abzuziehen, schloss ich, er meine eine Bürokratie, die ihre Herrschaft in Ost wie West vollziehe, also »exekutiere«. Erst Jahre später verfiel ich darauf, dass die »administrative Todesstrafe« gemeint war. Der russische Begriff für diesen Vorgang ist mir nicht mehr gegenwärtig. Gemeint ist die kafkaeske Entscheidung einer oberen Behörde, einen Menschen zu ignorieren. Er soll nicht umgebracht werden. Um ihn nicht offen zu bestrafen oder gar zu töten, muss er außerhalb jeder Beachtung verbleiben, wird also totgeschwiegen und zur Unperson. Ein Beispiel dafür erlebte ich 1973, als der geplante Moskau-Besuch einer westdeutschen Schriftstellerdelegation an der sowjetischen Verweigerung meiner Einreise scheiterte. Die bei der Bonner SU-Botschaft eingereichten Papiere fanden sich unbearbeitet und bar jeder Erläuterung in unserem Briefkasten wieder. Der nachfragende Moskauer FAZ-Korrespondent Pörzgen erfuhr, die Ablehnung werde mit einem meiner Artikel begründet. Der Bonner ZdF-Redakteur Karl-Heinz Berndt erhielt genaueren Bescheid, der »administrative Todesstrafe« bedeutete. Näheres dazu u. a. in der Frankfurter Rundschau vom 7.10.73: »Die Hexenjäger: Jäger, Gejagte und Verhexte« – Neues zur sowjetischen Visaverweigerung für Gerhard Zwerenz / Auch Peter Rühmkorf betroffen?« Ich wusste, was Moskau derart ergrimmte. Was aber war der Grund, dass Johnson mit mir über das Thema reden wollte? Zwar war von ihm ein anderer Ausdruck benutzt worden oder eine abweichende Übersetzung, doch der Sachverhalt ist klar. Später fragte ich bei Hans Mayer nach, er wich aus. Tenor: Den Johnson durchschaut niemand. Das war eine seiner vielen taktischen Notlügen. Hans Mayer, Erich Mielke, Alfred Kurella und Siegfried Wagner wussten mehr als sie sagten. Siegfried Wagner soll bis zu seinem Tod im Besitz einer Johnson-Akte gewesen sein, mit der er sich als geheimer Oppositioneller darzustellen suchte. Auch Hans Pfeiffer wusste aus seiner Alfred-Kurella-Zeit am Leipziger Literatur-Institut einiges. Als wir uns nach Jahrzehnten wiedersahen, geschah das auf seiner Datsche, einem schwer erreichbaren Anwesen im tiefen Wald zwischen Bad Elster und Bad Brambach, wo 1954 Otto John, Präsident des Verfassungsschutzes, nach seinem Wechsel von West nach Ost verborgen gehalten wurde. Hans Pfeiffer, der das Waldhaus vom Geld seines DDR-Nationalpreises erworben hatte, versprach mir seine Notizen über Kurella-Johnson. In der Freude des Wiedersehens und längeren Diskussionen über den rätselhaften Fall Otto John geriet Uwe Johnson in den Hintergrund. Daran erinnerte ich Hans bei einem kurzen Treffen in Leipzig. Pfeiffer erlag wenig später einer unheilbaren Krankheit.
Uwe Neumann zitiert im schon mehrmals erwähnten Vorwort Hans Mayer, der zu Johnson bemerkte: »Je mehr man an Tatsachen über ihn kennenlernt oder herausbringt, um so rätselhafter wird alles.« Offenbar handelt es sich um ein Mayer-Johnson-Fatum. Wer daran rührt, wird vom Schicksal einbezogen. So sind die ca. 1.300 Suhrkamp-Seiten voll von Hilfeschreien, Zornesrufen, Kriegserklärungen und Todeswünschen derer, die sich betroffen fühlen, weil es die Aura der Elite verleiht, nicht unbetroffen zu bleiben. War nun Elisabeth Johnson tschechische Agentin, arbeitete sie dem Prager Geheimdienst zu oder nicht? Das Resultat bleibt sich gleich. Die deutsch- Ich wage den Schluss: Uwe Johnson ist eine Romanfigur, die Hans Mayer erfand, indem er sie seinem Stasi-Verbindungsoffizier und dem Verleger Siegfried Unseld solange einredete, bis beide Seiten ihren Nutzen erkannten. Dem Suhrkamp-Verlag verhalf Johnson zwar nicht zu hohen Einnahmen, auf seinem Konto sammelten sich lange Zeit Miese, doch das Image erblühte, die DDR aber konnte sich durch den Helden des westlichen Feuilletons mit seiner literarischen Pseudorealität eher entlastet fühlen. Der schöne Suhrkamp-Band Johnson-Jahre ist ein Schlüsselroman voller Untäter, der Rest sind jene Untoten, die schon vor ihrem irdischen Ende aus nichts als Schatten bestanden. Das Johnson-Rätsel wird in der umfänglichen Edition weiter verrätselt, allerdings enthält sie verschlüsselte Verweise auf Lösungen. Auf Seite 338 findet sich eine kunstvolle Verarsche von Fritz Schönborn, in der auch der Name Ulrich Greiner genannt wird, wer will, kann einen ausführlichen Zeit-Artikel Greiners aus dem Jahr 1996 anklicken, in dem die Uwe-und-Elisabeth-Johnsonsche Tragikomödie aufgefächert wird. Ebenfalls im Internet abzurufen ist eine faktenreiche Darstellung von Bernd W. Seiler zur komplizierten Johnson-Ehe. Die Frau ging fremd, der tschechische Liebhaber Tomislav Volek reizte den treuen Uwe bis zur Weißglut - ein Shakespeare-Stück in der Nussschale. Volek nämlich sei kein Agent gewesen, vielmehr selbst Opfer der Prager Geheimen. Seltsam unpassend ist der Umstand, dass Uwe seine Elisabeth illegal von Ost nach West schleusen ließ, die Frau aber dann ohne Schwierigkeiten ins kommunistische Prag reisen durfte, wo sie ihren Liebhaber traf, kam der aber in den Westen, trafen sie sich hier. Bleibt die Möglichkeit eines Agreements zwischen Johnson und DDR, aus der er ja nicht, wie gewöhnliche Zeitgenossen, hatte flüchten müssen, sondern offiziell in die BRD übersiedeln durfte, worauf er nie hinzuweisen vergaß. Es gab damals das Volk der Geflüchteten, die Gruppe der Verfolgten und Renegaten und die kleine Anzahl der ordentlich Übergesiedelten. An diesem Punkt verblüffte Hans Mayer mich, als ich ihn auf Johnson ansprach und er auswich mit dem Bescheid, UJ sei undurchschaubar. Dann fügte er eine witzige Anzüglichkeit hinzu, etwa in der Art: Johnson ist der dritte Mann im Quartett. Mir fiel das erst auf, als ich lange Zeit später meine Notizen durchsah. Ab Mitte der siebziger Jahre gab ich der DDR keine Überlebens-Chance mehr. 1975 schaltete ich mit dem Roman Die Quadriga des Mischa Wolf von der ernsthaften Auseinandersetzung zur humoristisch-komödiantischen Ebene um. Für mich war aus dem Ost-West-Konflikt die Luft raus. Wer konnte damals schon wissen, dass Franz Josef Strauß die Existenz des anderen deutschen Staates durch einen Milliardenkredit um eine erhebliche Zeitspanne verlängern würde. In meinem halbfiktiven Roman installiert Markus Wolf während der fünfziger Jahre vier Agenten in der Bonner Republik, eben die Quadriga. Nr. 1 war Guillaume, der es bis ins Bundeskanzleramt schafft. Der zweite hätte ich sein sollen, doch torpedierte ich den Plan, indem ich den Anwerbeversuch öffentlich machte, was in den Akten nachzulesen ist. Von den eingepflanzten Agenten 3 und 4 blieb einer unbekannt, der andere wäre Uwe Johnson gewesen. Am 11.2.1972 hieß es anzüglich im DDR-Fernsehen: »Wir grüßen Hauptmann G. in Bonn, wir haben noch mehrere davon.« Wer will, kann das als eine typische Hans-Mayer-Kreation bewerten, womit sich meine Quadriga-Story lustvoll weiterspinnen lässt. Ich verzichte darauf, die vielen Details, die für den Johnson-DDR-Deal und zugleich gegen ihn sprechen, im einzelnen aufzudröseln. Wer wie Suhrkamp einen gedruckten Dreipfünder über das Welträtsel Johnson vorlegt, sollte einen Krimi von hundert Seiten anschließen können. Mir erscheint unglaubhaft, dass Johnson nach 17 Jahren über die physische Untreue seiner Frau derart außer Rand und Band geriet. An die Nieren ging ihm der Gedanke, sie sei von langer Hand als Spionin auf ihn angesetzt worden. Da hatte er geglaubt, seinem Geheimhandel mit der DDR entgangen zu sein, ohne zum Westagenten abzugleiten und nun erwies sich dieser Osten als noch raffinierter. Das verletzte die Ehre des gestörten Poeten. Als ich Hans Mayer zum letzten Mal um Aufklärung bat, schickte er als zünftig literarische Antwort das Heft Akzente 1/ 1975, darin seine »Zwölf Xenien mit einem Coda«. Der zwölfte Vierzeiler lautet: »Er lauert am Ende vom Alphabet Offen bleibt die Frage, was mit Johnsons »bürokratischer Exekution«, genauer benannt als »administratives Todesurteil« gemeint sein mag. Nach sowjetischem Muster wurden dadurch nicht eingehaltene Versprechen geahndet. Lauerte da der Stoff für einen 5. Jahrestage-Band? Hätt' ich geahnt, welche Rätsel in dem sperrigen Uwe aus MeckPom stecken, wäre ich ihm schon in Leipzig auf der Spur geblieben. Wo er begraben liegt, wohnt, denk' ich mir, ein anderer in der Kiste. Hans Mayer aber liegt einsam gebettet inmitten des DDR-Intellektuellen-Kollektivs auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Berliner Chausseestraße. Sollte ich, seine zwölfte Xenie befolgend, ein Buch über Hänschen schreiben? Und was ist mit uns' Uwe? Was nach dem Tod Siegfried Unselds mit dem Suhrkamp-Verlag ist, zeigt sich allen Unkenrufen zum Trotz in einer unerwartet polygamen Fruchtbarkeit. Die meisten Kritiker vom heiligen Feuilleton hat der voluminöse Johnson-Band so erschreckt, dass es ihnen die Sprache verschlug. Die Havemann-Sippe jedoch hält den verwitweten Verlag episch am Köcheln und mit dem aus seinen blamablen Niederungen wieder auferstandenen Enzensberger und seinem Hammerstein wird gar die Sellerspitze ersprintet, wobei allerdings der kleine freche Berlin Verlag mit Jonathan Litttels Marathon-Roman Die Wohlgesinnten querschießt, soweit es die medialen Gefechtsfelder betrifft. Das alles hat mehr mit Uwe Johnson, Sachsen und der Leipziger Buchmesse zu tun, als es unseren professionellen Schlaumeiern bewusst ist. Wir werden das Thema wieder aufnehmen, und was mich betrifft, werde ich an der Pleiße etwas dazu sagen, denn es bereitet Spaß, Hans Mayers Rat zu befolgen und dabei Sachsen gegen die äußeren und inneren Besatzungstruppen der Unwissenheit, Inferiorität und Geschichtsvergessenheit zu verteidigen. Nicht ohne Hintersinn sei dieses illustre Kapitel beschlossen mit einem kurzen Stück lyrischer Prosa aus unserer Leipziger Zeit:
Am Montag, den 24. März 2008, erscheint das nächste Kapitel.
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Gerhard Zwerenz
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