Zur Geschichte meiner Gedichte
er hatte speichel nicht genug im maul
um auszuspucken vor geladnen gästen vor dem wirt dem vieh das faul besoffen lag in leeren flaschenkästen er hatte würmer nicht genug im bein sie einzufädeln allen feisten fressen die da du gott erbarm dich mein der teufel abzuholen hatt' vergessen Geschrieben Ende 1943 im Zweierbunker vor Monte Cassino. Ist ne Weile her. Staunend blicke ich zurück und seh mich als einen fremden Anderen.
er saß und stank wie eine ungewaschne nonne
sein aug war leer und tief und in der bleichen neonsonne sah angewidert er umher und schnief: ich sitz und staun das ist euch nun daraus geworden die lippen dünn und schief die brust voll spinnweb und voll orden ihr meine lieben die ihr das vermessen ihr sollt auf tausend feuern schwitzen keine stunde soll man euch vergessen und die öfen gut erhitzen In meinem Buch Soldaten sind Mörder – Die Deutschen und der Krieg (1988) gibt es ein Kapitel Heldengedenken, und darin steht: Wilhelm Strasser zählte zwanzig Jahre, als ihn nahe Adrano in der sizilianischen Gluthitze des 4. August 1943 ein riesiger dolchartiger Splitter ins Herz traf. Wir lagen unter den ausgebrannten Skeletten abgeschossener Panzer, die uns vor den gutgezielten Garben eines feindlichen MG schützten. Der Granatsplitter musste seitlich knapp über der Erde in den schmalen Spalt eingedrungen sein. Ich nahm dem Toten die Erkennungsmarke ab, sammelte seine paar Habseligkeiten ein und schickte sie abends mit dem Melder zum Kompaniegefechtsstand zurück. Ende September lag ich im sächsischen Freiberg im Lazarett. Strassers Vater besuchte mich, um etwas mehr über den Tod seines Sohnes zu erfahren, dabei ließ er die Zeitungsanzeige da, die ich einsteckte und erst nach der Abreise des Mannes las: „Unsagbar hart und schwer traf uns ganz unerwartet die überaus traurige Nachricht, dass unser einziger über alles geliebter, herzensguter Sohn, Neffe und Kusin Wilhelm Strasser – Gefreiter, MG-Schütze in der Division Hermann-Göring – im blühenden Alter von 20 Jahren, getreu seinem geschworenen Fahneneide, für Führer und Heimat am 4. August 1943 bei den harten Abwehrkämpfen auf Sizilien den Heldentod fand. Sein Heldengrab liegt etwa 2 km von Adrano in fremder Erde, doch uns wird er unvergesslich bleiben. Wer ihn kannte, weiß, was wir mit ihm verloren haben. Sein stets geäußerter Wunsch, seine Lieben und seine Heimat wiederzusehen, blieb ihm unerfüllt. Das hl. Requiem findet am Mittwoch, den 15. September 1943 um 10 Uhr vormittags in der Pfarrkirche zu Hoflau statt. In unsagbarem Schmerz und tiefer Trauer – Johann und Anna Strasser – Eltern – im Namen aller Angehörigen und Verwandten.“
ihr meine onkels – lieben tanten
euch soll man mit torpedos schießen auf euren glatzen sollen fallschirmjäger landen und eurem ohr wird stacheldraht entsprießen und endlich all ihr alten würdenträgerkrüppel euch wünsch den buckel ich voll knüppel und siebzehn eheweiber untern bauch und blasensteine in den schlauch euch soll der teufel in der hölle braten elektrisch und ganz langsam heiß und wenn euch hungert nehme man oblaten und klebe sie auf euren steiß Was konnte die Eltern bewogen haben, die unsäglichen Floskeln von Fahneneid, Heldentod und Heldengrab in die Zeitung zu setzen? Der Vater des Toten tat mir ein wenig leid, wie er so bedrückt an meinem Bett stand. Das „hl. Requiem“ für seinen gefallenen Sohn lag erst vierzehn Tage zurück, der Tod vier Wochen. Mag sein, die Kämpfe auf Sizilien steckten mir noch in den Gliedern, kann sein, ich benutzte das Auftauchen des „Heldenvaters“ unbewusst zu einer Abwehrreaktion. Mancher bricht an der Front zusammen und dreht durch, ich hatte die Feuertaufe mit äußerlicher Gelassenheit ertragen und den Rückzug wie ein kampferprobter alter Soldat mitgemacht, war aber innerlich mit dem Geschehen nicht fertig geworden. Der Besuch des alten Herrn stürzte mich in eine anhaltende schwere Krise. Es gelang mir nicht, den geschwollenen Text der Traueranzeige mit meinem Erlebnis von Kampf und Tod zu vereinbaren. Es ist Lüge, dachte ich, sie lügen alle, selbst diese naiven, liebenswerten Eltern lügen, und ob sie es wissen oder nicht, mit ihren falschen Worten töten sie den Sohn ein zweites Mal.
Ich war wohl ein wenig dumm mit meinen achtzehn Jahren, ein Produkt des Dritten Reiches und ein Held, der nichts und gar nichts begriff außer dem Umstand, dass ihm die Worte verdächtig wurden.
und wenn euch dürstet sollt ihr feuer saufen
man gieß es euch mit kannen in den schlund und solltet ihr den bart euch raufen befehle ich: kv-gesund und ab mit euch gleich in die nächsten schlachten im gleichschritt marsch drei vier so wills die order von dem wiederaufgewachten auferstandnen musketier sie sollen alle mein gedenken und die Gedanken rückwärts drehn ein gutes pferd ist leicht zu lenken das schlechte heißt die peitsche gehn Was ich im Buch nicht schilderte und nicht für erwähnenswert hielt oder als unangenehm empfand, war mein Hustenanfall, nachdem ich die Anzeige gelesen hatte. Der Husten war ein kaschierter Lach-Anfall, bei dem ich das Gesicht ins Kopfkissen drückte. Als sich 2004 die Todesanzeigen für im 2. Weltkrieg Gefallene in der Presse häuften, verwunderte mich das nicht nur wegen der oft peinlichen nationalen Sprüche unserer Späthinterbliebenen. Im Jahr 2005 eskalierten die Trauerbekundungen, einer zeigte gar seinen toten Verwandten aus dem 1. Weltkrieg an. Wer wollte da mit neunzigjähriger Verspätung wen informieren? Wenn dahinter der noch nicht überwundene Schmerz als Antriebskraft steckte, warum blieb er nicht individuell und nutzte den Totensonntag oder Volkstrauertag? Weshalb die teure Veröffentlichung? Spielt Schuld, vielleicht verdrängte, eine Rolle? Ist die kollektive öffentliche Trauer nicht selbst eine schiere Verdrängung? Wird sie der Kirche und dem Staat per Ritual überlassen, statt dem Tod den Versuch rationaler Reflexion oder das Licht der Vernunft entgegenzusetzen?
In der Zeitschrift Ossietzky, der ich mich schon wegen des Namens eng verbunden fühle, ließ ich meinen Protest gegen die neudeutschen Zustände einrücken. Unter der Titelzeile Deutsche Opfer. Neue Nachrufe hieß es: Sie fielen für den Staat, steht da zu lesen. Er opferte sein Leben für sein Vaterland. Das Vaterland jedoch achtet sein Opfer nicht. Wer aber opferte sich da für welchen Staat? Für welches Vaterland? Hier werden Tote für die Politik von heute benutzt. Der Krieg geht weiter als Schlacht um die Erinnerung. Der Fisch beginnt am klugen Kopf zu stinken. Immerhin wurde das Eiserne Todeskreuz vom Hakenkreuz befreit, auf das die toten Soldaten ihren Eid leisteten, als sie noch lebten. Welch ein Fortschritt. Wir dürfen hoffen. Freilich - noch fehlt die stolze Trauer, mit der von 39 bis 45 der Tod angezeigt wurde. Immerhin sind wir schon beim Bekennermut angelangt. Mein Vorschlag zur Güte: Die FAZ stiftet die Anzeigenerlöse fürs geplante Freiheitsdenkmal.
den feldpfaff will als ersten ich gemahnen
und meine flüche soll er mehr als ahnen und spenden mir drei schwere kerzen dafür wünsch ich ihm kreuz- und gliederschmerzen mein general das wilde vieh dem wünsch ich ein geschoss ins knie und auch - damit die rechnung ganz drei kugeln in den steifen schwanz auch meines obersten will ich gedenken der mich gar oft hat kujoniert man soll ihn sonntagmorgen henken bevor er seinen kirchgang absolviert Die Rohfassung der superben Verse schleppte ich Anfang 1944 im Brotbeutel mit auf den Hauptverbandsplatz in den Albaner Bergen südlich Roms und von dort ins Lazarett nach Merano in Südtirol, wo ich, um mich mit Wut aufzumöbeln, Ernst Jüngers In Stahlgewittern las. Als ich Jahrzehnte später erfuhr, einige Dichter der aufgehörten DDR haben, ihre Freiheit genießend, als erstes den Pour le mérite-Träger aufgesucht, und weil ich heute, lange nach Jüngers Tod, immer wieder auf ehemalige östliche Rezensenten stoße, die in ihren Artikeln ehrfürchtig vor dem Herrn Hauptmann a. D. auf die Knie fallen, gab ich meine frühere Heimat endgültig verloren.
und meinen hauptmann will ich grüßen
ich lasse ihn in händen seines weibes er wird ihr seine taten büßen mit der erschlaffung seines leibes was unser leutnant war der kleine der ließ vor moskau seine beine ihm schenk ich geld für eine fahrt dass er sie wiederfinde wo ich sie verwahrt den dichtern die den feldzug stolz besungen ist blei in nas und maul zu gießen darauf sind ihre aufgeblähten lungen streng und einzeln zu erschießen Die 23 Vierzeiler reisten vom Lazarett mit zum Genesungsurlaub nach Hause und nach dem Krieg mit nach Leipzig, wo Abdruck-Versuche misslangen, bis dieses und andere Gedichte 1962 in Köln bei Kiepenheuer & Witsch im Band Gesänge auf dem Markt erschienen. Auf den anschließenden Lesereisen erwies sich das Buch als Hit. Der derbe Witz und die Sarkasmen dieser Art Poesie ernteten einverständiges, dröhnendes Gelächter. Kein Wunder, der Krieg lag noch erinnerbare Jahre zurück.
die richter die zum ganzen jagesprochen
sind in die höchsten kirchentürm zu hängen doch ihre herzen soll man vorher kochen dass sie beim läuten nicht die glocken sprengen die lehrer aber die den kindern in der klasse das rückenkrümmen beigebracht sind zu erschießen in der masse und ihr gebein verstreue man bei nacht Von Hamburg her verlangte damals konkret nach meinem schönen, frechen heimgekehrten Soldaten. Das ergab in der Blattmitte zwei deftige Seiten, die mir als Fahnen zugeschickt wurden. Da kehrten Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof von einem ihrer geheimen Besuche bei SED-Genossen und Geldgebern zurück und warfen meinen pazifierenden Musketier weisungsgemäß aus dem Heft. Meine liebenswürdigen Verse wollten sie dort nicht, dafür wünschten sie sich meiner in persona zu bemächtigen, formiert war dazu bereits eine ZK-Kommandogruppe Arne Rehhan. Inzwischen war unser Freund Heinz Brandt entführt worden, was internationales Aufsehen und eine Menge Aufregung hervorrief. Mir fehlte es überdies an Zeit für solche geografischen Abschweifungen, wollte ich doch unverdrossen den Dritten Weg begehbar machen.
so sprach der alte grobe kämpe
und schimmelte am hals schon taub und leer und hob zwei knochen an des helmes krempe dann ging er fort und war nicht mehr die gäste die in der kaschemme vergessen suchten und ein fühlsam herz die saßen übel in der klemme und fühlten fast wie du den schmerz Die 23 Vierzeiler sind meine hauseigene Marke. Aus der Volksschule kannte ich einige Goethe- und Schillergedichte und während des Dritten Reiches lag daheim gut verborgen im Kleiderschrank Heinrich Heines Buch der Lieder. Von 1962 bis 1965 trug ich in vielerlei großen und kleinen Städten aus meinen Gesängen auf dem Markt vor. Ab Herbst 1966 musste ich mich plötzlich einem Schelmen-Roman widmen, der aus Versehen zum Bestseller aufstieg. So vergaß ich meine drei Jahre Dichterleben in Saus und lyrischem Gebraus.
doch sie besannen sich nicht lange
und stießen voll die gläser an denn wer getrunken hat spürt keine bange noch angst vor einem toten mann Epilog: Die im vitalen Offenbach geborene Thea Dorn, die ihren Autorennamen in Annäherung zu Theodor Adorno erfand, der inkubierte Dorn mag allerdings mehr Stachel sein als der stilistische Schliff vermuten lässt, diese mainische Thea also geriet am 18. August 2008 über 3 Sat und die Bühler Begegnungen des Baden-Badener SWF-Ex-Intendanten Peter Voß in mein Blickfeld. Voß, sonst eher sparsam mit Worten, hemmte die keineswegs wortkarge Frau Dorn am Redefluss, bis das Duett einem Duell ähnelte. Erinnerlich bleibt Dorns Begründung ihres Übergangs von der Philosophie zur Literatur, weil sie in dieser Sparte auch die „schwarzen“ Seiten des Lebens beschreiben könne, während es in der Philosophie immer nur um „Aufklärung“, also die hellen Seiten gehe. Mir scheint, die Autorin hegt einen zu hellen Philosophie-Begriff, was ihr dunkle bis zu Kriegshetze und Faschismus reichende philosophische Theorien verschließt. Literarisch freilich lässt sich flotter fechten als in akademischen Gärten, wo das Kauderwelsch blüht.
Das abendländische Denken befindet sich in einer Legitimationskrise. Das ist unser heutiger Weltzustand, den Thea Dorn im Spiegel 2/09 immerhin halbherzig anreferiert und das ist ihre „Lust an der Apokalypse“ mit allem zugehörigem Schutt von FAZ-Schirrmacher zurück bis FAZ-Sieburg und was Google sonst noch so hergibt. Dabei ist dieser Essay ein cooles Satzwerk verglichen mit dem Essay des Paul Nolte im Spiegel 48/08, wo wiedermal ein Professor als Nachfolgeheld der Kriegsgeneration das Loblied kriegerischer Nachfolge-Normalität singt, Motto: „… einfach Wegblenden und Ignorieren geht nicht mehr.“ Gemeint sind Bundeswehr und Kriege als künftig ganz normale Tagesordnung. Das zugehörige Foto zeigt die soldatisch-bunte Pracht beim Feierlichen Gelöbnis in Berlin am 20. Juli 08, als Oberleutnant a.D. Helmut Schmidt seine acht Jahre währende treue Pflichterfüllung in Hitlers Wehrmacht als Vorbild für heutige BW-Rekruten empfahl. Ja, wie viele Vorbilder stehen uns denn noch ins Haus? Sind das lauter Nachfolger Stauffenbergs? Nur wenn's drauf ankommt, fehlen sie. Auf die nächste Aufrüstung folgt die nächste Niederlage und folgen neue feierliche Heldengedenktage. Wolfgang Borchert: Sag NEIN! Prof. Paul Nolte: Sag JA! Da ist Thea Dorn noch zurückhaltend, wenn sie fürs erste lediglich Helmut Schmidt folgend die hoffnungsschwangere Utopie verwirft, die nur „die Hölle auf Erden“ schaffe, womit der ewige Krieg zum himmlischen Zustand einer Nichthölle auf Erden erklärt wird. Der alte Immanuel Kant wird noch im Sarkophag Platz schaffen müssen, um seine utopische Schrift Zum ewigen Frieden zu verbrennen.Thea Dorn zündet das Feuerchen an, Paul Nolte erklärt der trauernden Friedensgemeinde, warum der schöne Begriff vom „gefallenen Soldaten“ zum unverbrüchlichen deutschen Wortschatz gehören muß. Hinterher zeigen die Kriegsbetreiber auf unsereinen und sind fein raus als Professoren, Minister, Priester, Generäle und dergleichen Unschuldslämmer. Zwischendurch darf im Hamburger Magazin ein weißer Rabe oder roter Vogel wie der aufgeklärte Sozialpsychologe Harald Welzer wider den Stachel löcken und Dirk Kurbjuweit nimmt den deutschen Flottenkrieg gegen Piraten auf die Schippe. Maßgebend aber sind die neuen Helden von Cora Stephan bis Paul Nolte mitsamt der noch etwas zu literarischen Thea Dorn oder es geht gleich um das Glück der Sterbehilfe, wie sich der Krieg ja auch definieren lässt.
Angesichts der regressiven Zustände und Aussichten schrumpfen die Geburtsfehler der DDR auf den eigenen Untergangsbeitrag ein. Die Opfer an Mauer und Grenze? Die bürgerliche Weimarer Republik brachte es im Jahrdutzend ihres Bestehens auf ein Vielfaches von gewaltsam getöteten Menschen.
Kurzum: Zu den heutigen und kommenden Kriegen fallen mir keine Verse mehr ein. Geschichte läuft eben so. Die Führer führen. Das Volk liquidiert erst andere und dann sich selbst. Seine Herren aber loben seit zwei Jahrtausenden ihren Jesus Christus und missachten, was er lehrte. 1960 wurde Heinrich Böll zur Leipziger Buchmesse eingeladen und bot mir an, meine Mutter in Crimmitschau aufzusuchen. Da ich das Land nicht betreten durfte, freute mich das sehr. Ein direkter Kontakt ergab sich nicht, doch Böll vergaß sein Versprechen nicht und fand einen anderen Weg. Sein Kartengruß ist mir wie ein Gedicht.
Das nächste Kapitel erscheint in zwei Wochen am Montag, den 23.03.2009.
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Gerhard Zwerenz
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