Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
Hager: Das gilt vor allem für Professor Bloch und seinen Kreis. In dieser Forderung nach dem „menschlichchen Sozialismus“, die ganz offen von einem ehemaligen Blochschüler, von Zwerenz, in einem Artikel im Telegraf erhoben worden ist, drückt sich das Bestreben aus, scheinbar einen Weg zu suchen, der angeblich die Härte unseres Weges vermeidet. Es gibt aber keine Verwirklichung des Sozialismus ohne Arbeiter- und Bauernmacht, ohne den Kampf gegen die Imperialisten und ihre Agenturen und ohne harte Schläge gegen diejenigen, die sich unserem sozialistischen Aufbau entgegenstellen und die Machenschaften der Militaristen und Liberalisten befürworten.
Das vorgelegte Material beweist, dass nach dem 20. Parteitag Ernst Bloch mehr und mehr eine Position bezog, die in einem bestimmten Teil der Intelligenz, der Studenten und der jungen Künstler dazu führte, konterrevolutionäre Stimmungen und Handlungen zu nähren.
Walter Ulbricht: Nicht nur nährte, sondern erzeugte.
Hager: Ja, erzeugte und zugleich auch nährte.
Zuruf: Er hatte doch seinen Plan für die Konterrevolution!
Hager: Offensichtlich. Das Material zeigt, dass ein ganzer Kreis von sogenannten Schülern vorhanden war, die in dieser Richtung unter dem Einfluss des Lehrers wirkten.
Zuruf: Hunderte von Studenten sind dabei verbraucht worden!
Hager: Ich muss durchaus die Kritik akzeptieren, die vom Genossen Walter Ulbricht geäußert worden ist, dass die Auseinandersetzung mit Bloch nicht offen und konsequent geführt worden ist.
Kurz zusammengefasst: Unser Haussuchungsprotokoll vom 9.9.1957 gelangte über Markus Wolf/Erich Mielke zu Ulbricht, der es im Oktober auf dem 33. ZK-Plenum sofort nutzte. Aus seinem Vorwurf eines Bloch-Plans zur Konterrevolution destillierte Mielke rasch eine ihm geläufige Trotzkismus-Beschuldigung, die aus den bei uns beschlagnahmten Papieren resultierte, aber auf Bloch nicht zutraf, war er doch, brachte ich Trotzki ins Gespräch, stets ins Geschichtswissenschaflliche ausgewichen. Zur Illustration eine Anekdote: Laut Geheimbericht der Quelle Wild vom 17.12.1957 bemerkte Bloch zu Hans Mayer, „… seine Frau habe zweifellos einen trotzkistischen Zug.“ Da lag das 33. Plenum erst wenige Wochen zurück. Die Information dürfte Mielke gefreut haben, zwar konnte er Ernst Bloch nicht direkt bezichtigen, doch die Ehefrau Karola war dem erklärten Hauptfeind Trotzki keineswegs abgeneigt.
Zum chronologischen Ablauf 1956/57: Das Projekt Philosophie in Aktion, mit Wolfgang Harich im Vorjahr anhand von Platon in Syrakus kurz erörtert, wird mit Chruschtschows Rede in Moskau unerwartet aktuell. Ich versuche beim Greifenverlag noch, das druckfertige Manuskript über Aristoteles und Brecht auf den neuesten Stand zu bringen. (Brief vom 24. 3. 1956 – Bezug auf 20. Parteitag)
Briefe vom 8.9. und 16.9.56 an die Sonntag-Redaktion: Veränderungs-
Da die sichergestellten Haussuchungs-
Im Oktober 56 Ungarn-Aufstand. Wird niedergeschlagen. Blochs Rückzieher, Markow rät Bloch zur Absicherung, so entsteht die Bagatellisierung, deren Graf sich in seinem Ulbricht-Buch noch 2008 bedient. Bloch hatte sich zu weit vorgewagt. Ulbricht griff ihn politisch scharf an, die philosophisch formulierte Verdammung druckte Neues Deutschland am 19.12.56 – Autor R.O. Gropp: „Idealistische Verirrungen unter antidogmatischem Vorzeichen“.
Ab Anfang 1957 war Bloch der Zutritt zum Philosophischen Institut nicht mehr erlaubt. Markow und anderen älteren Genossen fiel es nach ihren antifaschistischen Kämpfen schwer, neue Risiken einzugehen. Das mussten Jüngere wie wir tun. So bewertete ich es bei meinem letzten Leipziger Gespräch mit Bloch.
Dass die DDR trotz der 1956 verweigerten Veränderungen noch bis 1989 durchhielt, überraschte mich ebenso wie der von F.J. Strauß veranlasste Kredit für Honecker. Verlängert wurde nur der Todeskampf. Der versäumte Paradigmenwechsel, die bald zurückgenommene Ent-Stalinisierung führten zum Ende des Modells Ost-Sozialismus, was die regierenden Eliten nicht wahrhaben wollten. Regieren macht blind. Karriere ist Negativauslese, tröstet mich der kleine Anarchist im linken Ohr.
Neueste Nachrichten aus Sachsen: Der Milbradt nachfolgende Ministerpräsident Stanislaw Tillich verlieh am 16.1.2009 dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin einen sächsischen Dankesorden. Slawen unter sich? Stanislaw pro Wladimir?
Sachsens Urgermane August der Starke war sächsischer und polnischer König. Polen und Russen sind Slawen, doch wenig brüderlich. So wenig wie der vergangene Bürgerrechtler Werner Schulz, ein widerspenstiger geborener Zwickauer, der seinen sorbischen Ministerpräsidenten Tillich bösartig mit dem giftigen Satz „Blockflöte für Tschekisten“ bewirft. So greifen Intellektuelle und Politiker tief in die sonst gern verschwiegene Geschichte, um die Gegenwart in den Griff zu kriegen. Der grüne, aber niemandem Grüne will endlich Europaabgeordneter werden. Die Blockflöte Tillich ist schon was. Der Tschekist Putin jedoch kann Gas geben – oder auch nicht. Davon abgesehen, höre ich gern vom Ordensgeschenk des Sorben an den Russen und von der Schulz-Polemik dagegen. Der duckmäuserisch stille Freistaat wird doch nicht etwa polemisch werden, bevor er wegen Einwohnerschwund schließt und Tillich sich in August's Nachfolge zu Polen schlägt?
Kurz bevor Walter Ulbricht im Oktober 1957 auf dem 33. ZK-Plenum den Philosophen Bloch der Konterrevolution beschuldigte, gab es in Leipzig eine Kulturtagung … zur Vorbereitung der Kulturkonferenz des ZK der SED mit Paul Wandel, Kurella und anderen, darunter der frühere Pastor und nachmalige Philosophiedozent Heinrich Schwartze mit seinem Vortrag über Die Illusion vom dritten Weg:
„Zweifellos übt der ›ethische‹ Sozialismus auf Kulturschaffende und Kulturbeflissene anziehende Wirkung aus. Auch wenn wir wissen, dass sich dahinter Gift verbirgt. Ob überlegt oder unüberlegt bleibe dahingestellt, erscheint in der heutigen Ausgabe der Sozialdemokratischen Tageszeitung Telegraf In Berlin ein Beitrag von Gerhard Zwerenz unter der Überschrift: ›Die Gedanken sind frei. Ernst Bloch und seine Gegner.‹
Diesem Beitrag sind kurze redaktionelle Bemerkungen vorangesetzt, in denen gesagt wird, es gebe bei uns in der Deutschen Demokratischen Republik einen politisch- geistigen Konflikt zwischen denen, die zum Zentralkomitee unserer Partei stehen, und den Intellektuellen, die eine Regeneration des Marxismus zum ›menschlichen‹ Sozialismus leidenschaftlich befürworten. Der Repräsentant dieser Befürworter des menschlichen Sozialismus sei der Leipziger Professor der Philosophie Dr. Ernst Bloch. Zwerenz erklärt nun näher, welcher Art diese alten, nicht erst aus diesem Jahr stammenden Differenzen seien und sagt auf sehr billige und ungründliche Art, diese Differenzen würden mit der Intellektualität von Ernst Bloch zusammenhängen; Bloch sei nämlich Philosoph, er sei ein Mann, der nicht wiederkäue, sondern selbständig schaffe, und er sei Marxist. (Heiterkeit)
Liebe Genossen! Hier muss man einen Augenblick verhalten und fragen, worin denn der von Zwerenz und vom Telegraf behauptete Marxismus in Blochs Philosophie liegt? Genosse Wagner wies heute im Referat nach, dass in der Philosophie Blochs nichts Marxistisches enthalten ist. Genosse Fröhlich hat das noch unterstrichen. Kurz gesagt die ›Hoffnungsphilosophie‹ von Ernst Bloch und die Ausführungen des Genossen Duncker über unsere sozialistische Zukunft unterscheiden sich wie die Nacht vom Tag …
Ich kehre zu den Gedankengängen von Zwerenz zurück. Zwerenz sieht Im XX. Parteitag eine Chance für den Sozialismus, ›menschlich‹ zu werden. Er sieht in Bloch .das Haupt eines Kreises, der diese Chance zu nutzen versuchte, daran allerdings gescheitert sei. Von diesem Bloch-Kreis verrät Zwerenz nun etwas, was wir zwar allgemein schon immer wussten, aber in solcher Deutlichkeit als klares Bekenntnis von den Leuten dieses Kreises bisher noch nie erfahren haben; und das ist folgendes: Die publizistische Wirkung des Bloch-Kreises in den Zeitungen und Zeitschriften der DDR schätzt Zwerenz schon als beträchtlich ein, aber für noch beträchtlicher hält er die Tatsache, dass der Bloch-Kreis allein schon durch seine Existenz ein Politikum sei. Er sagt: Dieser Kreis gab für den Kampf an der Karl-Marx-Universität in Leipzig den Vertretern des ›menschlichen‹ Sozialismus Rückhalt und hatte spürbare Auswirkungen im kulturellen und politischen Leben Leipzigs und weit darüber hinaus. Die Philosophie Blochs, welche die Möglichkeit eines ›menschlichen‹ Sozialismus bezeichnet, und eine humanisierende Politik seien die Philosophie eines wirklichen ›eigenen‹ Weges zum Sozialismus, ohne Aufgabe wesentlicher sozialistischer Ziele. Das ist knapp gesagt der dritte Weg. Hängt eine gewisse Liebäugelei mit diesem dritten Weg nicht eng zusammen mit der Furcht vor den harten Forderungen der Diktatur des Proletariats, hängt nicht mit dieser Furcht vor den harten Forderungen der Diktatur des Proletariats eine gewisse Anfälligkeit der Kulturschaffenden für den dritten Weg zusammen?
Welche politischen Absichten der sogenannte Bloch-Kreis verfolgt, der sich durch den Mund von Zwerenz vorstellt, ist klar. Es sind im Grunde die gleichen Absichten, die Harich auf die präziseste Formel gebracht hat: Auflösung des Zentralkomitees und Umbildung der Regierung. Oder mir anderen Worten: Nicht nur Stopp für den Aufbau des Sozialismus, sondern die Liquidierung des Sozialismus überhaupt.
Und Professor Bloch? Darf er länger schweigen, wenn Leute wie Zwerenz kommen und sagen, sie seien seine Schüler und behaupten, das ihrige bei ihm gelernt zu haben? Steht Ernst Bloch jetzt nicht vor der Notwendigkeit, ein Wort zu dem Treiben derer zu sagen, die sich Bloch-Kreis nennen? Ist er so schlecht wie die, die sich auf ihn berufen, oder ist er besser? Wir können diese Frage im Augenblick nicht beantworten, weil er schweigt, aber nun müsste er – unser Mitbürger, Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin, Träger des Nationalpreises der DDR – nun müsste er sprechen.“ (Neues Deutschland,
15. Oktober 1957)
Soviel an überlieferten SED-Erpressungsversuchen aus der Zeit brausender Klassenkämpfe und weil doch der Dritte Weg inzwischen im stern wahrgenommen wird, aber kein Holzweg sein sollte nach den vielen Holzwegen des östlichen Staatssozialismus und des westlichen Kriegskapitalismus. Um nicht missverstanden zu werden, hier meine Konfession aus Sklavensprache und Revolte, Seite 282/83: Mein Verhältnis zu Bloch war anfangs das eines dankbaren Zuhörers. Nie war ich sein Schüler, denn mir fehlte der Glaube. Ich hielt es mehr mit Schopenhauer. Aus dem Vierteljahrhundert Bekanntschaft wurde bald Freundschaft, doch stets mit Reserven. Als Bloch 1955 den Nationalpreis erhielt und sich sicher zu fühlen begann, versorgte ich ihn insgeheim mit internen Informationen über seine Gegner in der Partei, was wichtig für ihn war. 1956 hatte ich mir vorgenommen, Bloch zu den Konsequenzen seines Denkens zu verführen. Ich sage „verführen“.
Er wusste, was er tun müsste, riskierte es jedoch nicht. Jener Besuch bei ihm, von dem Karola berichtet, war mein letzter Versuch. Wenn ich schon westwärts gehen müsste, würde ich nicht wie andere schweigen, nahm ich mir vor. Da ich in Bloch den Reform-Philosophen sah, wollte ich, dass er es offen erweise und nicht wie bisher taktisch verdecke. Verstand er mich nicht oder wollte er nicht verstehen? Ich begriff, dass er in seinem Alter vor dem Risiko zurückschreckte.Im Westen nutzte ich jede Möglichkeit, ihn über die Medien zur Konsequenz zu provozieren.
Das hatte Folgen, die bis zu Helmut Schmidt reichten.
In einem früheren Leben war ich mal launiger Bundestagsabgeordneter in Bonn, damals entstand folgende Notiz: Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Werner Schulz, ist ein guter Redner, dem ich baff zuhöre, denn er schöpft seinen Zorn direkt aus Gottes Hirnschale, im Angriff gnadenlos, ein Jäger der Sünde, und zielsicher beim Abschuss des Wildes. Ich vermute, der stirnzerfurchte Mann mit dem aschgrauen Gesicht derer, die den Feinden auflauern, weil sie sich selbst nicht vergeben können, ich vermute also, da trägt einer sich selbst als Last durchs Leben. Wenn Schulz die PDS vornimmt, bin ich an meine frühen Attacken auf die SED erinnert, jetzt suchen die Spätlinge nachzuholen, was sie zu der Zeit versäumten, als es noch gefahrvoll war, den Diktatoren entgegenzutreten.
Schulz und ich wohnten in Bonn im selben Abgeordnetensilo Heussallee 7. An einem arglos reinen Freitagmorgen, die Sonne schien wie bestellt, die Luft roch nur nach sich selbst und der Himmel über uns log sich die blaueste Bläue auf die Jacke, stieg ich die Stufen vom Eingang zur Straße hinab, versenkte hausväterlich ordentlich einen Beutel Abfall in den linkerhand aufgereihten Kunststofftonnen, wandte mich zurück, um auf die Straße zu treten, da verließ der Kollege, das grüne Mitglied des Bundestages, der mürrische Werner Schulz das Haus, erschien oben auf dem Steinpodest, von wo die Stufen herabführen, und ich wünschte einfach aus der Reinheit des Herzens heraus deutlich und artikuliert einen Guten Morgen. Es kam keine Antwort. Nach zwei Schritten blieb ich stehen, wandte mich um und erklärte: Sie sind wirklich ein Arsch!
Der Herr Kollege glotzte. Entschloss sich zu einem Geräusch, das als einsamer Lacher gedeutet werden konnte, wäre das Gesicht, dem es entfuhr, nicht so grämlich maskiert gewesen. Das war's dann auch.
In meinen gesamten vier Bonner Jahren wurde zwischen Schulz und mir kein Wort gewechselt. Mein Gruß, meine fünf nachgeschobenen Worte und sein unartikuliertes Lachen blieben die Ausnahme. Dabei hätte ich mir vom grünen Bürgerrechtler liebend gern von seinen bürgerrechtlichen Leipziger Heldentaten berichten lassen, und sei es nur, um sie zu notieren, wie es Chronistenpflicht ist. Wenn der Zwickauer Schulz jetzt retour in die Politik will und als Europaabgeordneter Mulde und Pleiße in Brüssel vertreten möchte, wünsche ich ihm dazu viel Glück. Er ist ein großer Redner. Doch das allein ist etwas wenig, wenn er schweigt oder dummes Zeug von sich gibt. Und schimpft er Putin einen Tschekisten, sollte er bedenken, Tschekisten fielen zu Zeiten seiner Väter unter den Kommissarbefehl und wurden von Deutschen ermordet.
Auf den 612 Seiten seiner eben erschienenen Innenansichten als Zeitzeugnisse – Philosophie und Politik in der DDR, Verlag am Park, Berlin 2008, unterstützt Prof. Alfred Kosing die Behauptung des Ulbricht-Sekretärs Herbert Graf, wonach es für Bloch kaum Gründe gab, die DDR zu verlassen.
So hat eben jeder sein eigenes Brett vorm Kopf und will es auch den anderen annageln. Kosing schreibt vom „zweideutigen Bloch“, was berechtigt ist. Wäre der Philosoph eindeutig gewesen, hätte die Partei ihn von vornherein nicht verkraftet. Kosing liegt Blochs „rhapsodische Denkweise und aphoristische Schreibweise nicht sonderlich“, er bevorzugt eine „an logischer Folgerichtigkeit orientierte Sprache.“ So logisch wie folgerichtig fuhren die Genossen von der elitären Orthodoxie ihren Sozialismus an die Wand. Jahrzehnte später sind sie noch genauso unwissend klug als wie zuvor. Nach dem Faust-Wort ein schöner Spruch vom spätantiken Boethius: „Si tacuisses philosophos mansinnes“, na, so sicher als Rettung ist bloßes Schweigen im Falle Kosing auch wieder nicht …
In meiner langerprobten Naivität, doch den einheitsparteilichen Ost-
gesang vom kollektiv
in der ecke stille hoden in spiritus – mit chlor geputzt abgeschnitten denn es ist verboten dass man sie privat benutzt (Gesänge auf dem Markt, Köln 1962) Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 23. Februar 2009.
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Gerhard Zwerenz
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