Vom Langen Marsch zum 3. Weg Ein Satz wie „Der Tillich war zwar willig, doch zu billig“ – sächsisch ausgesprochen – taugt als Ohrwurm glatt für die erste Seite von BILD. Sachsen hat auf Dauer kein Glück mit seinen Ministerpräsidenten. Biedenkopf spielte König Kurt, Milbradt den Banker, Tillich den Unbelasteten. Am besten wäre die Rückkehr zur Nationalen Front. Alle Blockparteien sind gleichberechtigt, die Linke verzichtet auf die Diktatur des ohnehin abhanden gekommenen Proletariats, die CDU bekennt sich offen zu ihren DDR-
Mein 3. Weg hatte mich inzwischen in das kleine Dorf Kasbach am Rhein, unweit der zerstörten Brücke von Remagen geführt, wo sich 1959 eine bunte Schar von allerlei Exkommunisten niederließ. Dort erschienen auch jene Ausspäher und Kundschafter, bei denen man nie sicher sein konnte, arbeiteten sie für Ost oder West oder für beide. Dass unsere Richtung DDR gezielte Zeitschrift Der dritte Weg insgeheim von Günther Nollau finanziert wurde, der die Ost-Abteilung des Verfassungsschutzes leitete, erfuhr ich erst später. Es machte mich aber misstrauisch genug, um Nollau auf der Spur zu bleiben, als er an die Spitze des Amtes gelangte. Weil ich später wegen der Affäre Guillaume in Bonner Behörden recherchierte und dabei Nollaus Aktionen tangierte, reagierte er auf eine Art und Weise, die ich aus der DDR nur zu gut kannte. Dabei wusste Nollau gut genug Bescheid, um absolut auszuschließen, ich stünde etwa in Diensten der DDR. Doch die Strukturen der unteren Dienste versauen die Charaktere der Oberen bis zur Schizophrenie. Und umgekehrt.
Wer dieser eine mit der Idee des Dritten Weges war – nun ja – ich war als Vertreter dieser Richtung hinreichend bekannt, ohne zu ahnen, dass Ulbrichts Material vom 33. Plenum inzwischen in Bonner Kreisen umlief. Schon 1957/58 gab es Teilabdrucke in der Wochenzeitung Das Parlament, andere Textstücke kursierten in Ämtern und bei geheimen Mittelsmännern beider Seiten. Carola Stern zitierte mir bei Lektoratsbesprechungen im Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch Sätze aus dem Durchsuchungsprotokoll unserer Wohnung von 1957, das ich selbst gar nicht kannte. Geheimdienstdschungel eben. Im Exilort Kasbach wucherte der prächtig.
Nollau weiter im Text: „Wir druckten ein bescheidenes Blättchen, nannten es ›Der Dritte Weg‹ und versandten es an Kommunisten in Ost und West, deren Anschriften wir uns beschafften. Wir hatten auch eine Spalte für Leserbriefe geschaffen und baten um Zuschriften. Auf diese Weise hofften wir, Kommunisten kennenzulernen, die Gegner des Stalinismus waren. Im Mai1959 starteten wir unser Blättchen mit dem Artikel ›Zwischen Stalinismus und Kapitalismus‹. Die Angriffe auf den Stalinismus fielen uns leicht. Aber um glaubwürdig zu sein, mußten wir auch den Kapitalismus und die Politik der Bundesregierung kritisieren. Das war zwar nicht schwer, denn an der damaligen Ostpolitik gab es zum Beispiel manches zu beanstanden. Aber die Angriffe mußten so dosiert sein, dass sie, falls das Unternehmen einmal platzte, vor der Dienstaufsichtsbehörde zu vertreten waren. Diesem Teil des Balanceakts widmete ich mich selbst. Ich schrieb zwar keine Artikel, aber alle zwei Wochen hielten wir in einer Kölner Wohnung eine Redaktionssitzung ab, in der ich – als eine Art Chefredakteur – für die richtige Dosierung sorgte. Dabei diskutierten wir auch über die Resonanz, die unser Blättchen hervorrief. Wir konnten zufrieden sein: In der DDR hatten wir anscheinend eine offene Wunde berührt. Sogar Walter Ulbricht befasst sich mit dem ›Drltten Weg‹. Am 26. Juni 1959 erklärte er vor Intellektuellen in Dresden: ›Was bedeutet diese Konzeption des sogenannten Dritten Weges? ... Zwischen den Fronten kann man nur das Leben verlieren.‹ Noch mehr als die Angriffe Ulbrichts erfreute uns Der Spiegel mit einem Artikel, dessen Ausgabe vom 16. September 1959 unter der Überschrift ›Dritter Weg‹ erschien. Darin hieß es: ›Ausgerechnet einer Zeitschrift solcher Ideal-Kommunisten, einem obskuren, seit Mai dieses Jahres in Koblenz erscheinenden Blättchen, widerfuhr die Ehre, für die größte ideologische Abwehrkampagne in der Geschichte der SED den Titel liefern zu dürfen.‹
Wir waren dankbar für die kostenlose Reklame, die Der Spiegel für unser in der Tat obskures Blättchen machte. In dem Koblenzer Postfach, an das wir Zuschriften erbeten hatten,stauten sich die Anfragen. Unser Zweck, Anschriften ideologischer Abweichler zu erhalten, war damit erreicht. Wir ernteten auch Anerkennung von anderer Seite. Als ich einige Nummern des BIättchens an einen der größten westlichen Nachrichtendienste mit der Bitte um Beurteilung gesandt hatte, erhielt ich die Antwort:
›Nach unserer Meinung ist ›Der Dritte Weg‹ eine der besten Sachen, die wir im Bereiche der SED-Opposition gesehen haben. Die Themen sind gut gewählt. Die Artikel sind treffend und gut dokumentiert …‹ Die kIugen Spiegel-Redakteure hatten sich nicht die Frage gestellt, woher die ›Idealkommunisten‹ ihre Mittel hatten, um dieses Blättchen erscheinen zu lassen. Jede Nummer kostete immerhin einige tausend D-Mark. Die Frage nach dem Geldgeber hatten sich aber andere Leute gestellt, die - begreiflicherweise - auch an unserer obskuren Publikation interessiert waren: die Kollegen vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Sie brauchten einige Jahre, um das Problem zu lösen. Im Dezember 1961 hatten sie es geschafft. Wir lasen in der Berliner Zeitung vom 28. Dezember:
›Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat. .. unter dem Namen ‚Dritter Weg' eine Agentur geschaffen, die zugleich die Hetzzeitschrift ›Der Dritte Weg‹ herausgibt …‹ Jede Zeile dieses ›Druckerzeugnisses‹ genehmigt Dr. Nollau persönlich. Er legt ebenso den genauen Anteil der in jeder Ausgabe zu veröffentlichenden Materialien fest ... und selbst die scheinbare Kritik an Ansichten von SPD-Führern ist nichts anderes als Spiegelfechterei mit dem letztendlichen Zweck, die Untergrundtätigkeit dieser Verfassungsschutzagenten abzudecken.‹
Zu diesen Erkenntnissen war das MfS durch einen Agenten gelangt, den es in die Redaktion ›Dritter Weg‹ (nicht in das Bundesamt für Verfassungsschutz) eingeschleust hatte. Für uns was das ein Rückschlag, über den wir uns mit dem Gedanken trösteten, dass derartige Publikationen ohnehin kurzlebig sind.“
Soweit das frühere Dresdner NSDAP-Mitglied Günther Nollau, der es in Bonn als Sozialdemokrat bis zum Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz brachte, mit gewiss exquisiten Gedanken zur Kurzlebigkeit seiner Publikation über und gegen den Dritten Weg.
Das konkrete Sofort-Programm von Most lautet: „Solidaritätszuschlag abschaffen, Stasi-Akten schließen, denunziatorische Geschichtsbilder zerreißen. Vor allem aber Steuermodelle speziell für den Osten, die nationales und internationales Kapital anlocken. Großbetriebe mit mehreren Standbeinen, auch in der Landwirtschaft, Erhöhung der Bildungs- und Forschungsausgaben, Rückholung der abgewanderten jungen Leute durch spezifische Anreizprogramme, finanzielle Absicherung kultureller Standorte etc. Dann kann der Osten sich selber nähren und wird gesamtgesellschaftlich zur Wertschöpfung beitragen. Und es kann endlich innerer, sozialer Frieden einkehren.“
In der jungen Welt hatte die nach dem chinesischen Dritten Weg klingende Forderung prompt zu unterschiedlichen Reaktionen geführt. In einem ersten Leserbrief war Most ein „fundierter Fachmann“, im zweiten hieß es im üblichen Jargon: „Sein Gefasel vom ›dritten Weg‹ zeigt, dass er die ökonomische Basis der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht kennt, weil er sonst wüsste, dass an gesellschaftlichen Hauptproduktionsmitteln nur entweder privates oder gesellschaftliches Eigentum bestehen kann …“
Die braven Orthodoxen, welcher Glaubensrichtung auch immer, greifen automatisch zum großen Hammer. Dazu gibt's einen feinen Witz: Ein nach Bayern verpflanzter Berliner Steppke wird vom Lehrer gefragt: Was ist das? Es ist lockig, hüpft munter herum und hat einen langen buschigen Schweif? Antwort: Ick hätt ja jedacht, es ist ein Eichhörnchen, doch wie ick den Betrieb hier kenne, wird's wohl das liebe Jesulein sein.
Was dem einen sein Jesulein, ist dem anderen das Eigentum an den Produktionsmitteln. Dogmatiker aller Kirchen vereinigt euch. Im 3. Weg finden sie zueinander gegeneinander und gegeneinander zueinander. Hatte Heinrich Schwartze schon 1957 in Neues Deutschland vor der Illusion des Dritten Weges gewarnt, warnt 52 Jahre später der DKP-Theoretiker Hans Heinz Holz: „Einen dritten Weg zwischen Marx-Engelscher Dialektik und einer anderen Interpretation philosophischen Wissens gibt es nicht …“ Die Artikel-Überschrift lautet: Parteienkampf in der Philosophie.(junge Welt 13.5.2009) Tags darauf holt Genosse Prof. Holz noch einmal weit aus und behauptet so umfangreich wie unverdrossen die „Unmöglichkeit des dritten Wegs“, wobei er, einmal im teutonischen Elan, gleich den ihm zu idealistischen Königsberger Immanuel Kant mit erledigt.
Ernst Bloch, sein Doktorvater, auf den Holz sich gern beruft, ist zu unserer Hauptfrage anderer Ansicht: „Ich habe gesagt, dass ich mich zur DDR bekenne, dass ich diesen dritten Weg für diskutierbar halte … es gibt nur die Selbstreinigung des Marxismus, das ist eine alte Theorie von mir. Das heißt aber nicht, also Moment, zur DDR kann ich mich bekennen, zur Regierung nicht.“ (Quelle: Leipziger Abhör-Protokolle, Treffbericht mit GI Lorenz vom 7.12.1957 – wahrscheinlich Fiktionalisierung in eine Person, in Wirklichkeit Aufzeichnung durch Wanzen) Was nun, Genosse Holz? Seine Sicht auf die Geschichte wäre diskutabel, hörte sie nicht 1923 mit dem Ende der Revolutionsperiode und 1924 mit Lenins Tod auf. Zum anschließenden Konflikt Stalin-Trotzki und der neuen massenmörderischen Weltlage schweigt des Theoretikers Höflichkeit, denn im Kommunistischen Manifest steht kein Satz über faschistische und/oder stalinistische Konterrevolutionen. Marx war ein begnadeter Diagnostiker, kein Prognostiker. Vom Faschismus und Stalinismus trennten ihn Welten.
Das auf dem 3. Weg befindliche China sitzt heute auf fast 2 Billionen US-Dollar und wird von der amerikanischen Außenministerin Clinton heftig umworben. Die USA im Bündnis mit der gelbroten Gefahr? Wo bleibt beim Untergang des Abendlandes das heilige Deutschland? Der umtriebige Dr. Nollau hatte den 3. Weg noch geheimdienstlich gegen die DDR genutzt. Wäre der umstrittene Weg jetzt etwa direkt für die westliche Wertegemeinschaft zu nutzen? Schon gibt's Signale von wahrhaft überraschender Seite. Bundespräsident Köhler, so ein Bericht des Münchner Merkur vom 30. 3.09, ist bei einer Rede in Berlin auf dem „dritten Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus“, wobei er geradezu „aufrührerisches Potenzial entfaltet“. Damit Prof. Holz nicht völlig verzweifeln muss, eilen ihm die nicht weniger kämpferischen Kameraden von der FAZ zu Hilfe. Am 7.8.2003 warnt auf Seite 1 ein Herr „bko“ vor dem 3. Weg in Afghanistan, denn der könne sich für den Westen am Hindukusch „als der längste und schlechteste herausstellen.“ Am 13.5.09 plaziert Frank Pergande im Leitartikel einen scharfen Angriff gegen „Das Land Utopia“ und den „dritten Weg“. Genosse Holz samt FAZ- Verbündeten bilden also mit ihrer vereinten Feindschaft gegen den 3. Weg zwar noch keine nationale Volksfront, doch eine gewisse Kampf- und Schicksalsgemeinschaft hat sich, nicht vom Himmel fallend, aus Sachzwängen hergestellt. Getrennt marschieren, vereint schlagen?
Der deutsche Fortschritt rast inzwischen als ökonomischer Formel-1-
In der Zeitung junge Welt, wo Holz seinen entkernten Marx/Lenin verabreicht, scheint sich ein pluraler Geist erproben zu wollen. Bald wird das heutige China des Revisionismus mit Lust und Laune dargestellt, bald Lafontaines Bundestagsrede zur Verteidigung des Bonner Grundgesetzes ungekürzt abgedruckt. Wo bleibt da die Parteidisziplin, die den deutschen Parteikader von ca. 40.000 Mitgliedern siegreich auf unter 4.000 abzusenken verstand und als nächstes Ziel 400 anvisiert? Spott beiseite, Freunde. Es geht um die Wurst.
Bevor ich mir den Spaß erlaube, von den tapferen Geheimdienstlern Ost und West zu berichten, die den 3. Weg von beiden Seiten so bekämpften, dass es außer meinen Versuchen eines Cervantes plus Schwejk bedürfte, davon angemessen zu erzählen, wollen wir einen Augenblick lang Tacheles reden.
PS: Inzwischen geschehen Zeichen und Wunder. Gerade war diese Folge für den poetenladen in Leipzig fertig, sind heute morgen drei Großbürger zu vernehmen, die sich zum 3. Weg den Kopf zerbrechen. Und gestern durfte in der jungen Welt der marxistische Prof. Dr. Wolfgang Fritz Haug mit Fug und Recht dem marxistischen Prof. Dr. Hans Heinz Holz die Leviten lesen. Die Herren Genossen Akademiker werden doch nicht etwa auch noch den Moskauer 20. Parteitag der KPdSU von 1956 entdecken. Bei soviel Fortschritt wird einem ja ganz schwindelig.
Das nächste Kapitel erscheint am Montag, den 08.06.2009.
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Gerhard Zwerenz
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