August 2007
Zeitschriftenlese – August 2007
von Michael Braun | Saarländischer Rundfunk
Der vor vier Jahren verstorbene Dichter Peter Hacks war der unberechenbarste Schriftsteller der DDR. Mit seinen Theaterstücken und Gedichten hat er sehr viel ästhetische Energie in die klassizistische Denkmalspflege des real existierenden Sozialismus investiert, ohne freilich das Misstrauen der SED-Kulturpolitiker immer dämpfen zu können. Dabei kultivierte Hacks stets sein Wunschbild vom sozialistischen Staat als verlorenem Paradiesgärtlein, das nach dem Sturz von Walter Ulbricht ins Verderben geriet. Im Zweifelsfall entschied er sich stets für die Provokation des Zeitgeists – und für einen linksaristokratischen Fundamentalismus.
Die Kulturzeitschrift „Sinn und Form“ hat nun in ihrer Juni-Ausgabe, der Nummer 3/2007, ein altes Gespräch mit Peter Hacks ausgegraben, in dem der linke Snob einige böse Sottisen mobilisiert gegen seinen Theater- Konkurrenten Heiner Müller, aber auch gegen zwei Ikonen des SED-Staats, Bertolt Brecht und Johannes R. Becher. Als Dramatiker, so erklärt Hacks in diesem Gespräch aus dem Jahr 1974, sei es immer sein Konzept gewesen, „aus der ganzen Weltgeschichte eine Komödie zu machen“. Ohne Umschweife benennt er die Neurosen des sozialistischen Staats, der immer dann zu Verboten neige, wenn ein Dramatiker „Gegenwartsstoffe“ auf die Bühne bringe. Über die Produktionsstücke Heiner Müllers mokiert er sich ebenso wie über die ästhetische Inkompetenz Johannes R. Bechers und über die ästhetischen Begrenztheiten eines Bert Brecht, der allenfalls noch als „Autor für unterentwickelte Länder“ von Interesse sei: „Der Becher wusste alles, wirklich, und konnte gar nichts. Und der Brecht, der wirklich nichts wusste, aber das konnte er natürlich ziemlich gut.“ Als altkommunistische Lästerzunge, die sich über die heiligen Kühe der eigenen Gesellschaft lustig macht, war Hacks eine außerordentliche Begabung. Wer seine traditionell klassisch gebauten Gedichte mit ihrem scharfen Witz wiederliest, wird verblüfft entdecken, dass dieser fast schon wieder vergessene Autor als Dichter – trotz seiner stalinistischen Neigungen – zu den literarischen Größen des 20. Jahrhunderts zu rechnen ist.
Zu den Dichterinnen und Dichtern, die der vor Aktualitätsfieber taub gewordene Literaturbetrieb zu übersehen pflegt, gehört auch die mittlerweile siebzigjährige Hannelies Taschau. Vor fast fünfzig Jahren erschien in der kleinen Eremitenpresse ihr lyrisches Debüt „Verworrene Route“ – und dieser zwischen Unsicherheit und Orientierungsbedürfnis changierende Titel liest sich heute fast als programmatische Maxime für jene lyrischen Suchbewegungen, die in den frühen siebziger Jahren zum Markenzeichen der sogenannten „Neuen Subjektivität“ wurden. Bereits 1959 hatte Hannelies Taschau den damals noch völlig unbekannten Nicolas Born kennengelernt, mit dem sie bald in intensiven gemeinsamen Lesestunden nach den Grundlagen einer direkten, alltagsnahen lyrischen Schreibweise forschte. Zu einem Gedichtband Taschaus schrieb Born dann 1969 einen Kommentar, der noch immer die bündigste Beschreibung ihrer lyrischen Texte enthält: „Ihre Gedichte“, heißt es da, „sind moderne Genrebilder, kreisen um entfremdetes Interieur, zeigen gestörte Beziehungen zwischen Menschen, das Zumutbare und das Unzumutbare,... legen sich an mit privaten und öffentlichen Ärgernissen.“ Über diese poetischen Anfänge und den weiteren literarischen Lebensweg der Hannelies Taschau gibt nun ein mit wunderschönen Fotografien flankiertes Dossier in der aktuellen Ausgabe, der Nummer 226 der Literaturzeitschrift „die horen“ Auskunft. Das „horen“-Heft wird eröffnet durch eine anrührende Reminiszenz an den im Mai dieses Jahres verstorbenen Dichter Wolfgang Bächler, der in seinen Texten die Traumata einer vom Krieg versehrten Generation aufschrieb, bevor er, gequält von Depressionen, in den frühen achtziger Jahren fast vollends verstummte.
An das Werk Hannelies Taschaus und Wolfgang Bächlers wird auch deshalb hier erinnert, weil in der Lyrik-Debatte dieser Tage kaum noch ein Bewusstsein davon existiert, dass auch ältere Kollegen Maßstäbe für die zeitgenössische Poetik gesetzt haben. In der momentan erhitzten Lyrik- Debatte verfallen manche offenbar dem eklatanten Irrglauben, wonach sprachschöpferische Innovationen einzig von der Generation der Dreißig- bis Vierzigjährigen ausgehen. Vor einigen Monaten hatte die Zeitschrift „BELLA triste“ mit ihrem Sonderheft Nummer 17 die bislang gründlichste Auseinandersetzung mit den Metamorphosen der Jungen Lyrik vorgelegt – zweifellos ein aufregendes Heft. Nun kommt es in Heft 18 von „BELLA triste“ zu neuen Reizungen der aufgewühlten Lyrik-Debatte. Alexander Nitzberg und Steffen Popp liefern zwei aufschlussreiche Retourkutschen zu einigen Thesen im vorangegangenen Sonderheft. Nitzberg, der Abkömmling einer russischen Künstlerfamilie und kongeniale Interpret russischer Lyrik, präsentiert eine scharfkantige Attacke auf seine Kollegin Ulrike Draesner. Der allzeit tollkühne Steffen Popp stichelt mit sehr spöttischen Bemerkungen gegen eine primär auf Sprachreflexion gegründete Lyrik: Diese erscheint ihm „auf unerträgliche Art fleischlos...bestenfalls als eine Propädeutik zu einem poetischen Sprechen einsichtig“. Die nächste Polemik aus der sprachexperimentellen Ecke wird nicht lange auf sich warten lassen.
Zum Schluss sei noch auf eine bemerkenswerte Zeitschriften- Neugründung verwiesen. Im Kölner Kleinverlag „edition chiméra“ haben Jan Valk und Jonas Reuber vor Jahresfrist ein ambitioniertes Literaturmagazin aus der Taufe gehoben, das in seiner ästhetischen Intelligenz alle vergleichbaren Produkte der jungen Literatur- und Kunst-Szene weit überragt. Das Blatt nennt sich „sprachgebunden“ und riskiert einen äußerst fruchtbringenden Brückenschlag zwischen Poesie, Fotografie und Bildender Kunst. Die Sonderausgabe, die Nummer 3 von „sprachgebunden“ zum Thema „über/setzen“ enthält nicht nur sechs wunderbare Phantasien über die Kunst der Übersetzung, sondern im weiteren Fortgang auch intensive Meditationen zu Werken im Grenzbereich von Fotografie und Bildender Kunst. Im ersten Teil stellt Hendrik Jackson die lyrischen Phantasmagorien des russischen „Metarealisten“ Aleksej Parschtschikow vor, der seinerseits den „Kosmologismus“ seines Übersetzers Jackson lobt. Die schönste Entdeckung in diesem an Entdeckungen reichen Magazin ist Parschtschikows Gedicht „Der Ölkönig“, das den legendären Schachwettkampf zwischen und Anatoli Karpow und dem späteren Weltmeister Garri Kasparow evoziert. Der Dichter schlägt sich übrigens auf die Seite des kalten Technikers Karpow – so kann der ungeliebte „Eiskönig“ wenigstens im Gedicht triumphieren.
Sinn und Form, Heft 3/2007
Postfach 21 02 50, 10502 Berlin
130 Seiten, 9 Euro
die horen, Nr. 226
Johann P. Tammen, Wurster Str. 380, 27580 Bremerhaven
248 Seiten, 14 Euro
BELLA triste, Nr. 18
Moltkestr. 64, 31135 Hildesheim
90 Seiten, 5 Euro
sprachgebunden, Nr. 3
Merowinger Str. 5, 50677 Köln
192 Seiten, 9 Euro
Michael Braun19.08.2007
Saarländischer Rundfunk | Zeitschriftenlese August 2007
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