Auferstanden aus Ruinen
Zwei neue Anthologien besichtigen die Lyrik der DDR
Kritik
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100 Gedichte aus der DDR
Herausgegeben von Christoph Buchwald
und Klaus Wagenbach
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
160 Seiten, 16,90 €
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Sie stand am Anfang einer neuen Zeit – und wagte es, die angeblichen „Errungenschaften“ dieser neuen Zeit mit poetischem Eigensinn in Frage zu stellen. Sie fragte nach der Haltbarkeit der neuen sozialistischen Utopien – und fand so viele skeptische Antworten, dass den politischen Administratoren dieser Utopie Hören und Sehen verging. Sie war eine „eigene Stimme“, auch wenn viele Leser und Kritiker an ihrem Status als „Nationalliteratur“ gezweifelt haben mögen. Die Lyrik der DDR – sie hat sich in ihren besten Werken nie zum bloßen Ornament der Macht reduzieren lassen, sondern blieb ein beständiger Unruheherd. Nun ist sie, zwanzig Jahre nach dem Untergang des SED-Staates, auch in ihrer biografischen Verkörperung durch maßstabsetzende Autoren an ihr Ende gekommen. Mit Adolf Endler und Heinz Czechowski sind im Jahr 2009 zwei Zentralgestalten der DDR-Lyrik gestorben, die das Profil dieser Literatur entscheidend geprägt haben. Von einer dritten Portalfigur der DDR-Poesie, Louis Fürnberg (1909-1957), wäre der 100. Geburtstag zu würdigen – was bislang kaum geschehen ist. Der schelmische Anarchist Adolf Endler, der es seit den 1970er Jahren vorzüglich verstand, der sozialistisch unterentwickelten Gesellschaft „immer wahnsinnigere Fratzen“ zu schneiden, war in seinen Gedichten ein wunderbar unfeierlicher Desillusionierungskünstler. Louis Fürnberg, der einzige Überlebende einer jüdischen Familie aus Prag, war 1954 in die DDR gekommen und gab sich alle erdenkliche Mühe, politische Konformität zu beweisen – was ihm 1956 den Nationalpreis seines Landes eintrug. Aber zu seinem ästhetischen Glück ist es ihm nie wirklich gelungen, „wider seine bessere Überzeugung aus sich einen orthodoxen Stalinisten zu machen“ (Hans Mayer). Heinz Czechowski wiederum, der seine poetische Subjektivität gegen die Kollektivlüge der Partei-Doktrinen stemmte, verzweifelte nach dem Umbruch von 1989. In seinen letzten Lebensjahren zelebrierte er nurmehr die sarkastische Kommentierung der eigenen Verfallsgeschichte. In seinem ganzen Habitus zum „furor melancholicus“ (Wolfgang Emmerich) geworden, hatte sich „Czecho“, wie ihn seine Freunde nannten, auf die sarkastische Position zurückgezogen, er verstehe sich als sein „eigener Pflegefall“. Depressionen und Einsamkeitsgefühle taten ein Übriges, um eine Poetik des Fatalismus zu generieren. So lieferten „Czechos“ Gedichte am Ende nur noch das Selbstporträt des Dichters als unerlöste Hiob-Gestalt, als mürrischer Nachtmensch, der im Alkohol versinkt.
In ihrer posthumen Bestandsausnahme der DDR-Lyrik haben nun zwei aktuelle Anthologien die literarische Schlüsselrolle dieser drei Dichter doch recht unterschiedlich akzentuiert. Mit ihrer Risikobereitschaft und dem forschen Zugriff auf 100 fast durchweg aufregende und bewahrenswerte Gedichte aus der DDR hat die von Christoph Buchwald und Klaus Wagenbach zusammengestellte Anthologie durchweg die glücklichere Hand. Nur bei Buchwald / Wagenbach rückt Heinz Czechowski in die literarische Zentralposition, die ihm gebührt. Im Kapitel „Die Geräusche meines Lands“ wird hier demonstriert, wie der intertextuelle Dialog zwischen den Poeten der „Sächsischen Dichterschule“ funktioniert hat. Auf Heinz Czechowskis enthusiastischen Hymnus auf die Karpfen- Zubereitung („Erfahrungen mit Karpfen“) antwortet Rainer Kirsch mit einer Eloge auf den Melancholiker und Fisch-Liebhaber „Czecho“. Und wenige Gedichte weiter treffen wir auf Volker Brauns bitteren Befund zur repressiven Praxis des real existierenden Sozialismus, der die Hoffnungen auf eine „andere Gesellschaft“ nicht einlösen kann: „Hinter geschlossenen Türen sitzend / Höre ich Geräusche, das Knirschen / Der Industrien und der Leiber / Unter dem Plan. Der Redner redet: / Was immer das Leben kürzte, der Hunger / Liegt an der Kette der Maßnahmen / Tragik geregelt zwischen den Eckdaten. / Sprich lauter. Genosse, sind wir Illegale.“ Der Mut zur kritischen Auswahl und zum Weglassen schwächerer Texte hat sich bei Buchwald / Wagenbach gelohnt. Denn hier folgen in reizvoller Kontrastierung und Korrespondenz die poetisch wirklich substantiellen Gedichte aus der DDR, die eine literarische Nachwirkung und editorische Archivierung auch wirklich verdienen. Kaum ein relevanter Text fehlt (bedauerlicherweise aber Volker Brauns grandioses Gedicht „Das Eigentum“, das wirkungsmächtigste Gedicht zum Ende der DDR).
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Lyrik der DDR
Hrsg. v. Heinz Ludwig Arnold
und Hermann Korte
S. Fischer Verlag, Berlin 2009
500 Seiten, 24,95 €
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Hier müssen wir uns auch nicht durch Dutzende peinigender Exempel patriotischer Aufbau-Lyrik und pathetischer Staats-Glorifizierung durchkämpfen, wie sie in der dokumentarisch vorgehenden Anthologie von Heinz Ludwig Arnold und Hermann Korte zu finden sind. Insgesamt 500 Gedichte von 180 DDR-Autoren haben Arnold / Korte versammelt und in chronologischer Ordnung komponiert. Hier erhält zwar der innerlich zerrissene Louis Fürnberg mit fünf Gedichten den Ehrenplatz, den er sicher verdient. Das schönste Fürnberg-Gedicht, eine suggestive Litanei über den „Sommergarten“, findet man freilich in der Buchwald / Wagenbach-Anthologie. Was an objektivierender Sichtweise bei Arnold / Korte gewonnen sein mag, indem man auch zahlreichen mediokren DDR-Poeten Zutritt gewährt, ist nur um den Preis ästhetischer Peinigung zu haben. Fast 80 Seiten lang muss man sich durch jubilierendes Herrscherlob durcharbeiten, bis man auf die ersten großartigen Gedichte stößt. Zuvor nervt z.B. der Partei-Barde Erich Weinert: „Nun endlich atme ich wieder frei und schreite. / Mit meinem Volke schreit ich Seit an Seite. / In meine Werke kam ein neuer Sinn.“ Etwas irritierend ist, dass sich Arnold / Korte bei ihrem Auswahlverfahren auf eine „systematische, an der Universität Siegen organisierte Recherche“ berufen. Viel naheliegender wäre die gründliche Auseinandersetzung mit den bislang besten Anthologien zur DDR-Lyrik gewesen, nämlich mit der von Wulf Kirsten, Heinz Kahlau und Ursula Heukenkamp 1988 edierten Überblicksdarstellung „Die eigene Stimme“ (Aufbau Verlag) und Peter Geists ebenso zorniger wie famoser Sammlung „Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante“ (Reclam Leipzig 1991), obwohl darin die Produkte der „Prenzlauer Berg-Connection“ bedenklich überschätzt werden. Was dem durchaus vorhandenen Gebrauchswert der opulenten Arnold / Korte-Anthologie am meisten schadet, ist eine gewisse Laxheit in der chronologischen Zuordnung. Denn wenn man sich schon auf die Daten der Erstveröffentlichung oder des Entstehungsjahrs als Gliederungsverfahren beruft, sollte man grausame Schnitzer vermeiden. Unter der Jahreszahl 1946 ist lustigerweise Richard Pietraß mit seinem Gedicht „1946“ vermerkt, obwohl es darin nur um das Geburtsjahr des Autors geht und das Gedicht selbst erst 1980 veröffentlicht wurde. Weitaus ärgerlicher ist, dass so epochale Gedichte wie Thomas Rosenlöchers „Der Garten“ (das nicht 1998, sondern 1985 erstmals publiziert wurde) und Volker Brauns „Das Eigentum“ (das nicht 1993, sondern erstmals 1990 im „Neuen Deutschland“ publiziert wurde) falsch datiert sind. Das trübt das Vergnügen an dieser großzügig pluralistischen Textsammlung doch erheblich. Auf Peter Geists engagierte Verortung der späten DDR-Lyrik („Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante“) kann man auch nach Arnolds / Kortes wackligem „Standardwerk“ (Eigenwerbung) keinesfalls verzichten. Wer sich indes mit einem knappen, scharfsinnig konturierten Überblick zur Eigenart der DDR-Lyrik begnügen will, ist mit der vorzüglichen Anthologie von Christoph Buchwald und Klaus Wagenbach bestens bedient.
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Ein Molotow-Cocktail auf fremder Bettkante
Lyrik der siebziger/achtziger Jahre aus der DDR
Hrsg. von Peter Geist
Reclam Leipzig 1991
456 Seiten
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Siehe auch: Michael Wüstefeld (Kurzkritik)
Zuerst erschienen in der Wochenzeitung: »der Freitag«
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Michael Braun
Bericht
Archiv
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