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Dezember 2015
„Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein“: Diese paradox anmutende Formel hat der 2006 verstorbene österreichische Autor Gerhard Amanshauser als Titel seiner Tagebücher gewählt. „Es wäre schön, kein Schriftsteller zu sein“: Natürlich steht ein solches Bekenntnis sogleich unter dem Verdacht der Koketterie, ist doch Amanshauser bis in seine letzten Lebensjahre hinein ein Mann der Schrift geblieben, auch wenn er am Ende die wenigen Seiten, die er noch schrieb, mit Wasserfarben übermalte. Und doch ist sein Satz von tiefer Ernsthaftigkeit. Denn auch wenn sie ihre ganze Existenz auf das Schreiben ausgerichtet haben, werden die Autoren der Moderne irgendwann von einem melancholischen Bewusstsein befallen, das die Zweifel am Sinn des Schreibens wie auch des Lebens immer größer werden lässt. Solche Denkfiguren des Zweifels, die als subtile ästhetische Unterwanderungen der eigenen literarischen Tätigkeit daherkommen, hat nun auch der mittlerweile 83jährige Dichter und Kritiker Harald Hartung in den Mittelpunkt seiner jüngsten Aufzeichnungen gerückt. Unter dem Titel „Provisorische Schlüsse“ hat Hartung in der aktuellen November / Dezember-Ausgabe der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ eine sehr feinsinnige Sammlung von Prosaminiaturen vorgelegt, die Gerhard Amanshausers Selbstzweifel aufnehmen und sie neben weitere Abschiedsgesten stellen. Aber klar ist auch hier: Auch dieser große ästhetische Schluss-Gong ist „provisorisch“, es werden noch weitere Fußnoten zum Lebensbuch des Schriftstellers Hartung hinzukommen.
An emphatischen Abschiedsgesten und Nullansagen mangelt es derzeit nicht in den Diskussionen über gegenwärtige Kunst und Literatur. „Es gibt in der Gegenwart keine Kunstkritik.“ Mit dieser apodiktischen These eröffnet etwa der als Schriftsteller wie als Unternehmer erfolgreiche Ernst-Wilhelm Händler seine Generalabrechnung mit den hohlen Diskursen über Gegenwartskunst. In seinem angriffslustigen Essay im November-Heft der Kulturzeitschrift „Merkur“ stellt Händler den Theoretikern der Kunst ein miserables Zeugnis aus. „In keinem anderen Feld“, so Händler, „gibt es so viele inkonsistente und vor allem triviale Texte wie in der Literatur über Kunst.“ Zu einer plumpen Negation der Werke Gerhard Richters oder Jeff Koons´ lässt er sich natürlich nicht hinreißen. Aber die seit längerem schwelende Frage, wie plausibel zu machen ist, dass eine monochrome Leinwand, ein auf den Kopf gestelltes Pissoir oder eine Fettecke Kunst sind, befeuert auch seine scharfe Kritik an der Kunstdebatte. Letztlich überrascht Händler dann mit der These, dass es bei allen berechtigten Einwänden gegen die Ökonomisierung des Kunstmarkts doch einen Zusammenhang zwischen dem pekuniären und dem ästhetischen Wert des Kunstwerks gibt. Händler lapidar: „Wenn ein Künstler sehr berühmt und sehr teuer ist, dann hat das etwas mit seinem Werk zu tun.“ Einen ähnlich kühnen Rundumschlag wie zur Kunstdebatte hat Ernst-Wilhelm Händler übrigens auch zu den Strategien der Gegenwartsliteratur gestartet. Dieser sehr anfechtbare Text, zu lesen in Heft 3/2015 der Literaturzeitung „Volltext“, entwirft sehr skizzenhaft eine literarische Typologie, über die zu diskutieren wäre. Etwa über das von Händler beobachtete „Prinzip der Gesellschaftsferne“ oder den „Widerspruch von verkündeter und gelebter Moral“. Dass es freilich im Gegensatz zu Händlers Auffassung sehr wohl Texte gibt, die sehr lehrreiche und geradezu beglückende Erkenntnisse über Kunst vortragen, kann man in den aktuellen Ausgaben der Zeitschriften „Mütze“ und „Park“ sehen. Der Schweizer Lyrik-Editor Urs Engeler hat für die neue Ausgabe, das Heft 10 seiner seit drei Jahren erscheinenden Zeitschrift „Mütze#“ einen herrlichen Essay des französischen Poeten Jean Daive über den österreichischen Maler Joerg Ortner übersetzt. Beide, Jean Daive und Joerg Ortner, waren mit Paul Celan befreundet und lernten sich bei Celans Beerdigung im April 1970 kennen. In seinem poetischen Essay beschreibt Daive den Malerfreund Ortner als einen Künstler, der seine Kunst „bis zum Gipfel des Desasters“ gelebt habe. Das letzte Jahrzehnt seines Lebens arbeitete Ortner mit obsessiver Intensität an einem Fresko im oberitalienischen Lucca; ein Fresko, das er en detail skizziert hatte, ohne seine Vollendung je zu erreichen. In den sehr sinnlich geschriebenen Erinnerungen, Anekdoten und Szenen, die Jean Daive zu einem Porträt Joerg Ortners verflochten hat, steht eine Geschichte im Mittelpunkt, in dem das Imaginationsvermögen des Künstlers in der Art eines Mysteriums aufblitzt. Bei einem Abendessen mit Freunden findet Ortner zu einer magischen Formel, die er unablässig wiederholt, bis er schließlich wie in Ekstase in Tränen ausbricht. Fast litaneiartig repetiert der Künstler einen Satz: „Man muss das Herz von Rimbaud waschen.“ Die stärksten Momente hat dieser exzellente Essay, wenn Daive in poetischen Evokationen von Licht und Wasser über seine ästhetische Erfahrung berichtet. Der Dichter wird zu einer Art „Lichtschreiber“, der die Intensitäten der Elemente beim Blick auf den nächtlichen Fluss darstellt: „Ein Mysterium, wahrhaftig – was sich in der Nacht auf der Oberfläche des Wassers kräuselt – eine Frage der Reflexion, eine Frage des Wetters, eine Frage des Lichtes, eine Frage der Strömung – unbeweglich und bewegt – am selben Ort, es fließt und es fließt nicht, rückwärts oder an Ort und Stelle. …Nicht immer ist es nötig zu sprechen [enoncé], um die Hauptsache zu zeigen.“
Ein zweites Beispiel für eine poetische Essayistik, in der sich Reflexionen auf Poesie und auf Bildende Kunst gegenseitig beflügeln, ist die große Rede auf das Werk des Dichters und Grafikers Christoph Meckel, die soeben Heft 68 der Poesiezeitschrift „Park“ veröffentlicht hat. Volker Bauermeister beschreibt hier die Radierungen und Zeichnungen Meckels als phantastische Architektonik der großen „Weltkomödie“. Diese „Weltkomödie“ erscheint als ein dynamisches Gebäude aller erdenkbaren Lebensvisionen, in dem die Menschen und die Dinge aus den alten Ordnungen erlöst sind, ohne auf eine neue sinnvolle kosmische Ordnung zuzusteuern. Im Radierungs-Zyklus „Der Turm“, von dem wir ein Beispiel in „Park“ sehen, ist die Ordnung aus den Fugen geraten. Im Zentrum des Bildes ist ein babylonischer Turm zu sehen, bei dem disparateste Elemente aufeinandergestapelt worden sind. Die Menschen, die sich vor dem Bauwerk versammeln, erscheinen auch nicht als autonome, freie Wesen; auf einem vergitterten Karren wird offenbar ein Gefangener am Turm vorbeigezogen. „Ich zeichne den Himmel des 20. Jahrhunderts“, hat Meckel selbst zu seiner „Weltkomödie“ geschrieben, „es ist ein zerstörter Raum, ein technischer Limbo, Schauplatz von Macht und Zerstörung aller Art, Kloake des Erdballs.“ Neben dem lesenswerten Essay über Meckel sind auch außerordentlich gute Gedichte von Jan Koneffke, Kathrin Schmidt und Ron Winkler in „Park“ zu lesen.
Und noch ein Abschied ist dieser Tage zu vermelden: Der Abschied vom Glauben an die geistige Hegemonie und Wirkungskraft französischer Intellektueller. Als im Januar dieses Jahres eine terroristische Zelle die Mitarbeiter der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ ermordete, waren von den einstigen französischen Meisterdenkern wie Alain Finkielkraut fast nur noch islamfeindliche Töne zu hören. Das Maß aller intellektuellen Dinge in Frankreich ist im Moment nur ein Autor – Michel Houellebecq, dessen neuer Roman „Soumission“, auf deutsch: „Unterwerfung“ am Tag des Attentats auf „Charlie Hebdo“ erschien. In „Die Wiederholung“, einer neuen Zeitschrift für Literaturkritik, die der Heidelberger Literaturwissenschaftler Leonard Keidel ins Leben gerufen hat, findet man zu Houellebecqs Roman „Soumission“ eine mikroskopische Textanalyse. Verfasst hat sie die Literaturwissenschaftlerin Chiara Caradonna, und zwar durchaus im Geiste des französischen Strukturalismus. Caradonna stützt ihre feinsinnige Analyse auf die „Danksagung“ am Ende des Romans, die an eine französische Professorin adressiert ist. Daraus leitet sie eine folgenreiche Verschiebung vom männlichen „Ich“ der Erzählung, einem Literaturforscher und Fraueneroberer, zum weiblichen Adressaten der „Danksagung“ ab. In einem Exkurs über den Liebesbegriff Houellebecqs und die Vorstellungen seines Helden von Erotik und Begehren führt Caradonna aus, dass Houellebecqs Held François einäußerst „durchschnittlichen“, langweiligen Liebespraxis folge. Am Ende wird gar die Frage aufgeworfen, ob im Roman, der schon im Titel die „Unterwerfung“ als Merkmal von Religion und Sexualität aufruft, letztlich sogar „die Erotik des Mannes aus der Sicht einer Frau“ dargestellt werde. Das ist eine durch und durch überraschende Lesart, zumal Houellebecqs Romanhelden bislang immer als eine „Mischung aus existentieller Niedergedrücktheit und hormoneller Überproduktion“ auftraten und an der Maskulinität seiner Perspektive kein Zweifel bestand.
Im aktuellen Dezemberheft des „Merkur“ zeigt nun Danilo Scholz in einem großartigen Essay die unglaubliche intellektuelle Wandlungsfähigkeit des Michel Houellebecq, der eine ebenso aufgeregte wie widersprüchliche Rezeption seiner Werke entspricht. Scholz verweist auf die die noch unentdeckten Facetten des Autors Houellebecq wie auf die kuriosen Versuche seiner Rivalen, mit boshaften Polemiken die Wirkungskraft dieses Autors zu unterbinden. Im Blick auf den Romantitel „Soumission“ fügt Scholz noch eine Interpretation hinzu, die in Caradonnas Aufsatz fehlt. „Soumission“, so Scholz, lässt sich nicht nur mit „Unterwerfung“ übersetzen, sondern auch als „Unterworfenheit“, eine Kategorie, die nicht nur ins Religiöse und Politische führt, sondern auch einen Grundzustand des Künstlers bezeichnet. Der Erzähler in Houellebecqs Roman „Karte und Gebiet“, so argumentiert Scholz, ist zum Beispiel den „mysteriösen und unvorhersehbaren Botschaften“ der Intuition „unterworfen“.
Eines ist Michel Houellebecq bei aller Anfechtbarkeit seiner Werke und seiner politischen Haltungen gewiss nicht – ein Mitglied der „Champagner-Linken“ oder ein „Chardonnay Socialist“, Lebensstile, wie sie in einer herrlichen Glosse im neuen „Merkur“ ironisch seziert werden. Wenn in der politischen Kulinarik der Deutschen stets die Hausmannskost dominierte: der Saumagen bei Helmut Kohl oder die Dicken Bohnen bei Adenauer – in der französischen Republik liebte man stets die Üppigkeit. Bei einem offiziellen Schauessen im Frühjahr dieses Jahres in Versailles, so berichtet Philipp Manow im „Merkur“, wurde ein opulentes Menü angeboten – aus diversen Fisch- und Käsespezialitäten, ergänzt von 18 Kilogramm Trüffeln, fünf Kilo Kaviar, dazu natürlich Wein und Champagner im großen Stil. Auch das politische Essen hat eben seine Ästhetik.
Sinn und Form, Heft 6/2015
Postfach 210250, 10502 Berlin. 140 Seiten, 11 Euro.
Merkur 11/12(2015)
Klett-Cotta Verlag. Redaktion: Mommsenstr. 27, 10629 Berlin. Je 112 Seiten, je 12 Euro.
Volltext, Heft 3/2015
Porzellangasse 11/69, A-1090 Wien. 40 Seiten, 3,90 Euro.
Mütze# 10
Turnhallenstr. 166, CH-4325 Schupfart. urs@engeler.de, 52 Seiten, 6 Euro.
Park 68 (2015)
Tile-Wardenberg-Str. 18, 10555 Berlin. 116 Seiten, 7 Euro.
Die Wiederholung, Heft 1(2015)
Leonard Keidel, Zwingerstr.11, 69117 Heidelberg.
info@diewiederholung.de, 80 Seiten, 13 Euro.
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Michael Braun
Bericht
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