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August 2012
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„Er war ein böser Bub, aber klasse“: Solche versöhnlichen Sätze kommen immer dann zum Einsatz, wenn es gilt, früh verstorbene Avantgardisten posthum zu umarmen. In diesem Fall gilt die Würdigung dem österreichischen Schriftsteller Konrad Bayer, dem provokativsten und zugleich rätselhaftesten Kopf der „Wiener Gruppe“, die in den frühen fünfziger Jahren mit aufsehenerregenden Happenings aus dem Literaturbetrieb ihrer Zeit ausbrach.
Formuliert hat den Satz vom liebenswerten „bösen Buben“ die Dichterwitwe Traudl Bayer, deren aufregendes Zusammenleben mit dem grüblerischen Genius Konrad Bayer nun erstmals in einem bewegenden Briefwechsel dokumentiert wird – nämlich im Konrad Bayer-Dossier in der neuen Ausgabe, der Nummer 79 der Literaturzeitschrift „Schreibheft“.
Nie zuvor hat das „Schreibheft“ so viel Sorgfalt und Mühe auf die biografische Erschließung eines Schriftstellerlebens verwendet. Frühere Hefte konzentrierten sich auf kühle literaturtheoretische Exegesen und streng philologische Annäherungen. Das Konrad Bayer-Dossier trägt nun in seiner Collage persönlicher Dokumente, Erinnerungen und Bildzeugnisse fast hagiografische Züge. Der große Avantgardist Bayer tritt uns hier als selbstquälerischer Unruhegeist entgegen, in verzweifelten Briefen, Kommentaren, faszinierenden Fotos und Handschriften. Der niederländische Essayist und Übersetzer Eric de Smedt hat gemeinsam mit dem „Schreibheft“- Herausgeber Norbert Wehr ein Dossier zusammengestellt, das die Schlüsselszenen im Leben eines kompromisslos rebellischen Autors rekonstruiert.
Konrad Bayer fehlte vollkommen das Karrierebewusstsein seiner Mitstreiter Gerhard Rühm, H.C. Artmann und Friedrich Achleitner. Er war, in seiner völligen Hingabe an ein egomanisches wildes Boheme-Leben, ein „böser Bub“, stets bereit zum Exzess in der Liebe und jederzeit willens, sich „an die Grenze seiner Physis zu bewegen“.
„Das Geschwätz vermeiden“, so hat er an den oberen Rand eins seiner graphomanisch bekritzelten Blätter geschrieben, die nun das „Schreibheft“ aus dem Nachlass veröffentlicht. Auf einem anderen Blatt findet sich ein weiterer programmatischer Imperativ: „Die Verneinung nicht vergessen“.
Konrad Bayer, im Dezember 1932 in Wien geboren, war ein Geist, der zwar nicht stets verneinte, aber kaum etwas aus unserer Sprachordnung gelten ließ, am allerwenigsten die literarischen Konzepte seiner Zeitgenossen. Er war sechs Jahre lang Bankangestellter, gezwungen von seinem Vater, der die Ambitionen seines Sohnes auf ein Studium an der Kunst-Akademie nicht akzeptieren wollte. Als Bayer einmal das Glück beim Roulette-Spiel beschieden war, gab er seinen Job bei der Bank auf und widmete sich fortan ausschließlich der Schriftstellerei. Was in seinem Fall bedeutete: Er beschäftigte sich mit Magie und schamanistischen Riten, erprobte mit dem Konsum von Chloroform Rauschzustände des Körpers, er wollte fliegen lernen und wunderte sich, wenn er sich nicht unsichtbar machen konnte.
Während er in seinem äußeren Erscheinungsbild gerne mit den Attitüden eines Dandys spielte, stellte er in seinen Texten das „Ich“ fortdauernd auf den Prüfstand – bis hin zur literarischen Darbietung der vollkommenen Zerrissenheit. „Wer weiss“, schrieb er einmal, „ob wir nicht schon auf dem Wege sind, dem Identitätsprinzip eines Tages zu entrinnen?“ Dieses „Identitätsprinzip“ wird nicht nur in seinen beiden unvollendeten Hauptwerken zersprengt, den Roman-Collagen „der sechste sinn“ und „der kopf des vitus bering“, sondern auch in seinen kurzen experimentellen Prosatexten. In einem im „Schreibheft“ erstmals veröffentlichten Radio-Essay charakterisiert der junge Peter Handke das Prosastück „der kopf des vitus bering“ als „Montage-Porträt eines Menschen, in dessen Kopf die Zeiten ein- und ausgehen; er kann die Zukunft vorwegnehmen und sich die nie erlebte Vergangenheit vergegenwärtigen; desgleichen erlebt sein Bewusstsein Räume, die es selbst nie erfahren hat oder erfahren wird.“ Da Bayer in diesem Prosastück die Epilepsie mit der schamanistischen Ekstase gleichsetzt, spricht Thomas Harlan im Blick auf den „kopf des vitus bering“ bewundernd von einem „Hohelied der Epilepsie, der heiligen Krankheit, morbus sacer“.
Konrad Bayer fand nie zu einer pragmatischen Balance zwischen seinen literarischen Obsessionen, seinen absoluten Liebeswünschen und seinem Bedürfnis nach einem stabilen Rückhalt in der Ehe mit seiner geliebten Traudl. Nachdem ihm Heinrich Maria Ledig-Rowohlt einen Vorschuss bezahlte, um den Roman „der sechste sinn“ abschließen zu können, zog er sich im Sommer 1964 auf das niederösterreichische Schloss Hagenberg zurück, wo er mehr mit rauschhaften Liebes- und Todes-Exerzitien beschäftigt war als mit seiner Dichtung. Dass er bei der Tagung der Gruppe 47 im schwedischen Sigtuna mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert wurde, stieß ihn noch tiefer in seine Einsamkeit zurück. Als eine seiner Geliebten nicht rechtzeitig von einer nächtlichen Party zurückkehrte, drehte er in seinem Zimmer die Gashähne auf und starb. So erfüllte sich der Satz seines Erzählers aus dem Roman-Torso „der sechste sinn“ „frage: worauf hoffen? Es gibt nichts was zu erreichen wäre ausser dem tod.“
„Die Auferstehung des Konrad Bayer“ ist in fast religiösem Verheißungston das neue „Schreibheft“ überschrieben. Für eine Wiederauferstehung poetischer Energien sorgt auch die überraschendste Zeitschriften-Neugründung dieser Tage. Nach zwanzig Jahren hat der Schweizer Lyrik-Editor Urs Engeler seine exzellente Poesie-Zeitschrift „Zwischen den Zeilen“ eingestellt. Zum Glück hat er jedoch eine hervorragende Alternative parat: Urs Engelers neue Zeitschrift nennt sich „Mütze“ – und diese neue „Mütze“ setzt man sich gerne auf, belebt sie doch den Kopf mit aufregenden Texten. Ein poetischer Essay von Werner Hamacher thematisiert die Verbindung von Sprache und Feuer. Bereits in der Genesis kam die Sprache der Offenbarung ja aus dem Feuer – aus dem brennenden Dornbusch sprach Gott zu Moses. In der „Mütze“ finden sich noch weitere Texte, die brennen: Eine erste Übersetzungsprobe eines radikal obszönen Epos des französischen Avantgardisten Pierre Guyotat. Krieg und Begehren, Gewalt und Sexualität werden hier verbunden wie einst in den Schriften des Philosophen Georges Bataille. Hinzu kommen noch Gedichte von Simone Kornappel und Tim Turnbull, letztere in der hervorragenden Übersetzung von Dagmara Kraus. Was in den kommenden Ausgaben der Zeitschrift folgt, sagt der Titel eines Lyrikbands von Ernst Jandl. Er lautet: „Die Bearbeitung der Mütze.“
Schreibheft 79
Rigodon Verlag, Nieberdingstr. 18, 45147 Essen. 192 Seiten, 13 Euro.
Mütze 1
Urs Engeler, Obere Steingruppenstr. 30, CH-4500 Solothurn. 52 Seiten, 6 Euro.
Michael Braun 13.08.2012
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Michael Braun
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