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Februar 2013
Als Denker ohne festen Wohnsitz und als Nomaden des Geistes hat man jene freischwebenden Intellektuellen beschrieben, die in der Zeit des großen Umbruchs vor und nach dem Ersten Weltkrieg aus den Ideologien ausgebrochen sind ins Offene, um den Preis einer metaphysischen Obdachlosigkeit. Von den Impulsen dieser unorthodox und ketzerisch gestimmten Dichter und Philosophen, die in den Jahren der avantgardistischen Literaturrevolution und der Weimarer Republik hervorgetreten sind, leben wir heute immer noch. Im aktuellen Februarheft der Kulturzeitschrift „Merkur“ wird nun eine der charismatischsten Gestalten im wilhelminischen Deutschland vorgestellt – der Wirtschaftsmagnat, Zeitkritiker, Schriftsteller und Politiker Walther Rathenau. Als Sohn des AEG-Gründers besaß er Millionen, kokettierte mit sozialistischen Ideen ebenso wie mit deutschnationalen Größenphantasien; er empfand sich als Jude und träumte zugleich von einer christlichen Identität. Rathenau selbst hat sich als „vielspältiges“ Wesen empfunden, als ein „nächtlicher Wanderer“, der in einer existenziellen „Doppelheit“ durchs Leben ging: als ein „Kommunist im Damastsessel“, wie sein späterer Biograf Harry Graf Kessler schrieb. Rathenau war Schlossbesitzer und Mehrheitssozialist, wurde als Außenminister der Weimarer Republik als „gottverdammte Judensau“ geschmäht und dann von einer faschistischen Verschwörertruppe im Juni 1922 ermordet. Der Historiker Martin Sabrow porträtiert Rathenau im „Merkur“ als faszinierend hellsichtigen und auch janusköpfigen Politiker, der sich als Wirtschaftstheoretiker eines kommenden Staatssozialismus profilierte, aber gleichzeitig als Unternehmer fest in der kapitalistischen Ordnung verankert blieb. Dem widersprüchlichen Charismatiker Rathenau hat dann später der Schriftsteller Robert Musil in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ in der Gestalt des Paul Arnheim ein Denkmal gesetzt.
Es ist wohl kein Zufall, dass der „Merkur“ solche zerrissenen Geister und politisch schwankenden Temperamente in den ersten beiden Heften des Jahrgangs 2013 ins Zentrum stellt. Es ist dies auch als diskrete Confessio der Zeitschrift zu lesen, die immer schon die widersprüchlichen, häretischen und provokativen Denker als geistige Referenzgrößen favorisiert hat. Im Januarheft des „Merkur“ werden etwa mit Herwarth Walden und Erich Mühsam zwei Bohemiens der expressionistischen Bewegung vorgestellt, die einige Jahre lang die Avantgarde prägten, dann aber – durch ihren politischen wie ästhetischen Eigensinn – mit den politischen Machthabern in Konflikt gerieten und elend untergingen. Herwarth Walden, 1878 als Georg Levin in Brandenburg geboren, war Gründer der Zeitschrift „Der Sturm“, die er mit der finanziellen Hilfe von Karl Kraus aus der Taufe hob und als zentrales Forum expressionistischer Literaturdebatten profilieren konnte. Nach dem Zerwürfnis mit Karl Kraus und nach der Trennung von seiner Ehefrau, der Dichterin Else Lasker- Schüler, verwandelte Walden sein Blatt in eine Kunstzeitschrift, die 1912 auch die legendäre Ausstellung des „Blauen Reiter“ mit anstieß. Im Ersten Weltkrieg entwickelte Walden dann ein Doppelleben als Avantgarde-Papst und zugleich als geheimer Agent der deutschen Kulturpropaganda; später bekannte er sich zum Kommunismus und zog in die Sowjetunion, wo er 1941 als angeblicher Spion verhaftet wurde und schließlich in einem Lager an der Wolga starb. Ein ästhetischer Gegenspieler Waldens war der Dichter und Anarchist Erich Mühsam, der in den Boheme-Kreisen Münchens als großer Erotiker präsent war und dann 1919 zu den Aktivisten der Münchner Räterepublik gehörte. Dieses passionierte Freidenkertum machte ihn zur Zielscheibe der Nazis; im Juli 1934 wurde Mühsam im KZ Oranienburg von SS-Schergen erschlagen.
Als politische Antipoden der expressionistischen Avantgarde werden im Januarheft des „Merkur“ zwei weitere widersprüchliche Denker in den Blick genommen: Martin Heidegger und Carl Schmitt. Als Philosophen gerieten sie 1933 beide in den Bann des Nationalsozialismus und versuchten sich Hitlers Bewegung kurzzeitig als Vordenker anzudienen. Carl Schmitt stieg zum „Kronjuristen“ Hitlers auf, als er 1934 die Röhm-Morde legitimierte; Heidegger kokettierte ein paar Monate lang mit dem Versuch, nicht nur den „Führerwillen“ philosophisch auszudeuten, sondern auch „den Führer zu führen“. Reinhard Mehring beleuchtet nun in seinem „Merkur“-Essay einen historischen Augenblick im September des Jahres 1933. An einem Septembertag trafen sich nämlich Heidegger und Schmitt, um ihre Chancen auf eine Berufung an die Berliner Universität auszuloten. Die Begegnung führte aber offenbar nicht zu einer „wunderbaren Freundschaft“, sondern stimulierte eine fortdauernde gegenseitige Abneigung.
Vom politisch unsicheren Treiben der Berliner Expressionisten rund um die Zeitschrift „Der Sturm“ führt ein direkter Weg zu einer anderen großen Schlüsselfigur der Moderne, zum ebenso genialischen wie tragischen Amerikaner Ezra Pound. Herwarth Walden hatte in seiner Zeitschrift das sprachliche Bild zum autonomen Ausdrucksträger erklärt, fast zeitgleich pries Ezra Pound in seinem sogenannten „Imagistischen Manifest“ das sinnlich aufblitzende Bild bzw. „Image“ als Fundament der modernen Dichtung. Pound, der Sohn eines Münzprüfers aus Idaho, wollte immer ein Dichter der Superlative werden, er wollte „das größte Gedicht der Weltgeschichte schreiben, das jemals geschrieben worden ist“. Und dieses Vorhaben vermochte er auch umzusetzen, mit seinen 1916 begonnenen und bis zu seinem Tod 1972 nicht abgeschlossenen „Cantos“, diesen Welt-Gesängen über die Quellen unserer Schöpferkräfte seit der Antike. „Daß ich meine Mitte verloren habe“, so resümiert das lyrische Alter Ego Pounds an einer Stelle der „Cantos“, „beim Bekämpfen der Welt. ….und daß ich versucht habe, ein irdisches Paradiso zu schaffen.“ Tatsächlich verlor auch Pound in den späten zwanziger Jahren seine Mitte und wurde zum glühenden Verehrer Benito Mussolinis.
Ein halbes Jahrhundert lang hatte die Übersetzerin Eva Hesse gleichsam ein Monopol auf die Übertragung des Poundschen Weltgedichts. Nun legt die aktuelle Nummer 80 der Literaturzeitschrift „Schreibheft“ einen poetischen Gegenentwurf zur Übertragung Eva Hesses vor, eine kongeniale „Cantos“-Übertragung des Übersetzers Rainer G. Schmidt, der hier ein Mosaik aus vielen Einzelelementen der „Cantos“ komponiert hat. Beim Vergleich der beiden Pound-Übersetzungen zeigt sich, dass Schmidt meist die poetisch direktere, wörtliche Lösung wählt, während Eva Hesse gerne poetisiert und überhöht. Wenn Hesse vom „Saumpfad“ schreibt, entscheidet sich Schmidt für „Hügelweg“; wenn Hesse am Ende von „Canto XXXIX“ resümiert: „Ich habe die Lohe verzehrt“, notiert Schmidt eine Tonlage tiefer: „ich habe die Flamme gegessen.“ Bei einer zentralen Passage freilich erscheint das Pathos Eva Hesses sehr viel angemessener als die Schmidtsche Nüchternheit. In einem ergreifenden Canto, das er schrieb, als er in Pisa in einem Käfig eingesperrt war, formuliert Pound selbstkritisch die Absage an die eigene Eitelkeit und Verblendung. Schmidt übersetzt:
… du bist ein geprügelter Hund unterm Hagel,
eine aufgeblähte Elster in der Sonne,
halb schwarz, halb weiß,
und kannst nicht Flügel von Schwanz unterscheiden
zerstöre deine Eitelkeit,
wie gemein dein Haß,
in Lüge aufgezogen,
zerstöre deine Eitelkeit,
zerstöre deine Eitelkeit …
Bei Eva Hesse sind die Bilder stärker aufgeladen und die Selbstanklage des lyrischen Ich erreicht durch die jambische Gliederung der Verse eine größere Musikalität:
Du bist im Hagel ein geschlagener Hund,
Gedunsene Elster in der Sonne Wankelmut,
Halb schwarz, halb weiß
Und kennst nicht Schwanz von Schwinge
Laß ab von Eitelkeit
Wie klein dein Haß
Genährt von Falschheit,
Laß ab von Eitelkeit …
… Laß ab von Eitelkeit,
sag ich, laß ab.
Der „Cantos“-Neuübersetzung von Rainer G. Schmidt ist im „Schreibheft“-Dossier noch ein Aufsatz des amerikanischen Dichters und Poetologen Charles Bernstein beigefügt, in dem er sich weigert, eine Trennung vorzunehmen zwischen dem faschistischen Credo Pounds und seiner Poetik. Bernstein kann aber zeigen, dass die Dichtung Pounds im Kern seiner politischen Option widerspricht. Entgegen der Geschichtsvorstellung Pounds solle, so resümiert Bernstein, die zeitgenössische Dichtung auf die Montagetechnik Pounds zurückgreifen, aber unter anderen Vorzeichen – nämlich, „als Teil der Demokratie von Wörtern und Kulturen und Geschichten, die allesamt unerschöpflich sind und keiner Hierarchie unterliegen“.
Neben das Pound-Kapitel hat „Schreibheft“-Herausgeber Norbert Wehr das Dossier eines großen Radikalen der französischen Literatur gestellt: Der in Deutschland bislang unbekannte Autor Pierre Guyotat, ein Vertreter der Ästhetik des Schreckens und moderner Nachfolger des Marquis de Sade, wird in essayistischen Annäherungen und einigen erschütternden Textproben vorgestellt. Der 1940 geborene Guyotat war ein Zeitzeuge des Algerien-Krieges, wurde als Deserteur eingekerkert und im Verlies wochenlang gequält. Sein Roman „Eden, Eden, Eden“, der 1970 die Schrecknisse des Krieges aufzeichnete und integrierte in eine grauenhafte Vision von Gewalt und sexueller Bestialität, wurde in Frankreich sofort verboten, bis ihn Präsident Francois Mitterand 1981 rehabilitierte. Es gibt „2 obsessive Orte meiner Schöpfung“, notiert Guyotat in seinen Tagebuchaufzeichnungen, „das Schlachthaus und das Bordell.“ Die vom „Schreibheft“ in der Übersetzung von Holger Fock gedruckten Auszüge aus dem Roman „Eden, Eden, Eden“ zeigen eine ununterbrochene Szenenfolge von Scheußlichkeiten, eine furchterregende Halluzination von Vergewaltigungen und Tötungen, ein Abstieg in die Hölle menschlicher Entgrenzung.
„Alles ist in den besten Anfängen“, schreibt Franz Kafka in seinem letzten Brief, ein Tag vor seinem Tod am 3. Juni 1924 an seine Eltern, „alles ist wie gesagt in den besten Anfängen, aber noch die besten Anfänge sind nichts“. Dieses Kafka-Zitat hat der Luxemburger Dichter Jean Krier als Titel einer seiner insgesamt „acht Oden“ vorangestellt, die jetzt im aktuellen Heft, der Nummer 204 der Zeitschrift „Sprache im technischen Zeitalter“ zu lesen sind. Als Jean Krier seine Oden schrieb, hatte er zwei schwere Herz-Operationen hinter sich und wusste um die Kontingenz seines Daseins. Vor wenigen Wochen, am 12. Januar, ist Jean Krier im Alter von 64 Jahren in der Uniklinik Freiburg gestorben – und die „acht Oden“ sind nun sein ergreifendes poetisches Vermächtnis geworden. Es sind überwältigend schöne Gedichte, in denen der Ton Hölderlins nachhallt und mit ihm die Bewegung der alkäischen Odenstrophe, vermischt mit den Melancholien eines Bewusstseins, das die Nähe des Todes spürt. Der heitere Fatalist Jean Krier trotzte der Todesgewissheit auch eine „Ode an die Freude“ ab – und in seinem stärksten Gedicht öffnen sich die Sinne und das Ich erfährt die Schönheit der Schöpfung – zugleich eine Einübung in den endgültigen Abschied:
O Stern
Im Frühling stirbt man lichtergleich leicht u steht
man auf, dass von der Kammer ein Stein. Denn schwer
die Welt u wie der heute Schnee u
Glocken wie Blüten besetzt. War Nacht so,
u weit u breit. Dann Vogelgezwitscher. Tag,
als Traum noch schrecklich flatter u lieb. Viel hin.
Nichts schmerzt am Kreuz, nicht Licht, nicht Mond mehr.
Schwarz war vom Schnee bald der Wald, die ganze
Musik, als Fleisch die Jäger. Und bleich das Bein,
nur HundeAugenBlick, der zum Barmen zagt.
In Taschen allen Schatten, Gott so
Lieb, denn im Frühling, da Schatten leichter.
Merkur, Heft 1 und 2 (2013)
Mommsenstr. 27, 10629 Berlin. Je 96 Seiten, je 12 Euro.
Schreibheft 80 (2013)
Rigodon Verlag, Nieberdingstr. 18, 45147 Essen. 180 Seiten, 13 Euro.
Sprache im technischen Zeitalter, Nr. 204
Am Sandwerder 5, 14109 Berlin, 116 Seiten, 14 Euro.
Michael Braun 20.02.2013
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Michael Braun
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