Himmelsleitern zur Poesie
Das 14. Internationale Literaturfestival in Leukerbad
Bericht
Himmelsleitern, die an die Pforte des Paradieses führen, sind für gewöhnlich nicht aus Metall. Beim alpin umrahmten Literaturfestival im Walliser Bäderort Leukerbad konnte man freilich beim rituellen Gang durch die Dalaschlucht und die schwankenden Metall-Treppen des Thermalquellenstegs einen lang Augenblick davon träumen, Himmelsleitern emporzusteigen. Der Universalgelehrte Iso Camartin las eine kleine Meditation über eine Ikone des Johannes Klimacus, die eine Himmelsleiter mit ihren 30 Stufen zum Portal zeigt. Camartin versuchte das in seiner begütigenden Art als Königsweg des Lesens zu dechiffrieren. Für die nicht schwindelfreien Wanderer war das ein guter Wegweiser zu den weniger heilsgewissen Büchern und Autoren, die bei der 14. Auflage des diesmal von rund 500 Gästen besuchten Festivals vorgestellt wurden.
Gleich drei literarische Weltpremieren fesselten die Aufmerksamkeit der Literatur-Freunde, die in die schroffe Bergwelt des Wallis gepilgert waren. Peter Stamm stellte seinen im August erscheinenden Roman „Sieben Jahre“ vor, eine auf den ersten Blick triviale Geschichte eines Architekturstudenten, der mit seinen Kommilitonen die Abenteuer der Liebe einübt und dabei die so sicher geglaubte Kontrolle über seine Gefühle und die von ihm erwählten Frauen verliert. Zunächst wähnt man sich hier in die Primitivität einer triebgesteuerten Männerseele versetzt, bis der Text dank seiner subilen Psychologie der Figurenzeichnung doch einen eigentümlichen Sog entwickelt.
Terézia Mora präsentierte erste Ausschnitte aus ihrem neuen Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ und dazu eine wunderbare Introduktion zu diesem Buch, den Essay „Über das Liebesleben in der Natur“, der exemplarisch vorführte, was Literatur leisten kann: nämlich Fragen zu stellen, um die schnellfertigen Antworten unserer Medienwelt aus den Angeln zu heben. Mit seiner fragenden Suchbewegung hebt der Essay alle unsere Gewissheiten über unseren Standort in der Welt aus den Angeln.
Den verstörendsten Auftritt hatte Herta Müller, die Proben aus ihrer poetischen Erzählung „Atemschaukel“ vorstellte, die von den traumatisierenden Folgen der Verschleppung eines ganzen Volkes handelt. Auf Geheiss Josef Stalins wurde im Januar 1945 die gesamte deutsche Minderheit in Rumänien für fünf Jahre in Arbeitslager in der Ukraine deportiert – zu den Verschleppten gehörten damals auch die Mutter Herta Müllers und der 17jährige Dichter Oskar Pastior. Im Gespräch mit Hubert Winkels beschrieb Herta Müller die Zusammenarbeit mit Oskar Pastior, der die Jahre im Lager als Initiationsszene seines Schreibens begriffen hat: „Mir ist damals die Sprache abgestürzt.“
Neben diesen Roman imponierten auch der weltkluge slowenische Dichter Ales Steger und sein litauischer Kollege Eugenijus Alianka mit ihren unaufgeregten Diskursen über die Aufgaben, die sich zeitgenössische Lyrik nach dem Verlust ihrer Zentralposition innerhalb der Literatur noch stellen kann. Ein Nachhall literarischen Größenwahns war dann leider bei dem renommierten Zürcher Fotografen Daniel Schwartz spürbar, der im Gespräch mit Joachim Sartorius die Geheimnisse seiner irrtierend-schönen Fotografien mit arroganten Belehrungen über die Weltlage selbst entzauberte. In einer der obligatorischen Small-Talks in Leukerbader Hotelbars, ausgedehnt bis weit nach Mitternacht, improvisierte schließlich der Festival-Gründer du Berufsoptimist Ricco Bilger, der bis 2005 über die Leukerbader Himmelsleitern Regie führte, eine enthusiastische Lobrede auf seinen Nachfolger, den Berner Kultur-Manager Hans Ruprecht. Dem war kurz vor seiner ersten Festivalleitung 2006 eine schwere Marmorplatte auf den Fuß gefallen. Den Erfolgskurs des zwischen Bäder-Wellness und Weltliteratur oszillierenden Festivals hat das nicht bremsen können.
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Michael Braun
Bericht
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