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Michael Buselmeier
Der Untergang von Heidelberg
ARCHÄOLOGIE DES HEIMATGEFÜHLS
Revisited: Michael Buselmeiers Roman „Der Untergang von Heidelberg“
Kritik |
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Michael Buselmeier
Der Untergang von Heidelberg
Roman
200 Seiten, gebunden
Verlag Das Wunderhorn 2013
(Original 1981, Suhrkamp)
Der Titel beim Verlag |
Die Wiederbegegnung mit einem einst geliebten Buch kann ernüchternd sein, desillusionierend, ein peinliches Erlebnis ästhetischer Entzauberung, das man lieber vermieden hätte. Das ganze Setting des Buches wirkt dann plötzlich verstaubt, lächerlich kleingeistig und obsolet und nichts mehr erinnert an die ästhetische Erschütterung, die einst die Lektüre ausgelöst hatte.
Michael Buselmeiers Roman „Der Untergang von Heidelberg“, soviel ist sicher, braucht diesen literaturkritischen Haltbarkeitstest nicht zu fürchten. Im Gegenteil.
Der Roman ist vor über dreißig Jahren erschienen, im Jahr 1981, als stolzer roter Band in der Edition Suhrkamp – und hat bis heute nichts von seiner expressiven Wucht eingebüßt. So ist man dankbar, dass der Wunderhorn Verlag mit der Unterstützung der Stadt Heidelberg den Roman zum 75. Geburtstag des Autors in einer schönen Ausgabe neu aufgelegt hat.
„Der Untergang von Heidelberg“ wurde bei seinem Erscheinen als autobiografische Confessio eines linksradikalen Schriftstellers gelesen, der in einem wütenden Klagegesang die Zerstörung seiner Heimatstadt anprangert und alle Formen von Bürgerlichkeit und Spießertum mit Mani.äfestationen der Verachtung und des Ekels straft. In einer heute kaum mehr möglichen Form des „schamlosen Schreibens“, die bis in die intimsten körperlichen Details geht, unterzieht sich der Ich-Erzähler, ein etwa 40jähriger Schriftsteller, einer peinlichen Selbstbefragung. Am 2. Juli des Jahres 1978 erwacht der Roman- Protagonist, der unschwer als Double des Autors zu erkennen ist, mit Nierenschmerzen und durchstreift mit seiner vierjährigen Tochter die Stadt, ein Erkundungsgang, der zur Lebensreise wird. Wir Leser begleiten den Protagonisten bei seinen alltäglichen Routinen, sehen ihn als Verkäufer der alternativen Stadtzeitung, als skeptisch beäugten Kunden im Supermarkt, der auf nicht ganz legale Besorgungen zurückblickt, oder als engagierten Vater im Kinderladen, wo er mit schlechtem Gewissen seine anspruchsvolle Tochter deponiert. Buselmeiers Held ist ein sehr eigensinniger Flaneur, der an jeder Straßenecke die Geschichte seiner Stadt einatmet und das Zerstörungswerk der Flächensanierung verflucht. Hinzu kommt die Geschichte seiner politischen Enttäuschung. Die kulturrevolutionären Utopien seiner Generation sind pulverisiert, das akribische Aufzeichnen der eigenen Wunschbilder und Tagträume erscheint dem Helden nun als ein Akt der Selbsterrettung. Buselmeier spricht von „wilder Psychoanalyse“ als seinem Formprinzip und kultiviert ein assoziatives Erzählen, in dem sinnliche Eindrücke, Wahrnehmungen, Erinnerungen und Traumbilder durcheinanderfallen.
Die Leser von 1981 konzentrierten sich vorwiegend auf die ästhetisch-politische Selbstpositionierung des Autors. Damals wurde die kompromisslose Selbstentblößung des Schreibenden kaum thematisiert und dann meist als narzisstische Marotte abgetan. Aber genau diese ästhetisch forcierte Selbstzertrümmerung des Ich erzeugt die Intensität des Buches. Bereits in der allerersten Szene des Romans, einem Traumbild, das die tote Mutter des Helden aufruft, ist das ganze Drama von Hassliebe und Verlassenheitsangst enthalten, das den Erzähler, einen einsamen Muttersohn, zu seinem großen Furor der literarischen Selbstbefreiung antreibt. Auf der ersten Seite des Romans finden wir auch einen Satz, der typisch ist für den schroffen Subjektivismus des Autors und bereits 1981 den Protest seiner linken Freunde auslöste: „Was ist der Faschismus gegen meine Schmerzen.“ Mit Provokationen dieser Art ist der Roman überreich bestückt. Buselmeier bedenkt seine Freunde, die hier ohne jede Verschlüsselung mit Klarnamen auftauchen, mit teilweise unbarmherzigen Porträts. Und dennoch: In seiner atemlosen epischen Collage gelingen ihm immer wieder verstörende Bilder, leuchtende Naturaugenblicke und ästhetische Schocks, die das Außenseitertum des Erzählers beglaubigen.
Wer etwas genauer hinsieht, kann schon im „Untergang“-Roman die konservative Utopie entdecken, die Buselmeiers Bücher spätestens seit dem Landroman „Schoppe“ (1989) bestimmt. Hinter der Maske des schrillen Anarchisten verbirgt sich bereits in diesem Roman von 1981 der „Archäologe des Heimatgefühls“, der „ein schmerzhaft deutliches Bild der Heimat zeichnen“ will, „die real verloren ist“. Ausgerechnet dem „Untergang von Heidelberg“, der sich, so Buselmeier in seinem aktuellen Nachwort, von „der realistischen Romanform des 19. Jahrhunderts“ bewusst abwendet, ist ein Motto von Adalbert Stifter vorangestellt. Ein paar Jahre später, in den 1984 veröffentlichten „Monologen über das Glück“, wird diese Utopie ausformuliert. „Stifter“, heißt es da, „gab ihm Gedanken und Gefühle, die eine Lösung versprachen und wie ein Glück aussahen; eine konservative Utopie, die alles Gesellschaftlich-Verworrene streng ausgrenzte, um die ideale Gemeinschaft der Edlen neu aufzubauen ...“
Hier der anarchische Außenseiter, der die Fesseln der bürgerlichen Gesellschaft sprengen will; dort der konservative Natur-Prophet, der von der „idealen Gemeinschaft der Edlen“ träumt – solche fundamentalen Widersprüche müssen wir bei diesem Autor aushalten.
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Michael Braun
Bericht
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