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August 2013
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Zeitschriftenlese  –  August 2013
von Michael Braun | Saarländischer Rundfunk – Literatur im Gespräch


Er war der Fels, auf dem die literarische Intelligenz ihre Kirchen der Häresie bauen konnte: Sebastian Kleinschmidt, der scheidende Herausgeber der Zeitschrift „Sinn und Form“. Nach 22 Jahren hat Kleinschmidt nun die Kommando­brücke verlassen, mit Weh­mut, aber auch mit der ihm eige­nen philo­sophi­schen Gelassen­heit. „Es war ein großes Abenteuer, das Abenteuer meines Lebens“, notiert er im „letzten Eintrag“ seines „Sinn und Form“-Logbuchs – und zele­briert dieses aktuelle Juli/August-Heft als furiosen Schluss­akt seiner Heraus­geber­schaft. In diesem Heft gelingt es Klein­schmidt noch einmal, jene Bewusst­seins­linien nach­zu­zeichnen, die „Sinn und Form“ zu einer Zeit­schrift machten, die „in alle Himmels­rich­tun­gen schaute“, wie es der polni­sche Literatur­wissen­schaft­ler Basil Kerski im Heft formu­liert. Die Gründungs­idee zu „Sinn und Form“ stammte von dem unglück­lichen Expres­sionis­ten und späteren DDR-Staats­dichter Johannes R. Becher, der 1948 eine reprä­sen­tative deut­sche Lite­ratur­zeit­schrift ins Leben rufen wollte, die auch ein Selbst­ver­ständi­gungs­organ der so­zia­listi­schen Intel­ligenz sein sollte.
  Der Dichter Peter Huchel, der dann erster Chefredakteur von „Sinn und Form“ wur­de, hat diese Aufgabe sehr eigen­willig und ästhe­tisch renitent inter­pretiert. Bereits im ersten Heft druckte er den Dichter Oskar Loerke, einen Autor der Inneren Emi­gration, und auf der anderen Seite Wladimir Majakowski, den kommunis­tischen „Schreihals-Zara­thustra“, von dem hier die Zeilen zu lesen sind: „Verse und Revo­lu­tion flos­sen in meinem Kopf irgend­wie zusammen.“
  Und diesen Pluralismus der Ideen hat dann nach der deutschen Ver­eini­gung Sebas­tian Klein­schmidt weiter forciert. Im aktuellen Heft manifestiert sich diese Pas­sion für geistige Gegen­sätze in den Bei­trägen über den ketze­rischen Kom­munis­ten Georg Lukács und den poli­tisch zwie­lichtigen Rechts­philo­sophen Carl Schmitt. Es gehört zu den für Klein­schmidt typi­schen Provo­kationen, dass diese Bei­träge sowohl für Lukács, den bis zur Selbst­ver­leugnung opfer­bereiten Stali­nisten, als auch für Carl Schmitt, der in seiner fa­schis­tischen Phase von der „Art­gleich­heit“ zwi­schen dem „Führer“ und dem Volk faselte, starke Sympa­thien ent­wickeln. Der Essayist Martin Tielke geht sogar so weit, dass er Carl Schmitt in die Nähe des Wider­stands gegen den Na­tional­so­zialis­mus rückt. Denn Schmitt verband eine Freund­schaft mit Jo­hannes Popitz, der einst preu­ßischer Finanz­minis­ter unter dem Minister­präsi­denten Hermann Göring war, sich später dann dem Wider­stands-Kreis um Claus von Stauf­fen­berg an­schloss und im Februar 1945 hinge­richtet wurde. Nach dem Todesurteil gegen Popitz besuchte ihn Carl Schmitt mehr­fach im Gefäng­nis – eine mutige Tat, die Schmitts große Dis­tanz zum NS-Staat belegt, die sich auch in seinem Buch „Der Le­viathan“ von 1938 aus­drückte.
  Es sind solche Gegenüberstellungen von kommunistischer und konservativer Intelligenz, mit denen Sebastian Klein­schmidt immer wieder Räume freien Denkens eröffnete. Für Klein­schmidt, der in einem protes­tantischen Pfarr­haus aufgewachsen ist, spielte dabei die Theo­logie die Rolle des Türöffners zu ganz unterschiedlichen Denk­tra­di­tionen. So ver­wundert es auch nicht, wenn Klein­schmidt eine Analyse des Philo­sophen Rudolf Otto in sein Abschieds­heft rückt, deren Titel auch das Programm von „Sinn und Form“ zusammen­fasst. Der Titel lautet: „Theologie unter freiem Him­mel“.

Eine solche Affinität zwischen Poesie und Theologie kann man auch für den wand­lungs­fähi­gen Avant­gardisten, Dichter und Mystiker Hugo Ball rekla­mieren, der mit seinem Weg vom Pfälzer Natur­dichter bin zum Dadaismus und schließlich zum „inte­gralen Katho­lizis­mus“ Furore gemacht hat. Nun ist gerade die aktuelle Ausgabe des all­jährlich erschei­nenden „Hugo-Ball-Almanachs“ erschienen, ein opulentes, fast 300 Seiten starkes Werk, das die Beiträge von zwei Hugo Ball-Tagun­gen doku­mentiert und damit das Wissen über den intel­ligen­testen Kopf der expres­sionis­tischen Gene­ration auf eine neue Grundlage stellt. Unter den durch­weg auf­regenden Hugo Ball-Deu­tungen ragen besonders die Bei­träge von Wilhelm Kühlmann und Bernd Wacker hervor. Sie suchen im Spät­werk des Dichters nach Antworten auf die Frage, wieso Ball sich von seinen Posi­tionen als rebel­lischer Avant­gardist im „Cabaret Voltaire“ in Zürich hin zu einem von ostkirchlichen und mystischen Tradi­tionen beein­flussten Katho­lizismus bewegte. Das Lebens­ideal des späten Hugo Ball war bekannt­lich das einer frei­willigen Armut und rigo­rosen Askese, einer – wie es wörtlich heißt – „gewollten Ver­schollen­heit“. Wilhelm Kühl­mann erinnert nun im „Hugo Ball-Almanach“ daran, dass bereits in der Gal­erie Dada im Mai 1917 die Rezi­tation christ­lich-mys­tischer Texte vor­ge­sehen war, so etwa der Schrif­ten der mittel­alter­lichen Mystikerin Mecht­hild von Magdeburg. Von der christ­lichen Einfär­bung solcher dadais­tischen Aktionen war es dann kein weiter Weg zur katho­lischen Welt­be­glückungs­phan­tasie. Noch kurz vor seinem Tod im September 1927 träumte Hugo Ball davon, in der Toskana eine große Kolonie für katholische Künstler und Dichter zu er­richten, „eine Art Laien­kloster und Gottes­schule“ nach dem Vor­bild der ersten Klöster im Mittel­alter. Noch größere Brisanz ver­spricht der Almanach-Beitrag von Bernd Wacker, der abso­lutes Neu­land betritt. Mit Hilfe der nach­gelas­senen Tage­buch­auf­zeich­nungen Hugo Balls, die bislang nur einigen wenigen Ball-Forschern zugäng­lich sind, hat Wacker akribisch die Aus­einander­setzung des Dichters mit der Psycho­analyse reche­rchiert. Erst Ende 1923 begann sich Ball mit der Psycho­analyse zu be­schäf­tigen, aber dieses Interesse stei­gerte sich nach der Begeg­nung mit dem ita­lieni­schen Expe­rimentalpsycho­logen Sante de Sanctis zur Leiden­schaft, so dass sich Ball schließ­lich selbst als Thera­peut versuchte. Hugo Ball hatte in der Psycho­analyse ursprüng­lich nur einen untaug­lichen säkularen Ersatz für die Beichte gesehen. Im April 1927 sah er sie dann als Brücke zu seinem neuen Interessen-Feld: „Psycho­analyse und Exor­zismus“. Der Plan, darüber auch ein Buch zu schreiben, wurde durch den frühen Tod des Dichters durch­kreuzt.

Sinn und Form 4/2013  externer Link
Postfach 210250, 10502 Berlin. 180 Seiten, 9 Euro.

Hugo-Ball-Almanach, Neue Folge 4 (2013)  externer Link
Edition Text+Kritik, Levelingstr. 6a, 81673 München. 296 Seiten, 21,50 Euro.

Michael Braun    16.08.2013       

 

 
Michael Braun
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