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August 2013
Er war der Fels, auf dem die literarische Intelligenz ihre Kirchen der Häresie bauen konnte: Sebastian Kleinschmidt, der scheidende Herausgeber der Zeitschrift „Sinn und Form“. Nach 22 Jahren hat Kleinschmidt nun die Kommandobrücke verlassen, mit Wehmut, aber auch mit der ihm eigenen philosophischen Gelassenheit. „Es war ein großes Abenteuer, das Abenteuer meines Lebens“, notiert er im „letzten Eintrag“ seines „Sinn und Form“-Logbuchs – und zelebriert dieses aktuelle Juli/August-Heft als furiosen Schlussakt seiner Herausgeberschaft. In diesem Heft gelingt es Kleinschmidt noch einmal, jene Bewusstseinslinien nachzuzeichnen, die „Sinn und Form“ zu einer Zeitschrift machten, die „in alle Himmelsrichtungen schaute“, wie es der polnische Literaturwissenschaftler Basil Kerski im Heft formuliert. Die Gründungsidee zu „Sinn und Form“ stammte von dem unglücklichen Expressionisten und späteren DDR-Staatsdichter Johannes R. Becher, der 1948 eine repräsentative deutsche Literaturzeitschrift ins Leben rufen wollte, die auch ein Selbstverständigungsorgan der sozialistischen Intelligenz sein sollte.
Der Dichter Peter Huchel, der dann erster Chefredakteur von „Sinn und Form“ wurde, hat diese Aufgabe sehr eigenwillig und ästhetisch renitent interpretiert. Bereits im ersten Heft druckte er den Dichter Oskar Loerke, einen Autor der Inneren Emigration, und auf der anderen Seite Wladimir Majakowski, den kommunistischen „Schreihals- Zarathustra“, von dem hier die Zeilen zu lesen sind: „Verse und Revolution flossen in meinem Kopf irgendwie zusammen.“
Und diesen Pluralismus der Ideen hat dann nach der deutschen Vereinigung Sebastian Kleinschmidt weiter forciert. Im aktuellen Heft manifestiert sich diese Passion für geistige Gegensätze in den Beiträgen über den ketzerischen Kommunisten Georg Lukács und den politisch zwielichtigen Rechtsphilosophen Carl Schmitt. Es gehört zu den für Kleinschmidt typischen Provokationen, dass diese Beiträge sowohl für Lukács, den bis zur Selbstverleugnung opferbereiten Stalinisten, als auch für Carl Schmitt, der in seiner faschistischen Phase von der „Artgleichheit“ zwischen dem „Führer“ und dem Volk faselte, starke Sympathien entwickeln. Der Essayist Martin Tielke geht sogar so weit, dass er Carl Schmitt in die Nähe des Widerstands gegen den Nationalsozialismus rückt. Denn Schmitt verband eine Freundschaft mit Johannes Popitz, der einst preußischer Finanzminister unter dem Ministerpräsidenten Hermann Göring war, sich später dann dem Widerstands-Kreis um Claus von Stauffenberg anschloss und im Februar 1945 hingerichtet wurde. Nach dem Todesurteil gegen Popitz besuchte ihn Carl Schmitt mehrfach im Gefängnis – eine mutige Tat, die Schmitts große Distanz zum NS-Staat belegt, die sich auch in seinem Buch „Der Leviathan“ von 1938 ausdrückte.
Es sind solche Gegenüberstellungen von kommunistischer und konservativer Intelligenz, mit denen Sebastian Kleinschmidt immer wieder Räume freien Denkens eröffnete. Für Kleinschmidt, der in einem protestantischen Pfarrhaus aufgewachsen ist, spielte dabei die Theologie die Rolle des Türöffners zu ganz unterschiedlichen Denktraditionen. So verwundert es auch nicht, wenn Kleinschmidt eine Analyse des Philosophen Rudolf Otto in sein Abschiedsheft rückt, deren Titel auch das Programm von „Sinn und Form“ zusammenfasst. Der Titel lautet: „Theologie unter freiem Himmel“.
Eine solche Affinität zwischen Poesie und Theologie kann man auch für den wandlungsfähigen Avantgardisten, Dichter und Mystiker Hugo Ball reklamieren, der mit seinem Weg vom Pfälzer Naturdichter bin zum Dadaismus und schließlich zum „integralen Katholizismus“ Furore gemacht hat. Nun ist gerade die aktuelle Ausgabe des alljährlich erscheinenden „Hugo-Ball-Almanachs“ erschienen, ein opulentes, fast 300 Seiten starkes Werk, das die Beiträge von zwei Hugo Ball-Tagungen dokumentiert und damit das Wissen über den intelligentesten Kopf der expressionistischen Generation auf eine neue Grundlage stellt. Unter den durchweg aufregenden Hugo Ball-Deutungen ragen besonders die Beiträge von Wilhelm Kühlmann und Bernd Wacker hervor. Sie suchen im Spätwerk des Dichters nach Antworten auf die Frage, wieso Ball sich von seinen Positionen als rebellischer Avantgardist im „Cabaret Voltaire“ in Zürich hin zu einem von ostkirchlichen und mystischen Traditionen beeinflussten Katholizismus bewegte. Das Lebensideal des späten Hugo Ball war bekanntlich das einer freiwilligen Armut und rigorosen Askese, einer – wie es wörtlich heißt – „gewollten Verschollenheit“. Wilhelm Kühlmann erinnert nun im „Hugo Ball-Almanach“ daran, dass bereits in der Galerie Dada im Mai 1917 die Rezitation christlich-mystischer Texte vorgesehen war, so etwa der Schriften der mittelalterlichen Mystikerin Mechthild von Magdeburg. Von der christlichen Einfärbung solcher dadaistischen Aktionen war es dann kein weiter Weg zur katholischen Weltbeglückungsphantasie. Noch kurz vor seinem Tod im September 1927 träumte Hugo Ball davon, in der Toskana eine große Kolonie für katholische Künstler und Dichter zu errichten, „eine Art Laienkloster und Gottesschule“ nach dem Vorbild der ersten Klöster im Mittelalter. Noch größere Brisanz verspricht der Almanach-Beitrag von Bernd Wacker, der absolutes Neuland betritt. Mit Hilfe der nachgelassenen Tagebuchaufzeichnungen Hugo Balls, die bislang nur einigen wenigen Ball-Forschern zugänglich sind, hat Wacker akribisch die Auseinandersetzung des Dichters mit der Psychoanalyse recherchiert. Erst Ende 1923 begann sich Ball mit der Psychoanalyse zu beschäftigen, aber dieses Interesse steigerte sich nach der Begegnung mit dem italienischen Experimentalpsychologen Sante de Sanctis zur Leidenschaft, so dass sich Ball schließlich selbst als Therapeut versuchte. Hugo Ball hatte in der Psychoanalyse ursprünglich nur einen untauglichen säkularen Ersatz für die Beichte gesehen. Im April 1927 sah er sie dann als Brücke zu seinem neuen Interessen-Feld: „Psychoanalyse und Exorzismus“. Der Plan, darüber auch ein Buch zu schreiben, wurde durch den frühen Tod des Dichters durchkreuzt.
Sinn und Form 4/2013
Postfach 210250, 10502 Berlin. 180 Seiten, 9 Euro.
Hugo-Ball-Almanach, Neue Folge 4 (2013)
Edition Text+Kritik, Levelingstr. 6a, 81673 München. 296 Seiten, 21,50 Euro.
Michael Braun 16.08.2013
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Michael Braun
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