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Schreiben im Herzschlagschatten
Laudatio auf Jean Krier, anlässlich der Verleihung des Prix Servais
Von Michael Braun
Laudatio |
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Jean Krier |
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Verehrte Anwesende der Fondation Servais und des Kulturministeriums, meine Damen und Herren, lieber Jean Krier,
die Ewigkeit ist ein schwieriges metaphysisches Gelände. Sie ist unbegrenzbar, sie hat weder einen zeitlichen Anfang noch ein Ende, und sie dauert fort, ohne dass ein Horizont, ein Endpunkt oder eine Grenze sichtbar wird. Sie ist weder empirisch-positivistisch noch theologisch zu kontrollieren, sie widersteht allen philosophischen Auslotungen, man kann sich bei ihrem Anblick nicht beruhigen. So gerät der Mensch, die metaphysisch obdachlose Erdenkreatur, ins Wanken, wenn er die Präsenz der Ewigkeit spürt. Frühmittelalterliche Philosophen konnten noch um die Geltungskraft der Ewigkeit als theologischer Prämisse für die Erschaffung der Welt streiten. Für einen Dichter, der skeptisch bleibt gegenüber den Erkenntnisgewissheiten der Philosophie und der Theologie, ist die Begegnung mit der Ewigkeit immer ein überwältigender Augenblick. Es ist eine Begegnung mit dem Unverfügbaren, das Gewahrwerden des Lebensgeheimnisses, die Erfahrung der Grenze zwischen Leben und Tod. Es ist eine Schlüsselszene der Existenz, wenn es gilt, von der Ewigkeit zu sprechen, oder, in der Terminologie der antiken Philosophen, „de aeternitate“. Auch der Dichter Jean Krier spricht in einem Gedicht seines Bandes „Herzens Lust Spiele“ von einem solchen elementaren Lebensaugenblick, von einem Grenzpunkt des Lebens und der plötzlichen Gewissheit, dass seine eigene Zeit durchaus begrenzt ist und die verbleibende Daseinsstrecke kurz sein kann. Jean Krier spricht in den suggestiven Versen des Gedichts „De Aeternitate“ von diesem Offenbarungsaugenblick, er spricht vom Anhauch der Ewigkeit – und er mobilisiert das bewährte Mittel, das ein Dichter gegen das Heranrücken der Todesahnungen einsetzen kann. Er mobilisiert die Schrift, er treibt sich an zur Schöpfungskraft des Schreibens, die sich gegen den Geltungsanspruch des Todes auflehnt und die Ewigkeit auf Distanz hält. Es ist die Poesie selbst, die hier gefeiert wird als ein Elixier des Lebens.
De Aeternitate
Schreib. Schreib jetzt, schreib. Schreib was. Nein,
schreib nicht. Pass auf, wach u horch. Die Nacht.
Wie sie schweigt hier draußen. Der Lärm aber nie
sonst verrauscht. Und das Meer. Wie es badet in
Blut u Öl. Schau hin, schau her u des Himmels Blau.
Der Augen Blau. Wie es spricht. So, schreib das
jetzt. Spieß es auf in kostbar geschenkten Minuten.
Geh in dich, töte den Hund, schlag ihn tot, blauäugig
sei u schreib, du armer Mensch, du blödes Vieh.
Da brauchst du nicht zaubern zu können. Und dann
schlaf, schlaf endlich u in Ewigkeit, du armes Schwein.
Im Herzschlagschatten schreibend schlaf. Wie köstlich,
ach, an keinem Ort mehr zu sein. Die auf der Galerie,
die lachen sich krumm.
Der Dichter spricht mit den Elementen, die Elemente sprechen zu ihm: das Wasser, das Meer, der Himmel, die Ewigkeit. Und in einem fast trotzigen Ingrimm treibt sich der Schreibende an, entwickelt gleichzeitig Aggressionen gegen sich selbst, der „arme Mensch“, das „blöde Vieh“. Am Ende dann scheint Gelassenheit einzukehren, es klingt nach Einverständnis, wenn die Selbstverständigung des schreibenden Subjekts den ewigen Schlaf heraufruft und den Übergang in die Ortlosigkeit. Da schreibt jemand im „Herzschlagschatten“ und imaginiert die Entgrenzung, gerät in ein anderes Kraftfeld. Die letzte Zeile wiederum scheint diesen eschatologischen Moment, diese Erfahsrung der Entgrenzung ironisch zu kommentieren: „Im Herzschlagschatten schreibend schlaf. Wie köstlich, / ach, an keinem Ort mehr zu sein. Die auf der Galerie, / die lachen sich krumm.“
Ja, Jean Krier ist ein Dichter, der seit einigen Jahren buchstäblich „im Herzschlagschatten schreibt“. Das Umschlagmotiv seines Gedichtbandes „Herzens Lust Spiele“ zeigt das in sehr direkter und doch auch diskret verwischter Präzision: Es ist eine Ultraschallaufnahme von Jean Kriers „beigepasstem“ Herz, das vor einigen Jahren in schwere Übelstände geriet. Das erste Kapitel der „Herzens Lust Spiele“ berichtet in sehr intensiven, die versehrte Leiblichkeit evozierenden Versen von dieser Grenzerfahrung.
„Herzens Lust Spiele“: Dieser Titel scheint in der programmatischen Fügung der drei Substantive die Emphasen einer Beglückung heraufzurufen, eine hedonistische Lebenskunst, ein vergnügliches Spiel der Lebensbejahung. Doch es zeigt sich rasch:
Das im Titel aufgerufene Herz figuriert nicht nur als Chiffre für die Passionen und Emotionen eines liebeshungrigen Ich, sondern primär als ein verletzliches Organ, das ein in den Grundfesten erschüttertes Ich mit der Todesnähe konfrontiert.
In einem eigenen Kapitel werden die Klinikerfahrungen des lyrischen Subjekts beschworen, dem das „beigepasste Herz“ von der Zerbrechlichkeit des Leibes und des Lebens zeugt. Oft flattern hier unheilvolle Engel mit schwarzen Flügeln durch die Verse, das Weltgefühl des versehrten Ich wird geprägt durch Samuel Becketts „Fin de partie“ – ein „Endspiel“, das bis in die eigene Finalitätsgewissheit durchschlägt. So entwirft Jean Krier immer wieder in blendenden Bildern von Schrecken und Schmerz Passionsgeschichten, in denen sich die Erfahrungen mit seiner schweren Herzkrankheit mit biblischen Visionen mischen.
Der Band wird eröffnet durch ein Totengespräch:
Ich lebe doch – sonst wäre nicht Welt, u muss
noch hinaus u den Toten, sie zu wecken u wenden,
die im Viehwaggon da, dass sie mal andersrum
u ab in die Fabrik oder gleich in den Ofen u
leichtbeschwingt durch den Schornstein, sonst wär
die andere Welt.
Es sind die Toten, die von den politischen Barbareien des 20. Jahrhunderts verschlungen wurden. Jean Krier formt dieses Totengespräch in dem für ihn so typischen elliptischen, mit Verkürzungen und fragmenthaften Einschüben arbeitenden Stil zu einer universalen Todes-Reflexion, in der das Ich die großen Dichterkollegen der Moderne zitiert: Samuel Beckett, Marcel Proust, John Ashbery.
Von den „Herzens Lust Spielen“, die Jean Krier in seinem insgesamt vierten und zugleich substantiellsten und schönsten Gedichtband inszeniert, sehen wir im ersten Kapitel nur die schwarzen, den Obsessionen der Vergänglichkeit zugewandten Seiten. Wie es das erste Wort seines Gedichts „Aubade“ , also eines Morgenlieds, bereits ausspricht, haben wir es mit einer „Herzkammermusik“ zu tun.. Hier hat Jean Krier selbst die wohl schönste und prägnanteste Chiffre für seine Poetik gefunden: Denn sie entfaltet wirklich eine sinnlich-barocke und todesumwehte „Herzkammermusik“, eine Rhapsodik der Sterblichkeit, gebunden in eine kunstvolle Form. Es ist die Form der freirhythmisch beweglichen Langzeile, eine ganz eigene fluide Versbewegung, in die äußerst reizvolle Mischungen aus erhabenen Anrufungen, Poesiezitaten, Redewendungen, rauhen Textfragmenten und französischen Einsprengseln integriert werden.
Aber die „Herzens Lust Spiele“ werden nicht etwa von einem durchweg verdüsterten, todesverfallenen Dichter der letzten Dinge gespielt. Bereits in seiner lyrischen Einkreisung der Ewigkeit sehen wir auch den Hedonisten Jean Krier hervortreten, der mit einer eigentümlichen Gelassenheit, ja Heiterkeit die Grenzerfahrungen durchbuchstabiert. Er spricht in einer Art Beharrungstrotz von dem heranrückenden Übergang in die Ortlosigkeit, die Beschwörung der Todesahnung ist dabei stets verbunden mit einer vorbehaltlosen Daseinsbejahung. Vielleicht lässt sich diese Position des gelassenen Blicks auf die letzten Dinge mit einem Vers aus dem Gedicht „Alte Liebe, revisited“ illustrieren. Dort heißt es: „Ja, so will ich bleiben, so, wie ich bin: ratlos u heiter“. Und das ist die existenzielle Grundfigur, die Jean Kriers Dichtung durchzieht: Es ist die Position des heiteren Fatalisten, eines daseinszugewandten Vergänglichkeits-Dichters, der sich die Lebenslust nicht hat austreiben lassen: „ratlos u heiter“. Es ist das alte Vanitas-Motiv des Barock, eine Dichtung, der die Vergänglichkeit in allen Poren sitzt, die aber dem Lebens-Genuss nicht entsagt. Und selbst wenn sich die Perspektiven verdüstern und die Engel der Geschichte keine Schutzengel sind, sondern das Schreckliche verkünden, bleibt der Blick des Dichters dem Diesseits zugewandt, den kleinen und großen Vergnügungen. Und selbst in dem sehr finsteren Gedicht „Hab sonst nichts auf der Welt“, das in großen, flackernden Bildern die Visionen eines Kranken und die unheimliche Präsenz der Toten imaginiert, meldet sich zugleich die Beharrungskraft des von Nachtgewächsen Gequälten. Nein, es schlägt dem Phantasierenden nicht die letzte Stunde, denn viel stärker ist der Wille und der Wunsch, noch einmal ins Offene zu gehen.
Hab sonst nichts auf der Welt
Und das ist Heimkehr in diesen glänzenden Saal, wo
Die Kinder mit großen Augen am Tisch u in den Betten
Die Toten mit ihren Kanülen und Schläuchen. Den Mantel
Ablegen u nackt sein, wo Musik sonst erklang. Die Tür
Öffnen u da seltsam ineinander verschobene Gegenden,
wo der schrecklichste der Schrecken oder du endlich,
mein Engel: wie du mich aus dem Hafenbecken, wie
ich blutete an Händen u Füßen. Sieh meine Narben
u hör. In fernen Fluren hallt Schmerz u Geschrei wie
Lust. Und um die Ecke ist alles schon Gekicher, Ge-
schwätz. Dann klingt wohl ein Glöcklein klar, aber
es schlägt keine Stunde. Draußen im Lande da laufen
Tage u Wochen schon über. Es ist an der Zeit von Blut
u Wunden, denn der Horizont ist ein eingefleischter
Killer. Am Morgen bist du gut drauf. Diese Nacht stand
die Tür offen u immer noch lagen wir auf dieser Wiese.
Zum Nachtisch gab es meringue glacée.
Es ist etwas Schwereloses in den Gedichten von Jean Krier, es ist eine Fließbewegung in seinen Langzeilen, deren Herkunft aus maritimen Quellen das zweite Kapitel der „Herzens Lust Spiele“ verdeutlicht. Dieses Kapitel ist seinem Sehnsuchtsort gewidmet, der bereits in seinen Gedichtbänden „Sehstücke“ (von 2002) und „Gefundenes Fressen“ (von 2005) das Zentralmotiv bildete. Diese Gedichte halten hartnäckig Kurs auf die Ile D´Ouessant an der bretonischen Küste und auf das Meer als absoluten Ort der Träume. Jan Krier schreibt Gedichte, die in ihrer rhythmischen Bewegung und ihrer vokabulären Textur ebenso fluid sein wollen wie die Wellen des Meeres. Die Landschaften der Ile D´Ouessant halten offenbar alle Ingredienzien des Utopischen bereit: die Weite, das unberechenbare Spiel des Windes, das Blau des Himmels und den „Schaum der Tage“, den Krier in einem frühen Gedicht in einer Anspielung auf den anarchistischen Dichter Boris Vian heraufbeschwört.
Von den „Sehstücken“ bis zum jüngsten Band „Herzens Lust Spiele“ hat sich der Dichter auch seine Passion für die Verflechtung deutscher und französischer Sprachelemente bewahrt. In einem Gespräch für den Berliner „Tagesspiegel“ hat er neulich seine Position zwischen den Sprachen erläutert, also zwischen der Muttersprache, dem Letzebuergischen, dem Deutschen und dem Französischen. Der 1949 geborene Dichter, der einst in Freiburg im Breisgau Germanistik und Anglistik studiert hat, ist seiner Heimat im Großherzogtum stets treu geblieben, aber in der luxemburgischen Nationalsprache, so Krier im „Tagesspiegel“, wolle er nicht schreiben, denn das würde seine Ausdrucksmöglichkeiten und sein Publikum stark einschränken. Die moderne französische Lyrik des 20. Jahrhunderts, so Krier weiter, sei oft sehr preziös, im Deutschen habe er dagegen mehr Freiheiten in der Artikulation und Tongebung vorgefunden. Und so erleben wir in den Gedichtbüchern von Jean Krier einen Autor, der eine poetische Gratwanderung auf der Sprachgrenze absolviert: In seinen Gedichten überlagern sich in einer höchst eigenwilligen Symbiose deutsche und französische Sentenzen: Französische Fundstücke aus Gedichten, Graffiti oder Alltagssprüchen verbinden sich mit hohen Tönen aus Hölderlin-Gedichten oder bizarren Wortfindlingen vom Boulevard. Raue und weiche Töne, pathetische Zeilen und ironische, schnoddrige Verse prallen in seinen Texten aufeinander – und verbinden sich zu einer suggestiven Wortmusik. Der sprachliche Friede, erklärte Krier vor Jahren in einem Gespräch mit Joachim Sartorius, werde in seinen Versen verweigert, stattdessen bahne er sich über notwendige Dissonanzen einen Weg ins Heillose. Wie heißt es doch am Ende des Gedichts „De Aeternitate“: „Im Herzschlagschatten schreibend schlaf. Wie köstlich, / ach, an keinem Ort mehr zu sein. Die auf der Galerie, / die lachen sich krumm.“
Aber Jean Krier hat weitergeschrieben, hat auch im Herzschlagschatten einen Ort für die Poesie gefunden. „Wie köstlich, / ach, an keinem Ort mehr zu sein.“ Aber wie köstlich auch, lieber Jean Krier, hier einen wunderschönen Ort in ihrer Heimat zu haben, an dem Ihnen verdientermaßen der Preis für das Buch des Jahres 2010 verliehen werden kann: hier im Letzebuerger Literaturarchiv in Mersch. Lieber Jean Krier, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zum Servais-Preis.
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